August-Bebel-Schule: Integration mit O.S.K.A.R. : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
„Wir sagen nie nein zu einem Schüler“, sagt Ulrike Pörner. Die August-Bebel-Schule in Leipzig kann bei der Integration auf das Kinder- und Jugendkulturzentrum O.S.K.A.R. bauen.
Bisher hat das syrische Mädchen ganz still in der letzten Reihe gesessen, doch jetzt klatscht es begeistert in die Hände und ruft: „Os-kar, Os-kar!“. Sie ist nicht die einzige. Unter den 15 Schülerinnen und Schülern brandet Jubel auf, als Lehrerin und Ganztagskoordinatorin Ulrike Pörner verkündet hat, dass die Klasse gleich ins O.S.K.A.R. gehen wird, und die Lehrerin muss die allgemeine Begeisterung erstmal wieder bremsen.
Die DAZ (Deutsch als Zweitsprache)-Klasse der Leipziger August-Bebel-Schule wird das benachbarte Kinder- und Jugendkulturzentrum O.S.K.A.R. besuchen. O.S.K.A.R. steht für „Offene Tür, Spiel und Spaß, Kreativität, Aktion und Richtig was los“. Im Schulalltag der Schülerinnen und Schüler aus Syrien, dem Irak, dem Libanon, Frankreich, Italien, der Slowakei, Afghanistan, Mazedonien und Polen ist und bleibt der zweistündige Ausflug ins O.S.K.A.R. ein Höhepunkt. Schon bald geht es aus dem bunt geschmückten Klassenzimmer des altehrwürdigen Schulgebäudes im Gänsemarsch zwei Häuserblocks weiter.
Mit dabei ist neben den beiden DAZ-Lehrerinnen Ulrike Pörner und Thora Preuß auch Marlis Kauroff, die – unter anderem finanziert durch die brot.Zeit-Stiftung – jeden Tag quasi-ehrenamtlich in der Klasse mithilft. Sie hat ihr ganzes Leben im Leipziger Osten verbracht und möchte sich in ihrem Viertel einbringen. Ihr trockener Tonfall – „Streng doch mal dein Köpfchen an!“, meinte sie während der Rechenaufgabe zu einem Jungen – und ihre positive Ausstrahlung ergänzen sich kongenial mit den jungen Lehrerinnen.
„Das Ganze ist ein Selbstläufer“
Seit drei Jahren, mit Einführung der DAZ-Klassen, für die sie extra an die offene Ganztagsschule wechselte, arbeitet Ulrike Pörner an der August-Bebel-Schule; vor zweieinhalb Jahren belebte sie die „etwas eingeschlafene Zusammenarbeit“ mit dem seit 15 Jahr bestehenden O.S.K.A.R. wieder. „Die Schulsozialarbeiterin hatte uns mitgeteilt, dass das O.S.K.A.R. etwas mit der DAZ-Klasse machen wollte“, erinnert sich Ulrike Pörner.
Los ging es mit einem Sommerprojekt über zwei Vormittage. Mit einer zu großen Kindergruppe, „aber es war ein gutes Ranfühlen“, so die Lehrerin. Zusammen mit der O.S.K.A.R.-Leiterin Ellen Heising entschied die Schule, die Zusammenarbeit auf eine kontinuierliche Basis zu stellen. An sechs Terminen im Halbjahr besuchen die Schülerinnen und Schüler nun das Kinder- und Jugendkulturzentrum, in dem sie laut Ulrike Pörner „eine andere Wertschätzung und eine andere Atmosphäre erfahren“. Künstlerinnen und Künstler, darunter eine Tanzpädagogin, arbeiten individuell mit ihnen und treten ihnen unvoreingenommen entgegen. „Die wissen, wie sie die Kinder zu nehmen haben“, freut sich die Lehrerin.
Im O.S.K.A.R. werden die Schülerinnen und Schüler in feste Gruppen eingeteilt. Sie können in der Werkstatt basteln und Modelle bauen, im Schwarzlichttheater spielen oder tanzen, fotografieren, malen oder nähen. „Das Team, das hier mit den Kindern arbeitet, ist konstant und arbeitet qualitativ hochwertig“, erzählt Ulrike Pörner. „Und es gibt genügend Augen, die aufpassen. Wir müssen gar nicht mehr dabei sein und können uns derweil besprechen. Das Ganze ist ein Selbstläufer geworden.“
Einfallsreiche Kinder, coole Ergebnisse
Ellen Heising ist ebenfalls sehr zufrieden. „Es hat sich alles gut eingespielt, und auch neue Kinder werden gut aufgenommen. Das ist ein Prozess gewesen, bei dem wir alle dazugelernt haben. Mir macht es viel Spaß, denn die Schule ist unwahrscheinlich aufgeschlossen. Wir rechnen es der August-Bebel-Schule hoch an, dass die Schulleiterin Nancy Kallenbach damals zur Vorbereitung mit dem kompletten Kollegium vorbeigekommen ist und auch an zwei Workshops teilgenommen hat.“
Das O.S.K.A.R. ist eine Einrichtung des Amtes für Jugend, Familie und Bildung der Stadt Leipzig. Hier finden die Kinder und Jugendlichen Raum, um ihre Phantasie und Kreativität ausleben. „Die Schülerinnen und Schüler sollen hier auch erleben, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sie besitzen“, beschreibt Ellen Heising. „Wir veranstalten darüber hinaus Nachmittage mit den Eltern, an denen die Kinder ihre Ergebnisse präsentieren können.“ Die Wände der Einrichtung zieren von den Schülerinnen und Schülern der August-Bebel-Schule gefertigte Bilder.
„Wenn möglich, nehmen die Kinder auch an Wettbewerben teil“, berichtet die Leiterin. „Sie haben schon einiges gewonnen, so zum Beispiel mit ihrem selbstgebauten Solarmobil.“ Auch beim Fotografie-Wettbewerb „Visuale“ sind die Schülerinnen und Schüler gerade erfolgreich gewesen; Ende November werden sie zur Preisverleihung fahren. „Es kommen coole Ergebnisse raus, die Kinder lassen sich was einfallen“, ist Ulrike Pörner angetan.
Entwicklung der Kinder macht Spaß
Zurzeit lernen 46 DAZ-Schülerinnen und -Schüler in der August-Bebel-Schule, aufgeteilt in eine Gruppe der Erst- und Zweitklässler und eine der Dritt- und Viertklässler. „Momentan haben wir eine konstante Lerngruppe, es werden wenig Familien abgeschoben“, ist die Lehrerin erleichtert. Die Zahl neu ankommender geflüchteter Familien hat seit Anfang des Jahres deutlich nachgelassen.
15 Wochenstunden sind für die DAZ-Klassen vorgesehen, drei pro Tag. Dazu nehmen alle Schülerinnen und Schüler am regulären Musik- und Sportunterricht teil. Manche haben am Nachmittag noch Förderunterricht.
„Es gibt Kinder, die unheimlich schnell Deutsch lernen, andere tun sich schwerer. Mir macht die Entwicklung der Kinder insgesamt Spaß – wenn ich sehe, wie sie sich trotz aller Widrigkeiten freuen und wie sie Sicherheit gewinnen“, erzählt die Lehrerin.
Frontalunterricht sei bei so unterschiedlichen Voraussetzungen nicht möglich. Mit differenzierten Lernmaterialien gehen die Lehrkräfte und „die gute Seele“ Marlis Kauroff individuell auf jedes Kind ein.
Die Materialien hat Ulrike Pörner „über die Jahre zusammengesucht“. Im Internet schaut sie regelmäßig nach Material und Methoden zur Freiarbeit. Im Unterricht „ist es meine Aufgabe, mich verständlich zu machen“, so die Lehrerin, „und ich muss immer wieder alles erklären.“ An diesem Morgen sitzen manche Schülerinnen und Schüler an Arbeitsblättern, andere am Rechenbrett, wieder andere schreiben in Hefte. In einem Sitzkreis erzählen sie sich gegenseitig, was sie am Wochenende gemacht haben. Dann spielen sie ein Spiel, bei dem sie Fotos ziehen und Begriffe lernen.
„Wir sagen nie nein zu einem Schüler“
Während des Schuljahrs wechseln die Kinder, deren Deutsch in den Augen von Thora Preuß und Ulrike Pörner gut genug entwickelt ist, fortlaufend in die Regelklassen. Insgesamt haben die beiden Lehrerinnen ein gutes Gespür, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist. Manchmal klappt es auch nicht, und ein Kind muss zurückwechseln, aber Ulrike Pörner findet, dass der Wechselzeitpunkt eher früher als später kommen soll: „Die Schülerinnen und Schüler brauchen den vielfältigen Sprach-Input, und am besten lernen sie im Gespräch mit den Mitschülern.“
Unter den Kindern herrsche keine Ausgrenzung, zumal der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in den Regelklassen sowieso hoch sei. „Uns macht aus, dass wir sehr offen sind und dass viele Externe bei uns mitarbeiten“, beschreibt Ulrike Pörner die Arbeit an der August-Bebel-Schule. „Wir nehmen jedes Kind auf, wo andere Schulen abwinken würden. Wir sagen nie nein zu einem Schüler.“
Die DAZ-Schülerinnen und Schüler sind fast alle im Hort angemeldet, der sich im Schulgebäude befindet und mit der Schule die rund 20 Ganztagsangebote organisiert. Bis 15 Uhr bieten auch außerschulische Partner AGs wie Kochen, Schulgarten, Akrobatik, Chor, Puppentheater und Schach an. Dank des Sportlehrers, der auch Fechttrainer ist, steht sogar Fechten auf dem Programm. In einer regelmäßigen Befragung können die Schülerinnen und Schüler Einfluss darauf nehmen, welche Angebote bleiben, neu dazukommen oder eingestellt werden. Seit 2006 besteht die offene Ganztagsschule, und „momentan sind wir alle sehr zufrieden, wie es läuft“, meint Ulrike Pörner.
Die zwei Stunden im O.S.K.A.R. sind vergangen wie im Flug. Die Lehrerinnen müssen manche Schülerinnen und Schüler noch einsammeln, weil die sich nur schwer von ihrer Beschäftigung trennen können. Ein Junge nimmt ein kleines Solarmobil mit zur Schule, dessen Rotoren sich drehen.
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