MINT ist cool im Ganztagsgymnasium : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Einen Benziner zum E-Auto umbauen oder im Schülerlabor „Das Ritzel“ experimentieren – das Ritzefeld-Gymnasium in Stolberg nutzt den gebundenen Ganztag auch für seinen MINT-Schwerpunkt und digitales Lernen.

Zum Jahresanfang 2020 war das Grummeln im Ritzefeld-Gymnasium in Stolberg für Schulleiter Dr. Uwe Bettscheider deutlich zu vernehmen. „Ich habe das Kollegium stark in Richtung Digitalisierung gezogen. Damals war der Punkt erreicht, an dem mir zurückgespiegelt wurde, dass das Tempo dabei zu hoch war. Manche Kolleginnen und Kollegen waren an der Belastungsgrenze, denn die Fortbildungen kamen noch auf den Alltagsstress obendrauf“, erinnert er sich.

Als „Glück im Unglück“ bezeichnet Uwe Bettscheider jetzt die starke Ausrichtung auf das digitale Lehren und Lernen: „Als die Einschläge im März buchstäblich näherkamen und Schulen in Stolberg nacheinander geschlossen wurden, haben wir das ganze Kollegium mit unserer Lernplattform „MNSProCloud“ bekannt gemacht und schnell unsere Abiturientinnen und Abiturienten zusammengeholt, um sie im Umgang mit der Lernplattform zu schulen. So konnten sie per Videokonferenzen mit den Lehrkräften weiter auf ihr Abitur vorbereitet werden.“

Schulleiter Uwe Bettscheider
Schulleiter Dr. Uwe Bettscheider © Online-Redaktion

In den folgenden Monaten arbeiteten dann alle Schülerinnen und Schüler mit der laut Bettscheider „intuitiv zu bedienenden“ Lernplattform, in die eine elektronische Tafel integriert ist. An den Videokonferenzen konnten sie per Smartphone teilnehmen, sodass bis auf wenige Ausnahmen, denen sich das Gymnasium unbürokratisch annahm, alle Schülerinnen und Schüler in der Lage waren, am Fernunterricht teilzunehmen.

Konzept für den Fernunterricht

„Wichtig war in jener Zeit, den engen Kontakt mit den Eltern zu halten“, erklärt der Schulleiter. „Einmal in der Woche habe ich mit den Schulpflegschaftsvorsitzenden per Video konferiert. Wir haben überlegt, was man besser machen kann. Es gab einige Reibungspunkte, aber dadurch, dass wir immer im Gespräch gewesen sind, hat es zum Schluss keine Beschwerden mehr gegeben. Manchmal musste ich auch überzogene Erwartungen dämpfen: Es gab schon Eltern, die dachten, dass es jetzt eine Eins-zu-eins-Betreuung durch die Kolleginnen und Kollegen gäbe.“

Mit Beginn des neuen Schuljahres sind jetzt alle 588 Schülerinnen und Schüler wieder im Regelunterricht. An zwei Pädagogischen Tagen haben das 49 Köpfe starke Kollegium und die Schulleitung derweil die Erfahrungen der letzten Monate bilanziert. Sie formulieren derzeit ihr Konzept für den Fernunterricht. Aber nicht nur. „Wir überlegen auch ganz grundsätzlich, wie wir zukünftig Schülerinnen und Schüler per Videoschalte in den Unterricht integrieren können, zum Beispiel, wenn jemand krankheitsbedingt länger nicht in die Schule kann“, verrät Uwe Bettscheider. „Und wir müssen überlegen, wie wir die Unterrichtsentwicklung digital unterstützen“, ergänzt er. „Ich möchte mir nicht von irgendwelchen Apps vorschreiben lassen, wie wir den Unterricht gestalten.“

Im Ritzefeld-Gymnasium ist die Ausstattung mit WLAN in allen Räumen und auch mit Tablets für die Schülerinnen und Schüler gut. In absehbarer Zukunft wird dank Glasfaseranschluss die Internet-Verbindung auch schneller werden. Denn die Stadt Stolberg als Schulträger investiert 4 Millionen Euro in den Anschluss aller 24 Schulstandorte an das Glasfasernetz, nicht zuletzt dank einer Förderung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Mit einer Umfrage eruiert die Schule gerade den genauen Stand der technischen Ausstattung in den Familien.

Computerraum
Medienkonzept „Bildung in der digitalen Welt“ © Ritzefeld-Gymnasium Stolberg

Systematische Medienbildung

Alle Entscheidungen des Ganztagsgymnasiums sind in das ausführliche Medienkonzept „Bildung in der digitalen Welt“ eingebettet, in dem es heißt: „Es muss eine systematische schulische Medienbildung erfolgen, ohne die ein zeitgemäßer Unterricht nicht mehr denkbar ist. Dazu gehören aber auch die Schlüsselkompetenzen Kreativität, gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein, Denken in Zusammenhängen, inter- und transdisziplinäres sowie unternehmerisches Denken und Handeln. Alle diese Fähigkeiten müssen zielgruppenspezifisch, bedarfsgerecht und altersangemessen im Fachunterricht vermittelt werden.“

Das Medienkonzept ruht dabei auf den drei Säulen „Medienkompetenz“, „Anwendungs-Know-how“ und „Informatische Grundkenntnisse“ und ist wiederum eingebettet in das MINT-Konzept der Schule. Verantwortlich ist der Biologie-, Physik- und Informatiklehrer Dr. René Ostrowski als Abteilungsleiter MINT / IT. Im vergangenen Monat konnte er die Aufnahme des Ritzefeld-Gymnasiums in das nationale Excellence-Schulnetzwerk MINT-EC vermelden, womit die jahrelange Arbeit des Kollegiums in diesem Bereich anerkannt worden ist.

In der Jahrgangsstufe 5 erfolgt im Rahmen des MINT-Unterrichts eine „Informationstechnologische Grundbildung (ITG)“, und in der Jahrgangsstufe 7 wird Informatik als zusätzliches Fach unterrichtet. Das Fach MINT wird fächerverbindend unterrichtet. In den Klassen 5, 6 und 8 finden verpflichtende Ergänzungsstunden mit einer vertieften individuellen Förderung in Mathematik statt. Das Gymnasium integriert die Kompetenzen des Medienpass NRW in den Fachunterricht, sodass eine enge Verknüpfung der Medienbildung mit den MINT-Fächern gewährleistet ist. In Klasse 6 gibt es zudem an zwei Wochentagen „Informatik für Mädchen“. Ab Klasse 8 können dann MINT-Profilkurse wie Naturwissenschaften und Angewandte Mathematik belegt werden.

Außerschulische Lernorte und Ganztagsangebote

Biologie am Bach
Fließgewässer-Exkursion des Biologie-Leistungskurses. © Ritzefeld-Gymnasium Stolberg

Die Jugendlichen können das von Schülerinnen und Schülern in Eigenverantwortung geführte Schülerlabor „Das Ritzel“ nutzen und dort selbstbestimmt und forschend lernen. Auch die Biologie-AG wird von Schülerinnen und Schülern geleitet; im Haus kümmern sie sich um ihren kleinen Zoo mit unter anderem Fischen, Mäusen und Stabheuschrecken.

Die Schule pflegt zahlreiche Kooperationen mit ortsansässigen Wirtschaftsunternehmen sowie zu Hochschulen, wie der Fachhochschule Aachen und der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Diese werden als außerschulische Lernorte mit Exkursionen auch in den gebundenen Ganztag integriert. „Wir animieren unsere Schülerinnen und Schüler außerdem, an Wettbewerben teilzunehmen“, so René Ostrowski. Die MINT-Aktivitäten evaluiert das Gymnasium regelmäßig.

Seit einem Jahr ist die Schule mit Unterstützung der Stadt selbst Träger des gebundenen Ganztags, nachdem die Erfahrungen mit einem externen Träger nicht überzeugend waren. Dieser findet an drei Tagen der Woche – Montag, Mittwoch und Donnerstag – statt. Dienstag ist Konferenztag. Lernzeiten gibt es auch am Vormittag und am Nachmittag teilweise parallel zu den Arbeitsgemeinschaften. „Wir verdonnern keine Schülerin und keinen Schüler, in der Lernzeit die Hausaufgaben zu machen“, betont Uwe Bettscheider. „Manche können und wollen zu Hause arbeiten. Sie können statt der Lernzeit eine AG belegen.“ Im Selbstlernzentrum können die Oberstufenschülerinnen und -schüler in Ruhe lernen und arbeiten. Hier stehen die Bibliothek und ein Computernetzwerk samt Drucker zur Verfügung.

Das hauptsächlich von den Lehrerinnen und Lehrern geleitete AG-Angebot ist extrem vielfältig. Es reicht von der Schülerzeitung „Geritzt“ über „Bienenhaltung und Imkern“, die Foto-AG „Augenblicke“, Kunst-, Jazz- und Film-AG, die Schülerfirma „Schüler Start Up“ (SSU), „Mathe für Dich!“ und Schach-AG, Mofa- oder Robotic-AG bis zum Circus Ritzelli und der über die Stadtgrenzen bekannten Big Band „Crack Field Stompers“, die sogar schon mit der Big Band des WDR musiziert hat und ein Aushängeschild des Ganztagsgymnasiums ist. Die Chor-AG gibt es für alle Jahrgangsstufen, und Chor ist sogar Unterrichtsfach in Stufe 5.

Big Band
Die Bläser-AG: Trompete, Posaune, Tenorhorn, Baritonhorn, Tuba © Ritzefeld-Gymnasium Stolberg

Inspiration MINT

„Das Ganztagsangebot muss für die Schülerinnen und Schüler so attraktiv sein, dass sie gerne zur Schule kommen“, findet Schulleiter Bettscheider. „Wenn man Ganztag nur zur Aufbewahrung der Jugendlichen organisiert, kann man es gleich bleiben lassen. Auch die Eltern fordern ein qualitativ gutes Angebot.“ Idealerweise könne das Ganztagsangebot schließlich Bildungsbenachteiligung ausgleichen und besonders leistungswillige Schülerinnen und Schüler fördern.

Zehn Schülerinnen und Schüler der Mobilitäts-AG haben in Zusammenarbeit mit zwei Schülerinnen und Schüler der benachbarten Förderschule Gutenbergschule, dem Sponsor enwor – energie & wasser vor ort GmbH aus Herzogenrath und dem Stolberger Industriemuseum Zinkhütter Hof einen alten Renault Twingo mit Verbrennungsmotor zu einem nahezu fahrtüchtigen Elektroauto in der Werkstatt des Zinkhütter Hofs umgebaut. Diplom-Ingenieur Heiner Kraushaar, der Schule als Vater verbunden, leitete die AG bis fast zum Schluss. Er hofft: „Vielleicht inspiriert es auch viele Schülerinnen und Schüler, ein Studium im Bereich der MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft oder Technik aufzunehmen.“

Eines der Angebote, das zum Wunsch des Schulleiters passt: „Wir wollen eine Schulkultur aufbauen, in der es für 15- und 16-Jährige cool ist, auch naturwissenschaftlich was zu leisten.“ Aus dem E-Auto ist inzwischen eine Brennstoffzellen-Mobilitäts AG hervorgegangen, die im kleinen Rahmen auch unter Corona-Bedingungen in wenigen Tagen ein Brennstoffzellenprojekt startet. „In jedem Fall werden wir die sehr fruchtbare Partnerschaft mit der Förderschule und dem Zinkhütter Hof weiterführen. Sobald wir wieder frei arbeiten können, werden die AGs der beiden Schulen wieder zusammengeführt und ausgebaut“, sagt der Schulleiter.

„Selbstvertrauen stärken, Stärken leben“

Uwe Bettscheider lobt sein „sehr engagiertes Kollegium“. Ein Sonderlob gilt Schulsozialarbeiterin Janine Kamay, die er „nicht mehr missen möchte“. Wer behaupte, dass an einem Gymnasium keine Schulsozialarbeit nötig sei, sei „ignorant“.

Janine Kamay
Schulsozialarbeiterin Janine Kamay © Online-Redaktion

Janine Kamay arbeitet 30 Wochenstunden am Ritzefeld-Gymnasium, seit fünf Jahren im eigenen Büro, und hat beste Erfahrungen gemacht: „Hier gibt es eine wirklich gute Struktur und einen regen Kontakt mit den Lehrkräften und der Schulleitung. Das wünsche ich jeder Schulsozialarbeiterin und jedem Schulsozialarbeiter.“ Ein Hauptteil ihrer Arbeit, die bereits in den 5. Klassen beginnt, ist die Beratung von Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften, manchmal auch die Vermittlung zu Behörden, Ärzten und Beratungsstationen. Von Lernschwierigkeiten bis zu persönlichen Problemen sei „alles dabei“, berichtet sie. Da unterscheide sich das Ritzefeld-Gymnasium nicht von anderen Schulen.

Prävention ist ein zweiter Schwerpunkt der Schulsozialarbeit. Janine Kamay unterbreitet Angebote in den Klassen zu Themen wie Alkohol, Gewalterfahrungen, Mobbing und Cybermobbing, Essstörungen oder Mediensucht. Ein „mega-spannendes Projekt“ ist GIPS, Abkürzung für „Gehandicapten Informatie Project Scholen“, ein Projekt aus den benachbarten Niederlanden. Hier besuchen Menschen mit Handicaps die 6. Klassen. Die Schülerinnen und Schüler erhalten Einblicke in die Erfahrungen zum Beispiel von Menschen mit Seh-, Hör- oder Gehbehinderung.

„Das sensibilisiert und baut Vorurteile ab.“ Und passt somit perfekt zum Konzept einer Schule mit dem Motto „Selbstvertrauen stärken, Stärken leben“: „Wir verstehen Bildung und auch Medienbildung als Hilfe zur Selbstentfaltung, zum Entdecken, Entwickeln und Nutzen der eigenen Fähigkeiten, die gleichzeitig eingebunden sind in ein soziales Miteinander ohne Vorurteile. Hierbei haben die Achtung der Menschenwürde, Respekt, Toleranz und Solidarität eine zentrale Bedeutung.“

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