Sekundarschule Bismark: Ganztag als Bildungs- und Lebensort : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Mit ihrem Ganztagsangebot und dem Engagement bereichert die Sekundarschule Bismark das Leben der Kinder und Jugendlichen in der kleinen Stadt in der Altmark und Umgebung, unterstützt von Bürgermeisterin Annegret Schwarz.

Die „Schwangerschaft“ dauerte länger als üblich, rund 15 Monate. Das Kind trägt den Namen „Schule mit außerunterrichtlichem Ganztagsangebot“. Ihre Mütter: Birgit Smirnow und Nancy Franke. Die Schulleiterin und die Schulsozialarbeiterin der Sekundarschule Bismark im Landkreis Stendal, „im Herzen der Altmark“, wie die 8.000-Einwohner-Stadt bezeichnet wird, erinnern sich nur zu gut an die Entwicklungsgeschichte des Ganztags an der von 280 Schülerinnen und Schülern besuchten Schule.

Birgit Smirnow: „Als ich 2015 die Leitung der Schule übernahm, begleitete mich schon lange die Frage, wie wir Schule verändern, den gesellschaftlichen Anforderungen anpassen können. Der Ganztag stellt für mich eine solche entscheidende Anpassung dar.“ In Nancy, wie die Schülerinnen und Schüler die Schulsozialarbeiterin vom DRK Kreisverband Östliche Altmark gerne nennen (dürfen), fand sie schnell eine Verbündete: „Schule muss doch auf das reagieren und Antworten geben, was um sie herum geschieht.“

Die Entscheidung der Landesregierung von Sachsen-Anhalt, die auf Kooperation mit externen Partnerinnen und Partner basierende „Schule mit außerunterrichtlichem Ganztagsangebot“ neben den bis dahin genehmigten Ganztagsschulen zu etablieren, erleichterte es zumindest „ein wenig“, Bedenken im 20 Personen umfassenden Kollegium zu zerstreuen. „Ja“, gesteht die Schulleiterin, „unser schlagkräftiges Argument für den Ganztag lautete: keine Mehrarbeit für das Kollegium.“ Im Schuljahr 2021/2022 wurde die Sekundarschule in den Kreis der 117 Ganztagsschulen nach § 12 des Schulgesetzes aufgenommen.

Ganztag als Bildungs- und Lebensort

Eine von 15 AGs: Junge Sanitäter
Eine von 15 AGs: Junge Sanitäter © Sekundarschule Bismark

Sämtliche 15 Arbeitsgemeinschaften, die täglich ab 13.30 Uhr angeboten werden, leiten engagierte Personen aus dem Umfeld der Schule. Hier die Feuerwehr, dort der Sportverein TuS Schwarz-Weiß oder der Kleingartenverein, die Bibliothek im Bürgerhaus oder das Jugendfreizeitzentrum. Smirnow und Franke haben durchaus Verständnis für jene, die nicht begeistert waren von der Idee, die Schule zeitlich auszudehnen. „Der Lehrermangel ist gravierend. Die Kolleginnen und Kollegen haben Sorge, dass sie sich ihrer Kernaufgabe nicht ausreichend widmen können“, sagt die Schulleiterin.

Sie und Nancy Franke sowie der überwiegende Teil des Schulteams, die sich den intensiven und durchaus kontroversen Diskussionen stellten, haben allerdings stärker die positiven Aspekte für ihre auch aus umliegenden Dörfern kommenden Schülerinnen und Schüler im Blick: „Wir bieten ihnen einen Bildungs-, aber auch einen Lebensort. Wir holen sie am Nachmittag von der Straße.“ Dies gelingt auch, weil die Inhalte der AGs im Unterricht aufgegriffen werden können. Das Unterrichtsklima hat sich signifikant verbessert, der Stress hat abgenommen, die Schülerinnen und Schüler genießen die nachmittäglichen Angebote, aber auch die Chance, bei Nancy ihre Sorgen abladen zu können.

Sie sind schlicht begeistert. Zumal sie ihre Ideen für die Ganztagsangebote zunächst in der Klasse, von dort via Schülerrat einbringen konnten. Eine Schülerin: „Ich finde es klasse, dass wir angehört wurden, und man uns ernst genommen hat.“ Die Eltern teilen die Einschätzung. Nicht nur wegen der verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch deshalb. Der Zulauf zur Schule, die in einem 110 Jahre alten Gebäude, das aktuell saniert wird und bereits durch den Bau einer Mensa erweitert wurde, untergebracht ist, steigt rasant. „Wir haben für die Kinder und Jugendlichen einen Lebensmittelpunkt geschaffen“, strahlt Nancy Franke.

„Kommunikation ist das A und O“

Die Suche der Schule nach den außerschulischen Partnerinnen und Partner liest sich wie ein Paradebeispiel für eine PR-Broschüre zur Ganztagsschule. Die Einbindung „unseres Lokalreporters“ zählt ebenso dazu wie Texte im Gemeindeblatt oder die Werbung über angetane Eltern, will heißen Mundpropaganda. Wertvolle Unterstützung kam nicht nur von der Serviceagentur Ganztag Sachsen-Anhalt, sondern besonders auch von Bürgermeisterin Annegret Schwarz. Smirnow beschreibt deren Engagement mit den Worten: „Sie kämpft für uns und die Grundschule im Ort wie eine Löwin.“

Lebensmittelpunkt für die Kinder und Jugendlichen
Lebensmittelpunkt für die Kinder und Jugendlichen © Sekundarschule Bismark

Die Bürgermeisterin stellte eine Liste mit Ansprechpartnerinnen und -partnern der Vereine zur Verfügung, ermöglichte dem Leiter der örtlichen Feuerwehr, eine Arbeitsgemeinschaft anzubieten, und schaffte es, dass die Stadt Bismark die Pacht für ein vom Kleingartenverein zur Verfügung gestelltes Grundstück übernahm. Vieles, wie etwa den „Nachmittag des Ganztags“, sehen Smirnow und Franke schon als „gelungen“. An diesem Nachmittag präsentieren Schülerinnen und Schüler ihren Eltern, aber auch potenziellen „Neuzugängen“ Ergebnisse ihrer AG-Aktivitäten.

Für die Schulleiterin gibt es aber noch Möglichkeiten der Optimierung, etwa in einer stärkeren Verzahnung der AG-Leitungen und des Lehrerkollegiums: „Kommunikation ist das A und O. Und zwar für und in allen Gruppen. Mit den Schülerinnen und Schülern auf Augenhöhe, unter uns Kolleginnen und Kollegen sowie mit all denjenigen, die Arbeitsgemeinschaften einbringen. Nur wenn wir miteinander reden, können wir entscheiden, was vermutlich das Beste für jeden Einzelnen ist.“ Dazu zählt eben auch, Verständnis für die persönliche Situation zu entwickeln. Die vertraulichen Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern ermöglichen dies.

Ein Schritt nach dem anderen

Die Schule widmet sich intensiv dem Thema „Demokratie und Rassismus“. Smirnow: „Wir möchten ‚Schule ohne Rassismus Schule mit Courage’ werden.“ Sie ergänzt: „Aber eins nach dem anderen.“ Der Einstieg war 2015, als auch in die Schulen von Sachsen-Anhalt viele geflüchtete Kinder und Jugendliche kamen, worauf die Serviceagentur Ganztag schnell reagierte, um deren Teilhabechancen zu sichern. Das Kultusministerium stellte den Ganztagsschulen zusätzliche Budgetmittel zur Erweiterung des Angebotsspektrums zur Verfügung.

Mit der Sekundarschule „Wladimir Komarow“ in Stendal, in der es eine „Internationale Klasse“ für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund gibt, wurde eine Partnerschaft aufgebaut. Einen Tag pro Schuljahr kommt eine der „Ankunftsklassen“ aus Stendal nach Bismark. Und umgekehrt. Man lernt sich kennen und verstehen. Darüber hinaus stehen regelmäßig gemeinsame Veranstaltungen wie Besuche des Bundestages in Berlin oder Diskussionen mit Politikerinnen und Politikern an. Auch Besuche der Gedenkstätte Buchenwald gehören dazu.

Schulmeisterschaften der AG Tischtennis
Schulmeisterschaften der AG Tischtennis © Sekundarschule Bismark

Bereits ausgefeilt ist das Konzept der Sekundarschule Bismark zur Berufsvorbereitung. Sie ist Schule mit Berufswahl-Siegel und „Schule mit vorbildlicher Berufswahlorientierung“. Schon in Jahrgang 5 stehen Betriebsbesichtigungen an. Es folgen später Betriebspraktika, Schnupperwochen, Elternabende, Bewerbungscoaching, Ausbildungsmesse und ein enger Draht zur Berufsberaterin der Arbeitsagentur Katy Lehmann-Haß, deren Beratungsspektrum von der persönlichen Berufsberatung in Einzelgesprächen bis zur Vermittlung von Ausbildungsstellen reicht. Ihr verbrieftes Ziel: „Jede Schülerin und jeder Schüler hat mich mindestens einmal in seiner Zeit an der Bismark-Schule gesehen.“

Schulentwicklung immer wieder auf dem Prüfstand

Schon von 2016 bis 2020 hat sich Sekundarschule Bismark am Schulversuch „Schulerfolg durch Individualisierung von Lernprozessen“ beteiligt. Aktuell beschäftigt Kollegium, Eltern und Schülerschaft ihr Schulversuch „Digitalisierung“. Als Modellprojekt gestartet, ist er nun Bestandteil des regionalen Schulentwicklungsnetzwerkes. Jedes Mitglied testet einen Weg des selbstständigen Lernens. Für die Sekundarschule Bismark trägt dies den Namen „4+1“.

Das Modellprojekt „4+1“ zur Unterrichtsorganisation von Schulen hat das Land Sachsen-Anhalt für das Schuljahr 2022/2023 für zwölf Sekundar- und Gemeinschaftsschulen eingeführt. Das Konzept sieht vor, dass nur an vier Tagen der Woche in der Schule gelernt wird. In der Sekundarschule Bismark arbeiten jeden zweiten Mittwoch die Schülerinnen und Schüler an vorgegebenen Inhalten eigenständig zu Hause. Wer daheim keine räumlichen oder technischen Möglichkeiten besitzt, kann ein Leihgerät von der Schule erhalten oder auch am PC in der Schule arbeiten.

Smirnow: „Wir wollten die Erfahrung der Coronazeit nicht einfach verpuffen lassen und für Notfälle, zu dem ich auch Unterrichtsausfall zähle, gewappnet sein.“ Doch andere Effekte sind ihr wichtiger: „Die Schülerinnen und Schüler können ihr Lerntempo variieren, sich selbstständig organisieren und erhalten im Chat mit der Lehrkraft direkt eine Rückmeldung.“ Die Eltern meldeten in der Startphase ihre Bedenken an: „Corona ist gerade vorbei und die Kinder und Jugendlichen sollen schon wieder zu Hause bleiben…“ So manche Mutter und mancher Vater wurde von der Sorge getrieben, das eigene Kind werde der Herausforderung nicht gewachsen sein. Rund 30 Prozent bestanden darauf, dass Tochter oder Sohn zum eigenständigen Lernen in die Schule fuhr. Was schon einmal eine Strecke von bis zu 25 Kilometern einschloss. Inzwischen ist die Zahl gesunken: auf null. Das Modellprojekt wird vom Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung begleitet und anschließend evaluiert werden.

Schule mit vorbildlicher Berufswahlorientierung
Schule mit vorbildlicher Berufswahlorientierung © Sekundarschule Bismark

Die Sekundarschule Bismark überlässt nichts dem Zufall. Jeder Schritt in der Schulentwicklung wird regelmäßig auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls angepasst. Der Gedanke trifft die Haltung von Birgit Smirnow und Nancy Franke: „Alles, was wir tun, tun wir für die Kinder und Jugendlichen.“

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