Bundeselternrat: „Dialog aller Beteiligten voranbringen“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Über die Aufgaben und Herausforderungen der kommenden Jahre äußert sich Michael Töpler, der neue Vorsitzende des Bundeselternrates (BER), im Gespräch mit www.ganztagsschulen.org.
Online-Redaktion: Herr Töpler, Sie sind seit Herbst 2014 Vorsitzender des Bundeselternrates. Was hat Sie bewogen, für den Vorsitz zu kandidieren?
Michael Töpler: Ich habe den Bundeselternrat 2011 kennengelernt und mich dort gleich wohlgefühlt. Die Tagungen waren und sind eine große Bereicherung, es macht viel Freude, mit engagierten Menschen zusammenzuarbeiten. Im November 2013 wurde ich zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt und habe in dieser Rolle noch viele weitere spannende Erfahrungen sammeln können. Die großartige Zusammenarbeit im Vorstand hat mich schließlich dazu bewogen, für den Vorsitz zu kandidieren. Ich möchte die gute Arbeit meiner Vorgänger fortführen und gemeinsam mit dem neuen Vorstand neue Akzente setzen.
Online-Redaktion: Welche Ziele verfolgen Sie in den kommenden Jahren?
Töpler: In den kommenden Jahren werden uns viele Ziele begleiten. Ein großes Thema ist die Inklusion. Der Bundeselternrat vertritt die klare Position, dass es nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“ geht. Letztlich wird sich das deutsche Schulsystem verändern, dies möchten wir im Sinne aller Kinder mitgestalten. Hinzu kommen natürlich weitere Themen wie der Ausbau der Ganztagsschulen, hier insbesondere die Frage nach Qualitätsstandards. Außerdem wird der Übergang in die Berufsausbildung oder ein Studium ein wichtiger Bereich unserer Arbeit sein.
Online-Redaktion: Hat sich die Aufgabenstellung des Bundeselternrates im Laufe seiner Entwicklung verändert?
Töpler: Die Aufgabenstellung hat sich im Grunde nicht verändert. Mit unseren bundesweiten Tagungen möchten wir Elternvertreterinnen und Elternvertreter zu wichtigen schulischen Themen weiterbilden und ihnen Informationen und Ideen an die Hand geben, mit denen sie in ihrem Land arbeiten können.
Wir wollen den Austausch zwischen den Delegierten aus den Bundesländern fördern, Informationen und beispielhafte Konzepte aus Schulen in den Ländern und auf Bundesebene bekannt machen und wichtige Erkenntnisse wieder dorthin zurückmelden. Auf Bundesebene kooperieren wir mit verschiedenen Partnern und pflegen den Kontakt zur Kultusministerkonferenz, zum Bundesministerium für Bildung und Forschung und anderen wichtigen politischen Akteuren. Auch die Themen haben sich nicht wesentlich geändert, in manchen Bereichen gibt es natürlich Erweiterungen, wie die Frage der „neuen Medien“.
Online-Redaktion: Wo sehen Sie als Elternvertretung die aktuell größten Herausforderungen?
Töpler: Die größte Herausforderung liegt darin, die Bildungsthemen zu einem tatsächlichen Schwerpunkt des politischen Handelns zu machen. Am Beispiel der Inklusion wird dies besonders deutlich. So müssen Veränderungen in vielen Bereichen umgesetzt werden, damit die Inklusion langfristig gelingt. Das Bundesteilhabegesetz kann ein solides Fundament für die Umsetzung bieten.
Insgesamt muss es uns gelingen, einen konstruktiven Dialog aller Beteiligten im Bildungssystem voranzubringen. Dann müssen auch konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Dabei müssen wir das Selbstverständnis aller beteiligten Gruppen in den Blick nehmen: Was müssen zum Beispiel Eltern, Lehrkräfte, Schulleitungen, Schulverwaltung und Politik leisten? Wie können wir die Zusammenarbeit weiter verbessern?
Online-Redaktion: Inklusion brennt allen unter den Nägeln. Wie kann sie nach Ansicht des Bundeselternrates gelingen?
Töpler: Inklusion gelingt dann, wenn sich die Haltung der Menschen in jeder Schule, die inklusiv arbeiten will, dementsprechend verändert und weiterentwickelt. Inklusion kann nicht nur von oben verordnet werden, sie muss auch von unten wachsen. Die große Koalition muss zu ihren Koalitionsvereinbarungen stehen und durch das Bundesteilhabegesetz die Rahmenbedingungen mutig voranbringen, das heißt auch ausfinanzieren. Es geht auf verschiedenen Ebenen um Ressourcen, deren Umfang und Verteilung. Aber ohne die Begeisterung für das gemeinsame Lernen und Aufwachsen kann die Arbeit vor Ort nicht gelingen. In der Lehrerausbildung muss die Pädagogik wieder mehr Raum einnehmen, denn das gemeinsame Lernen erfordert neben fachlichen Kenntnissen vor allem pädagogische Fähigkeiten.
Online-Redaktion: Mehr als die Hälfte aller deutschen Schulen sind inzwischen Ganztagsschulen. Reicht das aus?
Töpler: Studienergebnisse zeigen immer wieder, dass das Angebot an Ganztagsschulen den Bedarf vielerorts noch nicht deckt. Etwa 70 Prozent der Eltern in Deutschland wünschen nach aktuellen Studien ein Ganztagsangebot für ihre Kinder. Es sollte ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen für alle Kinder geben, deren Eltern dies wollen. Dabei muss die Qualität des Angebotes im Mittelpunkt stehen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf darf nicht ausschließlich als Aufforderung genommen werden, möglichst lange Betreuungszeiten anzubieten.
Online-Redaktion: Wie stellen sich die Eltern gute Ganztagsschulen vor?
Töpler: Der Bundeselternrat hat seine Delegierten nach ihren Wünschen für eine gute Ganztagsschule befragt. Als Kriterien wurden hier beispielsweise eine Rhythmisierung des Schultages, moderne Lernmethoden, ein Hausaufgabenkonzept, ein multi-professionelles Kollegium und professionell betreute Arbeitsgemeinschaften genannt. Die Ganztagsschule muss aktiv zur Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit in Deutschland beitragen.
Online-Redaktion: Hausaufgaben sind schon immer eine Belastung für viele Familien. Wie sollte mit ihnen in Ganztagsschulen umgegangen werden?
Töpler: In der Ganztagsschule sollten Hausaufgaben nur noch eine sehr untergeordnete Rolle spielen. In bestimmten Zusammenhängen, wie für Referate, Projekte oder für das Vokabellernen, können sie sinnvoll sein. Grundsätzlich sollte der Unterricht so rhythmisiert sein, dass in den Lernzeiten alles Erforderliche erledigt wird. Dann ist die Ganztagsschule eine Entlastung für Eltern und vor allem für die Kinder und Jugendlichen, da es zu Hause nun nicht mehr in erster Linie um die Arbeit für die Schule, sondern um gemeinsame Familienzeit gehen kann.
Online-Redaktion: Viele Vereine, Chöre etc. beklagen, der Ganztag nehme ihnen den Nachwuchs weg. Was empfehlen Sie ihnen?
Töpler: Dies ist eine Frage der Organisation. Der Ganztag kann sogar für Vereine von Vorteil sein. Zum einen gibt es ohne Hausaufgaben verlässliche Zeiten, zu denen Kinder und Jugendliche ihren außerschulischen Aktivitäten nachgehen können. Zum anderen können sich Vereine neue Zielgruppen durch die Zusammenarbeit mit Ganztagsschulen erschließen.
Vorstellbar ist, dass außerschulische Angebote durch Kooperation in den Schulalltag integriert werden. Hier muss natürlich eine entsprechende Struktur geschaffen werden, die den Einsatz von haupt- und ehrenamtlichen Kräften der Vereine möglich macht. An vielen Schulen gelingt diese Zusammenarbeit bereits gut.
Online-Redaktion: Wie sieht die Schullandschaft in Deutschland in 15 Jahren aus: Werden gebundene Ganztagsschulen die Regel sein?
Töpler: Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wenn es gelingt, den gebundenen Ganztag in hoher Qualität flächendeckend anzubieten, dann wird die Nachfrage sicher hoch sein. Ob der vielfach vorhandene offene Ganztag im Grundschulbereich in gebundene Angebote umgewandelt wird, ist fraglich. Hier ist die Verteilung der Kosten für das Angebot entscheidend.
Kategorien: Ganztag vor Ort - Lernkultur und Unterrichtsentwicklung
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