„Ohne Kooperation keine Ganztagsschule“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Beate Ritter ist die Schulleiterin des August-Ruf-Bildungszentrums in Ettenheim und gleichzeitig Vorsitzende des Ganztagsschulverbandes Baden-Württemberg. Die Redaktion hat die offene Ganztagsschule besucht.

Rathaus und Marktplatz der Stadt Ettenheim
Rathaus der Stadt Ettenheim © Stadtverwaltung Ettenheim

Der berühmte Blick über den Tellerrand, am August-Ruf-Bildungszentrum ist er quasi personifiziert. Beate Ritter ist die Schulleiterin der Grund-, Real- und Werkrealschule in Ettenheim (Ortenaukreis). Und sie ist zugleich die Vorsitzende des Ganztagsschulverbandes von Baden-Württemberg. „Wenn ich mich schon engagiere, dann für den Ganztag“, erzählt sie über ihre Motivation, Landesvorsitzende zu werden.

Ihre Stellvertreterin Heidrun Tschirwa, die im Bildungszentrum für die Grundschule zuständig ist, hat das Engagement ihrer Kollegin schon zu schätzen gelernt: „Die Netzwerkarbeit ist wertvoll, und es ist toll, andere Schulen kennenzulernen. Wir haben uns zum Beispiel ins Auto gesetzt und sind nach Münster zur Wartburgschule oder zur Freien Schule Anne-Sophie nach Künzelsau gefahren. Es gibt immer irgendwo einen Impuls, und es ist wertvoll, in ein anderes System reinzuschauen. Dass wir zum Beispiel in unseren Mensen Bänke statt Stühle nutzen und so Lärm vermeiden, verdankt sich einer solchen Hospitation.“

Beate Ritter, Heidrun Tschirwa und das Kollegium haben schon viele Ideen verwirklicht. Der Traum von einer gebundenen, ganztägig rhythmisierten Ganztagsschule wird indes vorerst einer bleiben, da ist die Schulleiterin realistisch: „Der gebundene Ganztag passt nicht hierher, die Eltern müssen die Wahlfreiheit behalten.“ Aber die Qualität der offenen Ganztagsschule überzeugt bereits genügend Schülerinnen und Schüler: „Ich habe im letzten Schuljahr eine 10. Klasse verabschiedet, in der alle Jugendlichen im Ganztag geblieben waren. Unser Angebot ist mit diesen Schülerinnen und Schülern gewachsen.“

„Ohne Kooperation kein Ganztag“

Im August-Ruf-Bildungszentrum lernen 275 Schülerinnen und Schüler in der Primarstufe, 850 Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe. Sie können am Ende von Klasse 9 – oder auch Klasse 10 – den Hauptschulabschluss erwerben oder am Ende der 10. Klasse den Werkrealschulabschluss, der dem Realschulabschluss entspricht. Am August-Ruf-Bildungszentrum gelingt zwei Dritteln der Schülerinnen und Schüler der Werkrealschulabschluss.

Schülerinnen und Schüler beim Schachspiel
Frei gestaltbare Zeit ist Schülerinnen und Schülern wichtig. © Britta Hüning

Das Schuljahr ist in der Sekundarstufe in Trimester geteilt, in denen Projektlernen in Themenwochen wie „Tiere im Winter“ oder „Optik“ stattfindet. Im Ganztag gibt es Zeiten für das Selbstständige Lernen (SEL), Lernzeiten statt Hausaufgaben und rund 40 Arbeitsgemeinschaften an zwei AG-Nachmittagen. Zu Letzteren gehören Ranger-Workshops des Naturzentrums Rheinauen, Basketball, Ernährungsberatung, Yoga, Schach, Instrumentalunterricht der Städtischen Musikschule Lahr und Tanzunterricht einer Tanzschule. Zusammen mit dem MINT-College der Hochschule Offenburg hat die Ganztagsschule eine Teilnahme an der First LEGO League auf die Beine gestellt.

„Ohne Kooperationspartner würden wir ganz schön alt aussehen, da gäbe es keine Ganztagsschule“, meint Beate Ritter. Alleine das Naturzentrum Rheinauen sorge für „unglaublich viele Aktionen“. Die Schulgarten-AG wird durch pädagogische Fachkräfte, aber eben auch eine Rangerin des Naturzentrums begleitet. „Es gibt einen festen Stamm an AG-Kooperationspartnern, aber es für uns ist es schwierig, neue Partner zu gewinnen. Daher arbeiten bei uns auch Rentner, Studenten, FSJler und Bundesfreiwilligendienstleistende mit.“

Stärkenzertifikat für soziale Kompetenz

Das August-Ruf-Bildungszentrum versteht sich als „Teamschule“, in der die Lehrerinnen und Lehrer den Unterricht gemeinsam vorbereiten und sich die Schulleitung regelmäßig mit den AG-Leitungen trifft, um sich auszutauschen. „Wir haben eine gute Mischung aus Lehrkräften und Externen“, findet Heidrun Tschirwa. „Die Öffnung nach außen ist eine Bereicherung. Ich finde das sehr positiv, wie sich unsere Schule hier entwickelt.“ Der Bezug zum Unterricht ist der Schulleiterin wichtig, „daher bin ich froh, dass sich auch viele Lehrkräfte in den Ganztag-AGs einbringen.“

Für ihre Teilnahme an den AGs erhalten die Schülerinnen und Schüler ein Stärkenzertifikat. „Ein Ziel der AGs ist ja, dass sie soziale Kompetenzen erwerben. Wir wollen Erfolgserlebnisse bescheren und Frustrationstoleranz erhöhen. Wo, wenn nicht in der Schule, ist das möglich?“, fragt Beate Ritter. „Und mit dem Stärkenzertifikat wollen den Jugendlichen auch zurückmelden, was sie erreicht haben.“

Lehrer und Schüler im Werkunterricht
© Britta Hüning

Die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler ist am August-Ruf-Bildungszentrum von der 1. bis zur 10. Jahrgangsstufe in den Klassenräten möglich. In der Grundschule tagt einmal im Monat die Schulversammlung, während in der Sekundarstufe Stufenversammlungen stattfinden. Beate Ritter diskutiert dort gern mit. „Wir wollen möglichst viele Schülerinnen und Schüler in ihren Stärken erreichen. Das Erziehen zu Toleranz und Demokratie gehört dazu.“

Jahrgangsübergreifendes Lernen und Berufsorientierung

In der Berufsorientierung, die bereits in der 5. Klasse einsetzt und für die die Schule jetzt zum zweiten Mal mit dem Berufswahlsiegel ausgezeichnet worden ist, bringen sich mit den Betrieben, den Eltern und der Arbeitsagentur auch viele Partner ein. Praxistage, Praktika, ein Projekt des sozialen Engagements in der 8. Jahrgangsstufe im Umfang von 25 Stunden, Betriebsbesichtigungen und Infoabende finden über die Jahre verteilt statt. Auch Bewerbungsgespräche werden regelmäßig trainiert. Alles endet mit einem großen Abschlussabend in der 9. Klasse, wenn die Schülerinnen und Schüler in Anwesenheit der Eltern und der Betriebe ihre Praktika vorstellen.

Ein wichtiger Kooperationspartner in der Berufsorientierung ist die Hochschule Offenburg. Ab Klasse 8 bietet die Hochschule beispielsweise den Girls' Digital Campus an. Die sehr rührige Schülerfirma, die unter anderem einen vielseitig nutzbaren Stuhl hergestellt hat, arbeitet mit Betrieben in der Umgebung zusammen, und die Hochschule ist hier als Scharnier an Bord. In Schüler-Coach-Projekten werden Schülergruppen ab Klassenstufe 6 bei der Lösung technischer und medialer Problemstellungen von Studierenden angeleitet. Demnächst wird es ein Digitalisierungsprojekt in Kooperation mit der Hochschule geben.

Das große Projekt der Grundschule, die in einem separat liegenden Altbau untergebracht ist, ist das jahrgangsübergreifende Lernen seit dem Schuljahr 2014/2015, auch dies eine Art Kooperationsprojekt. Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 1 und 3 sowie 2 und 4 lernen jeweils gemeinsam. In einem Patensystem unterstützen sie sich gegenseitig. Heidrun Tschirwa ist vom jahrgangsübergreifenden Lernen überzeugt: „Die Kinder wachsen sehr daran. Am Anfang gab es massiven Widerstand, aber jetzt sind alle froh und glücklich.“ Wie für den Ganztag haben die Eltern allerdings auch hier die Wahlfreiheit: Es gibt auch noch Jahrgangsklassen.

Herausforderung Digitalisierung

Schülerinnen und Schüler an Laptops
© Britta Hüning

„Die letzten Jahre sind anstrengend gewesen“, bilanziert Beate Ritter. „Die Einführung des Ganztags und des jahrgangsübergreifenden Lernens, die Sanierung, Bauphasen für den Neubau und die zwei neuen Mensen und dann noch unser 50-jähriges Jubiläum 2018 – da kam viel zusammen. Jetzt sind wir in der Stabilisierungsphase und wollen das Erreichte erstmal bewahren.“

Doch schon warte die „Digitialisierung“, die auch noch für viel Wirbel sorgen werde, wie die Schulleiterin jetzt schon ahnt. „Wir müssen eine Medienentwicklungsplan aufstellen und für die Kolleginnen und Kollegen Fortbildungen organisieren.“ Die entscheidende Frage ist, wie sich digitale Medien nachhaltig im Unterricht einbinden lassen.

„Herausforderung Digitalisierung“ – so lautet der Titel des diesjährigen Bundeskongresses des Ganztagsschulverbandes. Wer sich selbst ein Bild vom August-Ruf-Bildungszentrum machen möchte, bekommt am 29. November die Gelegenheit: Am letzten der drei Kongresstage wird Beate Ritter mit ihrer Ganztagsschule zu den Gastgeberinnen für interessierte Kongressgäste, die gute Beispiele vor Ort anschauen wollen, gehören.

 

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