Märkisches Gymnasium Hamm: Ganztag mit Abi und Reifeprüfung : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Es sei eine Kunst, in einem großen System jeder Schülerin und jedem Schüler gerecht zu werden, sagt Schulleiter Rösner. Das Märkische Gymnasium Hamm ermöglicht das durch seine Verankerung in der Region.

Das Märkische Gymnasium fördert Sporttalente.
Das Märkische Gymnasium fördert Sporttalente. © Christoph Dröge

Es sind Momente, die lassen einem ob so viel Freundlichkeit, Achtsamkeit und Hilfsbereitschaft das Herz aufgehen. Zehra und Daria (beide 11) unterbrechen spontan ihr Federballspiel auf dem Schulhof, um zu erklären, wo das Sekretariat zu finden ist. Sie verraten, dass sie das „Märkische Gymnasium ganz toll finden.“ Warum? „Weil die Lehrer nett sind und man auch einmal Spaß mit ihnen machen kann.“ Eine Lehrerin eilt zum Gespräch der Mädchen mit dem Fremden hinzu: „Wie kann ich Ihnen helfen?“. Eine Minute später öffnet unaufgefordert und aus einiger Entfernung herbeieilend eine ältere Schülerin die von außen verschlossene Tür: „Hallo und guten Tag.“

Es sind die ersten Eindrücke, die wir vom Märkischen Gymnasium Hamm mit gebundenem Ganztag, dem MGH, wie es hier von allen nur genannt wird, sammeln. Gute Eindrücke. Schulleiter Florian Rösner und Ganztagskoordinator Björn Sprenger vernehmen es erfreut, ein wenig stolz und zufrieden: „Wir versuchen täglich, alle in dieser Schulgemeinschaft persönlich anzusprechen und eine Kultur des Entgegenkommens zu leben.“ Dazu zählt auch, dass der „Chef“ seine Schülerinnen und Schüler frühmorgens an der Schulpforte persönlich begrüßt. Vorbild findet Nachahmung.

Die Worte zur Woche

In unserem Gespräch fällt häufig der Begriff Philosophie. Eine solche prägt nahezu jede Entscheidung. Das spürt der Betrachter. Das wissen vor allem die Eltern der Schülerinnen und Schüler. Sie schätzen, dass gelebt wird, was die Schulleitung formuliert: „Wir sind eine große Familie.“ Der intensive Kontakt zu den Ehemaligen unterstreicht dies.

Zur Philosophie der Schule gehört, dass Informationen fließen. Folglich ist beabsichtigt, dass künftig der Schulleiter freitags in der letzten Unterrichtsstunde ans Mikrofon tritt, um alle in ein „schönes Wochenende“ zu entlassen. Garniert wird der Gruß mit Berichten über die Ereignisse der Woche, dem Glückwunsch zu besonderen Leistungen und, wenn erforderlich, Hinweisen zur Folgewoche. Und, wenn alles klappt, wird auch das Schülersprecherteam zu Wort kommen.

Schulleiter und Ganztagskoordinator „möchten die größtmögliche Transparenz und Anteilnahme erreichen“. Eine Philosophie lautet: Die Schülerinnen und Schüler stehen im Mittelpunkt. Immer. „Unser Ziel ist, dass alle, egal welcher sozialen Herkunft, den höchstmöglichen Abschluss erreichen. Dabei unterstützen wir, so gut es nur geht“, versichert Florian Rösner unter Zustimmung seines Kollegen Björn Sprenger.

ICE oder Umleitung

Das bedeutet nicht, dass alle nach der Erprobungsstufe bleiben oder automatisch zum Abitur geführt werden. Manchmal werden „Umleitungen“ eingebaut. Beispielsweise durch den Wechsel auf die benachbarte Realschule. Schulleiter Rösner: „Wenn wir erkennen, dass jemand zum aktuellen Zeitpunkt nicht die gymnasiale Reife erreicht, besprechen wir das mit ihm oder ihr und mit den Eltern. Wir schicken niemanden fort, sondern beraten und unterstützen. Und jede und jeder weiß, dass er zurückkommen kann.“

Die Schülerinnen und Schüler stehen im Mittelpunkt.
Die Schülerinnen und Schüler stehen im Mittelpunkt. © Nina Böhnke

Entsprechend hoch fallen die Quoten der Rückkehrer sowie der Quereinsteigerinnen und ‑einsteiger, die von anderen Schulen wechseln, aus. Das Abitur schaffen rund 90 Prozent. Zu ihnen zählt ein ehemaliger Schüler, der nach der sechsten Klasse das MGH verlassen hat, zur Oberstufe zurückkam, das Abitur ablegte und heute Mediziner ist. Zu ihnen zählen auch die Kinder des Schulleiters. Auch sie nutzten die Umleitung. Rösner: „Manchmal ist es eben besser, den ICE Gymnasium zeitweise zugunsten einer Schule zu verlassen, die mehr Geborgenheit bieten kann.“ Und wieder fällt der Begriff Philosophie: „Bei uns schaffen junge Menschen das Abitur und die Reifeprüfung.“

Strahlen in den sozialen Raum

Zum Konzept des von rund 830 Schülerinnen und Schülern besuchten Märkischen Gymnasiums zählt die Öffnung der Schule in das soziale Umfeld oder, wie es Florian Rösner formuliert, das „Strahlen in den Raum“. Ganztagskoordinator Björn Sprenger sieht noch einen anderen Aspekt: „Eine Ganztagsschule ist für Kinder und Jugendliche auch eine Lebenswelt. Sie muss daher eingebettet sein in die Region. Dann können die Schülerinnen und Schüler noch besser ihren Interessen folgen. Und es können neue Interessen geweckt werden.“

Eng ist der Draht beispielsweise zur Städtischen Musikschule Hamm. Deren Lehrinnen und Lehrer sitzen regelmäßig mit den Musiklehrkräften des MGH zusammen und planen die Kooperation. Bald, so ist angestrebt, soll im Schulgebäude, das für viele Millionen Euro innen und außen saniert wird, sogar ein Büro der Musikschule eröffnet werden. So wie es auch die Stadtbücherei beabsichtigt. Eine Zweigstelle soll den Weg in die Stadt überflüssig machen und jenen, die ihn dorthin wohl sonst nicht finden würden, den Zugang zum Lesen erleichtern. Schon jetzt verfügen alle Fünftklässler über einen Ausweis für die Stadtbücherei. Viele haben Leseluft geschnuppert.

So wie sich die Schule nach außen öffnet, wird sie zunehmend auch zu einem Ort der Begegnung und der Veranstaltungen. Das Gebäude, auf dessen Dach eine Hochleistungs-Fotovoltaikanlage steht, verfügt über eine riesige Mensa, die es ermöglicht, 220 Essen gleichzeitig auszugeben und die Rösner und Sprenger als wahren Prachtbau bezeichnen. Die Mensa wurde ursprünglich für das Schulzentrum West, zu dem auch die Friedrich Ebert-Realschule gehört, gebaut. Doch anders als geplant, wird sie nur vom MGH genutzt. Nach Schulschluss nutzen Vereine und Verbände die Räumlichkeiten für Versammlungen. Sie können sicher sein, in eine gepflegte Schule zu kommen.

Ganztagsmodule: „Es darf auch mehr sein als Fußball“

Gleich in ihrem ersten Jahr am Gymnasium wird den Schülerinnen und Schülern das Classroom-Management vorgestellt. Dann geht es für zwei Wochen ins eigene Schullandheim, das „Haus am Meer“ auf Wangerooge. Dort werden neben dem täglichen obligatorischen Unterricht bei vielfältigen außerunterrichtlichen Aktivitäten die Sinne für die Gemeinschaft und den Umgang miteinander geschärft.

Mitunter kommt an der See zur Sprache, was dieses Gymnasium alles zu bieten hat. Etwa die Freiheit für musikalisch Interessierte und Begabte, sich in Freistunden den Schlüssel für den Musikraum im Sekretariat abzuholen und dort mit den schuleigenen Instrumenten zu proben. Oder sie hören erstmals von den engen Drähten, die zwischen dem MGH und den Sportvereinen glühen. Erst kürzlich wurde eine Kooperation mit dem Handball-Zweitligisten ASV Hamm unterzeichnet.

Pädagogische Mitarbeiterinnen im gebundenen Ganztag
Pädagogische Mitarbeiterinnen im gebundenen Ganztag © Christian Kettner

Getreu der Devise: Es darf auch einmal etwas anderes sein als Fußball, der Sportart, die bei den Entscheidungen der Schülerinnen und Schüler für eines der verpflichtenden Ganztagsmodule allerdings weit oben steht. Doch auch die zahlreichen anderen Module, die von den Lehrkräften und einigen externen Kooperationspartnern angeboten werden, erfreuen sich großer Beliebtheit. Dazu gehören beispielweise die Filmworkshops des ehemaligen Schülers und heutigen Filmregisseurs Robert Biermann im Rahmen des Landesprogramms „Kultur und Schule“.

Patinnen und Paten für Sporttalente

Apropos Externe: Schon im Schuljahr 2009/2010 hat das MGH den gebundenen Ganztag aufsteigend ab Klasse 5 eingeführt. Träger des Ganztagsangebots ist der Evangelische Kirchenkreis Hamm. Dessen pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagieren sich außerdem bei der Übermittagsbetreuung und in der bewegten Pause. Von außen stammt auch Manuel Matzka. Der ehemalige Kanu-Bundestrainer, einst Absolvent der Sporthochschule Köln und heute Doktorand der Universität Würzburg, bietet für außergewöhnlich Talentierte, die eine Karriere als Sportprofi anstreben, zweimal wöchentlich um 7 Uhr eine Stunde Krafttraining an.

Ganztagskoordinator Björn Sprenger: „Wir schenken diesen Schülerinnen und Schülern durch die offizielle Kooperation mit den verschiedenen Sportvereinen Zeit.“ Sie müssen keines der Pflichtmodule belegen, sondern nutzen diese Zeit fürs Training oder Lernen. Begleitet werden sie auf ihrem gesamten Weg von Sportlehrerinnen und Sportlehrern. „Wir nehmen unsere 20 Kaderathleten als Patinnen und Paten unter unsere Fittiche, besprechen alles, und beraten, wenn gewünscht und erforderlich“, berichtet Sprenger. Die Athleten betreiben die unterschiedlichsten Sportarten – von Fußball und Handball über Taekwondo, Kanu, Hockey bis hin zu Sportakrobatik.

„Denkmanufaktur“ für alle

Unterstützung anderer Art bieten ältere Schülerinnen und Schüler. In Kleingruppen bieten sie als Verein „Schüler helfen Schülern“ Lernhilfen an. Schmunzelnd kommentiert der Schulleiter: „Zu Beginn des Schuljahres gibt es meistens rund zehn Gruppen. Hochbetrieb herrscht nach dem Elternsprechtag. Dann sind es schon einmal 30 Lerngruppen.“ Als Anerkennungshonorar für die „Lehrkräfte“ zahlen die Teilnehmenden einen Euro pro Stunde.

...wird die „Denkmanufaktur“ mit Arbeitsplätzen für Schülerinnen und Schüler
...wird die „Denkmanufaktur“ mit Arbeitsplätzen für Schülerinnen und Schüler © Christoph Dröge

Begleitung finden auch alle, die es in die künftige „Denkmanufaktur“ verschlägt. In der ehemaligen Cafeteria wurden Arbeitsplätze für die Schülerinnen und Schüler geschaffen – mit allem, was sie benötigen, vom Internet bis hin zum Drucker. Vor allem aber viel Ruhe. Die „Denkmanufaktur“ wird von 9 bis 15 Uhr geöffnet sein. Pädagogisches Personal ist anwesend und unterstützt Leistungsstärkere ebenso wie -schwächere. Florian Rösner: „Die Kunst ist es, in einem so großen System den Einzelnen gerecht zu werden.“

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