„Bestmöglich ausgebildet“: Fachkräfte für den Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Um auf Augenhöhe in Ganztagsschulen zu arbeiten, müssen pädagogische Fachkräfte gut ausgebildet sein, betont Prof. Claudia Buschhorn. Der Studiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ an der HAW Hamburg bereitet Studierende auch auf die Arbeit im Ganztag vor.

Claudia Buschhorn
© HAW

Online-Redaktion: Frau Prof. Buschhorn, Sie sind Professorin für Pädagogik der Kindheit und verantworten den Bachelorstudiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“. Was ist Inhalt dieses Studiengangs?

Claudia Buschhorn: Unser Studiengang nimmt die Kindheit von 0 bis 14 Jahren und die Eltern in den Blick. Er ist aus der Idee entstanden, dass Kita-Erzieherinnen und -Erzieher auf Hochschulniveau zu qualifizieren. Er hat sich vom Profil und Schwerpunkt aber deutlich ausgeweitet und nimmt jetzt alle Erziehungs-, Beratungs-, Bildungs- und Betreuungssituationen in den Blick. Die Handlungsfelder können neben Kita und Krippe auch die offene Kinder-und Jugendarbeit und der gesamte Bereich der Kooperationen von Schulen mit der Kinder- und Jugendhilfe sein, zum Beispiel in der Ganztagsschule.

Wir setzen sozusagen eine Klammer um die Gesamtheit von Theorien und Praxen, die sich mit der Lebensphase Kindheit befassen. Dazu gehören auch das generationale Gefüge, der Bezug zu Erwachsenen beispielsweise, oder gesellschaftliche und wohlfahrtsstaatliche Entwicklungsdynamiken. Wir sind ein grundständiger Studiengang, der Kindheitspädagoginnen und -pädagogen für alle Handlungsfelder ausbildet, die die Lebensphase Kindheit in den Blick nimmt. Die Schule spielt eine ganz bedeutende Rolle im Aufwachsen der Kinder und ist damit natürlich auch für uns ein wichtiges, aber eben nicht das alleinige Thema.

Online-Redaktion: Wie ist der Studiengang aufgebaut?

Buschhorn: Wir möchten angehende Kindheitspädagoginnen und -pädagogen für die Vielfalt von Lebenslagen sensibilisieren und ihnen Gelegenheit zur Reflexion geben. Das ist unserer Meinung nach nur möglich, wenn die Studierenden auch Grundlagen beispielsweise der Erziehungswissenschaft, Psychologie, Soziologie und Bildungssoziologie vermittelt bekommen. Dies ist Thema der Grundlagenmodule im ersten Semester. Dazu kommen empirische Forschungsmethoden, um die Studierenden zu befähigen, auf ihre Praxis mit einem reflexiven Blick zu schauen.

Das Besondere an unserem Studiengang ist, dass die Studierenden vom ersten Semester an mit 180 Stunden in die Praxis eingebunden sind, parallel zur Anwesenheit an der Hochschule. Im ersten Semester sollen sich die Studierenden ihr Arbeitsfeld selbst erschließen. Im zweiten Semester geht es um Dokumentationen, im dritten Semester werden Projekte zur Evaluation und Qualitätsentwicklung durchgeführt - zu jedem dieser Schwerpunkte gibt es entsprechende Begleitseminare an der Hochschule. So stellen wir sicher, dass die Studierenden jederzeit in der Lage sind, ihre Praxis vor dem Hintergrund von theoretischem Input zu reflektieren.

Lehrerin, Schülerinnen und Schülern bei der Projektvorstellung
© Britta Hüning

In den folgenden Semestern können individuelle Schwerpunkte gesetzt werden, durch Vertiefungsmodule zur Kompetenzentwicklung von Kindern, zur Qualitätsentwicklung, zum Management oder zum Entwicklungskontext Familie. Es gibt einen großen Wahlpflichtbereich, zu dem auch die Ganztagsbildung gehört. Zum Beispiel biete ich ein Wahlpflichtseminar zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule mit dem Schwerpunkt Ganztagsbildung an. Unsere Studierenden, die übrigens in zunehmender Zahl auch bereits in Ganztagsschulen tätig sind, fundieren hier ihre Praxis nochmal theoretisch. Das Studium schließt dann im siebten Semester mit der Bachelorarbeit ab.

Online-Redaktion: Was melden die Studierenden über ihre Praktika in Ganztagsschulen zurück?

Buschhorn: Die Studierenden sind hauptsächlich im Nachmittagsbereich eingebunden, zum Beispiel in der Begleitung der Lernzeit. Sie sind aber keine Ersatzlehrkräfte. Sondern sie können mit ihren besonderen Kenntnissen zur individuellen Förderung, Kompetenzentwicklung und zur kindlichen Entwicklung insgesamt besonders auf das einzelne Kind eingehen.

Eine Studentin berichtete beispielsweise, dass sie hier ganz konkret zum Schulerfolg beitragen kann, über die Vermittlung von Lernstoff hinaus auch Lerntipps geben kann. Sie hat herausgestellt, dass nicht jede Familie über die Ressourcen für private Nachhilfe verfügt. Ein Student ist im Rahmen der Schulsozialarbeit im musisch-kulturellen Bereich eingebunden. Er konnte Schülerinnen und Schüler bei der Aufführung eines Theaterstückes unterstützen und leitete so nonformale und informelle Bildungsprozesse an. Eine andere Studentin hat Bewegungsangebote organisiert, in der Turnhalle und auf dem Außengelände, aber auch mal in der Kletterhalle als außerschulischem Lernort.

Online-Redaktion: Welche Bedeutung hat die multiprofessionelle Zusammenarbeit?

Buschhorn: Unsere Studierenden berichten von den Herausforderungen in der interdisziplinären Zusammenarbeit mit den Lehrkräften, vom unterschiedlichen Bildungsverständnis und von einem unterschiedlichen Blick auf das Kind. In den Schulen erleben sie die Lehrkräfte als die „Hausherren‟. Da gilt es immer Aushandlungsprozesse anzuregen und sich darüber zu verständigen, wie man zusammenarbeiten will.

Schulunterricht
© Britta Hüning

Schaut man in die Literatur – Karsten Speck hat dazu ja viel geforscht –, gibt es einige Beispiele, dass pädagogische Fachkräfte von der Schulleitung und dem Kollegium als „Feuerwehr‟ verstanden werden, zu der störende Schülerinnen und Schüler geschickt werden, damit der Unterricht wieder laufen kann. Das ist ein alltagspraktisches Begründungsmuster für die Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule, das ich aus der Schulperspektive durchaus nachvollziehen kann. Aber eine Kooperation kann das nicht tragen, wenn nur delegiert wird.

In der Praxis nehme ich aber auch wahr, dass die pädagogischen Fachkräfte zunehmend als Bereicherung gesehen werden, für einen ganzheitlichen Blick auf das Kind. Da ist es aus meiner Sicht wichtig, dass wir gut ausgebildete Fachkräfte haben, möglichst auf Hochschulniveau ausgebildet, um zu einer gleichen Augenhöhe in der Kooperation zu kommen. Kinder und Jugendliche sollten es uns wert sein, bestmöglich ausgebildete pädagogische Fachkräfte einzusetzen. Wenn wir mit verkürzten Ausbildungen nur schnell „Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter light" in die Schulen schicken, wird die Kooperation vor Ort schwieriger. Das professionelle Selbstbewusstsein der Fachkräfte ist vermutlich schwächer ausgeprägt, und fachliche Dialoge werden erschwert.

Online-Redaktion: Was können gut ausgebildete pädagogische Fachkräfte in Ganztagsschulen einbringen?

Buschhorn: Sie können langfristig zum Schulerfolg der Kinder und Jugendlichen beitragen, wenn eine ganzheitliche Bildung im Fokus steht, wobei es eben nicht nur um formale Bildung geht. Das geht nur in einer guten Kooperation und auch nur, wenn die pädagogischen Fachkräfte eine konstante Größe im Schulleben sind. Meine Vision ist, dass wir auf Hochschulniveau ausgebildete Fachkräfte haben, die dauerhaft und verlässlich an jeder Ganztagsschule präsent sind und gleichberechtigte Arbeitsformen der Zusammenarbeit in den Ganztagsschulen etabliert werden.

Der Ganztag wird ein zunehmend wichtigeres Handlungsfeld. Ich finde es spannend, hier mit den Schülerinnen und Schüler ins Gespräch zu kommen. Was ist ihre Perspektive? Was sind ihre Wünsche zur Gestaltung des Ganztags? Nach meinem professionellen Verständnis muss das der Ausgangspunkt von allen Aktivitäten und Bemühungen sein. Es braucht kind- und später jugendgerechte Formen der Beteiligung, um die Schülerinnen und Schüler systematisch einzubeziehen. Gut ausgebildete Fachkräften setzen partizipative Elemente selbstverständlicher ein.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Prof. Claudia Buschhorn ist seit 2019 Professorin für die Pädagogik der Kindheit im Bachelorstudiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), Fakultät Wirtschaft und Soziales, Department Soziale Arbeit. Nach dem Studium des Grundschullehramts und der Diplom-Pädagogik sowie der Promotion an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster war sie u. a. dort wissenschaftliche Mitarbeiterin im Profilbereich „Sozialpädagogik“. Von 2014 bis 2018 war sie Mitarbeiterin beim LWL-Landesjugendamt Westfalen-Lippe und Referentin für Frühe Hilfen beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) Gesamtverein e. V. in Dortmund. Sie ist Vorsitzende des Trägervereins der Familienbildungsstätte Anna-Krückmann-Haus e.V. in Münster.

Ausgewählte Veröffentlichungen:

Buschhorn, Claudia (2018): Förderung der Erziehung in der Familie. In: Böllert, Karin (Hrsg.): Kompendium Kinder- und Jugendhilfe. VS-Verlag: Wiesbaden. S. 783-804

Buschhorn, Claudia/ Rüsch, Detlef (2018): Kindeswohlgefährdung und Kinderschutz. In: Bassarak, Herbert (Hrsg.): Lexikon der Schulsozialarbeit. Nomos-Verlag: Berlin. S.276-278

Buschhorn, Claudia (2019): Wirkungsforschung in Frühen Hilfen. In: Begemann, Maik-Carsten/ Bleck, Christian/ Liebig, Reinhard (Hrsg.): Wirkungsforschung in der Kinder- und Jugendhilfe. Weinheim/ Basel: Beltz Juventa. S. 165-187

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