Schkeuditz: Ganztagsangebote im Schulzoo : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

„Hier lernen Kinder tierisch gern“, titelte 2022 ein Leipziger Stadtportal. Denn in der Thomas-Müntzer-Grundschule in Schkeuditz ist Deutschlands größter und ältester Schulzoo zu Hause. Das erregt bundesweite Aufmerksamkeit.

Größter und ältester Schulzoo Deutschlands
Größter und ältester Schulzoo Deutschlands © Thomas-Müntzer-Grundschule

Maja und Balu sind heute ausnahmsweise richtig „faul“. Für die Ansprache der Lehrkräfte haben sie gerade einmal einen kurzen Augenaufschlag übrig. Doch Schulleiterin Elke Koller und ihre Kolleginnen Katja Redmann sowie Elena Rose nehmen es geduldig zur Kenntnis. Sie schimpfen nicht. Sie ermuntern die beiden nicht zu mehr Aktivität. Kein Wunder – Maja und Balu sind Waschbären.

Sie gehören zu den rund 250 Tieren, die den größten und ältesten Schulzoo Deutschlands ausmachen. Die 45 Arten, darunter Damwild, Schafe und Pferde, Kaninchen und Meerschweinchen und sogar kleine Igeltanreks aus Madagaskar, leben auf einem rund zwei Hektar großen Gelände der Thomas-Müntzer-Grundschule im sächsischen Schkeuditz, unweit der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt und des Flughafens Leipzig/Halle.

Im kommenden Jahr feiert der Schulzoo Jubiläum. Er wird 70 Jahre alt. An die Ursprünge erinnert eine Zeitleiste. 1948 wurde ein Sandkasten als Terrarium eingerichtet. Drei Jahre später folgte der Bau eines Freilandterrariums auf dem Schulhof. 1955 wurde der Schulzoo gegründet, ein Jahr später die erste Voliere gebaut. Schritt um Schritt wurde auch die tiergestützte Pädagogik zum Konzept. Sie stellt das Markenzeichen der Thomas-Müntzer-Grundschule dar, die es damit in diesem Jahr unter die besten 20 Schulen beim Deutschen Schulpreis geschafft hat.

Wöchentliche Schulzoostunde

Gut 200 Schülerinnen und Schüler lernen in der Grundschule mit und von den Tieren. Nahezu alle besuchen den Thomas-Müntzer-Hort, der nach dem Konzept der Kneippschen Gesundheitslehre arbeitet – inklusive Sauna, Snoozel- und Experimentierraum – und nutzen die vielfältigen Ganztagsangebote am Nachmittag. Der Zoo aber verbindet sie alle.

Es beginnt schon in der ersten Hofpause um 9.25 Uhr, wenn die Fütterung der Tiere ansteht. Angeleitet von den Tierpflegerinnen Anne Bockwar und Annelie Radoy ermitteln die Schülerinnen und Schüler, welches und wie viel Futter die Tiere benötigen. „Praxisnahe Verantwortung übernehmen und dabei fast spielerisch lernen“, nennt es Schulleiterin Elke Koller. Es geht über die Fütterung hinaus. Gemeinsam ermitteln die Kinder die Bedürfnisse der von allen liebgewonnen Zwei- und Vierbeiner: Wer benötigt welche Pflege? Wo muss der Stall ausgemistet werden?

„Die Kinder lernen zu beobachten, zu rechnen, zu zeichnen, zu konstruieren, mit Holz und anderen Materialien umzugehen“, präzisiert Lehrerin Elena Rose, aus dem pädagogischen Schulzooteam. Deutsch lernen, mit der Sprache umgehen, kleine Referate oder Vorträge halten – Schkeuditz‘ bunte Tierwelt fördert auch diese Kompetenzen. Beispielsweise, wenn die Schülerinnen und Schüler in ihrer wöchentlichen Schulzoostunde, die sich am Lehrplan orientiert, aber eben tierische Themen aufgreift, den Auftrag erhalten, wichtige Informationen zu recherchieren und zusammenzufassen.

Umweltlernen und Mitbestimmung

Die Kinder werden in die Planungen einbezogen
Die Kinder werden in die Planungen einbezogen © Thomas-Müntzer-Grundschule

Dann stehen sie, gebannt auf die Infotafeln an den Gehegen schauend, und erkunden, wo Frettchen ihre Ursprungsheimat haben, wie die Schulpferde gehalten werden und was es Wissenswertes über Gustav und Agathe – die Schulgänse – gibt. Die Zoostunde leiten stets zwei Lehrkräfte – eine von ihnen ist dann Elena Rose. Ganz nebenbei erfahren sie viel über Umwelt, Natur und Tierwohl, aber auch über Mitbestimmung. Dass die Kaninchen einen größeren Bau mit Außengelände und die Fasane besser geschützte Unterkünfte benötigten, fiel den Kindern ins Auge. Sie wurden in die Planung neuer Gehege einbezogen, zeichneten ihre Ideen, berechneten den Materialbedarf und unterstützten den Neubau, der im Werkunterricht oder ehrenamtlich von regionalen Handwerksbetrieben realisiert wurde.

Die „Schule im Grünen mit Schulzoo“ erhält viel Unterstützung von außen, vorrangig durch die Kommune. Der Schkeuditzer Oberbürgermeister Rayk Bergner teilt die Begeisterung für das Konzept und wirbt für die Akzeptanz dieser besonderen Schule in der Politik – mit Erfolg. Die Tierpflegerinnen sind bei der Stadt angestellt, die auch die Kosten für Futter und Material übernimmt.

Der aktive Förderverein der Schule trägt ebenfalls zur Attraktivität des Schulzoos bei. Weil die Kaninchenställe nicht mehr zeitgemäß schienen und keine artgerechte Haltung zuließen, startete er 2023 eine große Crowdfunding-Aktion. Schkeuditzer und Schkeuditzerinnen, darunter ehemalige Schüler und Schülerinnen, aber auch große Unternehmen, Mittelständler und Privatpersonen als Sponsoren ermöglichten den Bau des neuen Geheges, in dem die Tiere Auslauf und die Kinder nun Platz zur Beobachtung haben.

Öffnung nach innen und außen

Schulleiterin Elke Koller weiß das Engagement zu schätzen: „Alle versuchen, ihre Stärken einzubringen. Ohne diese Unterstützung könnten wir diese Form von Pädagogik nicht in diesem Maße leisten.“ Katja Redmann, ihre Stellvertreterin, ist wie sie der Überzeugung, dass tiergestützte Pädagogik auch in kleinerem Maße sinnvoll und umsetzbar ist. Zumal, wenn sich die Schüler- und Elternschaft so aktiv wie an der Thomas-Müntzer-Schule beteiligt. So kamen durch einen Spendenlauf auch 9.000 Euro für das grüne Klassenzimmer zusammen, wiederum ehrenamtlich von einem befreundeten Handwerker gebaut.

Das vor rund zwölf Jahren sanierte und teilweise neu gebaute, helle und farbige Schulgebäude strahlt eine Offenheit aus, die sich auch im multiprofessionellen Team und der Bereitschaft der Schule, sich nach außen und innen zu öffnen, widerspiegelt. Eine Schulsozialarbeiterin gehört ebenso zum Team wie junge Menschen, die hier ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) absolvieren. Mit anderen Zoos kooperiert die Grundschule ebenfalls. Sie erhält von dort neue Tiere oder findet Abnehmer, wenn es beispielsweise in einem Stall „zu voll“ wird.

Die Thomas-Müntzer-Grundschule gehört zu den sächsischen DaZ-Stützpunktschulen, in denen neu zugewanderte Kinder „Deutsch als Zweitsprache“ und damit die Grundlagen der Alltags- und Bildungssprache lernen. Für rund die Hälfte der Schülerinnen und Schüler beginnt der Schultag mit einem täglichen Frühstück, das die Kinder ab 7 Uhr von Ehrenamtlichen serviert bekommen, ermöglicht durch den Verein „Brotzeit“ von Schauspielerin Uschi Glas. Das lassen sie sich an dem von „rüstigen Seniorinnen und Senioren“ liebevoll zubereiteten Büfett gut schmecken und finden zugleich offene Ohren für ihre kleinen und großen Sorgen.

Sächsische DaZ-Stützpunktschule
Sächsische DaZ-Stützpunktschule © Thomas-Müntzer-Grundschule

Anschließend lernen die Kinder bei Lehrerin Jenny Gassel drei Stunden täglich, wenn eben möglich auch in Alltagssituationen, die für sie noch fremde Sprache. Ansonsten gehören sie von Anfang an dem normalen Klassenverband an und sind in den Regelunterricht integriert. Sie gestalten die Schülerzeitung mit und engagieren sich als Streitschlichterinnen und -schlichter. Elke Koller weiß aus Erfahrung: „Im Gespräch mit den Gleichaltrigen lernen sie Deutsch wahrscheinlich am leichtesten.“

 

Ganztagsangebote – „mehr als Wissenserwerb“

Das gilt auch für die Ganztagsangebote der Schule und die gemeinsamen Aktivitäten im von Katrin Jonas geleiteten Hort in Trägerschaft der Volkssolidarität, der sich gleich neben der Schule im sanierten Altbau und 2015 errichteten Hortneubau befindet und ganze zehn Funktionsräume zur Verfügung hat. Er bietet eine Betreuung von 6 bis 17 Uhr an, mit Frühstück, Hausaufgabenbetreuung, Freizeitangeboten und Ferienprogramm.

Viele Ganztagsangebote sind, wie nicht anders zu erwarten, an den Zoo und die Tiere gebunden, wie „Kaninchen“, „Pferde“ oder „Geflügel“. Die Angebote gehen aber weit darüber hinaus. Schulsozialarbeiterin Anke Bauermeister bietet die AGs „Streitschlichterkids“ und „Schülerzeitung“ an. Beratungslehrerin Katrin Wandelt leitet die AG Schulbibliothek, zu der die lokale Buchhandlung mit Bücherspenden beigetragen hat. Sportliche Angebote reichen von „Sport und Spiel in der Turnhalle“ und Kinderyoga bis zu Handball des SC DHFK, Fußball der Mobilen Fußballschule „Playmaker Talents“ und Fechten des traditionsreichen Fechtclubs Schkeuditz.

Um Natur und Nachhaltigkeit geht es in der Schulgarten-AG „Grüner Daumen“. Doch auch „Robotik“ ist beliebt. Letzteres leitet Elke Koller. Sie ist dankbar für die gute Lego-Ausstattung, die sie im MINT-Bildungsprogramm „FIRST LEGO League“ des 2002 in Leipzig gegründeten Vereins „Hands on Technology“ erhält. Hier können die Kinder bauen und programmieren – zuletzt eine Bühne mit den Möglichkeiten, sie zu beleuchten, zu drehen und Musik abzuspielen.

Grünes Klassenzimmer: ehrenamtlich erbaut
Grünes Klassenzimmer: ehrenamtlich erbaut © Thomas-Müntzer-Grundschule

Das Kollegium glaubt fest an die Maxime: „Lernen ist mehr als Wissenserwerb.“ Daher sind ihm Kooperationen mit außerschulischen Partnern wichtig. Um mehr Wissen für das Kollegium geht es allerdings, wenn sich Elke Koller bemüht, noch intensiver mit Hochschulen und Universitäten zu kooperieren: „Wir können voneinander profitieren. Die Auszubildenden oder Referendarinnen und Referendare, wenn sie uns über die Schulter schauen und wir, wenn wir neue pädagogische Entwicklungen auf direktem Weg kennenlernen.“

Alle Schülerinnen und Schüler fördern

Möglicherweise trägt dies auch dazu bei, dass die Grundschule neue Entwicklungsziele ins Visier genommen hat: Wie kann die Freiarbeit weiterentwickelt werden? Wie können die Wünsche der Schülerinnen und Schüler, die zwei Wochenstunden Förderunterricht noch enger mit dem Lernfeld Schulzoo zu verknüpfen, umgesetzt werden? Letzteres ging aus einer Befragung der Schülerinnen und Schüler hervor.

Für Elke Koller liegt es „in der Natur der Sache“, sich tendenziell zunächst um die Leistungsschwächeren zu bemühen. Ihre pädagogische Grundüberzeugung ist aber, dass alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen zu fördern sind, um sich gut zu entwickeln: „Daran möchten wir im Interesse der Leistungsstärkeren weiterarbeiten.“ Katja Redmann und Elena Rose nennen weitere Optimierungsmöglichkeiten: Organisatorisch gehört dazu „mehr Zeit für eine strukturelle Abstimmung im Team“. Ein unterrichtliches Ziel ist die noch besser gefüllte und intensivere Nutzung der digitalen Materialsammlung.

Mit Vorfreude, aber auch Spannung harrt die Schulgemeinde eines weiteren Öffnungsprozesses. Während aktuell vor allem andere Schulen ihren Schulzoo nicht nur besichtigen, sondern auch nutzen möchten, soll dies eines Tages auch der breiten Öffentlichkeit möglich sein. Bisher fehlt dafür ein Wirtschaftsgebäude mit sanitären Anlagen. Doch die Pläne liegen bereits in der Schublade. Der dreiminütige Imagefilm, den die Kinder nahezu eigenständig erstellt haben, wird sicherlich wieder eine gute Überzeugungshilfe leisten.

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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