Ausbildung für die Ganztagsschule in Bremen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Eine Schulleiterin, eine Lehrerin, ein Erzieher und ein Schulsozialarbeiter saßen gemeinsam auf dem Podium, um über multiprofessionelle Kooperation zu sprechen. Gemeinsame Ausbildung für die Ganztagsschule – geht das?

Wie viel Verantwortung können Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht an andere Professionen abgeben? Wer wird in die Unterrichtsplanung einbezogen? Wie ähneln oder überschneiden sich der Erzieher- und der Lehrer-Beruf? Gibt es überhaupt Erzieherinnen und Erzieher an Oberschulen? Was bedeutet es für die Schulleitung, mehrere Berufsgruppen zu leiten? Tauschen sich Ganztagsschulen über solche Themen aus?

Fragen über Fragen am Nachmittag des 15. November 2019 in Raum B2880 der Universität Bremen. Rund 60 Lehramtsstudierende, Studierende der Fachschulen für Sozialpädagogik Blumenthal und Neustadt sowie Studierende der Sozialen Arbeit der Hochschule Bremen haben sich zum Thema „Reflexion zum Arbeitsplatz Ganztagsschule“ versammelt. Die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Bremen hat mit den beteiligten Instituten zu diesem dritten von insgesamt vier Fortbildungsmodulen der Reihe „Multiprofessionalität in der Ganztagsschule“ eingeladen.

Moderatoren der Veranstaltung auf dem Podium
Julian Kramer (l.) und Angelika Wunsch moderierten die Diskussion. © Redaktion

Bereits ins achte Jahr geht diese Fortbildungsreihe, mit der Bremen deutschlandweit eine Vorreiterrolle beanspruchen kann. Die Reihe bietet für die Studierenden die Möglichkeit, in einem Wahlpflichtangebot bereits während der Ausbildung Einblicke in die Ganztagsschule zu erhalten. Multiprofessionalität bildet sich dabei nicht nur inhaltlich, sondern auch organisatorisch ab. Im Modul „Praxiserkundung an der Bremer Ganztagsschule“ verbringen die gemischten Gruppen einen Tag an einer Ganztagsschule. Drei weitere Module finden jeweils an den beteiligten Ausbildungsinstitutionen statt: an der Fachschule für Sozialpädagogik Neustadt, die Erzieherinnen und Erzieher ausbildet, an der Hochschule Bremen mit dem Studiengang Soziale Arbeit, an der Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiterinnen ausgebildet werden, und an der Universität Bremen, wo die Lehrerausbildung zu Hause ist.

Hospitation an Ganztagsschulen: „Spannend und gewinnbringend“

Im Modul 1 „Was ist eine Ganztagsschule? – vom Personalmix zum multiprofessionellen Team“ reflektieren die Teilnehmenden zunächst einmal ihr „Professionsverständnis“, also das eigene Bild vom Beruf, den sie gewählt haben. Sie fragen, wie sie sich eine gute Ganztagsschule und ihre Aufgaben darin vorstellen. Sie bereiteten auch in gemischten Gruppen ihre Hospitationen an Ganztagsschulen vor, beispielsweise der Grundschule Mahndorf, der Grundschule Düsseldorfer Straße und der Oberschule an der Julius-Brecht-Allee.

Immer dabei ist Angelika Wunsch, die Leiterin der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Bremen. Sie freut sich, dass es in den acht Jahren nie ein Problem gewesen ist, immer neue und unterschiedliche Hospitationsschulen zu organisieren. Acht Schulen waren es in diesem Jahr. Nimmt man die laut Angelika Wunsch „total positiven Rückmeldungen“ der besuchten Ganztagsschulen als Maßstab, sollte es in Zukunft ebenfalls nicht schwerfallen. „Die Schulbesuche werden nicht nur von den Studierenden als spannend und gewinnbringend empfunden“, so die Agenturleiterin, sondern auch von Schulen selbst.

Für die aktuelle Veranstaltung „Multiprofessionalität in der Ausbildung“ hat Angelika Wunsch eine Podiumsdiskussion organisiert, deren Teilnehmende ebenfalls Multiprofessionalität widerspiegeln: Silke Zimmermann ist Schulleiterin der Grundschule Oderstraße, einer offenen Ganztagsgrundschule. Melanie Bäumler ist Lehrerin und Sebastian Schütt Erzieher an der Grundschule Alt Aumund, einer gebundenen Ganztagsgrundschule.

Workshop-Teilnehmende sitzen an einem Tisch
Die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ hat die Modulreihe entwickelt. © Serviceagentur Bremen

Aus einer weiterführenden Schule kommt Jens Singer, Schulsozialarbeiter an der Gesamtschule Ost. Die Oberschule mit gymnasialer Oberstufe hat 2018 einen zweiten Platz beim Deutschen Schulpreis gewonnen. Über die Ganztagsschule sagte er später: „Für viele Kinder hängen die Möglichkeiten der Unterstützung und des Freizeitangebots vom Elternhaus und dessen Finanzen ab. Es gibt an unserer Gesamtschule viele Jugendliche, die sich freuen, bis 16 Uhr an der Schule zu sein“.

Die Schulleiterin, die Lehrerin, der Erzieher und der Schulsozialarbeiter stellen sich den vielen Fragen der Auszubildenden und Studierenden, die diese zu Beginn der Veranstaltung gemeinsam erarbeitet haben. Rasch hatten sich drei Plakate mit spezifischen Fragen und eines mit allgemeinen Fragen zur Ganztagsschule gefüllt.

„Lobbyarbeit“ und wechselseitige Wertschätzung

Viel Informationsbedarf besteht offenkundig schon einmal zur „formalen Gesetzgebung“: Was ist eine Gesamtkonferenz? Worin besteht der Unterschied zur Schulkonferenz? Wer hat welche Stimme? Haben außerschulische Fachkräfte überhaupt eine Chance, mit ihren Anliegen durchzudringen? Schulleiterin Silke Zimmermann erläuterte das für die Grundschule Oderstraße: „Wir diskutieren Vorhaben im gesamten Team, wägen lange ab und kommen in unserer Meinungsbildung dann eigentlich immer zu einem Konsens.“

Podiumsdiskussion
Gemeinsam auf dem Podium: Schulleiterin, Lehrerin, Erzieher und Schulsozialarbeiter. © Redaktion

An der Grundschule Oderstraße finden viermal im Jahr gemeinsame Dienstbesprechungen statt, die Erzieherinnen und Erzieher nehmen an den Konferenzen teil, und am Ende der Sommerferien kommen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für einen ganzen Konzepttag zusammen. Aus der Grundschule Alt Aumund berichteten Melanie Bäumler und Sebastian Schütt, dass Protokolle sämtlicher Besprechungen stets an alle Mitarbeitenden verschickt werden. Jens Singer wiederum stellte dar, wie seine Schulsozialarbeiterkollegen an der Gesamtschule Ost „Lobbyarbeit bei den Lehrern betreiben“, um Mehrheiten für eigene Vorhaben in den Konferenzen zu organisieren.

„Sehr fruchtbar sind die Besprechungen im Klassenteam“, betonte Silke Zimmermann. „Durch diesen Austausch sind viel Wertschätzung und ein neues Selbstverständnis entstanden.“ Dieses Ziel verfolgt auch die Modulreihe der Serviceagentur „Ganztägig lernen“. „Es geht um den Abbau von Vorurteilen der Professionen“, sagte Angelika Wunsch, „um den Abbau zum Beispiel eines sehr idealisierten Familienbilds, das in unseren Veranstaltungen in Fragen und Diskussionen noch immer durchscheint und das allein vor dem Hintergrund, dass ein Viertel der Eltern in Bremen alleinerziehend sind, zu hinterfragen ist.“

„Wichtig, dass verschiedene Professionen auf das Kind schauen“

Ob die einzelnen Professionen für die Schülerinnen und Schüler überhaupt noch erkennbar sind, war ein weiterer Fragegegenstand. Ein Hospitant der Ganztagsgrundschule Andernacher Straße erzählte, dass er sich bei seinem Besuch zu Beginn der Klassenstunde nicht sicher war, wer Lehrkraft und wer Erzieher war. Lehrerin Melanie Bäumler von der Grundschule Alt Aumund bestätigte, dass die Schülerinnen und Schüler mindestens in den ersten beiden Jahrgängen nicht unterscheiden, wer welchem Beruf nachgeht: „Da heißt es immer: die Erwachsenen.“

Jens Singer wiederum möchte als Schulsozialarbeiter nicht für einen Lehrer gehalten werden: „Das sind zwei verschiedene Professionen mit anderen Aufgaben und Möglichkeiten, und ich habe mich halt bewusst nicht für die des Lehrers entschieden.“ Sebastian Schütt sprach sich dafür aus, auch Erzieherinnen und Erzieher im Unterricht einzusetzen: „Sie haben einen anderen Blick auf das Kind und können Probleme direkt angehen. Ich empfinde diese Kooperation als bereichernd.“

Schulleiterin Silke Zimmermann findet es „wichtig für die Kinder, dass verschiedene Leute auf sie schauen“. Außerdem könne den Schülerinnen und Schülern so gezeigt werden, wie wertvoll es ist, im Team zusammenzuarbeiten. „Unser Unterricht hat sich klar verbessert, seitdem pädagogische Mitarbeiterinnen auch im Vormittagsunterricht dabei sind, weil verschiedene Sichtweisen zusammenkommen.“

Studierende und Auszubildende nicht „ins kalte Wasser werfen“

Plakate mit gesammelten Fragen
Viel Informationsbedarf: Plakate voller Fragen. © Redaktion

Alle vier waren sich einig, dass es mehr Zeit für die Kooperation geben müsse. „Kommunikation ist das A und O“, so Lehrerin Melanie Bäumler. Silke Zimmermann betonte die Verantwortung der Schulleitung: „Meine Verantwortung ist es, während der Arbeitszeit diese Kommunikation zu ermöglichen. Die Kolleginnen und Kollegen brauchen Zeit, und die bekommen sie.“

Zeit zum Kennenlernen, Reflektieren und Diskutieren erhielten dann auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fortbildung. Am nächsten Tag stand bereits das letzte Modul „Multiprofessionalität für eine gelingende Schulkultur“ in der Hochschule Bremen an. Die Studierenden und Auszubildenden analysierten und bewerteten an konkreten Aufgabenstellungen unterschiedliche Problemlagen der beteiligten Professionen. Schließlich entwarfen sie ihr eigenes – multiprofessionelles – Konzept von einer gelingenden Ganztagsschule.

An der Fachschule für Sozialpädagogik Neustadt bildet Julian Kramer Erzieherinnen und Erzieher aus. Er setzt sich für die Professionalisierung der Ausbildung ein, und ihm ist wichtig, „dass unsere Schülerinnen und Schüler nicht sozusagen ins kalte Wasser geworfen werden, wenn sie eine Ganztagsschule betreten.“ Das scheint mit der gemeinsamen Fortbildung zu gelingen. „Aus den Praktika haben wir Rückmeldungen, dass man schon deutlich spürt, welche Auszubildenden an unserer Modulreihe teilgenommen haben“, sagt Kramer. Und: „Ich hoffe, dass die Ganztagsschule an Attraktivität für Erzieherinnen und Erzieher gewinnt.“

 

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