Bundeselternrat: Eltern aktiv in den Ganztag einbinden : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
In guten Ganztagsschulen wirken die Eltern aktiv mit. Christiane Gotte, seit 2021 Vorsitzende des Bundeselternrats, wünscht sich ein „perfektes Gesamtangebot“ mit Einbindung der Eltern und unterschiedlicher Professionen.
Online-Redaktion: Sie sind 2021 zur neuen Vorsitzenden des Bundeselternrates gewählt worden. Welchen zentralen Aufgaben widmet sich der Bundeselternrat?
Christiane Gotte: Uns gibt es jetzt seit mehr als 70 Jahren. Wir sind die Dachorganisation, welche die Elternvertretungen der einzelnen Bundesländer repräsentiert, mithin das „spiegelbildliche“ Gremium zur Kultusministerkonferenz sowie zur Bundesschülerkonferenz.
Wir bündeln Ziele der Bildung aus Perspektive der Eltern, ihre gesetzlichen Mitwirkungsrechte, und entwickeln Resolutionen und Positionspapiere. Damit haben wir uns in den Jahrzehnten unseres Bestehens als wichtiger Gesprächspartner der Politik etabliert. Der Bundeselternrat vertritt, was Deutschlands Eltern beschäftigt. Dazu gehört auch, wie sich Eltern eine gute Schule für unsere Kinder und Jugendlichen vorstellen.
Online-Redaktion: Nimmt die Politik die Wünsche der Eltern immer hinreichend ernst?
Gotte: Nicht immer und überall. Bildung ist Ländersache, aber eben auch zunehmend in der Bundespolitik ein Thema. Mitunter wird vergessen, dass Eltern die besten und wertvollsten Multiplikatoren sind. Über die ehrenamtlich tätigen Elterngremien können wir jedes Klassenzimmer und damit auch die Eltern erreichen. Das ist eine Chance für die Politik, besonders auch in den Kommunen. Wenn ich als Mutter oder Vater die Hintergründe einer bildungspolitischen Entscheidung oder Entwicklung kenne und verstehe, fällt es mir deutlich leichter, sie mitzutragen und zu vertreten.
Online-Redaktion: Jüngst war wieder in den Medien zu lesen, dass Klagen von Eltern gegen Noten oder gegen die Grundschulempfehlung für ihr Kind so zahlreich wie noch nie sind.
Gotte: Nach unserer Auffassung hat dies zwei Ursachen. Zum einen wird zu wenig erklärt. Dort wo politische und Schulentscheidungen, ja und auch Notengebung transparent und nachvollziehbar sind, wird nicht geklagt, sondern kommuniziert. Den zweiten Grund sehen wir in der Pandemie. Zum Teil hat das Vertrauen der Eltern in die Schulen gelitten. Eltern haben teilweise erlebt, dass Lehrkräfte Schwierigkeiten mit dem digitalen Unterrichten haben. Entsprechend schreiben sie es nun manchmal den Schulen zu, wenn ihr Kind nicht die Empfehlung fürs Gymnasium erhält. Die Gerichte geben ihnen dann nach der Devise „Gebt dem Kind eine Chance“ teilweise Recht. Mit der Folge, dass manche Schulen plötzlich im Herbst vor der organisatorischen Aufgabe stehen, mehr Kinder aufzunehmen als sie eigentlich können. Grundsätzlich empfehlen wir als Bundeselternrat den Eltern, mehr das Gespräch zu suchen als den Klageweg.
Online-Redaktion: Wie stellen Sie sich eine optimale Zusammenarbeit zwischen Schulen und Eltern vor?
Gotte: Ganz klar: Alle sollten sich möglichst kontinuierlich und bei allen Themen an einem Tisch setzen und kommunizieren. Nur wenn Eltern, vor allem aber auch Schülerinnen und Schüler, in die Prozesse einbezogen sind, werden sie die Entscheidungen nachvollziehen können und mittragen. Dann wird eine Identifikation mit der Schule gelingen. Das aber ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Schule ein guter Bildungs- und Lebensort sein kann. Es muss erklärbar sein, warum etwas so oder anders gemacht wird.
Ich bin mir bewusst, dass es nicht immer leichtfällt, so offen und gesprächsbereit zu sein. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass es einzelne Eltern gibt, die ausschließlich das eigene Kind im Blick haben oder die Ursache für jedes Problem bei der Schule und den Lehrkräften sehen. Aber vergessen wir nicht, wir geben das Beste – unsere Kinder – in die Obhut der Schule! Statt Vorbehalten sollten deshalb Schulen die Elternvertretungen einbinden, auch bei Einzelgesprächen. Als Bundeselternrat versucht wir, solchen Konflikten entgegenzuwirken, beispielsweise durch regelmäßige Elternfort - und Weiterbildungen.
Online-Redaktion: Welche Themen brennen den Eltern aktuell besonders unter den Nägeln?
Gotte: Die Personalressourcen in den Schulen sind der entscheidende Knackpunkt. Schon jetzt fehlen Lehrkräfte, aber eben auch qualifiziertes Personal für den Ganztag. Da wurde sicher in den 1990er Jahren ein Fehler begangen. Viele, die ins Lehramt wollten, konnten es nicht, als es einen Lehrkräfteüberhang gab. Man hätte sie, beispielsweise durch die Reduzierung der Klassengrößen, im System halten sollen. So aber gingen viele kluge und geeignete Köpfe verloren. Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen, und es muss alternative Lösungen geben.
Eine Möglichkeit sind Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger. Sie werden nach unserer Einschätzung künftig eine zunehmende Rolle an Schulen spielen. Selbstverständlich müssen sie methodisch und didaktisch auf ihre Aufgabe gut vorbereitet sein, die Unterrichtsqualität darf nicht leiden. Als Bundeselternrat wollen wir dazu beitragen, auf allen Seiten das Misstrauen gegenüber den aus anderen Professionen stammenden Lehrerinnen und Lehrern abzubauen. Sicher ist jetzt schon: Die Zahl der weniger Fähigen wird unter den Quereinsteigerinnen und -einsteigern nicht größer sein als unter den regulär Ausgebildeten.
Online-Redaktion: Wie Sie sagen, fehlt auch im Ganztag schon Personal. Wie kann diese Lücke gefüllt werden?
Gotte: Noch stärker als bisher sollten Externe bei der Gestaltung des Ganztags eingebunden werden. Das sollte unseres Erachtens über die Schulgesetze verpflichtend werden. Sie können eine extrem wertvolle Entlastung im Ganztag, aber sogar im Unterricht darstellen. Warum sollen sie beispielsweise nicht ihre eigenen Berufe vorstellen und damit einen Beitrag zur Berufsorientierung leisten. In die gleiche Rolle können auch Eltern, natürlich auch Großeltern schlüpfen. Das trägt gleichzeitig zur Bindung zwischen Schule und Familien bei, die beide einen Bildungs- und Erziehungsauftrag haben und diesen auch gemeinsam wahrnehmen können.
Online-Redaktion: Welche Wünsche und Anregungen der Eltern hören Ihre Arbeitsgruppen zum Ganztag?
Gotte: Sie hören und erleben da höchst unterschiedliches, teilweise auch abhängig vom Bundesland oder von der Schulart. Immer wieder beschäftigt manche Elternvertretungen beispielsweise, bis zu welchem Alter Ganztagsangebote unterbreitet werden sollten. Viele Eltern nennen die achte Jahrgangsstufe als Obergrenze, weil sich aus ihrer Sicht danach Jugendliche eher selbst organisieren könnten, mit Ausnahmeregelungen für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Das widerspricht natürlich wiederum der Idee der Ganztagsschule, die gerade Jugendliche aller sozialen Milieus auch am Nachmittag zusammenbringen soll, um Bildungschancen zu verbessern.
Online-Redaktion: Wie sieht für Sie ein optimales Ganztagsangebot aus?
Gotte: Folgende Punkte müssten nach meiner Ansicht am Lebensort Schule erfüllt sein: Es gibt einen engen Austausch zwischen allen Arten Pädagogen an Schule und den multiprofessionellen Teams, zu welchen auch Therapeuten zählen. Idealerweise gibt es eine Übergabe, zum Beispiel durch eine gemeinsame letzte Stunde, in welcher die Klasse in den Nachmittag übergeben wird. Es gibt eine Ferienbetreuung, durchgehend, ohne Schließzeiten. Mindestens ein bis zwei verpflichtende Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag widmen sich der Sozialkompetenz, dem Handwerken, beispielsweise dem Kochen oder dem Schulgarten. Für diesen Bereich sind Bildungspartner an Schule, an die Unterrichtseinheiten übergeben werden können, von zentraler Bedeutung. Landessportbünde und Vereine gehen mit ihren Übungsleitern in die Schulen. Außerdem wird ein tragfähiges Verpflegungskonzept mit Infrastruktur, Personal und leistbaren Preisen benötigt.
Wichtig ist auch der Aspekt der Lernumgebung: Wir brauchen Klassenräume mit einem angenehmen Umfeld, gut ausgestattete Schulgebäude und vor allem Außenanlagen mit viel Grün. Spiel- und Relax-Zonen sind wichtig. Es bedarf auch wieder mehr und längerer Klassenfahrten in jeder Klassenstufe. Lehrkräfte und andere pädagogische Fachkräfte sollten hier die Kosten erstattet bekommen. Und natürlich sollte möglichst die Klassengröße auf 25 Schülerinnen und Schüler begrenzt werden, um den Geräuschpegel beim Lernen und Arbeiten niedrig zu halten. Arbeitsplätze für Lehrkräfte müssen mitgedacht werden. Ein funktionierender Ganztag bedeutet eine 40 Stundenwoche für Lehrkräfte in der Schule. Diese haben die gesamte Infrastruktur an Schule und arbeiten im Team. Individuelle Fördermöglichkeiten werden in die Unterrichtszeit implementiert, das gilt für defizitäre und Begabtenförderung, um Inklusion für alle zu leben.
Online-Redaktion: Welche Rolle spielt dabei die Kinder- und Jugendhilfe?
Gotte: Die Kinder- und Jugendhilfe kann die Situation verbessern. Sie kann in den multiprofessionellen Teams der Schulen agieren, zum Beispiel mit Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen. Sie kann aber auch Unterstützungsangebote koordinieren. In der Ganztagsschule kann die Kinder- und Jugendhilfe ihre Zielgruppen sozusagen an der Basis erreichen. Wenn dann noch, wie in einigen Berliner Pilotschulen, Logo- und Ergotherapeuten hinzukommen, ist es ein perfektes Gesamtpaket.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Ganztag vor Ort - Partizipation
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