Sachsen-Anhalt: "Kinder sind Könner – Lehrer auch!" : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Die Kommunikation mit Eltern über die Ganztagsschulentwicklung war Bestandteil der Fortbildungsreihe "Kinder sind Könner – Lehrer auch!" in Sachsen-Anhalt. Die Online-Redaktion sprach mit Wilfried Steinert, ehemaliger Leiter der Waldhofschule Templin.
Online-Redaktion: Wo lagen die Schwerpunkte der Fortbildungsreihe der Serviceagentur „Ganztägig lernen“?
Wilfried Steinert: An der Reihe „Kinder sind Könner – Lehrerinnen und Lehrer auch!“, die sich über mehrere Monate erstreckte, nahmen in Magdeburg und Halle insgesamt zehn Referenz-Ganztagsschulen aus Sachsen-Anhalt teil. Wichtiges Ziel war, deutlich zu machen, dass alle am schulischen Lernen Beteiligten wichtige Akteure eines erfolgreichen Bildungsprozesses sind. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass Eltern ein wichtiger Schlüssel für den pädagogischen Erfolg sind.
Außerdem ging es darum, Ideen für den Aufbau einer Kooperation mit Eltern auf Augenhöhe zu entwickeln. Es wurden auch Fragen wie die, was Inklusion für das Kind bedeutet, behandelt. Gerade dieses Thema ist für die Eltern aktuell besonders wichtig. Und schließlich haben wir daran gearbeitet, die Heterogenität in unserer Gesellschaft nicht als Problem, sondern als selbstverständlich zu sehen und dafür auch die Chancen für das Schulleben und das Miteinander von Kindern, Eltern und Lehrkräften zu betrachten.
Online-Redaktion: Warum das Thema Eltern in einer Fortbildungsreihe, in der es um das Können von Kindern und Lehrkräften geht?
Steinert: Es herrscht nach wie vor eine große Unsicherheit im Umgang mit den Eltern. Ehrlich gesagt überrascht es mich, dass viele Lehrer immer noch ein Riesenproblem damit haben, Eltern auf Augenhöhe zu begegnen. Damit verschenken sie ein unglaubliches Potenzial. Wie ängstlich manche Lehrkräfte reagieren, musste ich erleben, als ich selbst Klassenpflegschaftsvorsitzender war. Ich kam zum ersten Elternabend und wollte – die Klassenlehrerin war noch nicht da – die Versammlung leiten. Als die Lehrerin dann kam und mich die Sitzung leiten sah, meinte sie: „Dann kann ich ja gehen.“
Online-Redaktion: Was haben die Lehrkräfte in Magdeburg und Halle aus der Fortbildung mitgenommen?
Steinert: Ich glaube, wir konnten einige Unsicherheiten abbauen. Ich möchte ein Beispiel nennen. Viele gute Schulen, insbesondere auch Ganztagsschulen, nehmen inzwischen spannende und außergewöhnliche Themen jenseits des Fachunterrichts in ihr Angebot auf. Ich denke an so etwas wie „Kochen wie zu Omas Zeiten“. Wenn dann aber die Oma eingeladen werden soll, lautet die erste Frage oft, ob dies überhaupt versicherungsrechtlich möglich sei. Und schon ist der besondere Kurs gestorben. Dabei ist die Frage so leicht zu beantworten: Natürlich sind auch Eltern oder Großeltern abgesichert, wenn sie sich in der Schule engagieren - wie alle, die im Auftrag der Schulleitung in der Schule tätig werden.
Online-Redaktion: Hat ein funktionierendes Eltern-Lehrer-Schüler-Verhältnis in einer Ganztagsschule eine höhere Bedeutung als in einer Halbtagsschule?
Steinert: Eine gute Kommunikation ist in beiden Schulformen notwendig und sinnvoll. Aber ein guter Ganztag kann nur funktionieren, wenn ein intensiver Kontakt zum Umfeld der Schule existiert. Und dazu gehören die Eltern in erster Linie. Man darf nie vergessen: Niemand weiß soviel über sein Kind wie die eigenen Eltern. Darum ist der Austausch so wichtig. Natürlich auch unter den Professionen, die dem Kind täglich begegnen. Je mehr ich mit den Bezugspersonen des Kindes im Gespräch bin, umso mehr erfahre ich über es, lerne Seiten kennen, die mir möglicherweise noch gar nicht aufgefallen und bewusst geworden sind.
Online-Redaktion: Manche Eltern wollen das gar nicht...
Steinert: Durch die Ganztagsschule verlagert sich vieles, was früher in der Familie stattfand, in die Schule. Das ist ja nicht zuletzt der Grund dafür, dass manche Eltern ihr Kind nicht in eine Ganztagsschule schicken wollen. Sie fürchten, möglicherweise weniger Einfluss auf seine Entwicklung nehmen zu können, obwohl sie eventuell nachmittags gar nicht mehr mit dem Kind unternehmen würden.
Online-Redaktion: Was haben Sie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in der Fortbildung geraten?
Steinert: Raten ist nicht korrekt. Wir haben die Erkenntnisse gemeinsam erarbeitet. Es ging ja auch um die Frage der Entwicklung einer Ganztagsschule. Wir sind unter anderem zu dem Ergebnis gekommen, dass jede Schulleitung einen regelmäßigen, zwei- oder vierwöchentlichen Jour fixe für die regelmäßigen Gespräche mit den Elternvertretungen einrichten sollte. So können sich Eltern und Schulleitung auch ohne aktuellen Anlass treffen, um die Anliegen und die Weiterentwicklung der Schule zu besprechen. Und dies könnte man auch in den Klassen mit den Klassenelternsprechern einführen. Dabei fragen sich manche Lehrkräfte: Was sollen wir denn noch alles machen? Ich bin überzeugt: Wenn jemandem die Zusammenarbeit wichtig ist, muss er ein Klima schaffen, in dem Vertrauen entstehen kann und das nicht nur konfliktlösungsorientiert ist. Das gilt übrigens besonders auch vor dem Hintergrund der Inklusion. Auch hier müssen die Eltern und ich betone: auch die Kinder frühzeitig mitgenommen werden. Nur so schaffe ich Toleranz. Ich glaube, die Schulen aus Sachsen-Anhalt, die bei der Fortbildung dabei waren, werden diese Botschaft ins Land tragen.
Online-Redaktion: Werden sie auch Erkenntnisse zu Hausaufgaben oder zu den Elternsprechtagen verbreiten?
Steinert: Ich bin sicher, das haben sie auch schon in der Vergangenheit getan. Vielleicht aber hat unser Seminar die Sinne zusätzlich geschärft. Hausaufgaben sind das größte Selektionsinstrument. Manche Eltern können und wollen ihre Kinder unterstützen, können sich Nachhilfe leisten, andere nicht. In einer guten Ganztagsschule entfällt das.
Zum Thema Elternsprechtage: Schon das Wort stört mich. Stattdessen sollten regelmäßige Schüler-Eltern-Lehrergespräche üblich sein. An solchen Gesprächen, die zwei- oder dreimal im Jahr stattfinden sollten, nehmen nicht nur Lehrerinnen, Lehrer und Eltern teil, sondern das Kind muss dabei sein. Es wird nicht über das Kind geredet, sondern mit ihm. Deshalb sollten die Schülerin oder der Schüler auch das Gespräch führen. Etwa, indem es zunächst sagt, was ihm in jüngster Zeit Spaß gemacht hat, was es besonders gut gekonnt hat und wo es glaubt, Schwierigkeiten zu haben und möglicherweise Unterstützung zu benötigen. Dann erst sollten Lehrer und Eltern ihre Einschätzung einbringen und diese mit dem Kind besprechen. Das hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun.
Kategorien: Kooperationen - Kinder- und Jugendhilfe
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