Gemeinsam in Ganztag und Sozialraum: Jugendhilfe und Schule : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Welche Erfahrungen gibt es in Nordrhein-Westfalen mit einer gemeinsamen Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung, „dialogisch – sozialräumlich – partizipativ“? Eine Tagung in Schwerte lieferte gute Beispiele.
Es ist ein Satz, den man oft im Kontext von Jugendhilfe und Schule hört, wenn es um die Zusammenarbeit der beiden Systeme geht: „Wir arbeiten doch mit dem gleichen Kind.“ Eine gemeinsame Planung erscheint da nur logisch, denn so können alle relevanten Bildungsaspekte einbezogen und aufeinander abgestimmt werden. In verschiedenen Gesetzen gibt es in Nordrhein-Westfalen, wo die Kooperation von Schule und Jugendhilfe eine Voraussetzung für die offene Ganztagsschule ist, bereits seit 2005 rechtliche Vorgaben. Doch wie stellt sich die Situation in Westfalen-Lippe aktuell dar? Welche Erfahrungen gibt es, wie sehen Gelingensbedingungen aus, und was bleibt noch zu tun?
Diesen Fragen ging die Fachtagung „Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung gemeinsam gestalten: dialogisch – sozialräumlich – partizipativ“ am 3. Dezember 2019 in der Katholischen Akademie Schwerte nach. Die Bezirksregierung Arnsberg und der Landschaftsband Westfalen-Lippe (LWL) begrüßten rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die neben der Möglichkeit, zwei Vorträge zu hören, vor allem viel Zeit zum Austausch erhielten.
Die Teilnehmenden kamen fast hälftig aus Jugendhilfe- und Schulverwaltung. Dass es bisher wenig gute Beispiele für gemeinsame Planungen gibt, hatten die Veranstalter bereits im Vorfeld erkennen müssen. „Bei der Suche nach geeigneten Konzepten für unsere Workshops haben wir nur wenig Praxisbeispiele gefunden“, erklärte Marlies Silies, die Referatsleiterin Kinder- und Jugendförderung im LWL-Landesjugendamt.
Sabine Stahl von der Bezirksregierung Arnsberg brach eine Lanze für die Kooperation: „Wir erleben es als großen Gewinn, dass in den offenen Ganztagsgrundschulen Schule und Jugendhilfe zusammenarbeiten. Wir brauchen diese Kooperation dringend für eine ganzheitliche Bildung für die Kinder und Jugendlichen. Dieser Prozess kann nur funktionieren, wenn wir gleichberechtigt zusammenarbeiten. Jugendhilfeplanung und Schulentwicklungsplanung sind zwei Wege, die auf ein Ziel zuführen.“
Gemeinsame Wissensbasis bei unterschiedlichen Aufgaben
Johannes Schnurr von der Transferagentur Kommunales Bildungsmanagement NRW, die vom BMBF gefördert wird, zog in seinem Vortrag ebenfalls ein ernüchterndes Fazit bezüglich des Standes der Kooperation von Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung. Die Transferagentur hatte eine Internet-Recherche durchgeführt und sich die Seiten der 186 Jugendämter in Nordrhein-Westfalen angesehen. Nur bei sechs Jugendämtern – Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Köln, Paderborn und Kreis Warendorf – fanden sich Jugendhilfepläne mit einer integrierten Schulentwicklungsplanung – „keine berauschende Zahl“, wie der Diplompädagoge resümierte. Landkreise hätten es mit ihren vielen Schulträgern naturgemäß aber auch schwerer.
Jugendhilfeplanung und Schulentwicklungsplanung haben jeweils spezifische Aufgaben. „Die Eigenständigkeit muss bleiben. Profil, Auftrag und Ausstattung sind unterschiedlich.“ Aber viele der politisch-strategischen Leitideen der Kommunen legten eine ressortübergreifende Planung nahe: soziale Segregation, Inklusion, Prävention, Chancengerechtigkeit, Bildungserfolg, Übergänge, Ganztag, Hilfen zur Erziehung, Schulsozialarbeit.
„Bildung und Jugendhilfe müssen als kommunale Querschnittsaufgabe begriffen werden. Im Fokus müssen lebenslanges Lernen und ein weiter Bildungsbegriff stehen“, so der Agenturleiter. Die Wissensbasis der beiden Planungssysteme sei zudem die gleiche: Datenquellen, Kennzahlen, Indikatoren und die Gliederungen in geografische Räume und Institutionen – „wenn es um den handwerklichen Teil der Planung geht, ist das die Basis. Und darüber muss man in Kommunikation kommen“. Es brauche einen regelmäßigen Austausch der Planungsfachkräfte und ressortübergreifendes Datenmanagement.
Stadtteil als Bezugsgröße
Dass die Diskussionen und Prozesse nicht auf der Stelle treten, arbeitete Prof. Stefan Maykus, der an der Hochschule Osnabrück unter anderem zu kommunaler Bildungsplanung und inklusiven Bildungsstrukturen in Schule, Kinder- und Jugendhilfe und Kommune forscht, heraus. In seinem „Plädoyer für die Rückgewinnung des Pädagogischen in der Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung“ bezog er sich auf eine 2007 vom LWL herausgegebene Broschüre (PDF, 1MB, nicht barrierefrei).
„Das Thema ist geblieben, aber es gibt eine gravierende Veränderung: Es geht jetzt weniger um das Technische, um die Selbstvergewisserung, sondern um gemeinsame Gespräche. Und die Partizipation der Schülerinnen und Schüler, die 2007 noch überhaupt keine Rolle gespielt hat, ist nun als Thema hinzugekommen“, erläuterte der Sozialwissenschaftler. Hinter dem „Wie“ der Umsetzung der integrierten Planung stehe in den Kommunen aber immer noch ein großes Fragezeichen.
„Die Einführung der offenen Ganztagsschule gab in Nordrhein-Westfalen den formalen Impuls für die Annäherung von Schule und Jugendhilfe. Die Gründe wurden irgendwann zum Programm: Die offene Ganztagsschule erweiterte die Perspektive auf die Bildung. Der Ausbau der Ganztagsschulen, wie wir ihn bis heute erlebt haben, und die Lokalen Bildungslandschaften waren 2007 noch nicht so im Blick.“ Statt „Projekteritis“ gelte es, gewinnbringende Strukturen aufzubauen.
Sein Plädoyer: Stadtteile und Gemeinden sollten soziale Räume, die Nahräume der Bildung in den Blick nehmen und die Vorstellungen der Kinder und Jugendlichen vor Ort einbeziehen. Als Beispiel nannte er den Runden Tisch Rosenplatz in Osnabrück: Die Akteure seien hier über den Sozialraumbezug zusammengekommen, um an konkreten Veränderungen im Stadtteil zu arbeiten. „Die Bildungsakteure im Stadtteil können gemeinsame Bildung ermöglichen. Sozialpädagogische Einrichtungen und Schulen können Bildung als Teilhabeerfahrung fördern. Die Akteure vor Ort sollten dazu ihre Themen konzentrieren, reduzieren und weniger anlassbezogen arbeiten. Zukunftsentwürfe sollten auf der Analyse gegenwärtiger Bedingungen beruhen“, so Stephan Maykus.
Daten als Schatz
Durch die Fachtagung zog sich ein roter Faden: Integrierte Planung braucht politischen Willen in den Kommunen. In Dortmund hat sich Daniela Schneckenburger, die Leiterin des Dezernats 4 mit den Fachbereichen Schulverwaltungsamt, Jugendamt und dem städtischen Eigenbetrieb FABIDO im Jahr 2018 klar positioniert und die Verwaltung beauftragt, die integrierte Planung umzusetzen. Christina Luchmann vom Regionalen Bildungsbüro und Sabine Köhler von der Stadt Dortmund arbeiten zusammen mit Norbert Enters von der Jugendhilfeplanung daran und stellten in einem von vier Workshops am Nachmittag ihre Erfahrungen vor.
Im Dezernat 4 ist die Koordinierungsstelle „Integrierte Bildungsplanung“ eingerichtet worden. „Die Akteure haben eine gemeinsame Werteorientierung formuliert“, berichtete Christina Luchmann. „Es ist eine geeignete Steuerungsstruktur geschaffen worden. In der Koordinierungsgruppe sind Fachexperten aus allen Bereichen tätig.“ Die Gruppe kann auch auf umfangreiche Daten zurückgreifen. Ein Vertreter der Stadt Recklinghausen, die ein jährliches Bildungsmonitoring etabliert hat, nannte in diesem Zusammenhang beispielsweise die Daten der Schuleingangsuntersuchungen „einen Schatz“.
„Der Prozess ist nicht einfach“, räumte Sabine Köhler ein. Am 5. Dezember 2019, rund ein Jahr nach der Initiierung des Prozesses, wurden in einer Dezernatsklausur die Entwicklungsbereiche diskutiert. Christina Luchmann betonte: „Der Auftrag muss durch einen Verwaltungsakt konkretisiert und formalisiert werden, über ein geeignetes Verwaltungsinstrument muss ein abgesichertes Verfahren ermöglicht werden.“ Es brauche Personal für die Koordinierung des Prozesses und ein synchronisiertes Vorgehen in den Fachbereichen und mit dem Schulverwaltungsamt.
In Münster haben Jugendhilfeplanung und Bildungsplanung gemeinsame „Qualitätsstandards für die offenen Ganztagsgrundschulen“ entwickelt. Für die Stadt Kamen und deren kommunales Präventionskonzept erklärte Nicole Börner von der Jugendhilfeplanung in ihrem Workshop: „Flache Hierarchien, viel Kommunikation aller Beteiligter, kleinschrittige Ziele und Transparenz der Abläufe sind wichtig.“
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