Referenz für den Ganztag: Schloss-Schule Gräfenhausen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Schloss-Schule Gräfenhausen wurde mit dem „Weiterstädter Modell“ und ihrem teilgebundenen rhythmisierten Ganztag zur Referenzschule – auch dank des Engagements der Stadt und des Landkreises.

Schloss-Schule Gräfenhausen Gebäude
© Schloss-Schule Gräfenhausen

Die Schloss-Schule Gräfenhausen, die sich kürzlich bei der Fachtagung des Ganztagsschulverbandes Hessen in Wiesbaden  vorstellte, ist eine Ganztagsschule, wie es sie eigentlich gar nicht geben sollte. Dass sie seit vier Jahren als teilgebundene Ganztagsschule mit einem rhythmisierten Ganztag bis 14.30 Uhr arbeitet, macht sie einmalig in Hessen. Das ist Ergebnis eines besonderen Engagements der Eltern, des Lehrerkollegiums und der Stadt Weiterstadt. Die Stadt ist dabei nicht einmal der Schulträger – dies ist der Landkreis Darmstadt-Dieburg. Aber in Weiterstadt herrscht großes Einvernehmen darüber, wie „Bildung aus einer Hand“ aussehen soll und sich der Ganztag dabei einfügt. Dazu gehört nicht zuletzt eine Rahmenvereinbarung zur Kooperation von Schule und Jugendhilfe.

„Bildung aus einer Hand“, so lautet der Titel des Bildungsgesamtplans der Stadt Weiterstadt, der erstmals 2005 in der Stadtverordnetenversammlung beschlossen und seitdem 2011 und 2016 für jeweils vier weitere Jahre bestätigt wurde. Der aktuelle Bildungsgesamtplan nennt insbesondere drei Ziele: „1. Bildungsgerechtigkeit als Verbesserung der Chancen auf Teilhabe, 2. Lebensweltbezug – die Bildungsangebote müssen sich an den Lebenswelten orientieren und nicht umgekehrt –, und 3. Individualisierung des Lernens.“

„Weiterstädter Modell“: für Eltern attraktiv

Laut Rosemarie Lück, der Vorsitzenden des Bildungskreisrats, und Ralph von Kymmel, Leiter des Staatlichen Schulamts, die beide in der Steuerungsgruppe „Lokale Lern- und Bildungslandschaft Darmstadt-Dieburg“ mitarbeiten, lassen sich diese Ziele in einer offenen Ganztagsschule nicht ausreichend realisieren. „Durch die Freiwilligkeit der Teilnahme am Nachmittag kann die Schule die Abläufe des Unterrichtsvormittags nur unzureichend verändern“, erklärten die beiden in einer gemeinsamen Stellungnahme zur Aktualisierung des Hessischen Schulgesetzes im Herbst 2016.

Zwei Schülerinnen mit Leseköniginnen-Urkunde
Weiterstädter Lesewettbewerb 2017 © Schloss-Schule Gräfenhausen

Der zeitliche Rahmen der gebundenen Ganztagsschule bis 17 Uhr sei wiederum „für viele Eltern zu weit gesteckt“. Da eine gebundene Ganztagsgrundschule die Akzeptanz aller Beteiligten voraussetze, wird den bisherigen Modellen ein neues an die Seite gestellt, „von dem wir überzeugt sind, dass es für viele Schulen konsensfähig sein könnte“. Dieses „Weiterstädter Modell“ realisiert seit dem Schuljahr 2013/2014 die Schloss-Schule Gräfenhausen.

Während das Ganztagsprogramm in Hessen zunächst zwei Modelle der offenen Ganztagsschule (bis 14.30 Uhr bzw. 16 Uhr oder 17 Uhr) und ein voll gebundenes Modell (bis 16 Uhr oder 17 Uhr) vorsah, stärkt das Land inzwischen auch teilgebundene Modelle, wofür die Schloss-Schule mit ihrem rhythmisierten Ganztag bis 14.30 Uhr zur Referenzschule im Landkreis Darmstadt-Dieburg wurde.

„Durch die Begrenzung auf 14.30 Uhr haben sich auch Eltern, die nicht dafür waren, ihr Kind nachmittags in die Schule gehen zu lassen, auf unser Konzept eingelassen“, meint Schulleiter Gerhard Kraft. „Familien- und Vereinsaktivitäten sind weiter möglich. Die innerfamiliären Auseinandersetzungen um die Hausaufgaben finden nicht mehr statt. Eine Befragung der Eltern hat mit 85 Prozent eine hohe oder sehr hohe Zufriedenheit mit unserer Form der Ganztagsschule ergeben.“

Mehr Zeit für Koordination, Kooperation und Kommunikation

Für die 240 Schülerinnen und Schüler der Schloss-Schule im aktuellen Schuljahr 2016/2017 dauert der Schultag nun an vier Wochentagen von 8 bis 14.30 Uhr. Anstelle der regulären Stundentafel mit 21 Stunden für die Klassen 1 und 2 beziehungsweise 25 Stunden für die Klassen 3 und 4 sind es für alle Schülerinnen und Schüler 28 Stunden. Davon sind in den Klassen 1 und 2 vier Stunden und in den Klassen 3 und 4 drei Stunden die IGEL-Stunden – individuell angeleitete Lernzeiten, die die Hausaufgaben weitgehend ersetzen. Kinder, deren Eltern es wünschen, können zusätzlich von 7 bis 8 Uhr und von 14.30 bis 17 Uhr eine kostenpflichtige Betreuung buchen.

Schloss-Schule Gräfenhausen
© Schloss-Schule Gräfenhausen

Die Stadt Weiterstadt finanziert sozialpädagogische Fachkräfte im Umfang von 31 Stunden. Diese arbeiten eigenständig in Lernzeiten und Angeboten mit Klassen oder Gruppen und auch in Doppelbesetzungen zusammen mit Lehrkräften. Dadurch ist eine gute Verknüpfung der unterrichtlichen und der außerunterrichtlichen Lernangebote möglich. Insgesamt arbeiten 47 Personen aus acht Institutionen an der Schloss-Schule: Neben 17 Lehrkräften, der Ganztagskoordinatorin und vier sozialpädagogischen Fachkräften sind das acht Honorarkräfte, drei Förderschullehrerinnen, zwei Gemeindepädagoginnen, zwei Teilhabeassistenzen, ein FSJler und vier Ehrenamtliche. Letztere sind Eltern, die sich für die Schule engagieren.

„Ein Problem, das wir nach wie vor haben“, so Schulleiter Kraft, „ist der Austausch zwischen den Lehrkräften und unseren vielen pädagogischen Partnern – das kann eigentlich nur nach 17 Uhr stattfinden. Ganztagsschulen brauchen für Koordination, Kooperation und Kommunikation mehr Zeit.“

„Nie gehe ich hier mehr weg!“

Für das Kollegium hat der Schulleiter die Zahl der Konferenzen auf ein Minimum begrenzt, sie finden vierteljährlich statt. Jeden Montag gibt es dafür eine „kurze und knackige“ Dienstversammlung, auf der viel geklärt werde. Dazu treffen sich regelmäßig die in Jahrgangsteams organisierten Kolleginnen und Kollegen. „Das Kollegium hat sich gewünscht, dass man öfter miteinander redet. Jetzt bin ich auf die Jahrgangsteams stolz, die so viel untereinander regeln“, freut sich Gerhard Kraft.

Parallel dazu ist die Kooperation von Lehrerinnen, Lehrern und sozialpädagogischen Fachkräften ein längerer Prozess gewesen. Christine Noack, Angestellte der Stadt Weiterstadt, die seit acht Jahren als Sozialpädagogin an der Schloss-Schule arbeitet, erinnert sich: „Manchmal war ich in einem Wechselbad der Gefühle von 'geduldet' bis 'herzlich willkommen'. Heute ist die enge Zusammenarbeit nicht mehr wegzudenken. Sie ist gewachsen und geprägt von gegenseitiger Wertschätzung. Und mir macht die Arbeit Spaß.“ Eine ihrer städtischen Kolleginnen, die mal gesagt hatte, niemals gehe sie an die Schule, „sagt heute: Nie gehe ich hier mehr weg!“

Lehrerin Renate Brand schätzt das ähnlich ein: „Wir arbeiten auf Augenhöhe. Nur so geht es.“ Ein größerer „pädagogischer Brocken“ ist noch die Lernzeit. „Auf dem Pädagogischen Tag im vergangenen Schuljahr hat sich gezeigt, dass jeder beim Thema Lernzeit von etwas Anderem geredet hat. Jetzt haben wir ein Lernzeitkonzept entwickelt, für das Lehrerinnen und Lehrer genauso wie Erzieherinnen wichtig sind. Wir möchten, dass die Lernzeit von den Kolleginnen und Kollegen begleitet wird, die die Kinder kennen“, erzählt die Lehrerin.

Schloss-Schule Gräfenhausen
Rollerspaß mit Schulleiter Gerhard Kraft © Schloss-Schule Gräfenhausen

Beim diesjährigen Pädagogischen Tag im März ist auch ein großer Schritt in der Unterrichtsentwicklung unternommen worden. Das Kollegium hat sich verständigt, das Lernzeitkonzept zu einem Konzept für selbständiges Lernen zu erweitern – und das betrifft alle Phasen des Schultages. „Nun Absprachen und letztlich Verbindlichkeiten hinzubekommen, da bohren wir an einem dicken Brett, und das wird uns noch eine Weile gut beschäftigen“, so Schulleiter Kraft.

Wenige feste AGs und offenes Mittagsband

Das Auffälligste an der Ganztagsgrundschule ist sicherlich das offen gestaltete Mittagsband. „Früher sind die Schülerinnen und Schüler jahrgangsweise essen gegangen, was zu langen Schlangen führte“, erzählt Renate Brand. „Jetzt kann jeder selbst entscheiden, wann er oder sie innerhalb unseres 90-minütigen Mittagsbands ins 'Kinder-Restaurant' geht. Das funktioniert prima.“

Standen im Mittagsband früher feste AGs zur Wahl, sind diese nun überwiegend offenen Angeboten gewichen, für die sich die Schülerinnen und Schüler jeden Tag aufs Neue ganz frei entscheiden können. An der „Infotainment“-Wand im zentralen Treppenhaus informieren sie sich täglich, welche Angebote möglich sind. Dann stimmen sie „mit den Füßen“ ab, welches Angebot auch wirklich stattfindet.

„Es macht ja für uns wenig Sinn, auf einer AG Häkeln zu bestehen, wenn die Kinder im Sommer sehnsuchtsvoll mit ihren Köpfen am Fenster hängen“, meint Schulleiter Kraft. „Jetzt ist es gut, dass wir uns nicht mehr in Regeln und Taktung verlieren.“ Dass so viel Freiheit der Entscheidung funktioniert und trotzdem Struktur und Aufsicht gesichert sind, finden Außenstehende oft erstaunlich. Schulleiter Gerhard Kraft hat eine schlichte Erklärung: „Man muss es den Schülerinnen und Schülern zutrauen.“

Schloss-Schule Gräfenhausen
Sport- und Spielefest 2017 © Schloss-Schule Gräfenhausen

Für Schülerinnen und Schüler der 3. und 4. Klassen, bei denen die Lehrkräfte eine zusätzliche Förderung für notwendig halten, gibt es wöchentlich im Mittagsband den „Lernplaneten“: Hier erhalten sie in kleinen Gruppen von maximal zehn Kindern individuelle Unterstützung. Nach dem dritten Unterrichtsblock, der sich an das Mittagsband anschließt, stehen ab 14.30 Uhr dann weiterhin auch feste AGs zur Auswahl, beispielsweise die Basketball-AG, die AG Französisch für Viertklässler, verschiedene Musik-AGs des Musikvereins Gräfenhausen wie die Bläserklasse oder die Schülerzeitungs-AG EssZett.

Erprobt und empfohlen

Nicht nur die Eltern, auch die Lehrkräfte sind zufrieden mit der teilgebundenen Ganztagsgrundschule. „Die Tage sind entzerrter als früher, es ist entspannter, man hat mehr Zeit in der Schule, die man auch zur Vorbereitung nutzen kann“, findet Renate Brand.

Doch auch Ressourcen spielen eine Rolle. Aktuell erhält die Schloss-Schule einen Ganztagszuschlag von 31 Prozent. „Das ist etwas mehr, als der Pakt für den Nachmittag vorsieht“, sagt Schulleiter Gerhard Kraft. „Davon nutzen wir den Umfang einer halben Stelle, um Honorarkräfte zu finanzieren. Die übrigen Personalstunden werden von der Stadt Weiterstadt gestellt.“ Die Erfahrungen in Weiterstadt besagen allerdings, dass es geschätzt eines Zuschlags von 50 Prozent bedarf, einen rhythmisierten Schultag für alle Schülerinnen und Schüler zu schaffen.

Den heutigen Stand hätte die Schloss-Schule Gräfenhausen daher auch nicht ohne die gute Zusammenarbeit mit dem Schulträger, mit dem Staatlichen Schulamt und mit dem Referat für Ganztagsangebote des Kultusministeriums erreichen können, bilanziert Schulleiter Kraft. Vom pädagogischen Sinn des rhythmisierten Ganztags ist er überzeugt und kann nur empfehlen, die teilgebundene Ganztagsschule auch an anderen Schulen zu erproben: „Wir sagen: Geht doch!“

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