Ostseeschule Ückeritz: Gemeinsam Segel setzen im Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

500 Meter vom Ostseestrand entfernt lernen die Schülerinnen und Schüler der Ostseeschule Ückeritz auf der Insel Usedom, einer teilgebundenen Ganztagsschule, die gerade ihren Kurs neu bestimmt.

Lehrerinnen, Lehrer, Schülerinnen und Schüler am Strand
Eine gute Tradition - Abschlusstag des 10. Jahrgangs am Strand © Ostseeschule Ückeritz

Die Ostseeschule Ückeritz ist Ausbildungsschule, und wenn Schulleiter Peter Biedenweg an einer Universität in Mecklenburg-Vorpommern sitzt, um bei Lehramtsstudierenden für seine Schule als Ausbildungsschule zu werben, kann er sich schneller und großer Aufmerksamkeit sicher sein.

„Sobald die Studenten die Bilder von unserem Schulhund Bruno sehen, sind sie neugierig. Und wenn wir dann noch unseren Slogan 'Leben und lernen, wo andere Urlaub machen' ins Spiel bringen, dann ist das Interesse richtig geweckt.“ Zum Schuljahresbeginn 2018/2019 absolvieren derzeit gleich vier Referendare an der teilgebundenen Ganztagsschule ihr Hauptpraktikum, obwohl die Schule eigentlich nur auf zwei gehofft hatte. Zwei Referendarinnen bereiten sich an der Ostseeschule auf das Zweite Staatsexamen vor.

Die vier Hauptpraktikanten können sich selbst überzeugen, dass die Schule auf der Insel Usedom mit ihrem Werbespruch nicht übertrieben hat – der Ostseestrand liegt nur 500 Meter entfernt. Wer aus der 2004 unter anderem mit IZBB-Mitteln neu gebauten Schule tritt, findet sich gleich im Strom von Urlaubern wieder. Und natürlich zieht es auch die Regionale Schule immer wieder dorthin.

„Die Kennenlernwoche der Schülerinnen und Schüler zu Schuljahresbeginn findet am Strand statt, und im Laufe des Schuljahres gibt es dort Projekttage, zum Beispiel ein Strandburgenfest und auch Strandwanderungen“, erzählt Peter Biedenweg. „Eine Tradition setzt sich gerade durch: Zum Abschlusstag der 10. Klassen laden diese die ganze Schule zum Strand ein. Dann organisieren sie Spiele mit den Schülerinnen und Schülern, dem Kollegium und der Schulleitung. Wir essen Pizza und kehren am Nachmittag wieder in die Schule zurück – alle sind happy.“

„Gemeinsam Segel setzen“

Schulhof der Ostseeschule Ückeritz
Das mit IZBB-Mitteln gebaute Schulgebäude. © Ostseeschule Ückeritz

Besonders glücklich ist Peter Biedenweg auch über eine andere Tradition, die mit dem Wasser zu tun hat. Vor zehn Jahren hat Lehrerin Beate Ollermann auf eigene Kosten erstmals in der ersten Ferienwoche Schülerinnen und Schüler zu einer Kanu-Woche auf der Tollense eingeladen. Inzwischen hat sich daraus das Sommercamp entwickelt, bei dem bis zu 30 Jugendliche teilnehmen. Auf dem Brooker Hof bei Alt-Tellin in Mecklenburg-Vorpommern zelten die Schülerinnen und Schüler, fahren Kanu, baden, angeln und reiten, begleitet von Beate Ollermann, ihrem Kollegen Uwe Welz und Schulsozialarbeiterin Petra Reinhardt.

„Man erlebt die Schülerinnen und Schüler da ganz anders“, meint der Schulleiter. „Das Camp erlaubt den Schülern, mal ganz Kind sein zu können.“ Vor dem Engagement seiner Kolleginnen und des Kollegen habe er großen Respekt: „Dafür muss Geld da sein.“ Insbesondere dann, wenn es für manchen Schüler und manche Schülerin „laut eigener Aussage das Einzige sei, worauf es sich freuen kann“. Ehemalige Sommercamp-Teilnehmer begleiten die jetzige Schülergeneration heute als Betreuer im Camp. „Das zeigt, wie sehr diese Woche die Schülerinnen und Schülern geprägt und wie viel sie ihnen bedeutet hat.“

Das Sommercamp steht sinnbildlich für das Miteinander an der teilgebundenen Ganztagsschule, die an fünf Tagen Arbeitsgemeinschaften, Hausaufgabenbetreuung und Lernwerkstätten bis 16 Uhr anbietet. Derzeit nehmen 75 Prozent der 300 Schülerinnen und Schüler an den Ganztagsangeboten teil. Schulleiter Peter Biedenweg lädt auf der Schulhomepage mit einem maritimen Willkommensgruß in seine Schule ein:

„Gemeinsam Segel setzen und den Kurs für die Reise bestimmen, das ist das Motto aller, die hier in jedem Schuljahr an Bord gehen: Schüler, Lehrer, Mitarbeiter, Eltern, Kooperationspartner und Gäste. Möge unser Schulschiff immer in einem guten Fahrwasser mit einer einzigartigen Mannschaft und fleißigen Passagieren auf sicherem Kurs segeln und so erfolgreich auch ferne Gestade erreichen.“

Mit der Bäderbahn in die Schule

Peter Biedenweg in seinem Büro
Schulleiter Peter Biedenweg: „Inklusion ist für mich kein Konzept, sondern eine Lebenseinstellung.“ © Online-Redaktion

Die Passagiere buchen die Ostseekogge auf jeden Fall gerne. „Jetzt am Schuljahresanfang habe ich von vielen Schülerinnen und Schülern gehört, dass sie sich freuen, dass die Ferien zu Ende sind und die Schule wieder losgeht“, berichtet der Schulleiter. „Ich habe das früher als Schüler, der hier selbst zur Schule gegangen ist, meistens anders gesehen. Aber heute ist die Schule halt für viele die einzige Möglichkeit, Freunde wiederzutreffen.“

Das Einzugsgebiet der Schule reicht mit einem Radius von 30 Kilometern bis ins Hinterland der Insel Usedom. Manche Kinder und Jugendliche kommen aus kleinen Gemeinden ohne Gleichaltrige. Sie legen einstündige Bahn- und Busfahrten mit der Usedomer Bäderbahn (UBB) – der Haltepunkt Ückeritz liegt direkt neben dem Schulgebäude – und deren Bussen zurück. Bei einem um 7.25 Uhr beginnenden Schultag müssen manche also um 5 Uhr aufstehen. „Ich habe mit der UBB über andere Fahrzeiten gesprochen, doch man sagte mir, da sei nichts zu machen – der Takt sei auf Berlin abgestimmt“, bedauert Peter Biedenweg.

Die Schülerinnen und Schüler erwartet ein modernes Schulgebäude, das die Schule Anfang des Jahrtausends mit einem Architekten plante. „Für mich ist es noch heute ein Wunder, dass wir damals die IZBB-Mittel erhalten haben“, freut sich der Schulleiter. „Denn oft werden wir hier in dieser Ecke ein bisschen vom Land vergessen. Das Wunder war dann aber auch verpflichtend für uns.“

Inklusion als Lebenseinstellung

Schülerinnen an einem Stand zur Berufsvorbereitung
Usedom Abend: Berufsmesse in der Aula © Ostseeschule Ückeritz

Das damalige Schulprogramm wurde darauf ausgerichtet, jeder Schülerin und jedem Schüler einen Ausbildungsplatz zu vermitteln – was gelang. Mit anfangs 20 und inzwischen 90 Kooperationspartnern aus der Wirtschaft, von Institutionen und aus der Verwaltung konnte allen Jugendlichen, die hier die Berufsreife und die Mittlere Reife erreichen, eine Ausbildung vermittelt werden. Seitdem sich mit Beginn der 2010er Jahre das Verhältnis umkehrte und die Betriebe begannen, händeringend nach Auszubildenden zu suchen, will die Ostseeschule zum 90. Geburtstag im kommenden Jahr ein neues Schulprogramm beschließen.

„Wir müssen nun andere Ziele definieren. Das Durchhaltevermögen der Schülerinnen und Schüler muss gestärkt werden, sodass sie ihre Ausbildung später nicht abbrechen. Sie müssen mehr Selbstverantwortung lernen und auch auf diese Weise exzellent von uns auf den Beruf vorbereitet werden. Manchmal heißt das auch, die Watte, in die die Kinder und Jugendlichen zu Hause gepackt werden, rauszunehmen, wie ich das nenne.“

Dabei wird die Ostseeschule weiter auf die Werte setzen, die ihrem pädagogischen Leitbild zugrunde liegen: Lebensbejahung, positive Einstellung zu Mitmenschen und zur Gemeinschaft, ein Sinn für das Schöne, aber auch Bescheidenheit und Ehrfurcht, eine positive Einstellung zur Arbeit, Selbstdisziplin und Lernbereitschaft, auch über die Schule hinaus. Zu den Werten gehört auch die Inklusion.

Gruppenfoto der Schülerredaktion mit Schulhund
Mehrfach prämiert: Die Schülerredaktion - hier mit Schulhund Bruno. © Ostseeschule Ückeritz

„Inklusion ist für mich kein Konzept, sondern eine Lebenseinstellung. Wenn alle das Gefühl haben, dass die Teilnahme von Kindern mit Behinderung am Unterricht normal ist, dann ist es gut“, davon ist der Schulleiter überzeugt. „Das ist ein langer Weg und erfordert viel Geduld, Differenzierung, Fingerspitzengefühl und sehr engagierte Kollegen. Wir sind da auf einem guten Weg.“ Die Inklusion stärke schließlich auch die sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler und die emotionale Intelligenz, „die zu fördern eine der vornehmsten Aufgaben der Schule ist.“

Kooperationspartner für den Ganztag

An der Ostseeschule finden eine gezielte Legasthenie-Diagnostik und -Förderung und die Integration behinderter Kinder in enger Zusammenarbeit mit freien Trägern statt. Seit Beginn des Schuljahres 2003/2004 gibt es an der Schule „Die Insel“ für Schülerinnen und Schüler, die intensive Förderung und Hilfe benötigen, um entsprechend ihren individuellen Voraussetzungen Lernfortschritte erreichen zu können. Grundlage ist der Rahmenlehrplan der Förderschule. Der Unterricht läuft parallel zum Unterricht der Regelschule und umfasst die Hauptfächer.

Auf mittlere Sicht will Peter Biedenweg die nun mögliche Kapitalisierung von Lehrerstunden nutzen, um mehr Kooperationspartner für die Ganztagsangebote zu gewinnen. So wie bereits jetzt in der Schülerzeitungs-AG, die vierteljährlich die „Ückeritzer Welle“ publiziert, angeleitet von dem Journalisten im Ruhestand Rainer Hein. Lehrerinnen und Lehrer, die bisher überwiegend die Ganztagsangebote durchführen – von Badminton, Tennis, Fußball, Basketball, Volleyball über Informatik und Experimentieren bis zur Schulband oder Grünem Klassenzimmer, Prüfungsvorbereitung, Begabtenförderung und Lernwerkstätten – würde der Schulleiter dann gern verstärkt im Unterricht einsetzen: „Dann wird auch leichter Teamteaching mit zwei Kollegen möglich sein.“

Schülerinnen und Schüler mit Kajaks
Projektwoche als Abwechslung zum Schulalltag. © Ostseeschule Ückeritz

Jetzt freut er sich erst einmal auf neue Räumlichkeiten. Der Altbau der Ostseeschule, der nach der Eröffnung des Neubaus an die Gemeinde übergangen war, wird nun für die Schule umgebaut. Denn der Platz ist schon wieder knapp bemessen: Einige Klassenräume mussten in Containern untergebracht werden.

„Das Schiff kommt jetzt ins Trockendock zur Inspektion. Unsere Kogge nimmt einen neuen Kurs. Auf einer langen Fahrt muss man den Kurs immer neu justieren“, findet Peter Biedenweg ein weiteres maritimes Bild für die Schulentwicklung. „Das neu zu erarbeitende Schulprogramm wird das neue Reiseziel und die Seeroute dorthin bestimmen.“

 

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