2020: Ganztag ganz virtuell : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Kongresse, Tagungen und Fortbildungen gehören seit Beginn des Ausbaus der Ganztagsschulen selbstverständlich zum Jahresablauf. In diesem Jahr war alles anders. Fiel der Austausch weg oder gab es Alternativen?
Wenn man ein schulisches Thema auswählen sollte, das vielleicht am meisten durch eine virtuelle Vermittlung verliert, dann würde man wahrscheinlich den Sport und den Schulgarten wählen. Doch nicht nur, dass Beispiele wie ALBAs tägliche Sportstunde oder die Sportjugend Hessen mit ihrer Fortbildung „Teambuilding online – geht das?“ für manche Überraschung sorgten. Im vergangenen Jahr bewiesen selbst die Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten und die österreichische Initiative „Natur im Garten“, dass auch das Internet ergrünen kann – unsere österreichischen Nachbarn waren schon alte Hasen in Sachen Online-Seminare, als ab dem Frühjahr alle Präsenzveranstaltungen abgesagt werden.
„Wir haben bereits 2018 mit Online-Seminaren begonnen“, erzählt Katja Batkovic, Bereichsleiterin bei „Natur im Garten‟. „Das ist anfangs intern mit großer Skepsis aufgenommen worden, aber wir hatten dann einen so hohen Zulauf, dass wir bereits 2019 rund 20 virtuelle Veranstaltungen angeboten haben. Der Schulgarten ließ sich gut darstellen, und bei einer Veranstaltung waren 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zugeschaltet – das hat uns verblüfft.“ Man habe auch Menschen erreicht, die „sonst nicht so kongressfreudig sind‟.
2020 war das Jahr, in dem der Ganztag gezwungenermaßen online gehen musste. Wie Katja Batkovic und das „Natur im Garten“-Team machten viele Bildungsträger, die im Sommer nach der ersten Schockstarre schnell das Wort „Videokonferenz“ buchstabieren lernten, die Erfahrung, dass Online-Seminare sicherlich keinen vollwertigen Ersatz für Tagungen darstellten – aber doch mehr als eine Notlösung sind.
Ganztags-Café online
„Wir hatten eigentlich eine große Veranstaltung ‚10 Jahre Ganztagsschule in Niedersachsen’ in unserer Landeshauptstadt geplant“, erinnert sich Claudia Maria Korte vom Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ). „Das war dann natürlich nicht machbar.“ Stattdessen wurde ein Online-Seminar unter der Überschrift „Ganztägig leben und lernen in Niedersachsen“ organisiert. „Wir haben uns gesagt: Wir probieren es einfach mal aus. Für uns ein echtes Pilotprojekt“, so Claudia Maria Korte.
Das Angebot kam gut an, „es hat auch alles funktioniert“. Und für nicht wenige Interessierte war das digitale Format sogar vorteilhaft. „Die Wahnsinnsfahrerei“, die in einem Flächenland wie Niedersachsen für manche Interessierte sonst zwangsläufig anfällt, fiel weg. „Eine Videokonferenz ist für viele bequemer und auch zeitlich besser einzurichten“, meint Claudia Maria Korte.
Nach dem ermutigenden Auftakt gibt es nun „konkrete Pläne, dass unsere zwölf Kompetenzzentren demnächst an jedem letzten Donnerstag im Monat ein ganz niedrigschwelliges Ganztags-Café zum Austausch anbieten werden“, berichtet die Referentin. „Jedes Kompetenzzentrum soll außerdem in den nächsten zwei Jahren einen digitalen Fachtag veranstalten.“ Für sie sind die Online-Seminare eine „unglaublich gute Ergänzung, sie bleiben auf jeden Fall in unserem Angebot“.
Es fehlt der Austausch bei Kaffee und Tee
Christoph Bülau hatte zusammen mit Eva Reiter und dem Vorstand des Ganztagsschulverbands im Dezember 2020 zum ersten digitalen „Ganztags-Glühwein“ eingeladen – es sollte ein kleiner Ersatz für den eigentlich turnusgemäß im November stattfindenden dreitägigen Bundeskongress des Ganztagsschulverbands sein, der diesmal in Bremen geplant war. Er ist zwiegespalten. „Den Austausch am Rande bei einer Tasse Kaffee, bei dem sich ja auch so viel Interessantes ergibt, kann das digitale Format sicherlich nicht ersetzen.“
Für Menschen, die Probleme mit dem Sehen, Hören und der Sprache, geringe technische Erfahrung oder unzureichende Technik hätten, stellten Online-Angebote auch teilweise unüberwindbare Hürden dar. „Wir haben gute Erfahrung mit einem Technik-Check gemacht, bei dem vor dem eigentlichen Beginn der Veranstaltung genügend Zeit ist, technische Probleme zu klären. Auf jeden Fall muss man für Dinge im Netz mehr Zeit einplanen, weil immer mal etwas nicht funktioniert und sich verzögert“, resümiert Bülau.
Für unschlagbar vorteilhaft hält er wiederum, dass sich online Teilnehmende von überall her zuschalten können, „auch über Ländergrenzen hinweg“. Bülau denkt dabei an die „ökologischen Vorteile“, weil Anfahrten wegfallen, gerade solche, bei denen Aufwand und Ertrag teilweise schon in einem bedenklichen Verhältnis stünden. „Wenn wir einen Referenten aus Innsbruck nach Bremen einladen, damit der dort für 90 Minuten spricht, ist es für ihn mit Sicherheit weniger anstrengend, wenn er seinen Vortrag per Video hält.“ Nicht zuletzt sei ein Online-Seminar kostengünstiger, wenn Miete für Veranstaltungsräume wegfällt.
Schulhospitationen nicht zu ersetzen
Auch die OGS-Akademie der Montag Stiftung wechselte in diesem Jahr erstmals ins Netz. Miriam Remy hält das für „eine gute Möglichkeit, sich auszutauschen, ohne vor Ort sein zu müssen". Das Format eigne sich gut, um Kleingruppen einzurichten und ihnen Leitfragen für einen gezielten Austausch zur Verfügung zu stellen. Dabei sollten die Moderatorinnen und Moderatoren zuerst für eine vertrauensvolle Basis, zum Beispiel durch eine Vorstellungsrunde, sorgen.
Das „vor Ort sein“ ist für Tanja Mayr, Referentin an der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen, die im Juni mit der ersten Online-Lehrerfortbildung „Chance Ganztag nutzen!“ startete, „durch nichts zu ersetzen“ – vor allem wenn Hospitationen in Ganztagsschulen dazu gehören: „So ein Besuch ist eine wichtige und wertvolle Erfahrung“, die Vorträge nicht bieten können. Ein großer Vorteil der Online-Seminare sei wiederum, dass sie Fortbildungen zu anderen Zeiten ermöglichten, zum Beispiel am späten Nachmittag, sodass Unterricht oder Ganztagsangebote nicht ausfallen müssen. „In jedem Fall sind Online-Seminare ein sehr wertvolles Instrument, das auch prozessbegleitend eingesetzt werden kann“, resümiert Tanja Mayr. Das sogenannte Blended Learning, die Kombination aus Präsenzveranstaltung und digitalem Format, hält sie für „ideal“.
Ankommen im virtuellen Raum?
Eine Premiere war das Online-Seminar „Guten Ganztag in weiterführenden Schulen gestalten – trotz Corona!“ Ende Oktober für die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Nordrhein-Westfalen. Auch hier bewährten sich der vorgeschaltete Technikcheck, das „Ankommen“ im virtuellen Raum und ein durchgängiger technischer Support. Für Malte Vossick, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Serviceagentur, ist „die Nutzung von Online-Tools wie zum Beispiel Live-Abfragen eine interessante Möglichkeit, die Veranstaltung zu gestalten“.
Er sieht „weniger Geplänkel“ und mehr „effiziente Arbeitsweise“ in den virtuellen Workshops. „Die Moderation ist allerdings schwieriger, weil man oft 'ins Leere spricht' und wenig direktes Feedback erhält.“ Für ihn fehlt „der persönliche Kontakt als sozialer Kitt“ ebenso wie schöne Räume. „Videokonferenzen sind einfach nicht feierlich. Dafür ergeben sich manchmal herrlich skurrile Situationen durch das Homeoffice“, lacht er. Sein Kollege Dirk Fiegenbaum resümiert: "Online-Seminare sind für kurze, knackige Formate mit eher informativem Charakter und Austausch in kleineren Gruppen wirklich gut geeignet. Tagesveranstaltungen sind weniger gut umsetzbar, weil einfach die Konzentration stark nachlässt."
Wird die Serviceagentur weiter auf das digitale Format setzen? Hiltrud Wöhrmann, die Co-Leiterin der Agentur, erwartet, dass „die digitalen Austauschformate die Präsenzveranstaltungen nicht ersetzen werden. Sie ermöglichen uns jedoch, größere Teilnehmerzahlen zu erreichen. Langfristig wird es zu 'hybriden Formen' kommen.“
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