Bundeselternrat: „Natürlich sind Ganztagsschulen ein Thema“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Stephan Wassmuth ist seit 2016 Vorsitzender des Bundeselternrats. Alle wichtigen Fragen des Bildungswesens beschäftigen die Dachorganisation der bundesweiten Elternvertretungen. Dazu gehören auch „gute Ganztagsschulen“.
Online-Redaktion: Herr Wassmuth, Sie haben fünf Kinder, die verschiedenste Schulformen durchlaufen haben. Sie müssen sich mit dem Schulsystem bestens auskennen...
Stephan Wassmuth: (lacht) Ich habe gestern mal gerechnet und mit Schrecken festgestellt, dass ich jetzt 22 Jahre mit dem Schulleben meiner Kinder zugange bin. Unser Großer wird jetzt schon 28 Jahre alt. Ich habe mir daher sicherlich eine Meinung über die Schulen bilden können. Aber jede Schule ist anders, was ich auch gut finde, denn jedes Kind ist anders. Und jede Schülerin, jeder Schüler und jedes Elternteil müssen sich eigene Gedanken machen, welchen Weg sie gehen wollen. Wir haben ein offenes Schulsystem, das es ermöglicht, seinen eigenen Bedürfnissen entsprechend den richtigen Lernweg zu finden.
Was wir Eltern dabei lernen müssen und was oft unterschätzt wird und wir wieder stärker selbstkritisch ins Bewusstsein rufen müssen: Wir Eltern haben einen gemeinsamen Bildungs- und Erziehungsauftrag mit den Schulen. Wir können nicht immer alles auf die Schulen schieben. Jetzt im September wird die Kultusministerkonferenz einen Text veröffentlichen, in dem das ganz klar drinsteht.
Online-Redaktion: Sie vertreten als Vorsitzender des Bundeselternrats die Eltern von acht Millionen Schulkindern und -jugendlichen. Welche Themen diskutiert der Bundeselternrat aktuell?
Wassmuth: Ein Thema, da müssen wir uns nichts vormachen, ist der Lehrermangel, der uns ja nicht erst seit gestern beschäftigt und weiter beschäftigen wird. Ein weiteres Thema ist die Schwierigkeit, Schulleitungspositionen zu besetzen. Wir meinen, dass Lehrkräfte aus- und fortgebildet werden müssen, um auf die Aufgaben der Schulleitung gut vorbereitet zu werden, denn der Job ist extrem wichtig für das gesamte Bild einer Schule. Es steht und fällt viel mit der Schulleitung, wie eine Schule funktioniert oder eben nicht funktioniert. Eine engagierte Schulleitung kann ganz viel bewegen, zum Beispiel die Kooperation von Lehrkräften antreiben.
Chancengleichheit und Inklusion beschäftigen uns ebenfalls. Und natürlich sind Ganztagsschulen ein Thema. 2016 ist das unser Jahresthema gewesen, und jetzt ist es wieder spannend aufgrund der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag. In dem Zusammenhang ist die Kooperation von Bund und Ländern ein Thema, was ja auch durch den Koalitionsvertrag angestoßen wird. Wir hoffen, dass alles ein bisschen leichter werden wird, wenn sich der Bund in der Bildung mit einschalten kann.
Online-Redaktion: Der Bundeselternrat fordert „qualitativ gute“ Ganztagsschulen. Wie definieren Sie Qualität?
Wassmuth: Meine Frau und ich waren uns damals einig, dass sie zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert. Wir sind nicht auf die Idee gekommen, sie auf eine Ganztagsschule zu schicken. Mittlerweile, mit den Erkenntnissen von heute, sind wir schlauer und muss ich sagen, dass eine gebundene Ganztagsschule große Chancen für die Bildung der Schülerinnen und Schüler bietet. Es geht nicht nur um eine Aufbewahrung und Betreuung aus dem Motiv heraus, dass Alleinerziehende oder Paare einem Beruf nachgehen müssen. Klar ist das notwendig, aber viele Eltern wollen vor allem eine gute Bildung für ihre Kinder, sie möchten individuelle Förderung und dass auf die Interessen der Schülerinnen und Schüler eingegangen wird.
Umfragen zeigen, dass Ganztagsschulen von Eltern grundsätzlich positiv beurteilt werden. Wenn wir es schaffen, an Ganztagsschulen qualitativ hochwertigen Unterricht und Angebote anzubieten, haben wir eine gute Chance, dass die Eltern diese annehmen. Die große Frage ist dann allerdings: Wo bekommen wir dafür so viel Personal her? Und wenn der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter umgesetzt wird, wie von der Koalition vorgesehen, dann müssen wir dringend schon jetzt was mit den Studienplätzen machen.
Online-Redaktion: Manche Eltern wollen lieber eine flexibel buchbare Ganztagsschule. Sie definieren Qualität als hochwertige und verlässliche Angebote an gebundenen Ganztagsschulen. Wie bringt man die beiden Positionen zueinander?
Wassmuth: Wir leben in einem hektischen Zeitalter, und jeder schaut, wie er wo gerade etwas unter einen Hut bringen kann. Es gibt also in der Tat Forderungen, eine ganz flexible Betreuung für gerade die jüngeren Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten. Aber wir sagen ja gerade: Betreuung alleine kann eine Ganztagsschule nicht sein. Die weit verbreitete Nachhilfe ist doch ein Signal dafür, dass viele Schülerinnen und Schüler in der Schnelle der Zeit nicht alles während des Unterrichts verstehen. Und dann müssen die Eltern zu Hause mit ihren Kindern lernen oder mit ihnen die Hausaufgaben erledigen – bei einer auch hier knapp bemessenen Zeit.
Wenn wir diese Problematik aus den Familien herausbekommen würden und mehr Zeit für gemeinsame andere Aktivitäten in den Familien da wäre, wenn die Eltern merken, dass in einer Ganztagsschule mehr passiert, als dass nur aufgepasst wird, dass dort mehr Zeit zum Lernen, Üben und Vertiefen ist – dann werden wirklich alle Eltern hinter der Ganztagsschule stehen. Dann wird es einen breiten Rückhalt für die Ganztagsschule geben, die dann flächendeckend kommen kann.
Online-Redaktion: Ein Thema des Bundeselternrats ist auch die Demokratiebildung. Wie stellen Sie sich deren Verankerung in den Schulen vor?
Wassmuth: Es werden inzwischen auf der Straße und im Internet Parolen rausgehauen, die gesellschaftsfähig geworden sind – da haben wir wirklich Bauchschmerzen und sagen: Es muss was passieren. Wir sind der Auffassung, dass Demokratiebildung schon im frühkindlichen Bereich losgehen muss. Erzieherinnen und Erzieher müssen entsprechend geschult sein und die Zeit dafür haben. Aber auch in den Familien muss Demokratiebildung stärker Einzug halten. In den Schulen sollte der Nationale Aktionsplan für die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung konsequenter umgesetzt werden. Auch in naturwissenschaftlichen Fächern kann zum Beispiel eine Wertevermittlung erfolgen. Das Bundesforum Familie beschäftigt sich übrigens aktuell ebenfalls mit dem Thema Familie, Partizipation und Demokratie.
Online-Redaktion: Sie engagieren sich seit den Kindergartenzeiten ihrer Kinder in Kassel für die Elternmitwirkung. Wie erleben Sie die Arbeit als Bundeselternratsvorsitzender?
Wassmuth: Das ist doch noch mal ein anderes Brett. Nicht nur, dass das Telefon öfter klingelt, sondern man steht ganz anders im Blickpunkt. Man muss wirklich aufpassen, was man genau in der Öffentlichkeit sagt. Ein Beispiel ist meine Äußerung zum Thema Schulschwänzer und dem Polizeieinsatz gewesen. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat das Interview ausführlich veröffentlicht, aber die dpa hat das Ganze ziemlich verkürzt in eine Schlagzeile gebracht. Und da kommen dann auch mal böse E-Mails, die persönlich werden. Das darf man dann nicht zu dicht an sich ranlassen, sondern muss an die denken, um die es eigentlich geht: Eltern und ihre Kinder. Umgekehrt komme ich als Bundeselternratsvorsitzender mit den Anliegen der Eltern nun deutlich schneller als früher an manche Institution ran, wenn ich anrufe.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
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