Lohn der Ganztagsschulentwicklung: Grund- und Werkrealschule in der Taus : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Grund- und Werkrealschule in der Taus, eine gebundene Ganztagsschule, überzeugte die Jury des Deutschen Schulpreises mit ihrem durchdachten Förderkonzept.

Es schien ganz so, als sei die Grund- und Werkrealschule in der Taus auf den Geschmack gekommen. Vor zwei Jahren wurde die Schule aus dem baden-württembergischen Backnang erst Landessieger und dann 2. Bundessieger beim Wettbewerb „Starke Schule“, der Schulen kürt, die hervorragende Konzepte zur Förderung der Ausbildungsreife vorweisen. „Wir haben im vergangenen Sommer von der Gesamtkonferenz problemlos die Zustimmung erhalten, am Wettbewerb zum Deutschen Schulpreis 2013 teilzunehmen“, erinnert sich Konrektorin Martina Mayer, „und uns dann im Oktober beworben. Da für die Starke Schule schon viel Material zusammengestellt worden war, mussten wir für die Bewerbungsunterlagen nicht bei null anfangen.“ Dennoch seien ein paar Nachtschichten angefallen, um die Bewerbung auf den Weg zu bringen.

Als Martina Mayer an diesem 3. Juni 2013 in der Berliner Parochialkirche steht, weiß sie, dass sich die Mühen gelohnt haben. Soeben ist die Grund- und Werkrealschule als eine von sechs Schulen des Jahres vor den Fernsehkameras ausgezeichnet worden, die vier mitgereisten Schülerinnen und Schüler haben mit Bundeskanzlerin Angela Merkel posiert, und einen Scheck in Höhe von 25.000 Euro gibt es auch noch. „Das ist der Lohn einer 16-jährigen Schulentwicklung“, freut sich die Pädagogin über die Anerkennung.

Jochen Nossek hatte die Siegerkugel entgegengenommen, aber er ist noch ein relativer „Frischling“: Erst mit dem aktuellen Schuljahr hat er die Schulleitung übernommen. Martina Mayer ist dagegen bereits seit 2002 Konrektorin, kennt die Schulgeschichte daher sehr gut und versäumt es nicht, das Verdienst des ehemaligen Leiters Ulrich Schielke an dieser positiven Entwicklung zu erwähnen.

Jeder Schritt wird evaluiert

Die Grund- und Werkrealschule in der Taus besteht seit 1952 und ist seit 2004 Ganztagsschule. Im Schuljahr 2010/11 wurde die Hauptschule in eine Werkrealschule umgewandelt. Etwa 600 Schülerinnen und Schüler lernen hier – etwa hälftig teilt sich diese Zahl auf die Grundschule und die Werkrealschule auf. Der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund liegt in der Grundschule bei 40 Prozent und in der Werkrealschule bei 70 Prozent. Etwa 65 Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Schulsozialarbeiterinnen lernen mit den Kindern und Jugendlichen.

Schülerinnen mit Blumen im Unterricht
© Theodor Barth

Einen Punkt, den die Jury beim Deutschen Schulpreis als preiswürdig hervorhob, ist das Bemühen um einen respektvollen und freundlichen Umgang miteinander. Rektor Nossek beschrieb das auf dem Podium: „Als ich im vergangenen Sommer an der Schule anfangen habe, war ich doch ziemlich erstaunt, als mich ein- und derselbe Schüler mehrmals am Tag gegrüßt hat.“ Auch die auffallend entspannte und ruhige Atmosphäre wurde von den Juroren erwähnt. Aber gerade, was wie Spaß aussieht, gründet oft auf harter Arbeit. In diesem Fall auch auf einer „konsequenten Qualitätssicherung, die in einem selbst entwickelten Qualitätsmanagementhandbuch von uns dokumentiert wird“, wie Konrektorin Mayer berichtet. „Wir evaluieren alle unsere Schritte.“

Und hier folgt dann einer auf den anderen: So hat die Schule jahrgangsstufenweise die gebundene Form der Ganztagsschule eingeführt. Die Schülerinnen und Schüler sind dadurch an drei Tagen über Unterrichtsangebote und an zwei Tagen freiwillig über Angebote im Freizeitraum durch die Sozialarbeiterinnen gebunden und betreut. Das Mittagessen wird in vier Varianten angeboten: Es gibt das Normalessen, eine vegetarische Variante, ein Salatbuffet und ein Snackangebot. Auch Mädchen und Jungen, die nicht am Mittagessenangebot teilnehmen, steht die Mensa zur Verfügung.

Schwieriges Umfeld, geballte Maßnahmen

Arbeitsgemeinschaften reichen vom Chor über Backen bis zum Märchen erzählen. Lehrerinnen und Lehrer nutzen die Möglichkeit, selbst Angebote zu machen und so über den Unterricht hinaus ihre Schülerinnen und Schüler in anderen Rollen kennenzulernen. Durch die zusätzliche Zeit ergeben sich mehr Begegnungsmöglichkeiten und viele Gespräche, was hilft, konfliktträchtige Situationen zu entschärfen und auch so das entspanntere Miteinander zu erzeugen.

Die zusätzliche Zeit wird für weitere freizeitpädagogische Angebote in der Mittagspause und am Nachmittag genutzt. Das Soziale Kompetenztraining ist in den Unterricht eingebunden. In der Einzelfallhilfe beraten die Mitarbeiterinnen Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie Lehrkräfte bei Schwierigkeiten in der Schule, Problemen im Elternhaus, Gewalterfahrung oder Mobbing. „Für viele Schülerinnen und Schüler ist die Schule ihre Heimat“, umschreibt Martina Mayer die Motivation, den Kindern und Jugendlichen ein „Gesamtpaket“ anzubieten, das über den Fachunterricht hinaus das Umfeld nicht ausblendet.

Dieses Umfeld ist nicht einfach. Die Jugendsozialarbeit an der Schule besteht seit März 2003. In jenem Jahr waren der Schule „Brennpunkteigenschaften“ aufgrund der vielen sozial Probleme im Einzugsgebiet zugesprochen worden. „Die Kinderarmut ist bei uns sehr hoch“, ergänzt die Konrektorin. Das Kollegium hielt sich nicht mit Beklagen auf, sondern unterstützt die Schülerinnen und Schülern mit ineinandergreifenden Maßnahmen, so zum Beispiel Sprachförder- und Vorbereitungsklassen sowohl in der Grund- als auch in der Werkrealschule, einer Grundschulförderklasse, einer Kleinklasse, Berufsorientierung ab der 6. Klasse, individueller Förderung mit Hilfe von Diagnosen, Lernstandserhebungen und Förderplänen sowie Präventionsprogrammen. Aber auch eine Schülerfirma und ein Schulwaldprofil mit Walderlebnispfad, einem Grünen Klassenzimmer und einem Schildkrötenteich gehören dazu.

„Was brauchen unsere Kinder?“

„Was brauchen unsere Kinder?“ fragt das Leitbild der Schule. Sehr viel, lautet die Antwort – und Schulleitung, Kollegium und die zahlreichen außerschulischen Partner bieten ihnen entsprechend viel an. Allein in der Berufsorientierung arbeitet man mit fünf Bildungspartnern zusammen. Die Schule ist darüber hinaus in viele kulturelle und soziale Aktivitäten in der Gemeinde eingebunden, wie zum Beispiel das Backnanger Bildungs- und Sozialkonzept, das Projekt „Power ohne Fäuste“ und die LiteraTour mit Lesungen und Theatervorstellungen.

Schülerinnen beim Seilspringen auf dem Schulhof
© Theodor Barth

Die Schülerinnen und Schüler übernehmen nicht nur Verantwortung in der Schülerfirma, bei der Betreuung des Waldlehrpfads oder der Organisation von Veranstaltungen, sondern auch bei der Weiterentwicklung von Schulprogramm und Leitbild. Ebenso sind die Eltern eingebunden. Beim Eintritt in die Schule unterschreiben sie mit ihrem Kind und einer Lehrkraft einen Schulvertrag. Mütter und Väter beteiligen sich an Abenden zur Berufsorientierung und geben sogar eine eigene Schulzeitung heraus.

Die Grund- und Werkrealschule in der Taus versteht sich auch als „Schule der 2. Chance“, wie man dem Leitbild entnehmen kann. Um Schülerinnen und Schülern, die möglicherweise an anderen Schulen Misserfolge erlebt haben, diese zweite Chance zu ermöglichen – und gemessen an den Abschlussquoten gelingt dies der Schule außerordentlich gut –, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Die Schule bemüht sich daher intensiv um das Vorhalten einer sehr hohen effektiven Lernzeit. Dies wird besonders deutlich am fast nicht messbaren Unterrichtsausfall, der in beiden Schularten jeweils unter 0,1 Prozent liegt.

Die Zukunft: Gemeinschaftsschule und notenfreie Schule

Im Mittelpunkt des Schulprogramms steht indes der Bereich Leistung, sowohl in der Grundschule als auch in der Werkrealschule. Eine hohe Unterrichtsqualität ist für das Kollegium die Grundvoraussetzung für den Lernerfolg. Diese erreicht die Schule durch tiefgehende Zieldiskussionen in den Lehrerteams, durch Kompetenzorientierung in den schulinternen Bildungsplänen, Bereitstellen von „Themenkisten“ in vielen Bereichen, regelmäßige Teambesprechungen auf Klassenstufenebene, viele schulinterne und außerschulische Fortbildungen, durch gegenseitige Unterrichtshospitationen, durch die Intensivkooperation mit der Pestalozzi-Förderschule sowie den Einsatz von Lese- und Lernpaten.

Wer viel arbeitet, darf auch feiern, sagt ein Sprichwort. Besonders wenn man aus Berlin mit dem Deutschen Schulpreis im Gepäck zurückkommt. So organisierte die Grund- und Werkrealschule an der Taus am Freitag nach der Schulpreisverleihung ein großes Schulfest. „Wer an einem solchen Wettbewerb teilnimmt, hofft, sich auch einmal mit anderen Schulen vergleichen zu können und Unterstützung durch den Blick von außen zu erfahren“, resümiert Martina Mayer. Den Deutschen Schulpreis kann die Schule, die mit der Einführung der Gemeinschaftsschule zum kommenden Schuljahr 2013/14 und der Ambition, notenfreie Schule zu werden, bereits die nächsten Großprojekte vor der Tür stehen hat, gut gebrauchen. Wie viele andere Schulen in Deutschland kämpft auch sie um ihren Standort.

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