Elternhaltestellen vor Ganztagsgrundschulen : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Die Schulwegsicherung beschäftigt alle Kommunen. Mülheim an der Ruhr richtet Elternhaltestellen vor Ganztagsgrundschulen ein, mit dem Schild „Ab hier zu Fuß!“. Sonja Knopke, Leiterin der Straßenverkehrsbehörde, im Interview.
Online-Redaktion: Wie ist die Idee entstanden, an den Grundschulen in Mülheim, bei denen es sich um Offene Ganztagsschulen handelt, Elternhaltestellen einzurichten?
Sonja Knopke: Wie in anderen Städten mussten auch wir beobachten, dass es unmittelbar vor den Schulen immer wieder zu Konfliktsituationen kam. Und zwar mit zunehmender Tendenz. Hier die Kinder, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen, dort Kinder, die mit dem Auto gebracht werden. Autos halten am Gehweg, Türen werden geöffnet, möglicherweise genau in dem Moment, in dem ein Kind mit dem Rad vorbeifährt. Andere Autos müssen den Haltenden ausweichen, es kommt zum Engpass mit Entgegenkommenden.
Kurz: Die Situation bietet ein erhebliches Konflikt- und Unfallpotenzial. Da wollte es der Zufall, dass ich an einem Seminar zu Tempo-30-Zonen teilnehmen konnte und dabei war die Schulwegsicherung ein Randthema. Aber eines, das mich fesselte. Als ich dann die Position als Leiterin der Straßenverkehrsbehörde der Stadt Mülheim übernahm, entschied ich mich, das Thema und die Problematik anzupacken.
Online-Redaktion: Wie sind Sie vorgegangen?
Knopke: Das war ausgesprochen unkompliziert. Ich habe die Idee mit meiner Amtsleitung abgestimmt. Mehr war nicht erforderlich. Anschließend haben wir im vergangenen Jahr unsere 22 Grundschulen angesprochen und gefragt, ob sie eine solche Elternhaltestelle befürworten und benötigen. 19 Grundschulen haben schon reagiert, nur eine sieht keinen Bedarf. 18 Grundschulen haben den Wunsch geäußert, eine solche Haltestelle zu erhalten.
Wir werden nun die Elternhaltestellen Stück für Stück einrichten. Der finanzielle Aufwand hält sich in Grenzen. Natürlich muss man unsere Arbeitszeit einrechnen und auch die des Bauhofs, der die Schilder fürs dieses spezielle eingeschränkte Halteverbot produziert. Auf ihnen steht unter anderem „Hol- und Bringzone Grundschule“ und der Hinweis: „Ab hier zu Fuß“.
Online-Redaktion: Nach welchen Kriterien wählen Sie den Standort der Haltestellen aus?
Knopke: Wir sind dabei auf die Unterstützung der Schulen angewiesen. Wir bitten diese, anhand eines Auszugs des Stadtplans, wo die Einrichtung liegt, Lauf- und Fahrrouten einzutragen. Dazu müssen wir wissen, wie oft die Wege von wem genutzt werden. Die Schulen verteilen die Stadtpläne an die Eltern. Diese tragen dann einmalig die üblichen Lauf- beziehungsweise Fahrrouten ein. Die so entstandenen Kartenzeichnungen legen wir übereinander und schauen, wo sich Wege kreuzen, wo die Knackpunkte liegen. Das ist am Ende wichtig für die Wahl des Standortes der Elternhaltestellen. Sie sollen im Idealfall minimal rund 300 Meter von der Schule entfernt liegen und es nicht erforderlich machen, neue Wege zu „erfinden“. Die Bildung der Schnittmengen ermöglicht es uns auch, gute und sichere Fußwege von der Haltestelle zur Schule zu planen. Und wir suchen natürlich Orte, wo es beim An- und Abfahren nicht zu gefährlichen Wendemanövern kommt. Alle Elternhaltestellen sind im zu finden.
Online-Redaktion: Wer wurde in die Planung eingebunden?
Knopke: Die Schulen habe ich erwähnt. Aber wir haben auch zu Ortsterminen eingeladen. Da kamen dann die Schulleitung, zumeist jemand aus der Elternpflegschaft und manchmal die Polizei. Die Beteiligung der Betroffenen erhöht die Akzeptanz ungemein.
Online-Redaktion: Man kann sich vorstellen, dass es nicht nur Begeisterung gab. Beispielsweise bei den Anwohnerinnen und Anwohnern, denen plötzlich zeitweise Stellflächen für ihre Fahrzeuge fehlen.
Knopke: Das war in der Tat eine der Herausforderungen. Es gab zum Teil erheblichen Widerstand. Wir hörten Argumente wie: „Jetzt bauen die denen auch noch Parkplätze. Dabei weiß man doch, dass es den Kindern guttut, wenn sie zu Fuß gehen und dass sich das positiv aufs Lernen auswirkt.“ Dem können wir nur entgegenhalten: Dadurch, dass die Halteplätze nicht unmittelbar vor den Schulen liegen, fördern wir auch die Selbstständigkeit der Kinder.
Und zum Wegfall der Parkplätze: Die Eltern sollen nicht parken, sondern nur halten, absetzen, wegfahren. Da wir festgestellt haben, dass sich die Verkehrssituation vor der Schulen zumeist morgens zuspitzt, wenn die Eltern ihr Kind auf dem eigenen Weg zur Arbeit nur schnell aussteigen lassen, gelten die Elternhaltestellen nur zu den Stoßzeiten von 7.45 bis 8.45 Uhr sowie 13 und 15 Uhr. Übrigens: Während der genannten Zeiten dürfen auch „Nicht-Eltern“ dort halten, nur nicht parken.
Online-Redaktion: Haben Sie Verständnis für Anwohnerinnen und Anwohner, die um ihren Parkplatz vor der Haustür kämpfen?
Knopke: Natürlich. Es kann schon nerven, wenn ich morgens mein Auto wegfahren muss. Doch im Interesse der Verkehrssicherheit, gerade für die Jüngsten, halten wir das für zumutbar. Manchmal wurden argumentiert, dass sich bislang doch gar keine schlimmen Unfälle ereignet hätten, die Elternhaltestellen also überflüssig wären. Darauf konnten wir immer nur erwidern: „Muss erst etwas passieren? Unsere Aufgabe ist es doch gerade auch, präventiv zu arbeiten.“
Online-Redaktion: Was tun die Schulen für die Akzeptanz ihrer Elternhaltestellen?
Knopke: Den Schulen ist bewusst, dass sie sich des Themas jedes Jahr aufs Neue annehmen müssen. Sie müssen für die Haltestellen werben, bei Kindern und Eltern. Im optimalen Fall erfahren es die Eltern potenzieller neuer Schülerinnen und Schüler so frühzeitig, dass sie den Schulweg mit ihren Kindern einstudieren und auf mögliche Gefahrenpunkte hinweisen können. Ich kenne Schulen, die planen, auf die Gehwege Füßchen zu malen, um den Jüngsten den Weg zu erleichtern. Ältere Schülerinnen und Schüler weisen als „Laufpatinnen und Laufpaten“ den Jüngeren den Weg. Für die Akzeptanz in der Öffentlichkeit werben manche Grundschulen mit Hilfe von Flyern, die die Schülerinnen und Schüler gestaltet haben.
Online-Redaktion: Wären die Elternhaltestellen nicht auch wunderbarer Stoff für Arbeitsgemeinschaften im Ganztag?
Knopke: Auf jeden Fall. Ich kann mir da ganz viel vorstellen. Die AG, die entsprechende Hinweisschilder für die eigene Schule gestaltet, oder die AG, die die Mitschülerinnen und -schüler, vielleicht auch deren Eltern nach ihren Erfahrungen befragt. Und uns die Ergebnisse am besten noch verrät, dann können wir gegebenenfalls Dinge, wenn nötig verändern oder anpassen.
Denkbar auch: Im Unterricht wird festgehalten, wie viele Meter die Kinder, sagen wir pro Monat, gelaufen sind. Das Kind, das am meisten zu Fuß gelaufen ist, erhält einen kleinen Preis. Durch solche Aktionen rücken die Elternhaltestellen ins Bewusstsein und werden in den Alltag integriert. Nur von einem sollten wir nicht träumen: Nämlich, dass keiner mehr sein Kind direkt vor der Schule absetzt – und sei es nur, weil die Familie einmal, wie das jeder von uns kennt, „auf letzter Rille“ fertig geworden ist.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Kooperationen - Eltern und Familien
Die Übernahme von Artikeln und Interviews - auch auszugsweise und/oder bei Nennung der Quelle - ist nur nach Zustimmung der Online-Redaktion erlaubt. Wir bitten um folgende Zitierweise: Autor/in: Artikelüberschrift. Datum. In: https://www.ganztagsschulen.org/xxx. Datum des Zugriffs: 00.00.0000