Forum "Jugendwelten zwischen 8 und 16 Uhr" : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die Frage, wie die schulische Welt von Jugendlichen möglichst optimal gestaltet werden kann, stand im Zentrum des 4. Fachforums "Jugendwelten zwischen 8 und 16 Uhr. Schule als Lern- und Lebensort" am 25. September 2012 in Köln.

Eingeladen zu der vom Bundesfamilienministerium geförderten Veranstaltung hatte die Geschäftsstelle „Zentrum Eigenständige Jugendpolitik“. Gekommen waren am Dienstag mehr als 140 Vertreterinnen aus Kinder- und Jugendhilfe, Schule, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik sowie einige Schülerinnen und Schüler. Sie tauschten sich in vier Workshops im Rahmen des Forums „Jugendwelten zwischen 8 und 16 Uhr. Schule als Lern- und Lebensort“ intensiv aus.

Zu der Frage, wie der Lern- und Lebensort Schule, insbesondere die Ganztagsschule, so gestaltet werden kann, dass die Schülerinnen und Schüler dort etwas lernen, sich aber zugleich auch wohlfühlen, diskutierten eingangs Dr. Sven-Olaf Obst, Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sowie Helmut Krück, Referatsleiter im Staatsministerium für Unterricht und Kultus des Freistaates Bayern, der den Schulausschuss der Kultusministerkonferenz vertrat. Auf ein Ziel konnten sie sich schnell einigen. „Schule ist ein Ort für junge Menschen. Ihre Gestaltung muss unter Einbindung und nicht über die Köpfe der Schülerinnen und Schüler hinweg geschehen“, betonte Helmut Krück. Dr. Sven-Olaf Obst erweiterte den Kreis der zu Beteiligenden: „Wenn es gelingt, Schüler und Eltern in den Kommunikations- und Gestaltungsprozess einzubinden und ihre Anregungen ernst zu nehmen, dann kann sich Schule gut entwickeln.“ Helmut Krück verwies auf den umfassenden Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule. Diesen könne sie nur gemeinsam mit vielen Partnern erfüllen. Das seien neben den Eltern auch Vertreterinnen des lokalen Umfeldes, zum Beispiel der Jugendhilfe, der Sport- und Musikvereine, der Kultureinrichtungen und auch der Wirtschaft. Wörtlich meinte er: „Schule sollte zum Knotenpunkt werden, der aufs ´Gesamtwerk Schüler` einwirkt.“

StEG: Ganztagsschüler wünschen sich mehr selbst gestaltete Freizeit

Wie Schülerinnen und Schüler diesen „Knotenpunkt“ erleben und bewerten, fasste Dr. Ivo Züchner vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung durch einen kurzen Einblick in die „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen – StEG“ zusammen. Er erinnerte daran, dass es einer „Revolution“ gleich käme, dass noch vor zehn Jahren gerade einmal neun Prozent aller Schulen in Deutschland Ganztagsangebote unterbreitet hätten und diese Zahl inzwischen auf über 51 Prozent gestiegen sei. Zugleich wies er darauf hin, dass es sehr unterschiedliche Modelle von Ganztagsschulen gebe. Das müsse man stets bei der Einordnung von statistischen Werten berücksichtigen.

Veranstaltungsteilnehmer
© Geschäftsstelle „Zentrum Eigenständige Jugendpolitik“, Fotograf: Markus Bigge

Weil in diesem Fachforum die Sicht und Welt der Jugendlichen im Mittelpunkt stand, präsentierte er Erkenntnisse der Studie zu deren Perspektive. So hat die StEG-Forscherinnen und -Forscher unter anderem interessiert, was Schülerinnen und Schüler außerhalb des Unterrichts in der Ganztagsschule am häufigsten tun. Das Ergebnis: Sportliche, musisch-kulturelle und Medienangebote werden deutlich häufiger genutzt als klassische Förderangebote. „Darüber hinaus wünschen sich die Jugendlichen nach unseren Auswertungen mehr Möglichkeiten einer selbst gestalteten Freizeit“, so Züchner. 

Das könne durchaus auch bedeuten, einmal nichts zu tun, ergänzte Viola Kelb von der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) im Gespräch mit www.ganztagsschulen.org. Sie moderierte den Workshop „Schule als attraktiver Lebensort“. Dessen Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich einig, dass Ganztagsschule ausreichend Räume und Zeiträume der individuellen Beschäftigung und des sich Zurückziehens schaffen sollte, auch „Räume, die frei von Bewertung sind,“, so Kelb.

Ein Plädoyer für Partizipation

Laut der StEG-Studie wünschen sich insbesondere die älteren Schülerinnen und Schüler mehr Partizipation in der Ganztagsschule, berichtete Ivo Züchner. Das bestätigte Marvin Stutzer von der BezirksschülerInnenvertretung Köln. „Eigentlich könnten wir an allen Entscheidungen beteiligt werden“, forderte er. Die Realität aber sehe häufig anders aus. Oft entscheide die Schulleitung alleine. Er schilderte dem Publikum seine Erfahrungen: „Einmal habe ich meinem Direktor zu einem strittigen Punkt gesagt, was dazu im Schulgesetz steht. Er hat mich nur angeschaut und gefragt: Willst Du mich etwa belehren?“ Das mochte die Schulleiterin der Gesamtschule Holweide Ulla Kreutz nicht teilen: „Natürlich gibt es Situationen, in denen die Schulleiterin oder der Schulleiter entscheiden müssen, aber in aller Regel können die Schülerinnen und Schüler beteiligt werden.“

Eine Gruppe von Schülern vor dem Eingang eines Schulgebäudes.
© Britta Hüning

Schule als „Standortfaktor“

Die Bedeutung eines konstruktiven Miteinanders und der Kooperation auf Augenhöhe als Voraussetzung für eine gelingende Jugendwelt zwischen 8 und 16 Uhr geht über die Einbindung der Schüler weit hinaus. Darin waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig. Entscheidend sei, wie Schule und außerschulische Partner, wie Jugendhilfe und Schule, aber auch die unterschiedlichen Ämter einer Kommune kooperierten und harmonierten. Mit Verwunderung registrierte Prof. Dr. Wilfried Bos von der Technischen Universität Dortmund, dass es „immer noch Kommunen gibt, in denen sich der Jugend- und der Schulamtsleiter nicht austauschen“. In Nordrhein-Westfalen sei das durch die Einrichtung von städtischen Bildungsbüros deutlich besser geworden. Dort hat man offensichtlich umgesetzt, was Jana Schröder von der Geschäftsstelle „Zentrum Eigenständige Jugendpolitik“ so formulierte: „Die Kommunen sollten erkennen, dass Schule ein wichtiger Standortfaktor ist.“ Zugleich räumte Bos ein, dass das Aufeinanderzugehen und Kooperieren durchaus „nicht leicht ist“. Dem pflichteten viele Zuhörerinnen und Zuhörer aus eigener Erfahrung bei. Eine Vertreterin der Jugendhilfe betonte im Workshop „Jugendhilfe und Schulentwicklung: Anforderungen an eine Jugendgerechte und integrierte Planung“, an dem sie teilgenommen hatte, an: „Wir als Jugendhilfe sollten wertschätzender auf Schule zugehen.“

„Schulen wissen am besten, was sie benötigen“

Wie Schulen architektonisch gestaltet werden sollten, skizzierte der renommierte Schulbauarchitekt Prof. Dr. Peter Hübner: „Derzeit werden die Gebäude zumeist noch nach uralten Richtlinien geplant. Wir benötigen spannende Räume, die Differenzierung ermöglichen.“ Er verlangte, dass die Schulen selbst viel stärker in den Entscheidungsprozess über die räumliche Gestaltung eingebunden werden. „Sie wissen doch am besten, was sie benötigen“, betonte er und fügte hinzu: „Wenn jeder Schüler ein Individuum ist, muss auch jede Schule individuell sein.“ Dem schloss sich Friedhelm Meier vom Netzwerk e.V. – Soziale Dienste und Ökologische Bildung uneingeschränkt an. In Erinnerung an seine Schulzeit meinte er: „Als Jugendlicher habe ich mir Schule gewünscht als Ort, an dem der Schulhof nicht so ein riesiger rechteckiger und langweiliger Teerfleck ist.“ Er plädierte für mehr Autonomie der Schulen – auch bei der Gestaltung der eigenen Räume. Peter Hübner fasste zusammen: „Schulen dürfen nicht aussehen wie Schulen.“

Visionen einer guten Schule

Was sie von Schulen erwarten, formulierten die Expertinnen und Experten in höchst differenzierter Weise. Marvin Stutzer wünschte sich eine Schule, in der auch unter den Schülerinnen und Schülern mehr Solidarität herrsche. Wilfried Bos meinte: „Wenn Lehrer und Schüler krank sind und beide bedauern, dass sie nicht zur Schule gehen können, dann ist Schule spannend.“ Peter Hübner „träumte“ von Schulen, in denen Kinder und Jugendliche sagen: „Das ist nicht langweilig; wenn ich nicht da bin, versäume ich etwas; da gibt es Ecken und da kann ich ich sein.“ Die nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Gudrun Zentis (Bündnis 90/Die Grünen) meinte: „Ich wünsche mir Schule als Raum für Kinder, in dem sie sich entfalten können.“ Wie diese Entfaltung gelingen kann, definierte Jana Schröder in ihrem Schlusswort, in dem sie an die Eingangsworte von Helmut Krück erinnerte: „Schule sollte ein Ort sein, an dem Fehler nicht nur zugelassen, sondern provoziert werden.“

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