Sine-Cura-Schule: Ganztägig unbesorgt ins Leben : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Eine Förderschule sorgt für Aufsehen. Die Sine-Cura-Schule in Quedlinburg zeichnet ihr Blick auf Kinder und Jugendliche aus. Und sie ist erfolgreich. Jüngst gewann sie den Deutschen Schulsportpreis.

V.l.n.r.: Petra Klingner (BRSV), Konrektorin Eva-Maria Siegmund, Jan Holze
V.l.n.r.: Petra Klingner (BRSV), Konrektorin Eva-Maria Siegmund, Jan Holze © dsj

Sine Cura – ohne Sorge. Selten wohl passt ein Titel besser als dieser für die Schule mit ganztägigem Angebot für Kinder und Jugendliche mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung in Quedlinburg. 102 Schülerinnen und Schüler zwischen sechs und 18 Jahren werden hier von einem engagierten, 35 Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte umfassenden Team unterrichtet und betreut. Oder wie es Schulleiterin Birgit Schröder und ihre Stellvertreterin Eva-Maria Siegmund noch treffender formulieren, „für die Realität des Lebens fitgemacht werden“.

Die Schule im Landkreis Harz ist weit über die Grenzen Sachsen-Anhalts bekannt. Erst kürzlich wurde sie zur Schulsportpreis-Schule 2020 gekürt. Eine Ehrung, die der Deutsche Olympische Sportbund und die Deutsche Sportjugend seit 2003 vergeben. Eine Förderschule als beste im Konzert von häufig mit besonderen sportlichen Talenten gespickten Regelschulen? Eine Quotenschule, weil auch Förderschulen einmal berücksichtigt werden müssen?

Wer Letzteres mutmaßt, liegt mit seiner Einschätzung falsch. Völlig falsch. Das bestätigt auch eine der Schulen, die sich mit einem Platz hinter Sine-Cura zufriedengeben mussten. Heiko Lükemann von der Gemeinschaftsschule Probstei (Schleswig-Holstein) gratuliert voller Überzeugung: „Was diese Schule auf die Beine stellt, ist schon etwas ganz Besonderes.“

Das Besondere als Normalität

Als etwas ganz Besonderes fühlen sich die so Gelobten indes überhaupt nicht. „Was wir tun, ist für uns normal“, versichert das Führungsduo der Quedlinburger Schule. Man möchte ihnen die Redewendung zurufen: „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr“. Und erfährt prompt, dass sich Bescheidenheit auf der einen sowie Zielstrebigkeit und Klarheit auf der anderen Seite nicht ausschließen. Denn das Team weiß genau, was es will, für was es eintritt und kämpft: „Jede Entscheidung, die wir treffen, fällt aus der Sicht unserer Kinder.“

„Gelebte Integration“ durch Bewegung: Von Floorball und Triathlon ... © Dirk Harnisch / SINE-CURA-Schule

Das spürten Landkreis und Architekten nur zu deutlich als es um den Neubau der Schule ging. Jede Anschaffung, jede Raumgestaltung, ja man könnte sagen jede Farbgestaltung stand unter dieser Prämisse. Eine kleine Auswahl: Jedes Klassenzimmer verfügt über einen direkten Fluchtweg nach außen. Verbunden ist dies mit dem Charme, dass die großräumigen Flure mit Lerninseln ausgestattet werden konnten – Flucht- und Brandschutzbestimmungen wurden entsprechend angepasst. Alle Stühle und Hocker sind für dynamisches Sitzen geeignet, nahezu alle Räume schallgedämpft. Arbeitsflächen wurden so gestaltet, dass auch Rollstuhlfahrende sie unproblematisch nutzen können, herausziehbare Podeste ermöglichen auch Kleineren, auf ihnen arbeiten zu können.

Der Snoezelenraum, ein sogenannter Pränatalraum und der Musikraum wurden nach den Vorstellungen der dort Arbeitenden eingerichtet. Der Matschraum mit der Möglichkeit, tatsächlich im Sand zu matschen (Hautwahrnehmung) und parallel eine Rutschbahn (Gleichgewicht) zu nutzen, ehe eine Massage die „Auszeit“ für jeweils maximal zwei Schülerinnen und Schüler abschließt, stellt einen weiteren Baustein im Konzept von „Bewegung, Erziehung, Lernen und Entspannen“ dar.

Ein überzeugendes Konzept

In dieser Atmosphäre lernen und bewegen sich die Schülerinnen und Schüler gerne. Das spürt, wer durch das freundlich helle Schulgebäude geht und unvermeidlich auf die mit Pokalen gefüllte Vitrinen stößt. Hier sammelt die Schule die Auszeichnungen der Kinder und Jugendlichen, denen dafür regelmäßig im Morgenkreis Anerkennung vor und von allen gezollt wird. Die jüngste „Trophäe“, sprich das Siegerposter der Schulsportpreis-Ehrung, ziert die angrenzende Wand des Forums.

Auch paralympische Leichtathletik ist im Angebot. © Dirk Harnisch / SINE-CURA-Schule

Was aber hat die Jury überzeugt? Es sind das Konzept und die Idee, die sich hinter den Sportaktivitäten in Quedlinburg, präzise im Stadtteil Gernrode, verbergen. Weil Kooperationen mit „regulären“ Sportvereinen nicht von Erfolg gekrönt waren, gründete die Schule auf Initiative der nimmermüden Sportlehrerin Petra Klingner flugs einen eigenen Sportverein – den Behinderten- und Rehabilitations-Sportverein (BRSV) „SINE-CURA“.

Der Verein kommt in den Genuss finanzieller Unterstützung, etwa durch den Landessportbund Sachsen-Anhalt. So können Übungsleiterinnen und -leiter ausgebildet und durch eine Aufwandsentschädigung in kleinem Umfang honoriert werden. Aufgefüllt wird die Kasse des BRSV, der im Wesentlichen von Lehrkräften und weiteren pädagogischen Fachkräften getragen wird, durch seine Angebote für Erwachsene mit chronischen Erkrankungen oder solche, die eine Rehabilitationsmaßnahme suchen.

Attraktion Fitnessjuwel

Der BRSV veranstaltet nicht nur seit 25 Jahren die Landeswinterspiele für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung mit, sondern ermöglicht der Schule 14 unterschiedliche Sportangebote am Nachmittag. Eine der beliebtesten stellt der Floorball dar. Die AG fördert einerseits die Bewegung, andererseits die Integration – Kinder der benachbarten Gemeinschaftsschule Hagenberg finden sich zum Training in dem modernen, nach Wünschen des Sportlehrers und Psychomotoriktrainers Dirk Harnisch gestalteten Bewegungsraum ein.

Highlight der sportlichen Aktivitäten ist das Fitnessjuwel. Es wird seit 2008 an vier Fitnesstagen „gesucht“. Eine Projektgruppe erarbeitet unter Berücksichtigung der Aspekte Bewegen, Entspannen und gesunde Ernährung das jährlich wechselnde Programm. Wandern gilt als gesetzt. An verschiedenen Stationen stellen die Schülerinnen und Schüler – einmal im Jahr im Tandem mit ihren Eltern – ihre Geschicklichkeit unter Beweis. Sei es, wenn es darum geht, Gummistiefel möglichst weit oder Sandsäckchen zielgenau zu werfen.

Das Aufrollen eines Feuerwehrschlauches kann ebenso dazu gehören wie das Balancieren mit eingeschränktem Sichtfeld. Jede erfolgreich absolvierte Station wird notiert. Ist die Stempelkarte voll, gibt es die „Fitnessmedaille“ und die Ernennung zum Fitness-Experten. Birgit Schröder und Eva-Maria Siegmund betonen: „Es zählen nicht die sportlichen Höchstleistungen, sondern die Freude am gemeinsamen Sporttreiben.“

Erfolgreich bei „Jugend trainiert für Paralympics“ in Berlin. © Dirk Harnisch / SINE-CURA-Schule

Manchmal aber geht es natürlich auch um die sportliche Leistung. So, wenn jährlich das Sportabzeichen abgenommen wird und die Schülerinnen und Schüler an Meisterschaften und Turnieren wie „Jugend trainiert für Paralympics“ teilnehmen. Mit einer gehörigen Portion Stolz freute sich die Schule über ihren zehnten Platz beim Bundesfinale 2019 im Schwimmen.

Bewusstsein für „Gesundes“ und viel Lob

Eine besondere Leistung. Wie auch jene, die erforderlich ist, um sich seit nunmehr 14 Jahren „Gesunde Schule“ nennen zu dürfen. Das erreichte die Schule nicht allein durch gesundes Mittagessen, sondern dank ihres Bemühens, das Bewusstsein für eine entsprechende Ernährung zu schärfen. So beginnt jeder Tag mit einer „Selbstversorgerstunde“: Die Schülerinnen und Schüler bereiten zusammen ihr Frühstück vor, essen gemeinsam und räumen auf. Vollkorn- und Mischbrot statt Weißbrot, ungesüßter Tee und Wasser, Obst und Gemüse sind die Nahrungsmittel, die dabei auf den Tisch kommen. Übrigens: Jeder Klassenraum verfügt über eine Selbstversorgerzeile nebst Möglichkeit zum Zähneputzen.

In jeder Klasse lernen durchschnittlich sieben Kinder. Schwerpunkte des Unterrichts sind Wahrnehmung, Lesen, Rechnen, Schreiben, Musik, Kunst, Verkehrserziehung, Werken, die Arbeit im Schulgarten, Hauswirtschaft und Sport. Alles ohne Noten. Stattdessen erhalten die Schülerinnen und Schüler einen umfassenden Fließtext, inklusive individuellem Förderplan, der im ohnehin engen Austausch mit den Eltern besprochen wird.

„Wandern gilt als gesetzt.“ © Dirk Harnisch / SINE-CURA-Schule

Täglich erfolgen eine Selbsteinschätzung sowie die der Mitschülerinnen und Mitschüler und Lehrkräfte. Sie wird mit Smileys sichtbar für alle symbolisiert. Über besonders viele dieser lobenden Symbole durften sich Schülerinnen und Schüler für ihren Beitrag zu den Werbeflyern „Historisches Gernrode“ und „Historisches Bad Suderode“ (PDF, 470kB, nicht barrierefrei) freuen. Die von ihnen gezeichneten Bilder historisch spannender Denkmäler, Letztere im Wettbewerb „denkmal aktiv. Kulturerbe macht Schule“ in einem Projekt mit der Gemeinschaftsschule Hagenberg entstanden, sind eine Augenweide und trugen maßgeblich zur Belebung der Kulturlehrpfade bei.

Digitales – ein Mittel zum Zweck

Der Einsatz digitaler Medien - die Sine-Cura-Schule ist Mitglied des Netzwerkes Lindius, der Landesinitiative für nachhaltige digitale Infrastrukturen in Sachsen-Anhalt - wird als Mittel zum Zweck verstanden. Als erst vor wenigen Tagen erörtert wurde, welche Anschaffungen mit den Geldern des DigitalPakts Schule erfolgen sollen, unterstrich das Kollegium dabei noch einmal seine Sichtweise.

„Wir benötigen nicht einfach 102 Computer per Gießkanne, sondern auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zugeschnittene Technik“, präzisierten sie gegenüber den externen Beratern. In einem Fall kann dies ein Messenger-Dienst fürs Schreiben sein, im anderen eine Vorlese-App. Was immer am Ende bestellt wird, es dient dem Ziel: „Es muss dem einzelnen Kind helfen, zu lernen und damit am Ende, im Leben besser zurechtzukommen.“

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