Schule am Ostertor: idyllisch, individuell, international : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die offene Ganztagsgrundschule in Tönning überzeugte auch das Evaluationsteam, das unter dem Motto „Gute Schulen für den Echten Norden“ in Schleswig-Holstein unterwegs ist.

Schule am Ostertor
© Schule am Ostertor

Die Idylle ist greifbar. Das harmonische Miteinander ebenso. Wir stehen vor der Schule am Ostertor im schleswig-holsteinischen Tönning. 5.000 Einwohner zählt die Stadt an der Eider. 151 Schülerinnen und Schüler besuchen die Offene Ganztagsschule (OGS). Überschaubar. Man kennt sich. „Moin, moin“, begrüßt uns eine Handvoll Mütter vor dem Schultor: „Wo möchten Sie denn hin?“ Zum Schulleiter Felix Müller-Veerse. „Kein Problem“, erfahren wir. „Sie gehen einfach die Treppe hoch, rechts finden Sie sein Büro. Die Tür steht meistens offen“, lautet die kurze wie zutreffende Wegbeschreibung.

Offenheit, das ist schnell zu spüren, wird an dieser Schule groß geschrieben. Die als Zukunfts- und Nationalparkschule zertifizierte Schule ist offen, auch für Anderssein. Für andere Menschen, für andere Gedanken, für kreative neue Ideen. „Unser erklärtes Ziel ist es, jeden Tag ein Stück weit besser zu werden“, versichern Felix Müller-Veerse, sein Stellvertreter Wolfgang Jannsen und die Leiterin der OGS Lena Jens.

„Gute Schulen für den Echten Norden“

Dass sie sich dabei auf einem sehr guten Weg befinden, bescheinigte unlängst ein Inspektionsteam der Landesregierung, die unter dem Motto „Gute Schulen für den Echten Norden“ ermöglicht, dass Schulen in Schleswig-Holstein ein Feedback zu ihrer Qualitätsentwicklung erhalten. Grundlage ist der landesweite „Orientierungsrahmen Schulqualität“

Freiwillig hatte die Schule das Inspektionsteam angefordert und war gespannt auf das Feedback. Nun hängt es, wunderbar vergrößert und für jeden lesbar, im Schulflur: Viele Pluspunkte haben die Experten aus der Landeshauptstadt verteilt. Sie würdigen die Präsenztage mit einer effizienten Konferenzstruktur, die lernförderliche Atmosphäre, die hohe Zugewandtheit, den wertschätzenden Umgang und die Förderung zwischenmenschlicher Beziehungen. Hervorgehoben werden das große Vertrauen der Eltern in die Arbeit der Schule und eine kluge didaktische Ausrichtung. „Die uns bescheinigten Stärken wollen wir nutzen, um an anderen Stellen noch mehr herauszuholen“, versichert das Trio.

„Impulse“ haben es die externen Begutachter genannt. Eine noch stärkere Rhythmisierung, ein paar mehr Regeln, mehr Partizipation der Schülerinnen und Schüler, eine möglicherweise zu verbessernde Förderung leistungsstärkerer Kinder sowie ein Abbau der Belastung im Unterricht durch differenzierende und längerfristige Arbeitsformen stehen nun als Herausforderungen auf dem Arbeitsplan des Kollegiums.

Ein Sonderpädagoge als Rektor

Ein Blick auf die Stärken lohnt sich. Es darf als Besonderheit gelten, dass die kleine Schule von einer „Lehrkraft für Sonderpädagogik“ geleitet wird. Aus gutem Grund. Schließlich ist die Grundschule zugleich Förderzentrum im Süden von Nordfriesland. Will heißen, von hier aus wird die Arbeit der elf Kolleginnen und Kollegen koordiniert, die als Förderlehrkräfte an Schulen der Region arbeiten. Denn, so will es das Land, Kinder mit Förderbedarf werden in Regelklassen unterrichtet. Einstige Förderschulen bleiben die für die Organisation und Kommunikation zuständigen Förderzentren. „Schulen ohne Schüler“, wie es offiziell heißt.

Schulteam
Schulteam mit Rektor Felix Müller-Veerse (v.r.) © Schule am Ostertor

„Das funktioniert tatsächlich nur, wenn wir multiprofessionelle Teams haben“, sagt Felix Müller-Veerse. Und wenn schon das Stichwort „Inklusion“ fällt, verweist er auf die zweite große aktuelle Herausforderung: die Inklusion jener Kinder – zumeist mit Flüchtlingserfahrung –, die zuvor Grundkenntnisse der deutschen Sprache im Zentrum für Deutsch als Zweitsprache (DaZ) in Sankt Peter-Ording erworben haben. 25 werden im Sommer an die Schule am Ostertor wechseln. „Eine Aufgabe, die überraschend auf uns zukam“, weiß der Schulleiter. Er ist froh, dass eine Kollegin seines Teams eine Fortbildung als DaZ-Lehrerin abgeschlossen hat. Wolfgang Jannsen ergänzt: „Unabhängig von dieser aktuellen Entwicklung nimmt die multikulturelle Entwicklung unserer Schülerschaft enorm zu.“ Ein Viertel der Kinder weist einen Migrationshintergrund auf.

Die OGS ist eng verzahnt mit der Schule

Vielfalt erfordert individualisiertes Lernen. Darüber ist sich das Team, zu dem ausdrücklich Schulsekretärin Martina Schimanski und Hausmeister Manfred Hartwig – die „guten Geister der Schule“ – zählen, einig. Wie das funktionieren kann, darüber steckt das Kollegium unter anderem immer wieder montags die Köpfe zusammen. Der Präsenztag startet nach dem Unterricht mit einer Informationskonferenz. Hier wird im Beisein von OGS-Leiterin Lena Jens ausgetauscht, was vormittags und nachmittags in der OGS geschieht.

Ein aktuelles Schwerpunktthema: Wie gelingt es noch stärker, jedes einzelne Kind in den Blick zu nehmen, es in seinem Tempo zu fördern? Rund ein Drittel der Kinder wird von den fünf OGS-Kräften betreut, bei den Hausaufgaben unterstützt, in Arbeitsgemeinschaften an Sport, Backen, Tanzen oder Boßeln herangeführt. Lena Jens weiß die enge Zusammenarbeit mit den Lehrerinnen und Lehrern zu schätzen. „Wir laufen nicht einfach parallel. Wir gehören dazu, nehmen an den Teamkonferenzen teil.“

Im täglichen Austausch, auch zwischen Wolfgang Jannsen und Schulsozialarbeiterin Anja Gehringer, stehen stets die Kinder und ihre Interessen im Mittelpunkt. Die werden auch berücksichtigt, wenn ein Kind, das eigentlich nicht in der OGS angemeldet ist, nach dem Unterricht noch nicht nach Hause gehen kann oder will. Natürlich kann es dann bis zu einer Stunde länger bleiben.

Anfängliche Skepsis ist verflogen

Zur individuellen Förderung zählt in der Schule am Ostertor auch die Abkehr von Noten. „Nicht alle Eltern waren davon anfangs begeistert. Inzwischen aber sind unsere Checklisten mehr als akzeptiert“, berichtet Felix Müller-Veerse. In ihnen halten die Lehrkräfte die Lernfortschritte jeder Unterrichtseinheit in vielen Teilbereichen des Lernens fest.

Und zwar möglichst konkret: „Du hast dir den neuen Wortschatz gut merken können“ (Hör- und Hör-Seh-Verstehen) oder „Du schreibst bekannte Wörter und kurze Sätze richtig ab“ (Schreiben) heißt es etwa in der Englisch-Checkliste. Daneben finden sich Symbole, die vom königlichen Smiley („In diesem Lernbereich bist du sehr sicher und machst kaum Fehler“) bis zum Baustellenschild „Wir arbeiten daran“ („In diesem Lernbereich fehlen dir wichtige Grundlagen. Diese musst du dir mit Hilfe deines Fachlehrers erarbeiten.“) reichen. Ein Kreuz – und Kind sowie seine Eltern wissen Bescheid.

Notenfrei sind auch die Zeugnisse der in Klassenstufe 1 und 2 jahrgangsübergreifend arbeitenden Schule gestaltet. In ihnen werden überfachliche Kompetenzen (von „Arbeitsorganisation“ bis „Konfliktfähigkeit“) sowie Fachkompetenzen eingestuft. „Sicher“ ist super und darf für alle, die es gerne in Noten übersetzen wollen, als „sehr gut“ betrachtet werden. „Überwiegend sicher“, „teilweise sicher“, „überwiegend unsicher“, „unsicher“ lauten die folgenden Kategorien.

Freiarbeit im Matheunterricht der Klasse 3
Freiarbeit im Matheunterricht Klasse 3 © Schule am Ostertor

Inzwischen schätzen auch die Eltern die starke Differenzierung. So hören sie nicht, ihr Kind stehe „3“ in Deutsch, und dürfen rätseln, warum es „3“ steht. Dem Zeugnis ihres Kindes an der Schule am Ostertor können sie beispielsweise entnehmen, dass es sich zwar sprachlich verständlich ausdrücken, aber weniger fließend lesen kann. Und jeder weiß, wo der Hebel anzusetzen ist.

Enge Kooperation mit allen Kitas

Die Notenfreiheit dieser Grundschule wird beim Wechsel zur weiterführenden Schule kein Problem. Die benachbarte, die Eider-Treene-Schule, eine Gemeinschaftsschule mit gymnasialer Oberstufe, verzichtet darauf in den Eingangsklassen ebenfalls. Im Gymnasium gibt es laut Schulgesetz ab der Klassenstufe 5 Noten. Schwierigkeiten beim Wechsel entstanden bislang dennoch nicht.

So reibungslos der Übergang in Sachen Noten auch funktioniert, ein etwas stärkeres Miteinander, wenn es um den Übergang zur weiterführenden Schule geht, wünscht sich das Kollegium der Grundschule durchaus. Schließlich hat es beim Übergang Kita-Grundschule beste Erfahrungen gesammelt. Mit allen drei Kindertagesstätten wurden Kooperationsvereinbarungen geschlossen. Sie sehen den regelmäßigen Austausch und gemeinsame Fortbildungen vor. Darüber hinaus schnuppern Kita-Kinder ein halbes Jahr lang vor ihrem Wechsel zur Grundschule dort wöchentlich einen Tag lang in den Unterricht und Schulalttag hinein. „Das erleichtert vielen den Übergang ganz erheblich“, sagt der Schulleiter.

Für ihn wie alle seine Kolleginnen und Kollegen sind diese menschlichen und sozialen Aspekte gleichbedeutend mit fachlichen Lernfortschritten der Kinder. Entsprechend stolz sind sie auf ihre Kinder, wenn sie sich als konflikt- und teamfähig erweisen. Die Drittklässler werden über ein Schuljahr von einer extra hierfür qualifizierten Lehrkraft als Streitschlichter ausgebildet und in der vierten Klasse in den Pausen eingesetzt. So wie jüngst, als Dritt- und Viertklässler „Die Zauberflöte“ einstudierten und aufführten. Noten bekamen sie auch hierfür nicht – aber höchste Anerkennung.

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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