Ganztagsgrundschule und Migrationshintergrund : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Die Beteiligung von Eltern in einer Schule gestaltet sich nicht immer so, wie von beiden Seiten erhofft. Die Fortbildung „Interkulturalität an Ganztagsgrundschulen“ in Bremen hat drei Bremer Schulen inspiriert, sich verstärkt mit diesem Thema zu beschäftigen.
Drei Bremer Ganztagsgrundschulen in verschiedenen Stadtteilen, mit anderen Voraussetzungen, unterschiedlicher Schülerschaft hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung und des Migrationshintergrundes, die aber ein Ziel eint: Sie wollen eine stärkere Elternbeteiligung und -einbeziehung von Eltern mit Migrationshintergrund in ihren Schulen erreichen.
„Und dazu kann meiner Ansicht nach nur eine intensive Zusammenarbeit zwischen Schulen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, helfen“, erklärt Schulleiter Carsten Dohrmann. Seine Grundschule an der Stichnathstraße im Stadtteil Kattenturm ist eine der drei Ganztagsgrundschulen, die im September 2013 mit der Fortbildung „Interkulturalität an Ganztagsgrundschulen“ starteten. Neben der gebundenen Ganztagsgrundschule beteiligten sich die offenen Ganztagsgrundschulen Schule Mahndorf und Schule Alt-Aumund an dem von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Bremen und dem Kompetenzzentrum Interkulturalität in der Schule (Kom.In) initiierten, organisierten und begleiteten Projekt - eine erstmalige Zusammenarbeit des Kompetenzzentrums für Interkulturalität und der Serviceagentur.
Am 22. Mai 2014 trafen sich die Protagonisten und andere interessierte Pädagogen und Eltern zur Transferveranstaltung im Landesinstitut für Schule. Die rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer informierten sich über die durch die Fortbildungen angestoßenen Veränderungen und tauschten sich in Workshops über weitere Möglichkeiten aus, die Zusammenarbeit mit Eltern zu intensivieren. Zudem erhielten die beteiligten Vertreterinnen und Vertreter der Grundschulen ihre Fortbildungsurkunden. Helmut Kehlenbeck vom Referat Interkulturelle Angelegenheiten und Migrantenförderung bei der Senatorin für Bildung und Wissenschaft konstatierte: „Der Prozess der Integration von Eltern mit Migrationshintergrund braucht Zeit. Die Schulen haben im vergangenen Jahr diese Zeit in der Fortbildung erhalten und sind von der Serviceagentur und Kom.In begleitet worden.“
Traditionelle Elternabende haben ausgedient
Die Grundschulen nahmen an mehreren Workshop-Tagen mit interkulturellen Trainerinnen und Trainern wie Latifa Kühn, Ercan Arslan und Martin Schmidt teil und besuchten im Herbst 2013 auf einer Hospitationsreise nach Hamburg die gebundene Ganztagsschule an der Burgweide im Stadtteil Wilhelmsburg, einen Stadtteil mit einem sehr hohen Anteil an Migrantinnen und Migranten. „An dieser Schule musste die Schulleitung neue Wege in der Kommunikation mit Eltern gehen. Ein Elternbrief mit Erläuterungen zur Umwandlung in eine Ganztagsschule wäre nicht verstanden worden. So hat die Schule eine CD mit den wichtigsten Informationen zum Ganztag in den verschiedenen Sprache besprechen lassen“, erinnerte sich Angelika Wunsch, Mitarbeiterin der Serviceagentur.
Ganz so war die Ausgangslage an der Grundschule an der Stichnathstraße nicht, obwohl die Herausforderungen auch hier immens sind. Die 250 Schülerinnen und Schüler sprechen über 20 verschiedene Muttersprachen. 60 Prozent der Kinder haben einen erhöhten Sprachförderbedarf. Die Elternschaft war insofern homogen, als es keinen einzigen Akademikerhaushalt gab und sich nur wenige Mütter und Väter engagierten. „
Wir hatten schon vor der Fortbildung begonnen, die Eltern direkt anzusprechen“, berichtete Schulleiter Dohrmann. „Wenn wir schriftlich kommunizieren, dann nur in einfacher Sprache. Außerdem organisieren wir Übersetzungen und ein Elterncafé. Auf einem Festival der Sprachen trugen die Schülerinnen und Schüler Gedichte in bis zu drei Sprachen vor, was die Eltern begeisterte.“ Die traditionellen Elternabende seien abgeschafft worden, zu Gunsten von Nachmittagen, an denen auch andere Verwandte und die Kinder teilnehmen können und nicht nur über Formales geredet werde.
Sensibilisierung für das Thema Interkulturalität
Durch die Fortbildungsmaßnahme hat sich laut Dohrmann inzwischen eine intensive Zusammenarbeit mit engagierten Eltern in einer festen Arbeitsgruppe ergeben. Die ganze Schule sei nun für das Thema sensibilisiert. Das Unterstützungsnetzwerk – für Carsten Dohrmann eine „weitere Gelingensbedingung“ – sei gewachsen. Zu ihm gehören heute Kitas, Volkshochschule, das Amt für Soziale Dienste, das Haus der Familie, die Bücherei und die in den Stadtteilen ausgebildeten ehrenamtlichen Sprachkulturlotsen.
Die Schulsozialarbeiterin Cordula Heilemann trifft sich einmal in der Woche mit einer Gruppe von Müttern mit Migrationshintergrund. Mit diesen unternimmt sie auch Ausflüge, darunter auch in den Landtag oder zur Gleichstellungsbeauftragten. „Neben dem Sammeln neuer Eindrücke und dem Verstehen von Organisationsabläufen tauschen sich die Frauen natürlich auch zur Erziehungsarbeit aus“, erklärte die Schulsozialarbeiterin.
Über mangelnde Elternarbeit per se konnte sich die Schule Alt-Aumund – im zweiten Jahr offene Ganztagsschule im Norden Bremens – nicht beklagen. „Wir mussten nur feststellen, dass es nur die deutschen Eltern waren, die sich bei Ausflügen, in der Bücherei, im Schulverein engagierten oder an Elternabenden teilnehmen“, berichtete Carmen Golpelwar vom Zentrum für unterstützende Pädagogik, die der Schulleitung zugehört. „Das wollten wir ändern, um einen gemeinsamen Lebensort für alle zu gestalten.“
Schulsozialarbeiterin Gaby Petzelt berichtete von den „tollen Ideen, die wir durch die Fortbildung gesammelt haben“: „So wollen wir die Eltern mit allen 15 Sprachen, die an unserer Schule gesprochen werden, auf einem Wandgemälde im Eingangsbereich willkommen heißen. Klassen- und Teamfotos sollen an den Klassentüren zur Orientierung angebracht werden. Wir möchten ein Elterncafé eröffnen und die Elternabende ebenfalls anders gestalten. Die Kompetenzen der Eltern wollen wir wertschätzen, indem wir sie gezielt in unsere Werkstätten einbeziehen.“
Die Sprachbarrieren baut die Schule Alt-Aumund durch eine Sprechstunde für türkische Eltern ab, welche der Konsulatslehrer zweimal in der Woche in der Schule abhält. Daneben finden Deutschkurse in der Schule statt. Laut Gaby Petzelt ist auch an dieser Schule das gesamte Kollegium durch die Fortbildung für das Thema Interkulturelle Elternarbeit sensibilisiert. Die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ganztagsschule sprechen die Eltern am Nachmittag gezielt an. Auch nach Ende der Fortbildung möchte die Schule Alt-Aumund im weiteren Kontakt mit den anderen beiden Ganztagsgrundschulen bleiben.
Herausforderungen steigen
Die Schule Mahndorf ist ebenfalls seit zwei Jahren offene Ganztagsgrundschule. „Und nachmittags ist unsere Schule ein ganz andere als vormittags“, erklärte Schulleiterin Christiane Lenhard. „Von 170 Schülerinnen und Schülern haben 63 einen Migrationshintergrund – am Nachmittag haben 70 Prozent der Kinder, welche die Angebote wahrnehmen, einen Migrationshintergrund. Das ist auch eine Herausforderung.“
Als sie vor fünf Jahren die Schule übernommen habe, glich diese laut Christiane Lenhard „einem kleinen Königreich“, dessen Wahlspruch „Das haben wir doch noch nie so gemacht“ gelautet habe. Inzwischen sei das Kollegium drastisch verjüngt, „und wir haben Schwung und Lust, die Schule weiterzuentwickeln“. Dies sei auch dringend notwendig, um die soziale Spaltung, die sich in Mahndorf krass abzeichne, nicht durch die eigene Arbeit ungewollt zu verstärken.
Die Begeisterung der Schulleiterin riss laut einer Kollegin andere mit. Alle Änderungen, die man erreichte, wurden sofort für alle sichtbar gemacht. Die Bücherei wurde mit mehrsprachigen Büchern ausgestattet, regelmäßige Leseprojekte durchgeführt, Hospitationsangebote für Eltern mit Migrationshintergrund unterbreitet. Es gab gemeinsame Projekte für Jung und Alt. Interkulturalität wurde als Schwerpunkt im Schulprogramm verankert. „Sehr zu empfehlen war eine Informationsveranstaltung zum Bremer Bildungssystem, die wir gehalten haben“, berichtete die Schulleiterin.
Für das kommende Schuljahr plant die Schule Mahndorf ein Bildungslotsenprojekt zusammen mit einer Partnerschule. Es soll ein Film über den Ortsteil und die Schule entstehen, Türkisch als Zusatzfach eingeführt werden, die Vielfalt der Schule visualisiert werden und ein 4. Internationales Leseprojekt stattfinden.
Laut Referent Kehlenbeck steht eine weitere sehr starke Veränderung an. „Wir registrieren immens steigende Zuwandererzahlen und auch Kinder ohne deutsche Sprachkenntnisse – innerhalb des letzten Jahres gab es eine Verdoppelung.“ Daher sind in Bremen all diese Aktivitäten, die Kinder und Jugendliche fördern und zugleich deren Eltern eng einbeziehen, der Ganztagsschulen zukunftsweisend.
Kategorien: Forschung - Ganztagsschulforschung: Interviews
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