Rot-Weisser Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Jugendhilfe Essen kooperiert mit Fußball-Regionalligist Rot-Weiss Essen. Der „rot-weisse Ganztag“ lässt Kinderherzen in den Ganztagsgrundschulen der Stadt höher schlagen.

Robin Heller. Dennis Malura. Patrick Huckle. Philipp Zeiger. Frank Löning. Kevin Grund. Kamil Bednarski. Benjamin Baier. Timo Brauer. Marcel Platzek. Roussel Ngankam. Diese elf Freunde mögen selbst kundigen Fußballfreunden nicht alle geläufig sein. Aber für die Schülerinnen und Schüler in Essener Ganztagsgrundschulen „sind das Idole, das muss man sich klarmachen“, weiß Jochen Drewitz, Geschäftsführer der Jugendhilfe Essen GgmbH. „Da gibt es leuchtende Augen.“

1907-2017 Rot-Weiss Essen
La Ola in der Fischlaker Schule mit Andreas Ivan und Timo Becker © 1907-2017 Rot-Weiss Essen

Wenn die zwei von der Jugendhilfe Essen an die Schulen vermittelten Spieler des Viertligisten Rot-Weiss Essen zu Besuch in einer Grundschule eintreffen, werden sie mit La-Ola-Welle begrüßt. Neben den Kindern drängeln sich auch Lehrkräfte und neugierige Eltern auf dem Hof.

„Rot-Weisser Ganztag“ nennt sich die Kooperation. Entstanden ist sie aus dem sozialen Engagement des Fußballvereins, der vor fünf Jahren den Verein „Essener Chancen“ gegründet hat. Mit zahlreichen Aktionen und elf festen Projekten, die sich an verschiedene Zielgruppen – von Kindern im Kita-Alter bis zu Jugendlichen in der Berufsorientierung – wenden, hat sich Rot-Weiss Essen zum Ziel gesetzt, die Bildungschancen für die Kinder und Jugendlichen in der Stadt zu verbessern. Der seit 2010 amtierende 1. Vorsitzende Michael Welling hat seinen Anteil daran, er hat den Verein stark mit der Stadt verbunden und suchte auch den Kontakt zur Jugendhilfe Essen. Bei deren Geschäftsführer Jochen Drewitz, RWE-Fan und Dauerkarteninhaber, lief er offene Türen ein.

Der „rot-weisse Ganztag“ hat sich in den vergangenen zwei Jahren als ein „echter Höhepunkt für Spieler wie Schüler“ herauskristallisiert, kann Drewitz berichten. Die Schülerinnen und Schüler gestalten mit den Fußballern einen von ihnen moderierten Nachmittag. „Ganz stille Kinder wachsen hier über sich hinaus.“ Der Tag wird in Projektgruppen in Unterricht und Arbeitsgemeinschaften vorbereitet. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit Themen auseinander, die über den Sportplatz hinausweisen: Fairplay, Respekt, Regeln und Teamgeist als Voraussetzungen für gemeinsamen Erfolg.

Fußballer als Vorbilder

Nach dem gemeinsamen Mittagessen – natürlich „rot-weiss“ Spaghetti Bolognese – beantworten die Fußballer die Fragen der Kinder, die da keinerlei Berührungsängste zeigen: „Wie viel verdient ihr?“ oder „Wollt ihr gerne in der 1. Bundesliga spielen?“ Dann spielen die Profis mit den Kindern Fußball oder bewegen sich mit ihnen in einem Spielparcours. Am Ende verteilen sie Autogramme und Freikarten für eine Regionalliga-Partie im Georg-Melches-Stadion an die Schülerinnen und Schüler, etwa 2.000 Stück pro Jahr.

Der „rot-weisse Ganztag“ hat sich inzwischen herumgesprochen in der Stadt, und viele Grundschulen möchten von den Fußballern besucht werden. „Wir haben insbesondere an den Schulstandorten in benachteiligten Stadtteilen gehört, wie wichtig es für die Kinder ist, positive Identifikationsmöglichkeiten zu haben“, so Jochen Drewitz. „Unser Ziel ist es jetzt, alle Grundschulen, an denen wir als Träger des Nachmittags engagiert sind, zum Zug kommen zu lassen.“

Jugendliche proben ein Tanzstück
Proben an der Grossenbruchschule für das Tanzstück "Ausbruch" © Jugendhilfe Essen

Dann dürfte der „rot-weisse Ganztag“ noch auf Jahre die Runde machen, denn inzwischen ist die Jugendhilfe Essen – eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Stadt Essen – der Träger des offenen Ganztags von 52 der 83 Grundschulen und von vier Förderschulen. Rund 220 Erzieherinnen und Erzieher begleiten in 210 Ganztagsgruppen rund 5.000 Schülerinnen und Schüler. Damit hat sich seit dem Einstieg der Jugendhilfe Essen die Zahl der Gruppen mehr als verdoppelt. An fünf Schulstandorten verantwortet die Jugendhilfe Essen zudem noch eine Ferienbetreuung.

Beteiligung ist wichtig

An jeder Schule ist eine Erzieherin oder ein Erzieher per Vollzeitstelle im Einsatz. Weitere Erzieherinnen und Erzieher arbeiten mit 30 Wochenstunden an einer Schule. 580 freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermöglichen zusätzliche Angebote am Nachmittag. „Uns ist die Verknüpfung mit dem Unterricht wichtig“, meint Annette Tischler, Leiterin des Bereichs Offene Ganztagsschule. Daher sind die Erzieherinnen und Erzieher auch am Vormittag im Unterricht. „Sie unterstützen die kognitiven Lernprozesse und fördern in Kleingruppen, beispielsweise in den Bereichen Motorik und Wahrnehmung. Am Nachmittag greifen sie spielerisch die Unterrichtsinhalte auf.“

Beim Mittagessen begleiten die Jugendhilfe-Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter das Essen pädagogisch mit Tischritualen und Gesprächen. In den Lernzeiten oder in der Hausaufgabenbetreuung sind Lehrkräfte und Erziehende gemeinsam im Einsatz. Das Angebot am Nachmittag hält die Balance zwischen freiem Spiel und anregungsreichen Bildungsangeboten, zwischen der Möglichkeit, Freundschaften aufzubauen und zu festigen, und der Gelegenheit zu individueller Entspannung.

Für die sozialpädagogische Perspektive, die die Jugendhilfe in die Schule einbringt, ist der partizipatorische Ansatz wichtig. So gibt es an jedem Standort die Kinderkonferenzen. Auch Befragungen der Kinder – „und nicht der Eltern“, wie die Diplom-Pädagogin betont – werden regelmäßig durchgeführt: unter anderem zur Qualität der Hausaufgabenbetreuung, des Mittagessens, der Angebote, der Lernzeiten und des freien Spiels. Eine Tendenz, die Annette Tischler in den Antworten erkennt: „Die Schülerinnen und Schüler haben den Wunsch, auch mal unter sich zu sein, einfach mal nur raus und alle Orte auf dem Schulhof nutzen zu können.“

Abstimmung über den ganzen Tag

Mit den Eltern ist die Jugendhilfe in ständigem Kontakt. „Wir bieten Elternsprechzeiten an und geben den Eltern Rückmeldungen über ihre Kinder am Nachmittag abseits des Unterrichts. Und wir organisieren Fortbildungen für Eltern. Dort erfahren sie, wie sie ihre Kinder stärken können“, berichtet die Diplom-Pädagogin. „Wir bilden auch selbst Erzieherinnen und Erzieher aus. Gerade haben wir drei Kolleginnen und Kollegen im Anerkennungsjahr.“

Tanzprojekt "Ausbruch" der Grossenbruchschule in der Zeche Carl
Tanzprojekt "Ausbruch" der Grossenbruchschule in der Zeche Carl © Jugendhilfe Essen

Vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe Essen stehen für die fachliche und organisatorische Beratung an den 52 Standorten zur Verfügung. Sie sind als Ansprechpartner für die sozialpädagogischen Fachkräfte und die Schulleitung regelmäßig in den Schulen. „Die Personal- und Angebotsplanung entwerfen unsere Kolleginnen und Kollegen immer gemeinsam mit der Schule“, so Annette Tischler.

Die räumlichen Voraussetzungen an den Schulen sind sehr unterschiedlich. Mal sind es große Standorte mit eigenen Räumen für den OGS-Bereich, mal müssen Klassenräume doppelt genutzt werden. In jedem Fall sind die außerschulischen Partner den ganzen Tag über gefordert, „mit viel Abstimmung, hoch kommunikativ unter Beteiligung aller“, wie die Diplom-Pädagogin meint. „Die Zeit für gemeinsame Absprachen zu finden, ist noch immer eine Herausforderung.“

Vertragliche Verbindlichkeit als großes Plus

Die Jugendhilfe Essen möchte, dass sich alle einig werden, dass die Ganztagsschule auch Sache der ganzen Schule ist. Einige Schulen haben den Erzieherinnen und Erziehern schon Platz im Lehrerzimmer eingeräumt. „Wir legen auch Wert darauf, dass unsere Kolleginnen und Kollegen an den Lehrerkonferenzen teilnehmen“, so die Bereichsleiterin. Durch gemeinsames Arbeiten, gemeinsame Fortbildungen und auch gemeinsame Weihnachtsessen ist die Wertschätzung für die Arbeit der jeweils anderen Profession gestiegen.

„Was in der Stadt Essen geholfen hat“, resümiert Jochen Drewitz, „war der Abschluss der vertraglichen Vereinbarung zwischen Schule und uns als Träger der Jugendhilfe. Der Vertrag als Grundlage der Zusammenarbeit regelt das Miteinander und die gegenseitigen Verpflichtungen und ist nicht zu unterschätzen. Die Zusammenarbeit bekommt dadurch einfach eine andere Verbindlichkeit. Aufgrund unserer ausreichenden Beratungs- und Verwaltungsstrukturen sind wir inhaltlich und fachlich immer ansprechbar und verfügen zur Zeit über genügend Personal, um schnell handeln zu können. Das ist etwas, was die Schulen an der Kooperation besonders zu schätzen wissen.“ Nicht nur beim „rot-weissen Ganztag“ ist die Zusammenarbeit von offener Ganztagsschule und Jugendhilfe Essen also eine „Win-win-Situation“ für alle Beteiligten.

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