"Leicht wird es nicht" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Wilfried Steinert ist nicht nur der neue Vorsitzende des Bundeselternrats, sondern auch Schulleiter einer Ganztagsschule in Brandenburg. Damit ist er prädestiniert, aus zwei Blickwinkeln Meinungen, Wünsche und Forderungen in Sachen Ganztagsschule zu äußern.

Wilfried Steinert
Wilfried Steinert

Online-Redaktion: Herr Steinert, welche Eindrücke haben Sie vom Ganztagsschulkongress "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" am 17. und 18. September in Berlin mitgenommen?

Steinert: Die breite Zustimmung zum Konzept der Ganztagsschule und die Aufbruchstimmung, die zu spüren war - man will Schule endlich neu gestalten. Das Bestreben, für Veränderungen in den Schulen zu sorgen, hat mich am meisten überzeugt. Dies zog sich durch alle Arbeitsgruppen. Ich selbst war als Experte eingeladen und hatte eigentlich vor, nur zwei Workshops im Expertenforum anzubieten. Schließlich habe ich wegen der großen Nachfrage vier geleitet.

Online-Redaktion: Sie sind als Lehrer an der Waldhofschule in Templin an einer Ganztagsschule tägig. Wie lange reichen Ihre Erfahrungen mit dieser Schulform zurück?

Steinert: Wir haben vor eineinhalb Jahren mit dem Konzept eines rhythmisierten Unterrichts und Ganztagsangeboten von acht bis 15 Uhr begonnen. Dies ergab sich auch dadurch, dass wir uns im Bundeselternrat im Jahr 2002 mit dem Thema Ganztagsschulen beschäftigt hatten und deutlich wurde, welche Chancen für ein entspanntes Lernen Ganztagsschulen bieten.

Online-Redaktion: Sie befinden sich ja in einer interessanten Zwitterposition. Einerseits sind Sie Lehrer, andererseits vertreten Sie die Elternschaft. Was spricht aus Ihren beiden Sichtweisen für Ganztagsschulen?

Steinert: Als Eltern wissen wir, dass unsere Kinder für eine bestimmte Zeit verbindlich in der Schule sind, der Hausaufgabenstress zu Hause entfällt und die Schule auch eine gewisse Anleitung und Motivation zur Freizeitgestaltung gibt. Dies erfordert - und da komme ich auf die Lehrersicht  - von Lehrern eine ebenfalls längere Anwesenheit in der Schule. An unserer Schule hat das dazu geführt, dass wir das Präsenzzeitmodell eingeführt haben. Die Lehrer sind hier 35 Stunden in der Woche in der Schule anwesend. Sie gewinnen dadurch Zeit für Gespräche miteinander und mit den Schülerinnen und Schülern. Das Modell erfordert auch, dass die Lehrerinnen und Lehrern entsprechende Arbeitsbedingungen in der Schule vorfinden: Rückzugs- und Entspannungsmöglichkeiten und einen Arbeitsplatz in der Schule. Auch aus Elternsicht ist dies wünschenswert, denn wenn ich als Elternteil in die Schule komme, möchte ich ja auch die Gelegenheit erhalten, mich mit den Lehrern zu unterhalten und dies nicht unbedingt auf dem Flur machen müssen, weil es sonst keine Möglichkeit dazu gibt.

Wenn ich gute Lehrerinnen und Lehrer für meine Schule gewinnen will, die einen guten Unterricht machen und für die Schülerinnen und Schüler da sind, muss ich auch eine gute Arbeitssituation für diese schaffen. Die Schule muss als Lebensort für Schüler und Lehrer geschaffen werden.

Online-Redaktion: Glauben Sie, dass das Präsenzzeitmodell vermehrt Nachahmer finden wird?

Steinert: Wenn ich bedenke, wie ich auf dem Ganztagsschulkongress gerade zu diesem Thema in den Workshops gelöchert worden bin, dann eindeutig ja. Vernünftige Arbeitsbedingungen führen ja auch zu einer höheren Motivation für Lehrkräfte.

Online-Redaktion: Müssen sich auch die Eltern bei Ganztagsschulen mehr engagieren?

Steinert: Müssen nicht, aber es besteht eine bessere Chance, dass sie es tun. Gerade berufstätige Eltern, die sonst kaum eine Möglichkeit haben, Lehrerinnen und Lehrer in der Schule zu erreichen, haben bei einem Ganztagsbetrieb natürlich bessere Chancen zur Kommunikation und auch zur Mitarbeit.

Online-Redaktion: Beobachten Sie denn an Ihrer Ganztagsschule, dass die Eltern diese Chance wahrnehmen?

Steinert: Es ist auch bei uns ein mühsamer und langwieriger Prozess, die Eltern zu motivieren. Dieser Prozess muss gestaltet werden, das geht nicht von heute auf morgen. Aber wenn eine Schulform die Mitarbeit von Eltern ermöglicht, dann die Ganztagsschule. Als ich zum Beispiel heute Mittag um halb zwei die Schule verließ, kamen mir drei Mütter mit großen Einkaufskörben entgegen, um mit den Schülerinnen und Schülern zu kochen.

Online-Redaktion: Sie sprachen von notwendigen geeigneten Arbeitsbedingungen für Lehrer an Ganztagsschulen. Reichen die Mittel des Bundesinvestitionsprogramms "Zukunft Bildung und Betreuung" aus, um diese zu schaffen?

Steinert: Das IZBB ist zunächst mal als Anschubprogramm gedacht, das Dinge auf den Weg bringt. Wir begrüßen die mit dem Programm verbundene inhaltliche Komponente, die jetzt durch den Ganztagsschulkongress angestoßen worden ist und zu einer Schulentwicklung beiträgt. Es wird aber auch deutlich, dass die Investitionsmittel auch für Lehrerarbeitsplätze eingesetzt werden müssen, um zu einem wirklich umfassenden Ganztagsschulkonzept zu kommen. Dies muss man bei der weiteren Ausgestaltung berücksichtigen. Leicht wird das sicher nicht, aber wenn eine Bewegung in Gang kommt und ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, haben wir schon etwas erreicht.

Online-Redaktion: Täuscht der Eindruck, oder kommen wir bei der Ganztagsschuldebatte um die Grabenkämpfe wie bei der Gesamtschule herum?

Steinert: Ich begrüße sehr, dass Angela Merkel sich jetzt auch ganz eindeutig zu Ganztagsschulen bekannt hat. Dieses Grundbekenntnis sollte man aufnehmen als Bekenntnis der Union, beim inhaltlichen Gestaltungsprozess von Ganztagsschulen mitzuwirken. Wenn es gelingt, diesen Prozess miteinander zu gestalten und durchaus auch um die besten pädagogischen Konzepte in gesunder Konkurrenz miteinander zu streiten, kann das nur von Vorteil sein.

Online-Redaktion: Ist denn das Thema Ganztagsschule in der Elternschaft noch umstritten?

Steinert: Nein, die Eltern stellen ganz eindeutig die Forderung nach mehr Ganztagsschulen, die in einer pädagogischen Vielfalt gestaltet werden. Aus unserer Sicht muss zum Investitionsprogramm auch unbedingt ein personelles Konzept hinzukommen. Es muss ein Miteinander von Lehrern, Sozialpädagogen, Erziehern und Freizeitpädagogen geben, um Schule wirklich als Lebensraum zu gestalten.

Online-Redaktion: Was erhoffen Sie sich vom Weitergang des Prozesses?

Steinert: Meine momentan wichtigste Forderung ist die Einführung von Qualitätsstandards oder Gütesiegeln für Ganztagsschulen. Diese sollten deutlich machen, was die Standards einer guten Ganztagsschulen sind oder welche erfüllt werden müssen, um Ganztagsschule zu sein und nicht nur die Mogelpackung einer Halbtagsschule, die an Investitionsmittel kommen will.

Wilfried Steinert
geboren 1950, verheiratet und Vater von zwölf Kindern und Pflegekindern, von denen fünf noch zu Hause leben. Nach einer technischen Lehre Studium der Theologie; Ergänzungsstudien und Weiterbildungen, u.a. Religionspädagogik und soziales Management; Pfarrer in Essen und Minden; Religionslehrer in Berlin; von 1991 bis Januar 2002 als Prüfungsreferent und Fachreferent im Konsistorium der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und als Kirchenschulrat zuständig für die Fachaufsicht über den Religionsunterricht an den Schulen; seit Februar 2002 Schulleiter der Waldhofschule Templin, einer Förderschule für geistig Behinderte in Trägerschaft der Stephanus-Stiftung. In der aktiven Elternarbeit während der gesamten Schulzeit der Kinder: Seit 1997 im Kreiselternrat als Vertreter der Gesamtschule Löwenberg und des Runge-Gymnasiums Oranienburg; seit 1998 im Landeselternrat des Landes Brandenburg; seit 1999 im Bundeselternrat; seit 2001 Vorsitzender des Fachausschusses für Gesamtschulen im BER; seit Mai 2002 stellvertretender Vorsitzender des Bundeselternrats; seit Mai 2004 Vorsitzender des Bundeselternrats.

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