Studienzeit und Schulsozialarbeit im Ganztagsgymnasium : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Hinter der 100-jährigen Fassade des Gottfried-Keller-Gymnasiums in Berlin findet der Besucher ein modernes, vielgestaltiges und anspruchsvolles Ganztagsprogramm.

Schule
© Gottfried-Keller-Gymnasium

Wer das Gottfried-Keller-Gymnasium in Berlin besucht, der darf schon einmal staunen. Das Gebäude im roten Klinker wurde 1914 nach einem Entwurf von Magistratsbaurat Hans Winterstein in der damals noch nicht eingemeindeten Stadt Charlottenburg gebaut. 1930 kam ein Anbau hinzu. Aus der Real- und Gemeindeschule wurde eine Oberrealschule und 1948 das Gymnasium mit dem heutigen Namen Gottfried Keller, das von nun an auch Mädchen aufnahm. 1946 war in der Aula sogar ein Kino aufgenommen worden, das 1959 zum „Filmtheater der Charlottenburger Schulen“ wurde.

Nach grundlegenden Sanierungen 1979 und noch einmal 2007/2008 erhielt das Gottfried-Keller-Gymnasium seine heutige Gestalt. Bereits 1998 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Seit 2010 ist das Gymnasium gebundene Ganztagsschule. 2011 eröffnete der neu gestaltete Schulhof. Die Schülerinnen und Schüler hatten beim Wettbewerb des Senats „Grün macht Schule“ unter anderem das Angebot gewonnen, mit einem Landschaftsplaner zu arbeiten.

Heute begegnet dem Besucher des vierzügigen Gymnasiums mit rund 740 Schülerinnen und Schülern gleich im Erdgeschoss, der „Ganztags-Etage“, das pralle moderne Ganztagsleben, koordiniert von den Lehrerinnen Florence Däbel und Mirjam Wimmer. In der Cafeteria verkauft der „Bäcker von gegenüber“, die Familie Ciftci, Brötchen, türkische Spezialitäten und Getränke. Die Räume der Sozialpädagogen, die seit 2010 am Ganztagsgymnasium arbeiten, laden zum Spielen, Ausruhen und Reden ein. Hier finden auch Beratungsgespräche für Schülerinnen, Schüler und Eltern statt. In der Mensa kann man zu Mittag essen, im Fitnessraum die Mahlzeit wieder abtrainieren. Schulhof, Sportplatz und Turnhalle sind in der einstündigen Mittagspause geöffnet.

Dann war „die Diskussion durch“

Teambesprechungen finden einmal wöchentlich in der Schulstation statt. Dort treffen sich Sozialpädagogin Charis Bahrami und Sozialpädagoge Gabriel Dube mit den Klassenleiterteams – pro Klasse sind das zwei Lehrkräfte. „Diese Teamstunde im Stundenplan zu integrieren, ist ein Kraftakt gewesen“, erinnert sich Schulleiter Uwe Kany. „Es gab Unmut. Manche fanden, das wäre eine '27. Stunde im Deputat'. Und nach zwei Jahren gab es dann Proteste, als die Teamstunde mal ausfiel. Die angebliche Mehrarbeit hat sich als scheinbare Mehrarbeit entpuppt. Inzwischen nehmen die Kolleginnen und Kollegen die Teamstunde als Entlastung wahr, weil so viel besprochen und geklärt werden kann.“

Die Schach-AG beim Turnier
Die Schach-AG beim Turnier © Gottfried-Keller-Gymnasium

Jetzt lade man auch Schülerinnen, Schüler und Eltern zur Teamstunde ein. „Das ist viel produktiver als die Elterneinladungen früher“, erzählt Uwe Kany. „Die Gespräche sind jetzt besser vorbereitet, werden besser geführt und dann ins Kollegium kommuniziert. Das ist sehr positiv gewachsen.“ Das gilt auch für den Ganztag insgesamt.

„Der Ganztag ist hochgewachsen. Wir wollten keine Diskussionen mit den Eltern, die ihre Kinder unter der Voraussetzung der Halbtagsschule angemeldet hatten“, erinnert sich der Schulleiter. „2010 sind wir in Klasse 7 gestartet und haben den 8. Jahrgang geteilt. Als der 8. Jahrgang in Klasse 10 ankam, war die Diskussion durch. Unser Konzept hat die Schüler und die Eltern überzeugt.“

Studienzeit: Den eigenen Lernprozess in die Hand nehmen

Über die Jahre haben Schulleitung, Kollegium und die Kooperationspartner des Gymnasiums die einzelnen Bausteine, die den Ganztag ausmachen, durch Learning by doing gefunden.
„Der Ganztag bringt eine andere Perspektive auf den Schultag“, ist Uwe Kany sicher. „Es wird nicht mehr über einzelne späte Stunden, zum Beispiel die achte Stunde, diskutiert, die früher von manchen Kollegen als Strafkommando empfunden wurde. Jetzt ist es weniger stressig. Es herrscht durch den besser rhythmisierten Tag eine andere Atmosphäre im Haus und ein anderes Einvernehmen.“

Neben den Klassenteams, der Schulsozialarbeit und dem Mittagsband ist die Studienzeit eine Stütze des Ganztags. Sie findet viermal in der Woche als eine eigenständige Lernform statt, die im Fachunterricht vorbereitet und von Lehrkräften betreut werden. Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten Aufgaben in konzentrierter Einzelarbeit von etwa 30 Minuten und im Austausch mit Mitschülern oder Lehrkräften in weiteren 15 Minuten. Anschließend können sie sich noch für zusätzliche Aufgaben, Wiederholungen oder Übungen entscheiden. Einmal pro Woche gibt es den 90-minütigen Studienzeitblock für alle Klassen eines Jahrgangs.

Lehrerinnen und Lehrer unterstützen sie, den eigenen Lernprozess in die Hand zu nehmen. Im „Studienzeitbuch“ halten die Schülerinnen und Schüler persönliche Lernziele, ihre Planung, die Aufgaben und ihre Lernfortschritte fest. Das Studienzeitbuch dient ebenso der Rückmeldung durch Lehrkräfte und der selbstständigen Reflexion der Lernfortschritte. Hausaufgaben gibt es am Ganztagsgymnasium nicht mehr. „Nur wer in der Studienzeit trödelt oder falsch plant, muss noch Arbeit mit nach Hause nehmen“, sagt Schulleiter Kany.

Viermal in der Woche ist "Studienzeit".
Viermal in der Woche ist "Studienzeit". © Gottfried-Keller-Gymnasium

„Bei der Einführung der Studienzeiten wollten wir ganz reformpädagogisch sein und die Schülerinnen und Schüler alles selbst regeln lassen, was aber nicht funktioniert hat. Da wurde hauptsächlich voneinander abgeschrieben“, erinnert sich der Schulleiter. „Aber jetzt sind wir zufrieden. Und die Wirksamkeit zeigt sich auch darin, dass unsere Noten inzwischen zum Landesdurchschnitt aufgeschlossen haben.“

Das volle Ganztagsleben: Leseinsel, Sportprofilklasse, Bläser, Grünes Klassenzimmer

Für solche Studienzeiten braucht es auch Räume. Das Gottfried-Keller-Gymnasium verfügt über eine Mediothek mit Schülerarbeitsplätzen, eine internetfähige PC-Ausstattung sowie über „Lernlandschaften“, eine Kombination aus breiten Fluren mit Sitzmöbeln und Klassenräumen im zweiten, dritten und vierten Stock. Die Mediothek ist auch außerhalb der Studienzeiten geöffnet und wird von Charlotte von Wangenheim geleitet. Die Sozial- und Medienpädagogin kennt sich im Ganztag besonders gut aus, denn sie war von 2004 bis 2009 die erste Leiterin der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Berlin und hat schon einige Ganztagsschulen begleitet.

Ebenso können die Schülerinnen und Schüler die „Leseinsel“ besuchen, die Schulbibliothek, die einen Bestand von 60.000 Büchern und Medien hat. Dank zusätzlicher Landesmittel hat das Gymnasium zwei Medienpädagogen einstellen können, die mithelfen, einen Ort des Lernens zu etablieren, in dem Angebote des Lese- und Vortragstrainings, Schreibberatung und Anregungen für Lesetipps zur Wahl stehen. Für die Klassen 7 bis 9 gibt es Förderunterricht in Kleingruppen für Deutsch, Englisch und Mathematik, für die Klassen 9 und 10 Herbst- bzw. Osterferien-Feriencamps für Spanisch und Mathe.

Auch für sportliche Schülerinnen und Schüler hält das Gottfried-Keller-Gymnasium ein besonderes Angebot bereit: In der Profilklasse Sport können sie in zusätzlichen Sportwochenstunden verstärkt Basketball, Fußball oder Handball trainieren. Die Leitung der Profilklassen haben Sportlehrkräfte. Gemeinsam mit den Trainern der Sportverbände wird das Training nach sportwissenschaftlichen und pädagogischen Gesichtspunkten gestaltet.

Zu allen Schulfesten dabei: die GKS-Bläserklassen
Zu allen Schulfesten dabei: die GKS-Bläserklassen © Gottfried-Keller-Gymnasium

Musiktalente wiederum können sich für die zwei Bläserklassen bewerben, die zu Schulfesten wie am Tag der offenen Tür, beim Sommerfest oder beim jährlichen Weihnachtsbasar ihre Konzerte geben. Die Schülerfirma „Nachhaltige Schul- und Holzwerkstatt“ beteiligte sich Anfang des Jahres erfolgreich an der 8. Internationalen Schülerfirmen-Messe in der Berliner Wuhlheide. Und natürlich gehören auch AGs zum Ganztag. Sie finden meist donnerstags statt, sind für die 7. und 8. Klassen verbindlich und sollen in Themen und Durchführung einen deutlichen Kontrast zum Fachunterricht bilden. Hier gibt es Angebote von Lehrkräften und von außerschulische Partnern, darunter Schach, Rudern oder Thai Chi, Chor und Drums, „Computer-Hardware/Betriebssysteme“ und Holzwerkstatt“, Graffiti, „Body and Mind“ oder „Begegnung der Kulturen“.

Auch außerhalb des Schulgebäudes passiert viel. Seit letztem Jahr bauen Schülerinnen und Schüler im Projekt „Ab ins Beet“ eine verlassene Kugelstoßanlage und die Reste des ehemaligen Hausmeistergartens zu einem Erholungsort um. Ein „Grünes Klassenzimmer“ soll entstehen mit Anbaufläche für Gemüse und Kräuter. Inzwischen hat die Schule ein Wahlpflichtfach „Praktische Biologie“, das das Vorhaben vorantreibt. Bei „Urban Gardening Berlin“ mit Beispielprojekten in Neukölln und Tempelhof werden Anregungen eingeholt.

Kein Zweifel: So viel Leben und Vielfalt gab es in dem rund 100-jährigen Schulhaus des Gottfried-Keller-Gymnasiums nie zuvor.

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