AGs in Ganztagsschulen: Zeit für Handwerksmeister : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Seit 14 Jahren arbeitet die Handwerkskammer Koblenz mit Ganztagsschulen zusammen. Manfred Schritz, für den Bereich Übergang Schule–Beruf verantwortlich, sieht beide Seiten davon profitieren.
Online-Redaktion: Schaut man auf die Kooperationsmöglichkeiten rheinland-pfälzischer Schulen, findet man mit der Handwerkskammer Koblenz ein wahres Urgestein. Wie kam es zu der frühen Zusammenarbeit?
Manfred Schritz: Als das Land 2002 mit der Einführung von Ganztagsschulen begann, war beiden Seiten schnell klar, dass eine Kooperation sowohl den Schulen als auch uns und den Betrieben große Chancen eröffnen würde. Die Schulen suchten und suchen bis heute Betreuer und Partner, die die Nachmittage mitgestalten, sinnvolle und reizvolle Angebote unterbreiten. Für die Handwerkskammer und die Betriebe stellt die Kooperation neben vielfältigen anderen Berufsvorbereitungsmöglichkeiten eine sehr gute Möglichkeit dar, Nachwuchswerbung für den gewerblich-technischen Bereich zu betreiben. Folgerichtig haben wir damals mit der Landesregierung eine Rahmenvereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen Ganztagsschulen und Handwerkskammern geschlossen. Sie wird bis heute mit Leben gefüllt.
Online-Redaktion: Welche Schulformen und Altersstufen sprechen sie an?
Schritz: Am häufigsten arbeiten unsere Ausbilder und Handwerksmeister mit Sekundar- und Förderschulen zusammen. Grundsätzlich können alle Altersstufen eingebunden werden. Doch meistens sind es am Ende doch die Schülerinnen und Schüler zwischen der siebten und neunten Klasse. Dabei sind die Gruppen manchmal sehr altershomogen, manchmal aber auch sehr heterogen. Erfreulicherweise aber ist eines fast immer gleich: Das Verhältnis von teilnehmenden Mädchen und Jungen ist ausgeglichen.
Online-Redaktion: Was verspricht sich die Handwerkskammer von den Kooperationen?
Schritz: Unsere Ausbilder und Handwerksmeister gehen, wann immer es möglich ist, in die Schulen. Wir wollen das Handwerk sozusagen dorthin tragen. Wir wollen Verständnis und Interesse für technisches, aber auch wirtschaftliches Handeln wecken, den Schülerinnen und Schülern zeigen, welche Chancen das Handwerk ihnen bietet. Hier sehe ich auch den großen Vorteil der Ganztagsschule: Es entwickelt sich in den Arbeitsgemeinschaften, die grundsätzlich über ein ganzes Schuljahr mit zwei oder mehr Stunden pro Woche laufen, eine intensive Zeit, um sich mit einer bislang fremden Lebenswelt auseinanderzusetzen.
Online-Redaktion: Was bieten Sie konkret an?
Schritz: Jede AG beginnt mit etwas Theorie. Dabei werden wesentliche Techniken und Grundlagenwissen für die Bereiche Holz, Farbe und Raumgestaltung, Metall, Bau, Hauswirtschaft/Gastronomie und Friseurwesen vermittelt. Welches Angebot eine Schule wählt, bleibt grundsätzlich ihr überlassen. Nur wenn sich von den jährlich zumeist 20 interessierten Schulen zu viele auf einen Bereich stürzen, müssen wir allein schon aus Personalgründen manchmal eine Anfrage ablehnen oder versuchen, ein alternatives Thema auszuwählen.
Online-Redaktion:
Welche Bereiche sind besonders gefragt?
Schritz: Die Nachfragen nach den Bereichen Holztechnik, Bau, Metall sowie Farbe und Raumgestaltung halten sich in etwa die Waage. In den AGs werden die Bereiche, je nach Projekt, fachübergreifend miteinander verbunden. Beispielsweise kann ein Metallobjekt nach Fertigstellung von den Malern & Lackierern anschließend farblich gestaltet werden.
Online-Redaktion: Die Theorie ist leicht in der Schule zu vermitteln. Was aber ist mit den praktischen Arbeiten?
Schritz: Die meisten Schulen sind gut ausgestattet, manche weniger. Wenn möglich, stellen wir das Material, oder die Schule kauft es. Ganz klar aber war von Anfang an, dass wir für die praktische Umsetzung größerer Projekte unsere Berufsbildungszentren in Koblenz, Bad Kreuznach, Cochem, Rheinbrohl und Wissen nutzen mussten. Dort sind viele, ja ich würde schon sagen, imposante Dinge entstanden.
Online-Redaktion: Zum Beispiel?
Schritz: Ich möchte eines nennen, das deutlich über die Region hinaus Aufsehen erregt hat. Eine Keramik-AG fertigte nach dem schrecklichen Attentat aus Ton eine apokalyptische Vision eines zerstörten New York. Diese Ground-Zero-Arbeit zeigt geborstene Wolkenkratzer, gerissene Straßen, umgekippte Fahrzeuge. Kahle Bäume stehen vor dem Szenario, eine verzerrte Freiheitsstatue streckt ohnmächtig ihre Fackel gen Himmel. Die jungen „Meister“ waren Schülerinnen und Schüler der sechsten bis achten Klasse der damaligen Dualen Oberschule Betzdorf, aus der später die Bertha-von-Suttner-Realschule plus in Betzdorf hervorgegangen ist.
Und das Besondere: Die Botschaft der Vereinigten Staaten reagierte prompt auf das Angebot, das Kunstwerk in amerikanische Hände zu übergeben. Und so brachten wir die Keramik-Installation gemeinsam mit Vertretern der Schule ins Amerika-Haus in Berlin, wo es zwischen zwei Flaggen – der amerikanischen und der deutschen – und umgeben von anderen Ground-Zero-Kunstwerken platziert wurde.
Online-Redaktion: Nicht alle Kunstwerke von Schulen werden in den vergangenen 14 Jahren so populär geworden sein. Wie motivieren Sie Schülerinnen und Schüler?
Schritz: Das Gute an Arbeitsgemeinschaften ist ja die ohnehin zumeist große Freiwilligkeit der Teilnahme. Wer sich dafür anmeldet hat auch Interesse. Dieses gilt es wachzuhalten. Und da erweist sich zum einen die praktische Arbeit, das Erfahren konkreter Ergebnisse als eine wichtige Motivation. Zum anderen aber haben wir den Schulen immer wieder die Möglichkeit gegeben, auf Messen oder etwa dem Rheinland-Pfalz-Tag ihre Arbeiten zu präsentieren, was natürlich jenseits dieses speziellen Projektes eine wertvolle Erfahrung für die Schülerinnen und Schüler darstellt. Darüber hinaus zeichneten wir jährlich die besten Arbeiten aus und betrieben dafür auch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem erhalten die AG-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer entsprechende Zertifikate.
Online-Redaktion: Das Projekt erfordert mit Sicherheit einen hohen personellen Aufwand. Wie hat die Handwerkskammer ihn gestemmt?
Schritz: Das ist in der Tat sicher die größte Herausforderung, zumal es sich ja nicht um das einzige Berufsvorbereitungsprogramm handelt. Unsere Handwerksmeister müssen sich schon sehr viel Zeit nehmen. Zum Teil haben sie sogar Urlaub dafür genutzt und erhielten dann ein kleines Honorar für die AG. Mitunter haben wir externe Meister eingesetzt, etwa Ruheständler oder Jüngere, die noch Zeit dafür hatten. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass die Externen zumeist – und man darf wohl auch sagen: zum Glück – im eigenen Betrieb viel zu ausgelastet sind, um sich verbindlich und verlässlich ein Jahr lang zu verpflichten, an einem festgelegten Tag mit Vor- und Nachbereitung mehr als zwei Stunden pro Woche zu opfern.
Online-Redaktion: Mit welchen Kosten müssen andere Handwerkskammern, die Ihr Konzept aufgreifen wollen, rechnen?
Schritz: Kosten in Euro und Cent sind schwer zu beziffern und sind meines Erachtens auch kein Hinderungsgrund. Es ist der eher hohe Personalaufwand. Bei uns waren in all den Jahren schätzungsweise insgesamt 50 Handwerksmeister beteiligt.
Online-Redaktion: Welche Erfahrung haben die Handwerksmeister im wöchentlichen Zusammenspiel mit den Schulen gesammelt?
Schritz: Ich muss sagen, das läuft nahezu reibungslos. Was wohl auch daran liegt, dass unsere Ansprechpartner in den Schulen oft fit in der Arbeitslehre sind. Beide Seiten haben da sehr voneinander profitiert, Erfahrungen ausgetauscht und Anregungen aufgegriffen. Diskussionen gab es höchstens einmal bei der Frage der Disziplin der Schülerinnen und Schüler. Handwerksmeister stellen in der Regel hohe Anforderungen an die Arbeitsmoral und Mitarbeit ihrer Schützlinge und setzen diese auch mit der gebotenen Autorität durch. In Einzelfällen waren Lehrer bei Fehlverhalten ihrer Schüler nachsichtiger.
Online-Redaktion: Ein Blick in die Zukunft: Wie geht es mit den Ganztagsangeboten der Handwerkskammer Koblenz weiter?
Schritz: Die Arbeitsgemeinschaften sind ein fester Bestandteil unseres Berufsvorbereitungsprogramms geworden, für das wir keine Werbung mehr betreiben müssen. Sie sind ein Selbstläufer.
Kategorien: Ganztag vor Ort - Lernkultur und Unterrichtsentwicklung
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