Ganztag in Partnerschaft: „Ganzheitlich gute Zeit“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Der Verein „GiP – Ganztag in Partnerschaft“ im Rhein-Erft-Kreis ist Träger des Ganztags in Pulheim und Elsdorf. Geschäftsführerin Iris Flacke erläutert im Interview, wie ein qualitativ hochwertiger Ganztag aussieht.
Online-Redaktion: In Ihrem Vereinsnamen „GiP – Ganztag in Partnerschaft“ finden sich gleich zwei Worte, über die es sich zu sprechen lohnt. Warum „Partnerschaft“?
Iris Flacke: Unser Verein kooperiert seit dem Schuljahr 2006/2007 mit allen Pulheimer Ganztagsgrundschulen, einer Förderschule und weiterführenden Schulen mit unterschiedlichen Ganztagsmodellen. Als dann vor fünf Jahren drei Elsdorfer Schulen hinzukamen, war eine Umbenennung angebracht. „Ganztag in Pulheim“ traf es schließlich nicht mehr. Darum haben wir uns für „Ganztag in Partnerschaft“ entschieden. Der Name passt auch wunderbar zu unserer Haltung. Wir möchten nicht ein Anhängsel der Schulen sein, das sich am Nachmittag um die Kinder kümmert. Zu unserem Selbstverständnis gehört, dass wir mit den Schulen eng kooperieren und ein gemeinsames Bildungs- und Erziehungsverständnis entwickeln und anhand dieses Leitbildes im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen arbeiten.
Online-Redaktion: Wie ist GiP entstanden?
Flacke: Viele werden sich noch an die Zeit erinnern, als in NRW die Horte abgeschafft beziehungsweise in die Ganztagsschule integriert werden sollten. Es gab durchaus Widerstände, da die zahlreichen Elternvereine nicht nur aus Sicht der Eltern gute Arbeit leisteten. Vor allem wussten die Eltern ihre Kinder gut aufgehoben und betreut. Die Idee des Ganztags als gemeinsame Bildungseinrichtung griff ja Stück für Stück. Sie war die fast logische Folge des sogenannten PISA-Schocks. In diesen Zeiten des Wechsels beschlossen Protagonisten aus den Schulen und der Stadt Pulheim, dass sie etwas tun mussten. Sie wollten sozusagen den einen Verein/Träger für alle Grundschulen. Daraus erwachsen ist schließlich unser professionelles Team mit nunmehr 300 Mitarbeitenden.
Wenn man sich die Entwicklung vor Augen hält, kann man nur staunen. Damals in der Startphase gingen wir davon aus, dass maximal 25 Prozent aller Schülerinnen und Schüler für den Ganztag angemeldet werden würden. Diese Zahl hat sich in 17 Jahren mehr als verdoppelt. Wenn man die Fördermittel des Landes, die Gelder der Kommune und die von den Eltern zu zahlende Betreuungspauschale addiert, reden wir über einen aktuellen jährlichen Umsatz von mehr als sechs Millionen Euro, wovon eine Million auf Elsdorf entfällt. Man sieht, das hat nichts mehr mit den ehrenamtlich und voller Leidenschaft arbeitenden Elternvereinen gemein.
Online-Redaktion: Welche Idee vom Ganztag bringen Sie ein?
Flacke: Die Schule – und damit meine ich sowohl den Unterricht als auch alles Außerunterrichtliche – ist zum Lebensmittelpunkt der jungen Menschen geworden. Hier verbringen sie, zieht man einmal die Zeit des Schlafens ab, mindestens so viel Zeit wie mit der Familie und den Freunden außerhalb der Schule. Darum hat sich die Rolle von Schule völlig verändert. Wir möchten dieses große Zeitfenster so mitgestalten, dass die Schülerinnen und Schüler gerne kommen – an einen Ort, an dem sich formale, nonformale und informelle Bildung mischen.
Wir betrachten uns nicht als Dienstleister, auch wenn wir die gesamte Organisation von der Anmeldung zum Ganztag über die Abwicklung des Essensgeldes bis zum Engagieren von externen Kooperationspartnern übernehmen. Einer unserer externen Partner ist übrigens der Kölner Spielecircus. Der Spielecircus entwickelt mit den Kindern in den letzten drei Wochen der Sommerferien in Pulheim wunderbare Programme, bis hin zu einer Aufführung zum Abschluss. Der Ganztag ist eine partnerschaftliche Aufgabe, dessen inhaltliche Ausgestaltung abgestimmt werden sollte.
Online-Redaktion: Wie reagieren die Schulen, wenn Sie vor der Tür stehen und solche inhaltlichen Ansprüche vortragen?
Flacke: Ich glaube, die meisten, die mit uns arbeiten, wissen, worauf sie sich einlassen. Es ist durchaus nicht selbstverständlich, dass alle gleich bereit sind, auf Augenhöhe zu agieren. Dann muss man darum ringen. Zumeist geschieht das mit Erfolg. Aber wir sehen auch eine sehr hohe Fluktuation bei den Handelnden. Nachrückende, auch Jüngere, möchten wenn die „Alten“ weg sind, ihre eigenen Pflöcke einschlagen. Darüber hinaus haben wir gemerkt, wie wichtig es ist, aktuelle Strömungen im Blick zu behalten.
Ein Beispiel ist das Konzept „Klasse gleich Gruppe“. Dieses Konzept führt automatisch zu einer Diskussion über die Nutzung von Räumen. Auch da setzen wir uns für unsere Ideen ein. Wir haben beispielsweise erlebt, dass bei der Planung eines Schulneubaus die Ansicht auftauchte, für den Unterricht könne weiter das alte Schulgebäude genutzt werden, den Ganztag „packe“ man in den etwas abgelegen liegenden Neubau. Das halten wir für falsch. Nicht nur für die praktische Kooperation, sondern auch, weil wieder die Haltung dahintersteckt „Hier wir, dort ihr“.
Online-Redaktion: Beanspruchen Sie eine Teilnahme an der Lehrerkonferenz?
Flacke: Wir können das nicht beanspruchen, da es dafür keine rechtliche Grundlage gibt. Aber wir äußern den Wunsch und viele Schulen geben uns auch ein Stimmrecht. Sie wissen, wie wichtig die intensive Kommunikation und enge Kooperation sind. Nehmen wir einmal folgende Beispiele. Es muss ein gemeinsames Verständnis von informeller Bildung herrschen. Im freien Spiel lernen Kinder so viel, etwa sich durchzusetzen, sich aber auch zurückzunehmen. Sie erleben Selbstwirksamkeit, das heißt, sie gewinnen die Überzeugung, dass sie schwierige Situationen meistern können. Das alles hat Einfluss auf das Klassenklima und die Lernatmosphäre.
Oder nehmen wir die Lernzeiten. Dienen sie allein der Erledigung von Hausaufgaben? Wie frei kann ich sie gestalten? Sind Lehrkräfte anwesend? Betrachten wir sie als Zeit für das Trainieren von Lernstrategien? Schaue ich eher auf die Defizite oder stärke ich Stärken und unterstütze die Kinder, sich selbst einschätzen zu lernen? Das sind alles Fragen, die geklärt werden müssen und über die es im besten Falle keine unterschiedlichen Auffassungen gibt.
Online-Redaktion: Welchen Kontakt pflegen Sie zu den Eltern?
Flacke: Die Kontakte zu den Eltern sind extrem wichtig, schließlich gehen wir mit ihnen im besten Fall eine echte Erziehungspartnerschaft ein. Eltern sollen erfahren, dass sie uns jederzeit willkommen sind. Wir respektieren sie als die Erziehungsexperten ihrer Kinder. Wir suchen den Kontakt nicht nur, wenn etwas schiefgelaufen ist. Natürlich stimmen wir uns mit den Lehrkräften ab. Und immer wieder fragen wir uns, wie wir möglichst viele Eltern erreichen können.
Da müssen wir ständig dranbleiben, Anlässe schaffen, seien es Feste oder Begegnungen am Rande des Schulalltags. Wir möchten, dass sich die Eltern einbringen, gerne auch als Mitglied in unserem Verein oder als diejenigen, die dank ihrer Expertise eine Arbeitsgemeinschaft anbieten. Wie wichtig der Kontakt ist, haben wir gespürt, als er wegen Corona nicht möglich war. Gespräche in Präsenz, von Angesicht zu Angesicht, sind eben doch wertvoller als der Austausch am Telefon oder auch einer Video-Schalte.
Online-Redaktion: Mit welchen Gedanken und Gefühlen schauen Sie auf den kommenden Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder?
Flacke: Der uns allen bekannte Fachkräftemangel stellt uns alle vor außergewöhnliche Herausforderungen, insbesondere, wenn es darum geht, einen qualitativ hochwertigen Ganztag zu sichern. Das erfordert eine dauerhaft stabile Finanzierung. Darüber hinaus werden wir uns alle, die wir ja nun einmal in einem Boot sitzen, Gedanken über eine veränderte Nutzung von Räumen und Flächen machen müssen. Ich bin ein grundsätzlich optimistischer Mensch. Dennoch warne ich davor zu glauben, es werde schon irgendwie funktionieren, weil es ja bisher auch immer noch geklappt hat.
Als ehemalige Bundesliga-Spielerin vergleiche ich das gerne mit der Entwicklung des Frauen-Fußballs. Wir waren früher schon stark, dann aber wurde sich zu sehr auf den Lorbeeren ausgeruht. Die Folge war ein Abwärtstrend, wir drohten den Anschluss an die internationale Spitze zu verlieren. Ich glaube, das wurde gerade noch rechtzeitig erkannt. Diesen Fehler sollten wir beim Ganztag nicht begehen. Wenn uns das gelingt, freue ich mich auf eine ganzheitlich gute Zeit für unsere Kinder, jeden Tag von 8 bis 16 Uhr.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
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