Netzwerk Ganztagsbildung München: "Riesiger Austauschbedarf" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
2009 gründete „Spielen in der Stadt e.V.“ in München das Netzwerk Ganztagsbildung, das seitdem Ganztagsschulen und deren Partner erfolgreich zusammenbringt. Alexander Wenzlik, Vorstand von „Spielen in der Stadt“, berichtet im Interview über Geschichte und Arbeitsweise des Netzwerks.
Online-Redaktion: Herr Wenzlik, Sie sind Vorstand von Spielen in der Stadt e.V. und haben das Netzwerk Ganztagsbildung mit initiiert. Wie kam es zur Gründung dieses Netzwerks?
Wenzlik: Das Netzwerk ist 2009 von uns zusammen mit der Stiftung Gesellschaft macht Schule gegründet worden – zu einer Zeit, in der es weder die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Bayern noch die Münchner Serviceagentur für Ganztagsbildung gab, die im Referat für Bildung und Sport angesiedelt ist.
Wir hatten damals in unseren Kooperationen mit Ganztagsschulen festgestellt, dass ein unglaublicher Austauschbedarf auf der rein praktischen Ebene bestand: Wie machen das andere Schulen? Nach welchem Konzept arbeiten die? Wie organisieren die das Mittagessen? Wie viel Geld steht mir zur Verfügung? Wie komme ich an außerschulische Partner? Die Motivation für uns bestand damals also auch in der Feststellung: „Es gibt nichts, also organisieren wir das jetzt!“
Online-Redaktion: Wie haben Sie das Netzwerk aufgebaut?
Wenzlik: Wir haben alle uns bekannten Ganztagsschulen und ihre Partner eingeladen, sodass es zu einer konstituierenden Sitzung mit rund 40 Personen kam. Die Sitzung machte überdeutlich, dass der Austauschbedarf riesig war. Zum Zweiten wurde sehr schnell klar, dass die Rahmenbedingungen in Bayern für die Schulen und die außerschulischen Partner sehr schwierig waren und wir auch politisch tätig werden mussten. Daher beschlossen wir bereits auf dieser ersten Sitzung, mit einem Positionspapier eine Debatte über die finanziellen, rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen anzustoßen. Dieses Papier verbreiteten wir in München und im übrigen Bayern. Wir sammelten 400 Unterschriften, führten Gespräche mit allen Fraktionen im Münchner Stadtrat , den Landtagsfraktionen und dem Kultusministerium. Wir haben viel Wind gemacht und fanden auch eine hohe Resonanz in der Presse.
Online-Redaktion: Was haben Sie mit dem Papier erreichen können?
Wenzlik: Leider wenig. An der finanziellen Ausstattung der Ganztagsschulen hat es nichts geändert. Es hat dort inzwischen zwar eine leichte Verbesserung gegeben, aber es wäre vermessen, das mit unserem Papier in Verbindung zu bringen. Ich denke, der größte Mehrwert in den damaligen Aktivitäten rund um das Positionspapier lag in der Befeuerung des Diskurses und im Hinweisen auf finanzielle und strukturelle Missstände.
Online-Redaktion: Was ist Ihnen bei der Ganztagsbildung besonders wichtig?
Wenzlik: Aus unserer Sicht ist es essentiell, dass Schule und ihre Partner an der inhaltlichen Ausgestaltung des Ganztags gemeinsam arbeiten. Das erfordert auf beiden Seiten die entsprechenden Finanzen, weil das nicht nebenher ehrenamtlich geleistet werden kann. Und es erfordert gleiche Augenhöhe zwischen allen Beteiligten, um dieses abgegriffene Wort noch einmal zu benutzen. Kooperation funktioniert tatsächlich nur auf Augenhöhe, und ich kann sagen, dass die so gut wie nie hergestellt ist. Das liegt wiederum an den Strukturen.
Die Schule ist ein mächtiger Apparat, was sich bis auf die Ebene der konkreten Zusammenarbeit einer Lehrkraft mit einem außerschulischen Partner bemerkbar macht. Aber ein großer Knackpunkt liegt auch in den unterschiedlichen Aufgaben von Schule einerseits und Kinder- und Jugendarbeit andererseits. Hierzu und über die Frage, wie systembedingte Unterschiede fruchtbar gemacht werden können, fehlt es meiner Ansicht nach an einem wirklichen Diskurs.
Online-Redaktion: Wie läuft das Netzwerk aktuell?
Wenzlik: Unser Verteiler umfasst derzeit etwa 500 Adressen: Schulleitungen, Lehrkräfte, Fachkräfte aus der Jugendhilfe, Kunst, Kultur und Bildung, Eltern, Mitarbeiter verschiedener Referate und Politiker. Der Kern des Netzwerks besteht aus den Informationstreffen, die vier- bis sechsmal im Jahr stattfinden. Jedes Treffen findet an einem neuen Standort statt – entweder an einer Ganztagsschule oder bei einem außerschulischen Partner. Diese Struktur funktioniert sehr gut, und die Teilnehmerzahl ist wechselnd, aber kontinuierlich hoch. Ich schätze den aktiven Teilnehmerkreis auf rund 80 Personen.
Der erste Teil des Treffens besteht aus der Vorstellung des jeweiligen Konzepts, nach dem gearbeitet wird. Im zweiten Teil spricht man über ein spezielles Thema, zum Beispiel Gesundheit im Ganztag, das wir auf unserem nächsten Treffen thematisieren werden. Dieses Thema wird von einer Gruppe vorbereitet, die den aktuellen Stand ausarbeitet und der gesamten Zuhörerschaft vorstellt, die sich dann darüber austauscht.
Insbesondere für Schulen, die demnächst Ganztagsschule werden oder gerade im ersten Jahr angefangen haben, ist das natürlich ein wertvoller Austausch, bei dem sie auf einen sehr breiten Erfahrungsschatz unterschiedlicher Partner zurückgreifen können. Und das sehe ich auch als den größten Mehrwert unseres Netzwerks.
Online-Redaktion: Welche Rolle nimmt Ihr Verein Spielen in der Stadt in München ein?
Wenzlik: Spielen in der Stadt ist ein Träger der freien Jugendhilfe, der im Bereich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit tätig ist und im Auftrag der Stadt München und hier besonders für das Sozialreferat und Stadtjugendamt, aber auch für das Kulturreferat, das Referat für Bildung und Sport sowie weitere Auftraggeber arbeitet. Wir bieten spiel- und kulturpädagogische sowie künstlerische Projekte für Kinder und Jugendliche von drei Jahren bis zu den Abiturjahrgängen an. Der Schwerpunkt liegt in der Altersgruppe zwischen sechs und 15 Jahren. Dabei sind wir mit verschiedenen Spielbussen den gesamten Sommer in ganz München unterwegs, in Parks, auf öffentlichen Plätzen und in Notunterkünften. Letzteres ist aufgrund der vielen Flüchtlinge in München wieder hochaktuell.
Wir veranstalten daneben auch große Spielfeste und sind Mitveranstalter des stadtweiten Netzwerkprojekts und Kinderkulturfestivals „Kinderkultursommer“. Wir engagieren uns seit vielen Jahren für eine Institutionen, Orte und Angebote übergreifende, gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen gestaltete Ganztagsbildung. Darüber hinaus veranstalten wir seit sieben Jahren das Tanz- und Theaterfestival „Rampenlichter“, in dem wir deutsche und internationale Tanz- und Theaterproduktionen von Kindern und Jugendlichen präsentieren.
Online-Redaktion: Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt Ihr Verein?
Wenzlik: Wir beschäftigten aktuell fünf Personen in Festanstellung, die sich 2,8 Stellen teilen, und haben um die 80 freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, also freischaffende Künstlerinnen und Künstler, Kulturpädagoginnen und -pädagogen sowie Sozialpädagoginnen und -pädagogen.
Online-Redaktion: Wo liegen Ihre Berührungspunkte mit Ganztagsschulen?
Wenzlik: Seit zehn Jahren engagiert sich Spielen in der Stadt vor allem in der Zusammenarbeit mit gebundenen Ganztagsschulen und arbeitet hier langfristig mit allen Schularten zusammen. In unseren Kooperationsprojekten mit diesen Schulen beschäftigen wir nur Personen, die entweder schon lange mit uns zusammenarbeiten oder, wenn es sich um neue Mitarbeiter handelt, von uns fortgebildet worden sind. In den allermeisten Fällen arbeiten diese erstmal ein Jahr lang in Assistenz.
Online-Redaktion: Kann man Spielen in der Stadt als eine Art Scharnier zwischen Schulen und Künstlern beziehungsweise Pädagogen bezeichnen?
Wenzlik: Das würde ich so nicht sagen, denn das klingt eher nach einer klassischen Agentur, die Künstler an die Schulen vermittelt. Wir übernehmen als übergeordneter Kooperationspartner für die Schulen den gesamten administrativen und organisatorischen Bereich, mit dem diese sich sonst zu befassen hätten, wenn sie mit lauter Einzelpersonen Verträge abschließen müssten.
Aktuell organisieren und koordinieren wir die Kooperation mit acht Ganztagsschulen. In diesem Kooperationen arbeiten derzeit 30 Kulturpädagogen und Künstler unterschiedlicher Sparten in 35 Kursen mit 28 Ganztagsklassen. Neben den rein organisatorischen Aufgaben geht es hierbei vor allem und inhaltliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Schulen, die Aus- und Fortbildung sowie hospitierende Begleitung unserer Mitarbeiter und vor allem um die künstlerische Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, die gerade im Ganztag andere Ausdrucksformen und Beteiligungsmöglichkeiten schaffen sollen.
Online-Redaktion: Haben Sie in den zehn Jahren Zusammenarbeit mit Ganztagsschulen Veränderungen wahrnehmen können in den Herausforderungen oder Verbesserungen der Zusammenarbeit?
Wenzlik: Zuallererst hat sich in diesem Zeitraum die Masse an Ganztagsschulen enorm erhöht. Jedes Jahr kommen in München und in Bayern eine große Anzahl Ganztagsschulen neu hinzu. Nachdem zunächst insbesondere Haupt- beziehungsweise dann Mittelschulen zu Ganztagsschulen ausgebaut wurden, ist in den vergangenen beiden Jahren der Ausbau besonders im Grundschulbereich vorangetrieben worden. Daher haben auch die Anfragen aus den Grundschulen an uns erheblich zugenommen.
Bei den Ganztagsschulen, mit denen wir seit fünf Jahren oder sogar länger zusammenarbeiten, haben wir inzwischen funktionierende Strukturen aufbauen können, die es vorher so nicht gab. Es hat sich eine gewisse Routine in der Kooperation entwickelt. Ein konkretes Beispiel: Es ist immer schwierig, unsere kulturell-künstlerischen Projekte sinnvoll in den Stundenplan zu integrieren. Es gibt aber Partnerschulen, die inzwischen zuerst die kulturell-künstlerischen Angebote im Stundenplan festlegen und dann erst alles Andere darum herumbauen. Das funktioniert dann natürlich hervorragend.
Online-Redaktion: Haben Sie den Eindruck, dass in der Öffentlichkeit die Ganztagsschule als die Möglichkeit einer neuen umfassenden Bildung verstanden wird? Oder steht der Betreuungsgedanke im Vordergrund?
Wenzlik: Auf München bezogen würde ich sagen, dass es sich in der Ganztagsschule hauptsächlich um die Betreuung dreht. Den Eltern ist es wichtig, dass die Betreuung qualitativ gut ist, aber sie haben keine weitergehenden Ansprüche an Angebote in bestimmte Richtungen. Die Schulen sind in meiner Wahrnehmung hauptsächlich darauf bedacht, die Stundentafel abzudecken, ihnen kommt es vor allem darauf an, dass die Strukturen und das Personal der Kooperationspartner eine zeitliche Verlässlichkeit garantieren, aber viel weiter geht es hier auch nicht. Schulen, mit denen wir zusammen nachdenken, wie eine gute Ganztagsbildung aussehen könnte, das sind die wenigsten.
Da will ich niemand einen Vorwurf machen, denn es liegt auf Schulseite schlicht und einfach an den fehlenden Strukturen für einen solchen konzeptionellen Austausch. Es gibt keine Kontingente für Ganztagspersonal, weder für Kooperationsgespräche noch für gemeinsame inhaltliche Planungen. Für die Behandlung beispielsweise von Fragen, wie man den Unterricht besser mit außerschulischen Angeboten verzahnen könnte, gibt es, wenn überhaupt, eine Pool-Stunde. Die Schule steckt oft in ihrer eigenen Mühle, und der zeitliche Rahmen, sich auseinanderzusetzen, ist einfach sehr gering. Das macht die Zusammenarbeit auf dieser Ebene natürlich unglaublich schwierig.
Kategorien: Forschung - Ganztagsschulforschung: Interviews
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