OGGS Glashütte-Süd: Bildungsgerechtigkeit in der Ganztagsschule : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Der Abschied von den Hausaufgaben bringt viele positive Effekte für die Offene Ganztagsgrundschule Glashütte-Süd in Norderstedt, vor allem für die Schülerinnen und Schüler.

Außenansichtt der  Grundschule Glashütte Süd
© OGGS Glashütte-Süd

„Hier lernen, leben und lachen wir!“, verspricht die Offene Ganztagsgrundschule, kurz OGGS Glashütte-Süd in Norderstedt. Betritt der Besucher das Schulgelände während der Pausenzeit, erfährt und hört er: Lachen kommt bei den 149 Schülerinnen und Schülern sicher nicht zu kurz. Putzmunter springen sie über das Gelände, toben, spielen. Sie finden Muße und Gelegenheit, sich zu entspannen und Kräfte zu sammeln für den Unterricht.

„Denn“, so macht Schulleiterin Silke Langenkamp deutlich „das Lernen ist nun einmal das Herzstück einer Schule.“ Eines allerdings, dass nicht richtig „schlagen“ könnte, wenn das gemeinsame Leben und Lachen zu kurz käme. Anja Rathjen leitet die Ganztagsbetreuung, die von zwei Dritteln der Kinder besucht wird, und kann dem nur zustimmen: „Wir sind so etwas wie eine große Familie. Zu der gehören alle, auch die Kinder, die nach der Lernzeit nach Hause gehen“, sagt sie, während ihr ein Mädchen strahlend in die Arme läuft.

Hausaufgaben abgeschafft

Anja Rathjens Beschreibung ist zugleich ein Hinweis auf ein Markenzeichen dieser Grundschule. Die Hausaufgaben wurden für alle abgeschafft. Für jene, die die Ganztagsbetreuung nutzen, und jene, die den Nachmittag zu Hause verbringen. Silke Langenkamp erinnert sich: „Uns ist negativ aufgestoßen, dass früher einige Kinder – nämlich die, die nicht für den Ganztag angemeldet waren – ihre Hausaufgaben zu Hause erledigen mussten. Es hat mit Bildungsgerechtigkeit nichts zu tun, wenn einige am Nachmittag qualifizierte Unterstützung erhalten und andere darauf angewiesen sind, dass ihre Eltern die Zeit und die Kompetenz haben, sie dabei zu begleiten.“ Sie weiß zu genau, welche Konflikte die Arbeit für die Schule in die Wohnzimmer der Familien tragen kann.

„Daran wollten wir etwas ändern und haben es geändert“, berichtet die Schulleiterin. Seit einem Jahr treffen sich die Klassen mittags zur rund 30-minütigen Lernzeit. Begleitet werden sie von einer Lehrerin und einer Bezugsbetreuerin aus dem Ganztag. Der Blick auf die Kinder ist dabei individuell ausgerichtet. Während eines die konkreten Übungsaufgaben („Langenkamp: „Es sind ja eben keine Hausaufgaben mehr.“) erledigt, können andere das, was sie besonders gut können, vertiefen oder auch Rückstände aufarbeiten – etwa wenn es um Deutsch als Zweitsprache geht. Die Einführung der Lernzeit hat nach Ansicht von Schul- und Ganztagsleitung die Chancengerechtigkeit deutlich verbessert.

Aus Leerzeiten wurden Lernzeiten

Schülerinnen und Schüler halten ein Referat
Referat während der Sinus-Wochen © OGGS Glashütte-Süd

Für beide Professionen – die Lehrkräfte und die pädagogischen Betreuungskräfte – ergaben sich durchaus gewollte und gewünschte Zusatzeffekte. Anja Rathjen: „Dank der Lernzeit erleben wir nicht nur unsere Betreuungskinder, sondern die gesamte Klasse. Wir erfahren, wie sich der Einzelne in der Klassengemeinschaft verhält, wie er dort lebt, aber auch, welche Schwierigkeiten er eventuell hat.“ Der Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern ist enger geworden. Rathjen: „Wir sind einfach noch dichter am Schulgeschehen dran.“

Die Schulleiterin betont den Zeitgewinn im Unterricht. Früher habe sie in jedem Hauptfach locker 15 Minuten pro Tag darauf verwendet, alleine zu prüfen, ob und wer seine Hausaufgaben erledigt habe. „Aus dieser Leerzeit ist nun Lernzeit geworden“, erläutert Silke Langenkamp einen Vorzug des neuen Konzeptes. Ein Konzept, das die Schülerinnen und Schüler nicht davor „rettet“, auch daheim ein wenig büffeln zu müssen. Vokabeln und Gedichte lernen, Lesen üben oder Referate vorbereiten steht dort ebenso immer wieder einmal auf der Tagesordnung wie das Erledigen einer Wochenaufgabe in der vierten Klasse. Letztere dient der Vorbereitung auf die Arbeitsweise in der weiterführenden Schule.

Kleine Klassen als Problem?

Allein auf ihr Bauchgefühl, das ihnen sagte, die Neuerung sei gut, wollten sich die Lehrerinnen und die Betreuerinnen dann aber doch nicht verlassen. Deshalb bezogen sie Eltern und Kinder in die Entscheidung über die Etablierung der Lernzeit mit ein. Und diese wurden inzwischen auch nach ihren Eindrücken und Erfahrungen befragt. Das Ergebnis fiel rundherum positiv aus. Ursprünglich existierende Bedenken konnten durch die Praxis ausgeräumt werden.

So machten sich Eltern Sorgen, ob sie noch ausreichend mitbekämen, was im Unterricht passiert und wie das eigene Kind sich leistungsmäßig entwickelt. Die Bedenken wurden durch eine einfache Maßnahme zerstreut: Am Wochenende nehmen die Kinder sämtliche Materialien mit nach Hause. Ihre Eltern gewinnen so den gewünschten Einblick. Sorge Nummer zwei: Reicht die Lernzeit rein zeitlich aus? „Ja“, sagt Silke Langenkamp, „denn wir haben jetzt im Unterricht Zeit für gemeinsame Vertiefungen gewonnen und außerdem sollten Schüler in diesem Alter auch gar nicht länger an den Übungsaufgaben sitzen.“

Selbstgebaute Roboter
„Jeden Tag etwas ausprobieren:“ selbstgebaute Roboter der 2b © OGGS Glashütte-Süd

Beim Blick in die Zukunft der Lernzeit treibt die Schulleiterin nur eine Sorge um: Die relativ kleinen Klassen könnten zur Folge haben, dass der Grundschule weniger Lehrerstunden, im Klartext Personal, zur Verfügung stehen wird. Das aber birgt die Gefahr, dass weniger Lehrerinnen in den Lernzeiten eingesetzt werden können. „Sie würden dann natürlich bei Fachfragen als Ansprechpartnerinnen und Unterstützerinnen fehlen“, erläutert Langenkamp und verspricht: „Ich werde all meine Überzeugungskraft in die Waagschale werfen, dass dies nicht eintritt.“

MINT als ein Schwerpunkt

Nicht nur bei der Lernzeit harmonieren Kollegium und das Team des Ganztags. „Wir bemühen uns um einen möglichst engen Austausch über die Kinder und unsere Ideen“, schildern Silke Langenkamp und Anja Rathjen. Einmal wöchentlich treffen sich die Leitungen beider Professionen, die zwei Schulassistentinnen sind vor- und nachmittags aktiv.

Informationen über bedeutsame Vorkommnisse und Erkenntnisse tragen beide Seiten in ein Übergabeheft ein: „Tim und Struppi hatten heute Stress im Unterricht…“, steht darin mitunter. Ebenso gibt es Hinweise zu Entwicklungen und Fördermöglichkeiten. Auch inhaltlich kooperieren Lehrerinnen und Betreuerinnen. So, wenn im Rahmen eines fächerverbindenden Sinus-Projektes Brot gebacken wurde. „Dann wird es am Nachmittag probiert, und es werden Vorschläge zur Verbesserung der Qualität unterbreitet“, erzählt die Schulleiterin.

Vorbereitung auf das Leben, lautet eines der erklärten Ziele der OGGS Glashütte-Süd. Der Umgang mit naturwissenschaftlichen Phänomenen gehört wie selbstverständlich dazu. Besonderer Beliebtheit erfreut sich die Miniphänomenta. Dabei handelt es sich um Stationen mit einfachen Experimenten, die von Prof. Dr. Lutz Fiesser an der Universität Flensburg ursprünglich für Schulflure, Pausenhallen und Klassenzimmern von Grundschulen entwickelt wurden.

Schülerinnen bei einem Experiment
„Faszinierend, wie die Kinder sich die Welt der Naturwissenschaft erschließen“ © OGGS Glashütte-Süd

Nach diesem Konzept bauten die Lehrkräfte und die Betreuungskräfte 13 Stationen in der Schule auf. Mal steht die Schwerkraft, mal die Wärmeentwicklung, ein anderes Mal die Kraftübertragung im Mittelpunkt. Passend für das schuleigene Projekt „Haus der kleinen Forscher“ sind die Experimente für die Kinder frei zugänglich. Wohl auch ein Grund dafür, dass die Schule bereits zweimal als Sinus-Schule ausgezeichnet worden ist.

Silke Langenkamp ist begeistert: „Es ist faszinierend zu erleben, wie die Kinder sich die Welt der Naturwissenschaft erschließen, Thesen aufstellen und prüfen, diese bestätigt finden oder sie widerlegen.“ Ein zufällig vorbeikommender Schüler bestätigt: „Das ist total spannend. Ich probiere fast jeden Tag etwas aus.“

Neue Räume für den Ganztag

Als Ausprobieren würde Silke Langenkamp nicht bezeichnen, was sie als Schulleiterin antreibt. Sie spricht von Weiterentwicklung, hin zu einer Schule, der die Verzahnung von Vor- und Nachmittag gelingt. Hin zu einer Schule, die auch Freizeitelemente am Vormittag anbieten kann. Dabei profitierte man in den vergangenen anderthalb Jahren auch stark vom Austausch im Kreis der zertifizierten Netzwerkschulen der  Serviceagentur „Ganztägig Lernen“.

Vor allem aber freut sie sich auf den weiteren Ausbau des Ganztags, der von der BEB Bildung – Erziehung – Betreuung, einer Tochtergesellschaft der Stadt, getragen wird: „Dort stehen wir schließlich erst im zweiten Jahr und damit am Anfang.“ Einen Meilenstein stellt der Bau der neuen Ganztagsgebäude dar. Sie sollen 2020 bezugsfertig sein. „Die neuen Gebäude werden uns unglaublich viele neue Möglichkeiten eröffnen“, sagt Anja Rathjens und weist auf die derzeitige räumliche Beengtheit hin. Sie blickt auf den an der Wand hängenden Bauplan, strahlt und reibt sich voller Vorfreude die Hände.

 

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