Ski-Asse im Ganztag: „Nur die Spitze des Eisbergs“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Schon so manches Wintersport-Ass büffelte hier Mathe, Deutsch und Englisch. Der Sportcampus Klingenthal im Vogtland ist eine Eliteschule des Sports. Er zeichnet sich aber durch die Förderung aller Schülerinnen und Schüler aus.

Wer den Sportcampus Klingenthal, eine sächsische Eliteschule des Sports nahe der tschechischen Grenze, als Schülerin oder Schüler besucht und nicht im dazugehörigen Ski-Internat seine zeitweilige Heimat gefunden hat, erhält schon frühmorgens unfreiwillig seine erste Trainingseinheit. Denn es geht bergauf, wenn man das Schulgebäude erreichen möchte.

Der Sportcampus Klingenthal wirbt für das „Lernen mit Aussicht“. Die Mühe lohnt sich.

Das versichern auch zwei 14-jährige Mädchen, die wir nach dem Aussteigen aus dem Auto treffen. „Für uns ist das einfach nur eine coole Schule“, strahlen sie. Dass sie hier unter einem Schuldach mit potenziellen Weltmeistern und Olympiasiegerinnen, Deutschen Meisterinnen und Meistern lernen, nehmen sie gelassen. Warum? Antwort: „Weil die sich ganz normal verhalten, nicht auf uns herabschauen und sich im Gegenteil auch von einigen von uns helfen lassen.“

Unterstützungsangebote richten sich nicht nur an die „Asse“, die im Wesentlichen ihre Leidenschaft in den Wintersportarten – Nordische Kombination, Skisprung, Langlauf – gefunden haben. Mal sind es Lehrkräfte, die abseits des Unterrichts mit den Schülerinnen und Schülern an Schwächen feilen, besonders jetzt, wo nicht selten „Aufholen nach Corona“ angesagt ist. Mal sind es aber auch leistungsstarke Schulkameradinnen und -kameraden, die sich so ihr Taschengeld aufbessern. Im Aktionsprogramm von Bund und Ländern zum gezielten Abbau von individuellen Lernrückstanden stehen dafür Mittel des Freistaats Sachsen bereit, ausdrücklich auch für Ganztagsangebote.

Immer wieder freitags…

Campus Klingenthal
... und am Tag: Sportcampus Klingenthal © Sportcampus Klingenthal

Die Schule mit Ganztagsangeboten (GTA) tut viel, um es den Sportlerinnen und Sportlern zu ermöglichen, ihrem Traum von einer erfolgreichen Leistungssportkarriere zu verwirklichen. Beispiel: Immer wieder freitags steht Training im Bundesstützpunkt des Deutschen Skiverbands auf der nahegelegenen Skisprungschanze oder den Loipen der Umgebung auf der Tagesordnung. „Dieser Tag ist unter anderem auf Wunsch der betreuenden Vereine, Trainerinnen und Trainer ausgewählt worden“, sagt die für die Sportkoordination zuständige Steffi Röder. Was auch an den naturgemäß zumeist an den Wochenenden liegenden Wettkämpfen und den damit verbundenen Reisen liegt.

Zumindest in den Wintermonaten. In ihnen gehen die leistungsstarken Athleten und Athletinnen, unter denen einst auch die Skisprungspezialisten Richard Freitag und Sven Hannawald sowie die Skisprung-Pionierin Ulrike Gräßler oder die Junioren-Weltmeisterin in der Nordischen Kombination Jenny Nowak weilten, nach dem Unterricht ihrem Training nach. Auf manche im Ganztag angebotenen Arbeitsgemeinschaften, die von der AG Medientechnik, die Filme und Videos prodoziert, über die AGs Informatik, Mathe, Bläserklasse und Sport in der eigenen Boulderhalle bis zu Kochen und dem Girls-Talk reichen und die von rund 100 Schülerinnen und Schülern genutzt werden, müssen sie aus Zeitgründen verzichten.

Schule und Sport vereinbaren

Um im Stoff zu bleiben, stellen die Lehrkräfte den jüngeren Talenten digitale Aufgabenblätter in Deutsch, Mathematik und Englisch zusammen. Das Bearbeitete wird nach der Rückkehr besprochen. Den Älteren wird eine noch größere Eigenverantwortlichkeit aufgetragen. Sie arbeiten auch in Abwesenheit am Lehrwerk und bleiben dabei digital im Austausch mit ihren Lehrkräften. Wissend um die Doppelbelastung nutzen jene, die dem Abitur entgegenstreben, die Möglichkeit, anders als im Land üblich, das Abi erst nach 13 Jahren abzulegen.

Schulleiterin Lydia Solondz-Lorenz: „Das erleichtert die Vereinbarkeit von Spitzensport und Schule erheblich. Schließlich nehmen die Anforderungen bei beidem mit zunehmendem Alter zu.“ Sie ergänzt: „Unsere nahezu optimale digitale Ausstattung erleichtert das sehr.“ Dazu zählen nicht nur Tablet-Klassen und digitale Leihgeräte oder Tablets für alle Lehrkräfte, sondern auch die entsprechende Ausstattung der Klassen- und Fachräume.

Nahezu optimale digitale Ausstattung: Tablet-Klassen und digitale Leihgeräte
Nahezu optimale digitale Ausstattung: Tablet-Klassen und digitale Leihgeräte © Sportcampus Klingenthal

Die engagierte frischgebackene Leiterin des Sportcampus, gebürtige Zwickauerin und Mathematik- und Geografielehrerin, arbeitete bis vor rund einem halben Jahr am Julius-Mosen-Gymnasium Oelsnitz, dessen Außenstelle der gymnasiale Teil des Sportcampus bis vor wenigen Monaten war. Hier entdeckte sie ihre Leidenschaft für Schulentwicklung, Qualitätsmanagement und Netzwerke. Der Blick über den Zaun bereicherte sie. Freiarbeit hat es ihr beispielsweise angetan. „Das bedeutet aber nicht, dass ich hier hingekommen bin und gleich mal alles verändern möchte“, garantiert sie. In Ruhe mit dem Kollegium und den Kräften des Ganztags möchte sie ausloten, an welchen Stellschrauben gedreht werden soll und kann.

Schulversuch gestartet

Doch zum Schulversuch, Gymnasium und Oberschule enger zu verzahnen, die Durchlässigkeit am Campus zu erhöhen, wurde schon „ja“ gesagt. Und so wurden mit Beginn des laufenden Schuljahres die Kinder mit Sporttalent zu einer Klasse gebündelt, gleichgültig, ob auf ihrer Bildungsempfehlung seitens der Grundschule Gymnasium oder Oberschule stand. Der Sportcampus vereint somit seit diesem Schuljahr den Schulteil Gymnasium (ehemals Außenstelle des Julius-Mosen-Gymnasiums) und den Schulteil Oberschule (ehemals Oberschule Klingenthal) mit gymnasialen und Oberschulklassen und der schulartübergreifenden Sportklasse.

Lydia Solondz-Lorenz: „Wir werden mit den Grundschulen in der Region sprechen. Sie sollen wissen, dass hier alle Kinder, die Sport auf höherem Niveau betreiben, gut aufgehoben sind und gefördert werden.“ Dabei geht es ihr ausdrücklich nicht darum, anderen weiterführenden Schulen Schülerinnen und Schüler abzuwerben.

Sie sucht die Kommunikation dort, aber eben auch mit der angrenzenden Grundschule, um die Zusammenarbeit zu intensivieren.

Mit Wintersport Bänke füllen

Dass sich die schulformübergreifende Klasse aus den Sporttalenten zusammensetzt, hat organisatorische Gründe. Steffi Röder: „Hier lernen und trainieren dann alle unter den gleichen Voraussetzungen.“ Röder ist seit vielen Jahren die gute Seele des Sports. Bei ihr laufen die Fäden zusammen, jene, die sich nach außen in die Vereine und zu den Trainerinnen und Trainern ziehen lassen. Und sie hat stets ein offenes Ohr für die jungen Menschen, deren Lebensmittelpunkt der Sport ist.

Doch ihre „Chefin“ Lydia Solondz-Lorenz weiß auch, dass der Sport um jedes Talent und um alle Übungsleiterinnen und Übungsleiter kämpfen muss – anders als in manch einer Ballsportart. Darum hebt sie hervor: „Mit Fußball füllt man Klassen, mit Wintersport Bänke.“ Auf einer von ihnen nehmen aktuell die als Hoffnungen in der Nordischen Kombination geltenden Ronja Loh, Anne Häckel und Nick Schönfeld Platz.

Bläserklasse
Für den guten Ton sorgt die Bläserklasse der Oberschule. © Sportcampus Klingenthal

Wer glaubt, am Klingenthaler Gymnasium drehe sich alles ausschließlich um den Sport und die Aufgabe, ihn und das Lernen unter einen Hut zu bringen, liegt falsch. „Das ist ja das Schöne, dass sich hier alle im Vor- und Nachmittag bemühen, uns zu unterstützen und unsere Begabungen zu unterstützen“, ergänzt eine der bereits zitierten Schülerinnen. Sie hat ihren Schwerpunkt auf das naturwissenschaftliche Profil gelegt, das neben dem sportlichen und dem Theaterprofil existiert. Lydia Solondz-Lorenz bringt es auf den Punkt: „Die Sportlerinnen und Sportler sind das Aushängeschild, zugleich aber nur die Spitze des Eisbergs. Spitze benötigt eben auch Breite.“ Die bilden 550 Schülerinnen und Schüler. Für sie alle gilt: Sie haben ein ausgeprägtes Mitspracherecht.

Es weihnachtet sehr

Beispielsweise beim traditionellen Weihnachtsball am 2. Dezember, der „endlich wieder stattfinden“ konnte. Er wurde vom Schülerrat organisiert – von A bis Z. Jede Klasse hat sich eingebracht, eine bei der Gestaltung des Raums, die andere beim Buffet etc. Dresscode ist selbstverständlich. Der Weihnachtsball fand nicht irgendwo statt, sondern im „VIP-Zelt“ der Vogtland-Arena, wie Klingenthals Großschanze am Nordhang des Schwarzberges, seit 2005 eine der modernsten Skisprunganlagen der Welt, heißt – ermöglicht durch die engen Beziehungen zum VSC Klingenthal.

Am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien wird es dann nochmals feierlich werden. Erfolgreiche Athletinnen und Athleten oder Schülerinnen und Schüler, die durch andere bemerkenswerte Leistungen aufgefallen sind – wie beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft, die das „Grüne Klassenzimmer“ konzipiert und eingerichtet hat und mit dem Umweltpreis des Sächsischen Skiverbandes ausgezeichnet wurde – werden geehrt. Für den guten Ton in der dann weihnachtlich geschmückten Schule sorgt die Bläserklasse der Oberschule mit ihrem kleinen Konzert. Und auf einmal wird die bunte Schar der Schülerinnen und Schüler besinnlich – und das zumeist in schneegepuderter, romantischer Umgebung.

Kategorien: Bundesländer - Sachsen

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