1. Ganztagsschulkongress in Mecklenburg-Vorpommern : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Spannende Vorträge, Foren und viele intensive Gespräche kennzeichneten den 1. Ganztagsschulkongress in Mecklenburg-Vorpommern am 15.11.2012 in Neustrelitz. Ein Schwerpunkt: gelingende Kooperationen.

Mit seinem Eröffnungsvortrag „Moderne Kooperationskultur an Ganztagsschulen“ legte Prof. Dr. Karsten Speck von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg gleich am frühen Morgen im Carolinum den Finger in die Wunde. Er erinnerte an die vor zwei Jahren vorgelegte Analyse von Kooperationen in drei Bundesländern (Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen) „Professionelle Kooperation von unterschiedlichen Berufskulturen an Ganztagsschulen“ (ProKoop). Insgesamt seien 15 Ganztagsschulen unterschiedlicher Schulformen nicht nur befragt, sondern auch mehrfach besucht und die dortige Kooperationskultur begutachtet worden. Das für ihn ernüchternde Fazit: „Wir hatten Schwierigkeiten, wirkliche Kooperation zu finden.“ Manchmal tauchten 46 und mehr Kooperationspartner auf den Seiten der Schulen auf, doch Schule und außerschulische Partner hätten oft wenig von einander gewusst. Eine gezielte Steuerung und eine klare Zielvorgabe, was man mit der Kooperation erreichen wolle, seien nur selten erkennbar gewesen.

Kritische Analyse von Prof. Dr. Karsten Speck

Fast hatte es den Anschein, Karsten Speck habe die rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit seiner zum Teil drastischen Schilderung aufrütteln wollen. Anhand von Beispielen aus dem Schulalltag führte er den Zuhörerinnen und Zuhören vor Augen, wie es nicht laufen sollte. Etwa wenn sich eine Klassenstufe auf Klassenfahrt befinde, der Kooperationspartner aber nichts davon wisse und nachmittags vergeblich auf „seine“ Schülerinnen und Schüler warte. Doch der Wissenschaftler sagte auch, wie Kooperation aus seiner Sicht erfolgreich gelingen kann. Dazu zählt die Entwicklung klarer Ziele und damit die Antwort auf die Frage: Was will ich mit der Kooperation erreichen? Es dürfe eben kein Nebeneinander von Unterricht und außerschulischen Angeboten geben. Es gehe darum, beides inhaltlich aufeinander abzustimmen. Das wiederum setze voraus, dass sich beide Seiten aufeinander zu bewegten, sich austauschten und Konzepte entwickelten. Ein Erfolgsmerkmal sei darüber hinaus eine Kultur der Anerkennung, denn das „ist der Lohn, der aufrecht hält“. Zum Thema „Miteinander“ nannte Speck das Beispiel der Hausaufgabenbetreuung. Schülerinnen und Schüler profitierten dann, wenn Lehrerinnen und Lehrer ihren Kollegen, die die Hausaufgaben am Nachmittag begleiteten, Hinweise gäben, wo das einzelne Kind Förderbedarf habe.

Entwicklung eines Kooperationskonzepts

 

Prof. Dr. Kartsen Speck formulierte Ansprüche für den Aufbau von Kooperationen.
Prof. Dr. Karsten Speck formulierte Ansprüche für den Aufbau von Kooperationen. © Mitch Stöhring

Im Gespräch mit www.ganztagsschulen.org äußerte Karsten Speck die Hoffnung, dass sich in den vergangenen zwei Jahren die Kooperationskultur positiv weiterentwickelt habe. „In den Ländern werden immer mehr Qualitätsrahmen entwickelt, an denen sich die Schulen orientieren können. Und auch in Sachen Vertragsgestaltung gibt es Fortschritte“, meinte er. Allerdings lasse die Kooperation auf Augenhöhe oft nach wie vor zu wünschen übrig. Wie schwierig sie zu gestalten ist, wurde auch im Forum „Ein schulisches Kooperationskonzept entwickeln“ deutlich. Unter der Moderation von Oliver Lück, ehemaliger Mitarbeiter der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ von Mecklenburg-Vorpommern, diskutierten die an diesem Thema Interessierten mit Dr. Ilse Kamski vom Institut für Schulentwicklungsforschung Dortmund und dem Leiter der Reuterstädter Gesamtschule Stavenhagen, Lutz Trautmann. Dabei ging es auch um die Frage, wer denn am Ende beim Miteinander von Schule und außerschulischen Partnern weisungsbefugt ist. Da es, wie Oliver Lück deutlich machte, dazu keine verbindliche Regelung gebe, sei es ratsam, so etwas in einem Kooperationsvertrag festzulegen. Klare Absprachen seien darüber hinaus auch notwendig, um dem weiteren pädagogisch tätigen Personal Klarheit über seine Kompetenzen zu verschaffen, mahnte Ilse Kamski.

Auf die gute Steuerung kommt es an

Sie riet Ganztagsschulen, die Auswahl außerschulischer Partner am Profil der Schule zu orientieren. „Sie sollten sich fragen, ob sie lediglich einen bunten Blumenstrauß von Angeboten bereithalten wollen oder ob sie eine wirkliche Verzahnung von Unterricht und Arbeitsgemeinschaften etc. erreichen möchten“, empfahl sie. Bei der Bewertung der Angebote sollten die Schülerinnen und Schüler stets mit einbezogen werden. Als Orientierungshilfe für die Einschätzung der Qualität des Miteinanders nannte sie drei alltagstaugliche Indikatoren: „Wer hat Schlüssel für welche Räume? Wer nimmt an den Lehrerkonferenzen teil? Wer nimmt am Lehrerausflug teil, und heißt dieser noch so?“ Die Antworten würden zeigen, inwieweit man von Kooperation sprechen könne.

Nach Einschätzung von Lutz Trautmann gelingt dies an der von ihm geführten Reuterstädter Gesamtschule Stavenhagen bereits gut. Eine Voraussetzung dafür sei eine klare Steuerungsstruktur. Die werde an seiner Schule durch eine spezielle Arbeitsgruppe gewährleistet. Sie koordiniert die Kooperation und legt auch fest, wer für die außerschulischen Partner als Ansprechpartner dient. Trautmann hob die Bedeutung eines verzahnten Angebots – auch in einer offenen Ganztagsschule – hervor. Es sei der Anspruch seiner Schule, dass Kinder Zugang zu Sport, Kunst und Musik erhielten. „Wenn das immer mehr Eltern nicht schaffen, müssen wir das als Schule gemeinsam mit unseren Partnern leisten“, verlangte er von sich und seinem Team.

Minister Brodkorb lobt Lehrerinnen und Lehrer

Eine Lanze für die Lehrerinnen und Lehrer an Ganztagsschulen brach Mecklenburg-Vorpommerns Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Mathias Brodkorb. „Ich möchte mich einmal auf die Seite derer schlagen, die in der Untersuchung von Professor Speck in die Kritik geraten sind“, meinte er. „Sie machen vieles, was sie eigentlich nicht machen müssten.“ Das aktuelle Lehrerzeitmodell an einen rhythmisierten Schulalltag anzupassen, sei nicht leicht. In der Zukunft gelte es, die Frage der Anrechnungsstunden in Ganztagsschulen zu regeln. Als weitere Baustelle nannte er, die Finanzierung von offenen und gebundenen Ganztagsschulen aufeinander abzustimmen. „Wie wir das handhaben, ist eine Grundsatzfrage“, erklärte er. Brodkorb kündigte an, dass Schulen künftig Möglichkeiten erhalten sollen, Lehrerstellen zu kapitalisieren: „Sie können dann entscheiden, ob sie das Geld für eine Lehrerin, einen Lehrer oder aber für das Engagieren eines außerschulischen Partners ausgeben.“ Allerdings musste Brodkorb auch schlechte Nachrichten verkünden: „Ich habe darum gebeten, bis zur Entscheidung über den Doppelhaushalt 2014/2015 keine weiteren Ganztagsschulen zu genehmigen.“ Gegenüber www.ganztagsschulen.org versicherte er, dass es sich nur um einen begrenzten Stopp handele. „Grundsätzlich halten wir am Ausbau fest. Man muss aber auch berücksichtigen, dass in Mecklenburg-Vorpommern bereits 70 Prozent der Schulen Ganztagsangebote bereithalten“, betonte er. Er glaube nicht, dass sich diese vorübergehende Einschränkung negativ auf die Motivation der Schulen, sich weiterzuentwickeln, auswirken werde.

„Ganztagsschule muss mehr sein als ein Hort für Große“

Kongressbesucher an Infoständen
Der Kongress gab Raum für Gespräche und das Kennenlernen von Ganztagsschulkonzepten. © Mitch Stöhring

Seine Ankündigungen sorgten für erheblichen Gesprächs- und Diskussionsbedarf während des Kongresses, der ansonsten geprägt war von vielfältigen Einblicken in Schulen, die sich im „Lernkarussell“ präsentierten. Dort standen Themen wie Gewaltprävention, individuelle Lernzeiten, Konzepte für die Berufsorientierung und immer wieder die Gestaltung von Kooperationen im Mittelpunkt. In den spannenden Foren widmeten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Inklusion, der Partizipation von Schülern und Eltern oder auch der kulturellen Bildung. Wichtige Hinweise aus der Praxis konnten Politiker aller im Landtag vertretenen Parteien aufgreifen. So mussten sie erkennen, dass sich viele Schulen unter dem Begriff „selbstständige Schule“ mehr Freiheiten und Mitspracherecht etwa bei der Einstellung von Personal vorstellen. Und sie hörten die Klage vieler Schulvertreter, dass der Ausbau zu Ganztagsschulen im ländlichen Raum häufig an den fehlenden Nahverkehrsverbindungen scheitert. „Wenn die Kinder am Nachmittag nicht mehr nach Hause kommen, brauchen wir über eine gebundene Ganztagsschule, wie sie der Minister bevorzugt, nicht nachzudenken“, erklärte eine Pädagogin.

Wie sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer insgesamt die Ganztagsschule vorstellen, konnten sie auf Pinnwänden festhalten. „Die Ganztagsschule beginnt am Vormittag und endet am Nachmittag“, schrieb ein Teilnehmer. Ein anderer: „Ganztagsschule braucht ein Ziel.“ Ein weiterer wünschte sich: „Ganztagsschule muss mehr Möglichkeiten der Förderung bieten.“ Und schließlich: „Ganztagsschule muss mehr sein als ein Hort für Große.“

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