Ganztagsschule als interkultureller Ort : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Wie kann die Ganztagsschule als interkultureller Lernort beitragen, Schülerinnen und Schüler zu fördern? Ein Fachtag der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Hessen am 22. November 2018 in Kassel gab Antworten.

Schülerinnen auf dem Schulhof
© Britta Hüning

Für Kanda Tatari ist das Thema „Ganztagsschule als interkultureller Ort“ eine Herzensangelegenheit. „Ganztagsschulen sind eine große Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit. Damit sie aber ihre Wirkung voll entfalten können, müssen sie interkulturell sensibel gestaltet werden“, sagt die Mitarbeiterin der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Hessen.

Wie das gelingen kann, zeigte die Fachtagung „Ganztagsschule als Interkultureller Ort“ am 22. November 2018 im Haus der Kirche in Kassel. Acht Workshops und eine Informationsbörse, die Kanda Tatari mit ihrer Kollegin Stephanie Welke gemeinsam organisiert hatte, gaben den rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Möglichkeit, sich Anregungen für ihre tägliche Arbeit zu holen.

Auf der Informationsbörse stellten sich viele Partner mit ihren Angeboten vor. Beispielsweise das Kulturzentrum Schlachthof, das über sein Programm „Aktive Eltern“ informierte: Ein Team aus Sozialpädagoginnen, Lehrerinnen, Sprachförderkräften und interkulturellen Vermittlerinnen organisiert in Ganztagsschulen, Kitas und Stadtteilzentren regelmäßig Treffpunkte für Eltern, um sie durch das Bildungssystem zu begleiten und die Kommunikation zwischen allen beteiligten Bildungspartnern zu befördern. Auch Erzählcafés zum Lernen der deutschen Sprache für Alltagssituationen, zum Beispiel für Elterngespräche in der Schule, werden veranstaltet.

Unterstützung praktischer Schritte im Alltag

Info-Stand des Bengi e.V.
Austausch auf der Infobörse © Serviceagentur Hessen

Ein anderes Beispiel: BENGI e.V. Der interkulturelle Frauenverein in Kassel unterstützt Frauen mit Migrationshintergrund bei praktischen Schritten im Alltagsleben. Dazu bietet der Verein Veranstaltungen und Seminare zum deutschen Schulsystem oder zu Beratungs- und Hilfsangeboten vor Ort, ebenso Besuche bei Ämtern und Behörden, gemeinsame Ausflüge und Veranstaltungen.

Das Kinderhilfswerk „Jumpers – Jugend mit Perspektive“ in Kaufungen führt Workshops in Ganztagsschulen durch, darunter auch in der Kasseler Carl-Anton-Henschel-Schule. Schülerinnen und Schüler sollen in ihren Sozialkompetenzen und in ihrer Teamfähigkeit gestärkt werden. Auch Grundschulkinder werden in enger Zusammenarbeit mit den Lehrerinnen und Lehrern im Unterricht, in Kleingruppen, in Deutsch-Intensivkursen und in Ganztagsangeboten unterstützt.

Themen von Workshops waren auch der „Umgang mit religiöser Vielfalt im Klassenzimmer“, vorgestellt vom Violence-prevention-network e.V., die „Bildungsarbeit gegen Rassismus und Diskriminierung“, zu der Justyna Staszczak von der Anne-Frank Bildungsstätte sprach, oder die „Herausforderung: Integration von Kindern aus bildungsfernen Familien Osteuropas“. Zum Thema „Mittagessen im Ganztag“ informierte Johanna Elisabeth Giesenkamp über das Projekt „Inklusion durch Schulverpflegung“, mit dem die Hochschule Osnabrück 2012 eine Materialkiste für Lehrkräfte erarbeitet hat.

Aus der Perspektive einer Ganztagsgrundschule, der Schule am Wall in Kassel, berichtete Bernadett Szarka. Die Ganztagskoordinatorin und Schulsozialarbeiterin hat an der Schule ein Elterncafé etabliert. In der Schule am Wall, die am Ganztagsprogramm „Pakt für den Nachmittag“ des Landes teilnimmt, lernen 320 Schülerinnen und Schülern, die meisten von ihnen haben einen Migrationshintergrund.

„Das Gespräch schweißt zusammen“

Mütter und Kinder backen in der Schule
© Britta Hüning

„Bei uns sind die Eltern morgens willkommen“, berichtete Bernadett Szarka, die bei allen Eltern als „Miss Betty“ bekannt ist und selbst als 18-Jährige aus Ungarn nach Deutschland kam. „Wir öffnen unsere Förderzeit von 8 bis 8.20 Uhr, in denen die Kinder Aufgaben erledigen. Ihre Eltern können sich dazusetzen und sie unterstützen oder einfach schauen, was sie machen. Pro Klasse nehmen das etwa fünf Eltern wahr.“ Das sei ein Berührungspunkt mit den Eltern. Ein weiterer ist das Elterncafé, das Bernadett Szarka in einem Workshop vorstellte.

Zweimal wöchentlich nehmen inzwischen bis zu 30 Mütter, auf deren Wunsch der zweite Termin in der Woche eingeführt worden ist, am Elterncafé teil. Alltagsthemen wie Arztwahl, Impfen oder Zahnspangen sind Anknüpfungspunkte. „Die Mütter können ihre Sorgen loswerden, und das offene Gespräch schweißt zusammen“, berichtet die Ganztagskoordinatorin. Dass sie selbst in Deutschland ankam, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, und damit eine ähnliche Erfahrung wie einige Mütter aufweist, macht Bernadett Szarka zu „einer von ihnen“. Ihr Wort hat Gewicht. Und sie „pflegt ein offenes Wort“ und bemüht sich um die Teilnahme so vieler Mütter wie möglich.

Ab und zu schauen auch Väter vorbei, wenn es Probleme mit Behörden gibt oder Anträge auszufüllen sind. Gemeinsame Ausflüge zum Tennis, in Cafés, zum Bowling oder ins Schwimmbad sowie ein großer Jahresausflug in einen Vergnügungspark finden viel Anklang. Bernadett Szarka vermittelt Mütter zu den Deutschkursen im Kulturzentrum Schlachthof, wo „schon einige erfolgreich Deutsch gelernt haben“. Dass „ihre Mamas“ sie gerade zum Weihnachtsessen eingeladen haben, rührt die Sozialarbeiterin, deren Arbeit sich auch an anderer Stelle bemerkbar macht. Zur letzten Sitzung des Schulelternbeirats kamen zwölf Eltern – „so viel wie noch nie.“

Globalisierte Schule ist Realität

Philipp Breiner hält einen Vortrag
Philipp Breiner: "Begabungsgerechte Anschlüsse für alle Schüler" © Redaktion

Philipp Breiner von der Stabsstelle „Schulische Integration von Flüchtlingen“ im Hessischen Kultusministerium hatte am Morgen die Teilnehmenden begrüßt und die Landesperspektive dargestellt. Er bezog sich in seinem Impulsreferat auf den jüngsten OECD-Bildungsbericht: In dem heißt es, dass „ein rascher Ausbau der Ganztagsschulen für mehr Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit sorgen kann“. Die Ganztagsschule ist für Breiner „ein Lebensraum, der Vielfalt und Heterogenität ermöglicht“, „gesellschaftlichen Zusammenhalt von heute und morgen“ befördert und Demokratiebildung stärkt.

Er betonte besonders die Herausforderung der Übergänge im Bildungssystem. „Wir müssen Anschlussmöglichkeiten je nach individueller Eignung ermöglichen, um allen Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft und gemäß ihren Begabungen die gleichen Bildungschancen zu eröffnen.“ Da die Sprache ein „Schlüssel zum Bildungserfolg“ sei, bietet das Land Hessen viele Unterstützungsmaßnahmen wie Vorlaufkurse und Intensivklassen an. Im Schuljahr 2017/2018 konnten rund 1.700 sogenannte Seiteneinsteiger einen Schulabschluss erreichen; 1.500 Jugendliche erwarben ein deutsches Sprachdiplom.

Den Hauptvortrag hielt Prof. i.R. Alfred Holzbrecher von der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Für ihn ist „die globalisierte Schule längst Realität“. Zu Beginn seines Vortrags „Interkulturelle Kompetenzen professionell entwickeln: Lehrerbildung über Grenzen“ fragte er: „Kann das nicht ein roter Faden in den Bildungsplänen sein? Können nicht didaktische und methodische Konzepte zum Umgang mit Vielfalt entwickelt werden?“

Denn Forschungsbefunde zeigten, dass immer noch viele Lehrkräfte in „Kategorien der Begabung“ denken, die „kulturelle Brille“ aufhaben und Bilder in ihrem Kopf nicht hinterfragen. Bei Übergangsempfehlungen sehen sie dann eher „die Unfähigkeit der Eltern, ihren Kindern beim Lernen helfen zu können“. Für den Professor für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik ist es ohne Ganztagsschule nicht möglich, dem Anspruch gerecht zu werden, die Begabungen der Schülerinnen und Schüler zu entdecken, sie angemessen „zu fördern und zu fordern“.

Blick ins Plenum des Fachtags
© Serviceagentur Hessen

Die Vielfalt der Bildungsangebote und die kommunale Vernetzung von Ganztagsschulen bieten aus seiner Sicht weitere Chancen für eine interkulturelle Schule. Bildung sei auch immer Beziehungsarbeit, wobei die richtige Balance aus Nähe und Distanz gefunden werden müsse. „Die Grenze zwischen Elternhaus und Schule darf nicht verwischt werden“, so Alfred Holzbrecher. „Die Schule ist ein Ort der Emanzipation der Lernenden.“

 

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Eine übersichtliche Kurzinformation über die aktuellen Artikel, Meldungen und Termine finden Sie zweimal monatlich in unserem Newsletter. Hier können Sie sich anmelden.

Die Übernahme von Artikeln und Interviews - auch auszugsweise und/oder bei Nennung der Quelle - ist nur nach Zustimmung der Online-Redaktion erlaubt. Wir bitten um folgende Zitierweise: Autor/in: Artikelüberschrift. Datum. In: https://www.ganztagsschulen.org/xxx. Datum des Zugriffs: 00.00.0000