Weststadtschule Ravensburg: "Ganztag stellt Schulwelt auf den Kopf" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Im Schuljahr 2015/16 hat die Weststadtschule Ravensburg Ganztagsklassen eingerichtet. Der rhythmisierte Tag unterstützt selbstständiges Lernen.

Auch für einen Pädagogen wie Herbert Weiß, seit 1993 Schulleiter der Weststadtschule Ravensburg, hält das Berufsleben noch Überraschungen bereit. Als letztes Jahr die Anmeldezahlen für die Ganztagsklassen, die zum Schuljahr 2015/16 an den Start gehen sollen, ausgezählt waren, war das Kollegium „positiv überrascht“: Zwei Drittel zu einem Drittel stand es bei den Anmeldungen für die Ganztags- und Halbtagsklassen. Das war nach den Diskussionen im Vorfeld in der Mittelstadt im südlichen Oberschwaben nicht unbedingt zu erwarten.

„Es hat teils heftige Diskussionen in der Stadt gegeben“, erinnert sich Weiß. „Da kamen Argumente wie 'Die Schule nimmt uns die Kinder weg'.“ Doch offenbar hat sich die Informationspolitik der Schule bezahlt gemacht. „Die Vorurteile gegen die Ganztagsschule bestanden oft, weil die Leute schlecht informiert gewesen sind. Voraussetzung für einen gelingenden Start ist eine gute Elterninformation. Wenn sie Bescheid wissen, dann kann man sie auch für das begeistern, wovon wir hier überzeugt sind“, beschreibt es der Rektor.

Weststadtschule Ravensburg
Rektor Herbert Weiß bei der Einschulungsfeier 2015 © Weststadtschule Ravensburg

Überzeugt ist die Weststadtschule vom Ganztag. Bereits seit acht Jahren arbeitete sie als teilgebundene Ganztagsschule. In anderen Bundesländern würde man vielleicht von einer offenen Ganztagsschule sprechen. Das additive Modell mit Hausaufgabenbegleitung, ergänzt durch eine Hortbetreuung am Nachmittag für einen Teil der Schülerinnen und Schüler fand Herbert Weiß „pädagogisch unbefriedigend“. Als die Landesregierung die Möglichkeiten der Kapitalisierung von Lehrerstunden im Schulgesetz verabschiedete, setzte sich die Schule für gebundene Ganztagsklassen ein, die eine ganztägige Rhythmisierung ermöglichen.

Offene Türen beim Schulträger

„Bei meinem Schulträger habe ich offene Türen eingerannt“, berichtet Herbert Weiß. Der Gemeinderat votierte einstimmig für die Einführung von Ganztagsklassen und stellte eine Million Euro für Umbauten und einen Mensabau zur Verfügung. „Wir brauchten gewisse bauliche Voraussetzungen für die Kolleginnen und Kollegen“, so der Schulleiter. „Wir hatten hier einen Abstellraum mit Verstaubungstendenz, der mir schon immer ein Dorn im Auge war. Dank der tollen Unterstützung durch die Stadt und eine geschickte Architektin konnten wir durch Umbauten eine gemütliche Ecke mit Küchenzeile und eine Arbeitsecke mit Computern einrichten und haben einen Besprechungsraum gewonnen.“

Die räumlichen Voraussetzungen für die Schülerinnen und Schüler waren bereits gut. „Wir haben genug Platz – nur wenn wir wachsen sollten, wird es eng“, meint Herbert Weiß. Die Außenstelle der Stadtbücherei sitzt im Gebäude, es gibt eine große dreiteilige Turnhalle, ein Beachvolleyball-Feld auf dem riesigen Außengelände, eine Schulküche, einen Bastel- und einen Ruheraum. Vieles davon wurde vor Jahren durch Mittel aus dem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ finanziert. „Das war eine große Unterstützung“, so sieht es der Rektor noch immer.

242 Schülerinnen und Schüler besuchen die dreizügige Grundschule. 24 Lehrkräfte arbeiten hier, eine Schulsozialarbeiterin, eine pädagogische Assistentin, vier Erzieherinnen und Erzieher, zwei FSJ-lerinnen und Jugendbegleiter. Montags, dienstags und donnerstags gibt es das Ganztagsangebot à acht Stunden. Der Unterricht beginnt an diesen drei Tagen um 7.30 Uhr und endet um 15.30 Uhr. Für jede Ganztagsgruppe erhält die Schule neun Lehrerwochenstunden zusätzlich. Von den insgesamt 45 Lehrerwochenstunden hat die Schule zehn kapitalisiert, um außerschulische Angebote zu finanzieren.

Schülerinnen und Schüler durchlaufen alle AG-Angebote

Der Tag ist weniger von „Fächern“ bestimmt als von Doppelstundenblöcken mit Freiarbeit, Wochenplan, Lernzeiten sowie Förderstunden und einer zweiten Lernzeit am späten Vormittag, bei der neben der Lehrerin auch eine – von der Stadt finanzierte – Erzieherin dabei ist. Von 12.30 bis 14.00 Uhr läuft das Mittagsband. Die Schülerinnen und Schüler können in der Mensa essen, wobei sie von Erzieherinnen und FSJ-lerinnnen begleitet werden und Freizeitangebote wahrnehmen.

Weststadtschule Ravensburg
© Weststadtschule Ravensburg

Während sich am Montag ab 14 Uhr Arbeitsgemeinschaften anschließen, liegen dienstags und donnerstags Unterrichtsstunden. Umgekehrt liegen auch musische Angebote am Vormittag. „Wir rhythmisieren so gut, wie wir können“, erklärt der Schulleiter. „Zusätzliche Musikangebote am Vormittag kommen bei den Schülern und Eltern sehr gut an. Aus anderen Angeboten kommen die Schüler teilweise zu aufgedreht in die Lernzeiten zurück. Die Übergänge von den Vollgas-Projekten in die Lernzeit müssen wir nochmal überdenken.“

Während sich die Kinder von Tag zu Tag neu bei den Mittagsfreizeiten für eine Aktivität entscheiden können – zum Beispiel Lesen, Basteln, Ausruhen oder Sport –, sind die Arbeitsgemeinschaften festgelegt. Jede Schülerin und jeder Schüler durchläuft tertial alle AG-Angebote, um von allem im Laufe des Schuljahres etwas mitzubekommen. „Wir wollen Talente und Interessen feststellen und fördern“, nennt der Rektor einen weiteren Grund. Als außerschulische Partner wirken die Musikschule, der BUND Ravensburg, die Johanniter und freischaffende Künstler mit. An allen fünf Wochentagen ermöglicht die Stadt eine – gebührenpflichtige – Spätbetreuung bis 17 Uhr.

Hausaufgaben und Lernzeiten „im Prozess“

Die Weststadtschule will die Schülerinnen und Schüler beim selbstständigen Lernen auch mit Wochenplänen unterstützen. Das Erlernte soll möglichst in Projekte und Präsentationen münden. Und die Kinder sollen mehr Verantwortung für ihre Tagesgestaltung übernehmen. Die Lernfortschritte werden in Lerntagebüchern festgehalten, die von den Eltern gegengezeichnet werden. Eltern sollen auch ohne Hausaufgaben über den Lernstand ihrer Kinder informiert sein.

Beim Thema Hausaufgaben und Lernzeiten „sind wir im Prozess“, formuliert es Herbert Weiß. An den drei langen Tagen gibt es keine Aufgaben. Die Kolleginnen und Kollegen bemühten sich, die Aufgaben in Lernzeiten und Unterricht zu integrieren. „Wir haben hospitiert, viele Fortbildungen besucht und haben auch eine enge Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Weingarten, aber das Thema bleibt hausintern in der Diskussion.“

Eine „brennende Herausforderung“ sind die Übergabemodalitäten. „Wenn eine Kollegin die Schülerinnen und Schüler an eine andere weiterreicht, dann muss es irgendein schnelles und aussagekräftiges Mittel geben, um wichtige Informationen weiterzugeben“, erläutert Herbert Weiß. „Wir haben da schon über alles Mögliche nachgedacht, über WhatsApp-Gruppen zum Beispiel, aber noch nicht das Richtige gefunden. Das Thema müssen wir noch beackern.“ Auch bei der Teamarbeit gebe es noch Luft nach oben.

Aufgaben der Schulleitung verändern sich

Es ist sowieso die größte Umgewöhnung durch die Ganztagsschule. War eine Grundschule früher oft eine kleine Einheit mit einer überschaubaren Zahl von Lehrkräften, koordiniert der Schulleiter heute rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Meine Aufgaben haben sich mit Sicherheit im Lauf der Zeit verändert. Jetzt geht es beispielsweise um Kapitalisierung und Arbeitsverträge. Der Verwaltungsaufwand steigt. Ich kann mich aber glücklich schätzen, dass mir der Schulträger die Organisation und Abrechnung mit dem Caterer und mit den Jugendbegleitern abnimmt. Und noch gelingt es mir, auch pädagogisch am Ball zu bleiben. Ich setze mich immer mal wieder in die Gruppen rein, übernehme Leseateliers oder helfe in den Lernzeiten. Das lasse ich mir nicht nehmen“, so der Rektor.

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© Weststadtschule Ravensburg

Herbert Weiß ist von der Idee der Ganztagsschule überzeugt. Er habe immer wertgeschätzt, welche Chancen darin stecken. „Aber jeder muss sich auch klar sein, dass das die Schulwelt auf den Kopf stellt und zusätzliche Ressourcen benötigt. Wir sind überzeugt vom Ganztag, aber man muss ihn für die Schülerinnen und Schüler verantwortungsvoll gestalten, denn sonst ist jeder Ganztag ein zu langer Tag für die Kinder. Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Kindern und den Eltern. Und denen möchte ich ins Gesicht sehen können.“

Die ersten Monate geben Anlass zur Zufriedenheit. Bei einer Befragung von Eltern, Lehrern und Schülern hat es positive Rückmeldungen gegeben. Die Akzeptanz des Ganztags ist sehr hoch. Und auch die Anmeldezahlen für die Ganztagsklassen – Stichtag ist der 11. April – deuten darauf hin, dass das gute Beispiel weitere Eltern überzeugt. „Ich empfinde das als Bestätigung unserer Arbeit“, freut sich Schulleiter Weiß.

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