„Ganztag als Ressource, um die Kinder zu stärken“: IN VIA Köln : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

IN VIA Köln, der Katholische Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit, ist als Träger der Offenen Ganztagsschulen in der Domstadt derzeit besonders engagiert. Fachbereichsleiterin Karin Anders im Interview.

Online-Redaktion: Frau Anders, welche Angebote macht IN VIA in Ganztagsschulen?

Karin Anders: IN VIA ist seit Beginn des Landesprogramms im Jahr 2003 Träger des offenen Ganztags an 25 Kölner Grundschulen. Die OGS besuchen rund 4.400 Schülerinnen und Schüler, die von etwa 400 Mitarbeitenden betreut werden. Im Bereich der Sekundarstufe I organisieren wir Ganztagsangebote an neun Schulen. An 17 Grundschulen bieten wir Schulsozialarbeit an. Von diesen sind einige auch unsere offenen Ganztagsschulen, was natürlich vorteilhaft ist – dort können wir gute Vernetzungsarbeit leisten. 

Und dann gibt es noch Einzelprojekte wie zum Beispiel aktuell an einer Schule „Starke Netzwerke: Elternbegleitung für geflüchtete Familien“. Das ist ein vom Bundesfamilienministerium gefördertes Modellprojekt. Auch an dieser Schule sind wir im offenen Ganztag aktiv und nutzen die Vernetzungsmöglichkeiten. Darüber hinaus sind wir seit eineinhalb Jahren auch Träger für Inklusionshilfen.

Blick in ein Klassenzimmer während des Unterrichts
© Britta Hüning

Online-Redaktion: Wie entwickeln sich die Schülerzahlen im Ganztag?

Anders: Die Zahlen sind von Anfang an gestiegen, und sie steigen weiter. An manchen Standorten sind wir bei knapp 100 Prozent, da besuchen fast alle Schülerinnen und Schüler die OGS. An einigen Schulen sind wir dazu übergegangen, ganze Klassen als Ganztagsgruppen zu übernehmen. Die Kehrseite dieser erfreulichen Entwicklung ist die räumliche Situation. An manchen Standorten mussten wir deshalb quasi die Aufnahme stoppen. Auch wenn dort gerne noch mehr Eltern einen Ganztagsplatz hätten, sind wir mit den jeweiligen Schulleitungen zu der Einsicht gekommen, dass wir das unter diesen Bedingungen nicht verantworten können. Hier arbeiten wir aber mit der Stadt Köln gemeinsam an Lösungen.

Online-Redaktion: Wie funktioniert denn der Austausch mit Schulleitungen und Ganztagskoordinatoren?

Anders: Mit den Ganztagskoordinatorinnen und -koordinatoren vor Ort gibt es einen regelmäßigen und intensiven Austausch. Darüber hinaus haben wir drei Fachberaterinnen, die für eine gewisse Anzahl von Schulen zuständig sind. Sie stehen im regelmäßigen Kontakt mit den Schulleitungen und den Ganztagskoordinatoren. Zusammen planen alle jeweils die notwendigen Schritte und Maßnahmen für das neue Schuljahr. Sie reflektieren auch immer wieder gemeinsam die Zusammenarbeit und stehen beratend zur Seite.

Online-Redaktion: Was hat sich in der Kooperation mit den Schulen bewährt?

Anders: Grundsätzlich sind die Haltung, der gegenseitige Respekt und die Akzeptanz der unterschiedlichen Ansätze und Systeme wichtig. Die Jugendhilfe sollte nicht versuchen, die bessere Schule zu sein, oder die Schule eine bessere Jugendhilfe werden wollen. Jeder bringt seine eigenen Kompetenzen ein, und wir wollen gemeinsam etwas für die Kinder und Jugendlichen erreichen. Dabei sollte man offen sein und bereit, etwas voneinander zu lernen. So eine Grundhaltung ist wichtig. Das ist natürlich auch immer ein Stück weit personenabhängig. Wichtig sind auf jeden Fall regelmäßige Austausch- und Reflexionsgespräche, Offenheit, Kritikfähigkeit und die Begegnung auf Augenhöhe. Wir verfolgen ja gemeinsam das Ziel, die Kinder in ihrer Bildung und Entwicklung zu unterstützen und zu fördern.

Online-Redaktion: Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Sichtweisen um?

Schülerinnen auf Stelzen
© Britta Hüning

Anders: Ich kann mich an ein Beispiel ganz aus unserer Anfangszeit erinnern. In der Planung an einer Ganztagsschule habe ich angemahnt, dass wir den Schülerinnen und Schülern auch Freiräume lassen müssen. Dass nach dem Vormittagsunterricht also nicht ununterbrochen Angebote stattfinden dürften. Der Schulleiter war hingegen der Meinung, dass es durchweg angeleitete Lernangebote geben müsse. Wir haben dies diskutiert, und die Schulleitung hat uns an der Stelle vertraut und später selbst eingeräumt, dass die Kinder die Freiräume brauchen und das freie Spiel eine ganz eigene Qualität hat. Es muss nicht immer alles angeleitet werden.

Online-Redaktion: Mit der Schließung der Schulen gab es auch keinen Ganztag mehr. Was hat das für Sie bedeutet?

Anders: Am Anfang gingen wir noch davon aus, dass wir nur die drei Wochen bis zu den Osterferien zu überbrücken hätten und dass sich das mit Notgruppen bewältigen lassen würde. Die Teams vor Ort haben mit den Schulleitungen und Lehrkräften vor Ort die Notgruppen organisiert, wobei die Nachfrage der Eltern sehr zögerlich war. An zwei Schulen bestand sogar gar kein Bedarf.

Als dann klar wurde, dass die Schließungen länger andauern sollten, haben die Kolleginnen und Kollegen überlegt, welche Möglichkeiten es gibt, mit den Kindern Kontakt zu halten. Wir haben den Kindern Spielangebote, Rätsel oder „Mein Corona-Tagebuch“ zugänglich gemacht. Darin sind Spiel- und Basteltipps, ein „Corona-Comic“ und Lernvideos enthalten. Mit einigen Kindern haben die Mitarbeitenden auch, wenn die Eltern einverstanden waren, telefoniert. Als dann die Kontaktbeschränkungen gelockert wurden, haben sich manche Gruppen auch auf dem Schulhof getroffen und mit dem gebotenen Abstand einfach mal erzählt und gespielt.

Ein anderes Angebot gab es für Kinder, die Leistungen über das Bildungs- und Teilhabepaket (BUT) beziehen. Normalerweise bekommen diese Kinder täglich in der OGS eine kostenlose warme Mittagsmahlzeit. Da dies in Corona-Zeiten nicht möglich war, haben die Familien wöchentlich ein Essenspaket erhalten. Neben den Lebensmitteln gab passende Rezepte und für die Kinder Bastel- und Spielanregungen.

Lubo
© IN VIA Köln

Online-Redaktion: Und wie ist die aktuelle Situation?

Anders: Für die letzten beiden Schulwochen kommen seit dem 15. Juni die Grundschülerinnen und -schüler wieder in die Schule kommen. Das finden wir gut. In jeder Schule gibt es Hygienekonzepte, und wenn diese eingehalten werden, ist es auf jeden Fall für die Kinder positiv, dass sie sich wieder treffen können und etwas Normalität zurückkehrt. Wir fänden es gut, wenn an den Schultagen alle angemeldeten Kinder auch die OGS besuchten, aber da sind die Einstellungen der Schulleitungen und der Eltern sehr unterschiedlich. Manche Eltern haben uns erklärt, sie hätten nun schon bis zum Schuljahresende alles organisiert und würden auf die OGS verzichten wollen, und manche Schulleitungen wollen aus Sicherheitsgründen bis zum Schuljahresende nur die Kinder in der OGS betreut haben, deren Eltern darauf angewiesen sind.

Online-Redaktion: Jede Krise bietet auch eine Chance. Was lässt sich aus dieser Zeit mitnehmen?

Anders: Für uns ist die Resilienzförderung der Kinder ein ganz wichtiger Ansatz. Gemeinsam mit den Kindern wollen wir reflektieren, was diese Krise auch an Positivem bringt. Wir haben den Kindern Informationen vermittelt, damit sie verstehen, was da überhaupt gerade passiert und warum sie nicht in die Schule gehen dürfen. Sie sollen aber auch die Möglichkeit nutzen, Selbstreflexion zu betreiben, sich zu fragen: Was bedeutet das für mich? Wie geht es mir damit? Schon während der Schulschließungen haben wir das in unsere Angebote, wie das „Corona-Tagebuch“, einfließen lassen. Die Kinder können dort alles reinschreiben, über was sie gerade nachdenken, wovor sie Angst haben, aber auch worüber sie sich freuen, was einen zum Lachen bringt und was man Neues gelernt hat.

Zukünftig werden wir im pädagogischen Alltag sicherlich mit den Schülerinnen und Schülern noch thematisieren, wie sich das Leben von einem auf den anderen Tag ändern kann. Es geschehen Dinge, die wir vielleicht nicht gänzlich verstehen, aber wir haben es geschafft, damit umzugehen. Wir sehen das für den pädagogischen Ansatz als enorme Ressource, um die Kinder zu stärken. Einen großen Dank und ein Lob möchte ich auch an unsere Mitarbeitenden im offenen Ganztag aussprechen. Sie haben insbesondere in dieser Krise viel Kreativität und Flexibilität in der aktuellen Arbeit gezeigt.

Online-Redaktion: IN VIA organisiert jedes Jahr auch Ferienbetreuungen – auch in diesem Sommer?

Britta Hüning
Regenbogen-Grundschule Jena (Thüringen) © Britta Hüning

Anders: Ja, wir werden auch in diesem Jahr wieder mindestens drei Wochen anbieten. Derzeit laufen Gespräche mit der Stadt Köln, ob das eventuell sogar auf sechs Wochen ausgeweitet werden kann. Denn es sind so viele Ferienangebote und Ferienfahrten für die Kinder und Jugendlichen weggebrochen, dass sich da ein Loch auftut. Und das könnten wir mit unseren Angeboten an den Schulen füllen. Viele unserer Honorarkräfte wären außerdem froh, wenn sie wieder arbeiten könnten, nachdem sie im April auf null gesetzt worden sind. Wir verfügen über viele Kooperationspartner aus den Bereichen Kultur und Sport. Zusammen mit ihnen werden wir sicherlich auch unter den gegenwärtigen Bedingungen wieder attraktive Ferienangebote hinbekommen.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Karin Anders, Jg. 1962, ist Fachbereichsleiterin „Bildung, Schulkooperation, Bahnhofsmission“ des Katholischen Verbands für Mädchen- und Frauensozialarbeit Köln e.V. IN VIA. Dem Fachbereich sind Maßnahmen und Projekte von IN VIA Köln zugeordnet, die in enger Kooperation mit Schulen aller Schulform angeboten und durchgeführt werden. Nach dem Studium der Sozialpädagogik an der Katholischen Fachhochschule in Köln war sie im Anerkennungsjahr beim Caritasverband für den Rhein-Erft-Kreis tätig. Anschließend war sie Mitarbeiterin im Katholischen Jugendamt Köln und später der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) im Diözesanverband Köln. Bei IN VIA Köln war sie Mitarbeiterin im Projekt „Schule und Beruf“ und anschließend Leiterin des Fachbereichs Jugendhilfe und Schule.

 

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Kategorien: Bundesländer - Bremen

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