Oberschule Findorff: "Prognosen übertreffen" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

"Schatzsucher" wollen sie sein. Das engagierte Team der Oberschule Findorff um Schulleiter Uwe Lütjen sieht selbstständiges Lernen, Multiprofessionalität und den teilgebundenen Ganztag als Wege zu bestmöglichen Leistungen.

„Das muss ich Ihnen noch zeigen!“ Wieder ist Uwe Lütjen aufgesprungen, um nach einem Schriftstück zu suchen oder im benachbarten Sekretariat eine Auskunft zu erhalten. Man merkt schnell, dass der Schulleiter der Oberschule Findorff für seinen Beruf brennt. „Sie werden keinen Beruf finden, der so viele erfüllende Momente bietet wie der des Lehrers“, meint er. Vor einem halben Jahr hat sich Lütjen, der eigentlich aus Schleswig-Holstein stammt, auf die Schulleitungsstelle beworben, nachdem sein Vorgänger Stephan Michael in den Ruhestand ging, und seine buchstäbliche Wunschschule gefunden.

Oberschule-Findorff
Schulleiter Uwe Lütjen © Oberschule Findorff

„Ich habe schnell gemerkt, dass diese Schule mit Herz betrieben wird und hier Prämissen gegeben sind, die ich selbst für wichtig halte: dass man vom Schüler aus denkt, dass man die Vielfalt schätzt und dass man eher die Möglichkeiten als die Defizite bei den Schülerinnen und Schülern sieht. Wir verstehen uns hier als Schatzsucher statt als Fehlerfinder“, beschreibt es Uwe Lütjen.

Das bedeutet nicht, dass es nicht auch Probleme an der fünfzügigen Oberschule mit rund 1.000 Schülerinnen und Schüler gibt. Aber das Engagement des rund 150 Köpfe starken Kollegiums, das dem Schulleiter zufolge „von der Größe einem mittelständischen Unternehmen entspricht“, trägt die Schule, sodass man auch mit den räumlichen Unzulänglichkeiten gelernt hat umzugehen.

Vorklasse für Flüchtlinge: „Nette, kleine Truppe“

Aktuell hat die Oberschule Findorff wie viele Schulen in der Stadt auch eine sogenannte Vorklasse eingerichtet, denn Bremen hat überproportional geflüchtete Kinder und Jugendliche aufgenommen. Zwölf Schülerinnen und Schüler ganz unterschiedlicher Altersgruppen und Herkunft lernen hier in einem Differenzierungsraum, besuchen aber auch sofort die Regelklassen. Eine Lehrerin aus dem „Teach First“-Programm und eine Kollegin sind in der Vorklasse im Einsatz.

Häufig sind sie mit den Kindern und Jugendlichen im Umfeld der Schule unterwegs, um die Stadt kennenzulernen, einzukaufen oder schwimmen zu gehen. Dass die Lehrerin einen arabischen Hintergrund besitzt, ist dabei hilfreich. Ältere Schülerinnen und Schüler wirken als Dolmetscher für Afghanisch, Kurdisch oder das pakistanische Urdu, untereinander, aber auch für die Eltern.

„Bei manchen Schülerinnen und Schüler klappt der Deutscherwerb verblüffend schnell“, hat Uwe Lütjen beobachtet. „Insgesamt ist das eine nette, kleine Truppe, und das Beisammensein funktioniert gut.“ Derzeit sucht die Oberschule einen „Bufdi“, Bundesfreiwilligen, der in der Vorklasse mit minderjährigen Flüchtlingen arbeitet.

„Spiele-Boxen“ auf dem Schulhof

Die Oberschule Findorff mit gymnasialer Oberstufe ist auf zwei Standorte aufgeteilt, in dem einen sind die Jahrgänge 5 und 6 untergebracht, im Hauptgebäude in der Gothaer Straße, das 1912 noch „auf der grünen Wiese“ entstand, die Jahrgangsstufen 7 bis 13. In beiden Gebäuden gibt es nicht so viel Platz, dass man für außerunterrichtliche Aktivitäten in der Ganztagsschule extra Räumlichkeiten einrichten könnte.

Optischen Ausdruck findet der 2008 eingeführte Ganztag daher dann auch eher außerhalb der Schulgebäude: Im Hof des Hauptgebäudes in der Gothaer Straße ist ein Mensagebäude errichtet worden, das neben der im Erdgeschoss befindlichen Mensa und der Ausgabeküche im Obergeschoss zwei kleine Betreuungsräume sowie zwei Musikräume beherbergt. Zum Gebäude in der Nürnberger Straße, das über einen Essensraum verfügt, gehören Container auf dem Schulhof, die von den Jugendlichen „Spiele-Boxen“ genannt werden. Hier gibt es Spielangebote für die Mittagszeit.

Oberschule Findorff
Eingang zur Oberschule Findorff © PaulBommel via Wikimedia, CC-BY 3.0

Die Oberschule ist als teilgebundene Ganztagsschule organisiert. Die Jahrgänge 5 bis 7 lernen in Ganztagsklassen, weiter aufwachsen lassen konnte die Schule den Ganztagszug bisher nicht. „Wir hätten gerne auch den 8. Jahrgang einbezogen, aber dafür gibt es momentan keine Mittel“, berichtet Uwe Lütjen. „In Bremen liegt der Fokus derzeit auf dem Ausbau des Ganztags im Grundschulbereich.“

Lernerfolge bringen Selbstbewusstsein

Mit der Ganztagsschule möchte die Oberschule den Schülerinnen und Schülern einen rhythmisierten Tagesablauf bieten und das Lernen in einer anregenden Atmosphäre erleichtern. Der Ganztag entzerrt die Unterrichtsstunden, er ermöglicht mehr Muße, mehr Zeit zum Lernen, Fördern und Fordern, ein größeres soziales Miteinander.

Der Schultag dauert in den Ganztagsklassen montags bis donnerstags von 7.55 bis 15 Uhr, zusätzlich kann bis 15.45 Uhr das Lernbüro gebucht werden. Im Lernbüro können die Schülerinnen und Schüler unter Anleitung qualifizierter pädagogischer Fachkräfte ihre Arbeiten fertig stellen oder Unterstützung bekommen, wenn sie etwas noch nicht verstanden haben. Ab Klasse 7 gibt es einen zusätzlichen Kurs „Fordern der Starken“ für Schülerinnen und Schüler mit guten Noten und Interesse an der Vertiefung von Kenntnissen und Fähigkeiten.

Montags findet ein verbindliches Kursangebot statt, für die 5. Klassen in der 3./4. Schulstunde, für die 6. und 7. Klassen in der 8./9. Stunde. Hier bieten Lehrkräfte und außerschulische Partner, aber auch ältere Schülerinnen und Schüler Arbeitsgemeinschaften an, zum Beispiel den Pop-Chor, die AG Roboter, Schach, Mädchenfußball, ein Näh- und Kreativstudio oder Kochen, aber auch eine „Lernzeit Plus“.

„Es ergeben sich hier ganz überraschende Erfolge für manche Schülerinnen und Schüler, die sich im Unterricht schwer tun. Sie gewinnen mehr Selbstbewusstsein, und die Schulzufriedenheit wächst“, hat Uwe Lütjen beobachtet. „Für manche sind die Sportangebote die Höhepunkte der Woche.“

„Multiprofessionalität ist bei uns Struktur“

In zwei Wochenstunden Lernzeit arbeiten die Schülerinnen und Schüler eigenständig mit Wochenplänen. Die Lehrkräfte haben dafür Lernbausteine in Deutsch, Englisch und Mathematik zusammengestellt. Diese Lernbausteine sind dem Schulleiter zufolge „ständig in der Entwicklung“ und werden von Jahrgang zu Jahrgang weitergegeben. Ein angenehmer Nebeneffekt ist dabei, dass die Kolleginnen und Kollegen sich problemlos wechselseitig vertreten können. „Manchmal orientieren uns auch die Kinder darüber, was sie gerade machen – das finde ich wunderbar“, erzählt der Schulleiter.

Hausaufgaben gibt es in der Ganztagsschule nicht. „Alle Lernfortschritte werden in der Schule erzielt“, das ist Uwe Lütjen wichtig. In der Oberschule Findorff werden erst ab der 10. Klasse Noten erteilt. Bis dahin gibt es Berichtszeugnisse auf der Basis von „Kompetenzrastern“. Für skeptische Eltern beantwortet die Schule auf ihrer Homepage eine Liste von „FAQ“, häufig gestellten Fragen, wie zum Beispiel: Strengt sich mein Kind in der Schule überhaupt noch an, wenn es keine Noten gibt? Oder: Was ist eigentlich Binnendifferenzierung? Und auch: Werden die Lehrkräfte entsprechend fortgebildet? Die Schülerinnen und Schüler haben außerdem Logbücher, mit denen auch die Kommunikation mit den Eltern erfolgt. So sind die Eltern über den Lernstand ihrer Kinder stets informiert.

Oberschule Findorff
Eltern-Lehrer-Band © Oberschule Findorff

„Wir möchten die Schule auf schöne Art und Weise erweitern“, meint Uwe Lütjen. Viele außerschulische Fachkräfte wirken in der Schule mit. Sie können „eine andere Fachlichkeit einbringen, was ganz anders auf die Schule wirkt. Die Multiprofessionalität ist bei uns eine reguläre Struktur, in den Jahrgängen 5 bis 7 arbeiten die Kolleginnen und Kollegen als Ganztagsteams.“

Räumliche und Belastungsgrenzen

Seit 2004 ist die Oberschule Findorff, die sich als MINT-Schule bewirbt, unter anderem Siemens-Partnerschule. Die Schülerinnen und Schüler lernen mit Experimentierkästen und führen Aktionen wie den „Tag der Technik“ durch. Oder sie gehen in den Stadtteil hinaus, um zum Beispiel die Grünanlagen zu gestalten.

Es gibt auch noch Nachholbedarf in der Oberschule Findorff, zum Beispiel im Bereich Partizipation, räumt Uwe Lütjen ein. Die Schule würde außerdem gern fach- und jahrgangsübergreifende Impulse setzen, was wegen der Raumsituation schwierig ist. „Wir dürfen allerdings nicht alles auf unsere räumlichen Bedingungen schieben“. Dieses Resümee zieht der Schulleiter nach seinen zahlreichen Hospitationen an anderen Schulen. Aber er stellt auch in Rechnung, dass sein Kollegium aktuell schon an der Belastungsgrenze ist: „Die Strukturbedingungen sind nicht besser geworden.“

Die Effekte der Ganztagsschule, in der Wert auf Selbstständigkeit und das Arbeiten in Projekten gelegt wird, sieht Uwe Lütjen für die Schulleistungen: „Schülerinnen und Schüler mit hohem Förderbedarf konnten ihre Prognosen übertreffen. Und unsere Notenspiegel und Abiturergebnisse sind im Landesvergleich außergewöhnlich gut, genau so wie die Leistungen bei Wettbewerben.“

 

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