Regine-Hildebrandt-Schule: Miteinander und voneinander lernen : Datum: Autor: Autor/in: Martina Kefer

"Wir sitzen alle in einem Boot", sagt Kathrin Voigt, Leiterin der Regine-Hildebrandt-Schule im brandenburgischen Birkenwerder. Und damit meint sie nicht nur das Projekt "Integration durch Mannschaftssegeln".

Dahinter stehen in Birkenwerder viel Engagement, jahrelange Erfahrung und die daraus gewachsene Überzeugung: "Es lohnt sich, den eingeschlagenen Weg konsequent weiter zu verfolgen", wie es Kathrin Voigt formuliert. Sie übernahm zu Beginn des Jahres die Leitung der integrativ-kooperativen Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe von Hansjörg Behrendt, der sich in den Ruhestand verabschiedete. Da hatte Voigt bereits ein Dutzend Jahre Deutsch und Englisch an der Regine-Hildebrandt-Schule unterrichtet und deren Leitbild verinnerlicht. Es setzt sich zusammen aus: Teamfähigkeit, Leistungsbereitschaft, Toleranz, Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme.

Schüler an Deck eines Segelschiffes
© Regine-Hildebrandt-Schule

Rückblickend wurde an der Schule aus der Not eine Tugend geboren. Mitte der 90er Jahre fusionierte die Gesamtschule aus demographischen Gründen mit der Körperbehindertenschule vor Ort. Heute zählt die Schule 683 Schülerinnen und Schüler, darunter 80 mit sonderpädagogischem Bedarf. Sie werden gemeinsam im Ganztagsbetrieb unterrichtet. Es gibt keine separaten Förderklassen. In jeder Klasse sitzen bis zu vier Schüler mit Handicap. "Sie lernen miteinander und voneinander", betont Voigt. Was in Birkenwerder längst zum Alltag geworden ist, sei inzwischen auch wissenschaftlich mehrfach durch Studien belegt. Voigt: "Es schadet leistungsstarken Schülern überhaupt nicht, wenn sie gemeinsam mit etwas leistungsschwächeren unterrichtet werden. Im Gegenteil, was soziale oder personale Kompetenzen wie Teamfähigkeit und Selbstständigkeit oder Verantwortungsbewusstsein betrifft, lernen sie sogar mehr."

Bundesweite Anerkennung

Das Gegenteil ist nicht nur ein Bauchgefühl: So liegen die Leistungen der Regine-Hildebrandt-Schüler bei Vergleichsarbeiten im Landesdurchschnitt, bei den Abschlussprüfungen des zehnten Jahrgangs teilweise darüber. Und: Ein Drittel der Zehntklässler mit sonderpädagogischem Förderbedarf schaffte im Jahr 2011 die Versetzung in die gymnasiale Oberstufe. Aufmerksamkeit und Anerkennung findet das Schulkonzept schon seit Jahren - in Brandenburg und bundesweit: 2002 und 2004 gewann die Regine-Hildebrandt-Schule den Wettbewerb "Innovative Schule Brandenburg", 2005 siegte sie bundesweit als "Schule des Jahres". Und in diesem Jahr sicherte sie sich wie bereits erwähnt den "Jakob-Muth-Preis für inklusive Schule" für vorbildlichen gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern.

Aus Schülermund hört sich das so an: "Ich finde es gut, dass Behinderte mit uns lernen, da sie auch ein Recht auf Bildung haben. Sie können hier auch viel mehr Freunde finden", meint Lennart Klein. Seine Klassenkameradin Elisabeth Stiefel ergänzt: "Ich finde es gut, dass wir mit Behinderten zusammenarbeiten können, so kann man lernen, mit Behinderungen umzugehen und sie wie nicht behinderte Menschen zu behandeln." Und für Steven Hohlweg ist Integration schlicht eine Selbstverständlichkeit: "Ich weiß gar nicht, warum ich dazu befragt werde. Ich hab damit gar kein Problem. Gibt es denn welche, die das nicht wollen?"

Zwei Lehrkräfte leiten eine Klasse

Schlagwort Binnendifferenzierung: Wo andere Schulen erst am Anfang der individuellen Förderung einzelner Lernender innerhalb der bestehenden Lerngruppe stehen, "haben wir schon Erfahrung", sagt Kathrin Voigt. In der Praxis sieht das so aus: Jede Klasse hat zwei Lehrkräfte, die sich die Leitung teilen. Auch findet rund ein Drittel des Unterrichts im Teamteaching statt. Dabei kann besser auf jeden einzelnen Schüler - ob mit oder ohne sonderpädagogischen Sonderbedarf - eingegangen werden. Und: "Das wirkt über die einzelnen Stunden hinaus", so Voigt.

Schülerinnen und Schüler im Klassenraum
Unterricht © Thomas Koy

Denn: An der Regine-Hildebrandt-Schule werden grundsätzlich nicht alle Kinder über einen Kamm geschert. Es gibt unterschiedliche Zielvereinbarungen mit den Integrationsschülern, zugeschnitten auf das jeweils eigene Tempo und die individuelle Arbeitsweise. Voigt: "Die unterschiedliche Bewertung wird von den Schülern gut akzeptiert." Zumal "es nicht immer die Zensur sein muss, die am Ende steht".

Ein gutes und intensives Miteinander kennzeichnet das Lehrerkollegium. Gemeinsam planen Klassen-, Jahrgangs- und Fachteams den Unterricht und bereiten ihn auch zusammen vor. "Gegenseitige Wertschätzung, die sich auch auf die Schüler überträgt, macht einen großen Teil unserer Arbeit aus", unterstreicht Voigt. Und trägt Früchte: So lassen sich beispielsweise Schüler der oberen Klassen zum "Peer Teacher" ausbilden. Sie helfen dann schwächeren und jüngeren Mitschülern, den Unterrichtsstoff besser zu bewältigen.

Eine Ganztagsschule mit besonderen Angeboten

Insgesamt ist die Regine-Hildebrandt-Schule geprägt von dem Anspruch, mehr als nur Schulwissen vermitteln zu wollen. Hier wird vorbereitet und gelernt für das Leben danach. Nicht nur in Sachen Sozialkompetenz. Voigt:  "Berufsorientierung steht bei uns im Vordergrund." Dafür bietet die Ganztagsschule beispielsweise so genannte Profilkurse wie Babysitting an. Hier lernen die Teilnehmer entwicklungspsychologische Grundlagen von 0 bis  8 Jahren, erste Maßnahmen bei Krankheit oder Unfällen, Säuglingspflege und mehr. Am Ende des Kurses erhalten sie vom Deutschen Roten Kreuz ein "Babysitter-Diplom", als Nachweis über die erfolgreiche Teilnahme. Nicht nur das Deutsche Rote Kreuz kooperiert mit der Schule. Steht das Thema "Job" als Unterrichtseinheit an, führen Vertreter ansässiger mittelständischer Firmen, Sparkassen und Versicherungen Bewerbungsgespräche mit den Schülern - wie im echten Leben. Und auch mit Praktikumsplätzen geizen sie nicht. Vor allem die benachbarte Asklepios Klinik ist hier sehr engagiert.

"Es ist das gute Gefühl, etwas Lohnendes zu tun. Unter vielen Gleichgesinnten", beschreibt Kathrin Voigt ihre Freude an der schulischen Arbeit. Vorfreude auf eine besonders intensive gemeinsame Zeit empfinden die zwölf Schüler, die im Mai auf einen Segeltörn gehen. Sie stechen an Bord von Deutschlands erstem Rollstuhlsegelschiff "Wappen von Ueckermünde" und dessen Schwesterschiff "Greif von Ueckermünde" in See. Ziel ist es, den Kontakt zwischen behinderten und nicht behinderten Schülerinnen und Schülern außerhalb des Unterrichtes zu vertiefen. Die Verantwortung für ein 20 Meter langes Schiff gemeinsam zu übernehmen, es zu navigieren, sicher in den Hafen zu steuern, die über 150 Quadratmeter Segelfläche richtig und fachmännisch zu hissen sowie die Versorgung der Mannschaft zu gewährleisten sind die Aufgaben, die auf sie warten. Wahrhaftig im gleichen Boot sitzen eben.

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