Limbach-Oberfrohna: Von der Villa zur Ganztagsschule : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die Schule am Stadtpark in Limbach-Oberfrohna hat eine bewegte Geschichte. Kennt man diese, wächst die Anerkennung für die sächsische Ganztagsschule und ihre selbstbewussten Schülerinnen und Schülern noch um einiges mehr.

1991 startete ein Schulleben voller Zukunft
1991 startete ein Schulleben voller Zukunft © Thomas Heym

Manchmal lohnt sich ein Blick in die Geschichte, wenn man eine Schule „von heute“ darstellen und verstehen möchte. Dies gilt auch für die Schule am Stadtpark im sächsischen Limbach-Oberfrohna – eine Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung.

In der DDR gab es die zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen und als weiterführende Schulen zum Abitur die Erweiterten Oberschulen. Dann gab es noch sogenannte Hilfsschulen für rund zwei Prozent der Kinder und Jugendlichen. Und schließlich gab es für „nicht hilfsschulfähige“ Kinder die Tagesstätten für „schulbildungsunfähige“ und nur „förderungsfähige“ Kinder und Jugendliche, die nicht der Schulpflicht unterlagen. Das Recht auf Bildung orientierte sich in Hilfsschulen an der Vermittlung der „elementaren Fähigkeit Lesen, Schreiben und Rechnen“, und genau diese Kulturtechniken wurden in den Tagesstätten bewusst nicht vermittelt. Diese Entwicklung wird erst neuerdings aufgearbeitet, etwa an der Universität Rostock.

Auch die Stadt Limbach-Oberfrohna verfügte in ihrer Trägerschaft über eine Einrichtung dieser Art. Die Tagesstätte befand sich in einer Villa, welche auf Grund von Eigentumsansprüchen nach der Wende zügig geräumt werden musste. Die Kinder und Jugendlichen zogen mit dem damaligen Personal in die Kindertagesstätte Lindenstraße um. Nach bundesdeutschem Recht galt nun die Schulpflicht für alle Kinder. Für 17 Kinder und Jugendliche, vier Lehrerinnen und vier Erzieherinnen der ehemaligen Tagesstätte startete im September 1991 in Trägerschaft der Behindertenhilfe Limbach-Oberfrohna e.V. ein Schulleben voller Zukunft. Daran erinnert sich Andrea Esche. Sie leitet die Schule seit jenem Sommer 1991.

Über 30 Jahre später lernen und arbeiten 60 Schülerinnen und Schüler, 13 Lehrkräfte, 12 Erzieherinnen und Erzieher, Integrationshelfer, vier Therapeuten aus verschiedenen Therapiebereichen, ein Psychologe, eine Künstlerin, ein Erzieher für Berufsorientierung und eine Schulsozialarbeiterin in der neuen und modernen Schule am Stadtpark.

Verlässlichkeit und Bindung

Was sie leisten, kann sich sehen lassen. In der Schule am Stadtpark finden Schülerinnen und Schüler ganztags ihre „Heimat“ – von der Unterstufe bis zur Werkstufe. Dies geschieht in kleinen Klassen. In der Unterstufe gehören einer Lerngruppe maximal neun Schülerinnen und Schüler an, in Ober- und Werkstufe ist die Zahl auf zwölf begrenzt. Sie alle profitieren von einer familiären Atmosphäre.

"Gelobt wird, wenn etwas gelingt"
"Gelobt wird, wenn etwas gelingt" © Norma Kux

„Wie schaffen Sie diese konkret?“, möchten wir vom Kollegium wissen. Die Antwort kommt nahezu gleichzeitig von allen am Tisch Sitzenden: „Durch Verlässlichkeit.“ Das betonen übereinstimmend die Schulleiterin, ihre auserkorene Nachfolgerin Lisa-Marie Reichelt, Ganztagskoordinatorin Grit Otto, Klassenlehrerin Norma Kux, Schulsozialarbeiterin Christina Brenner und der für den Musikunterricht verantwortliche Musikpädagoge Michael Fröhlich.

Sie füllen den Begriff Verlässlichkeit in unserem Gespräch mit Leben. Bindung wird in den unteren Klassen mit der kontinuierlichen Begleitung durch feste Bezugspersonen aufgebaut. Sie wird zusätzlich beim jährlichen fünftägigen Aufenthalt in einem Schullandheim gestärkt. Christina Brenner ist überzeugt: „Das Mehr an Zeit, 24 Stunden füreinander dazu sein, ist angenehm für das Soziale. Zumal die Schülerinnen und Schüler uns auch mit unseren Ecken und Kanten kennenlernen.“

Später lernen die Kinder, sich auf unterschiedliche Lehrkräfte, mit unterschiedlichen Haltungen und Herangehensweisen einzustellen. Verlässlichkeit bedeutet aber auch Konsequenz. „Bei uns wird nichts angekündigt, was wir nicht halten“, sagt Lisa-Marie Reichelt. Norma Kux ergänzt: „Das gilt für den Umgang mit den Schülerinnen und Schülern, aber auch mit den Eltern.“ Was beispielsweise angekündigt wird: „Wir gehen kleine Schritte. Stück für Stück. Und wenn etwas auf Anhieb nicht klappt, ist das nicht schlimm.“ Es werden positive Momente geschaffen. Gelobt wird, wenn etwas gelingt – nicht um des Lobes willen. Und das durchaus auch bei Alltagstätigkeiten.

Ehrliche Anerkennung gewünscht

Michael Fröhlich unterstreicht dies mit Blick auf die Auftritte seiner Rock-Band, die eine Arbeitsgemeinschaft ist: „Wenn wir auftreten, möchten wir ja keinen Mitleidsbeifall. Unsere Schülerinnen und Schüler wollen ehrliche Anerkennung für ihre musikalische Leistung.“ Beim Chemnitzer „Traumkonzert“, bei dem im November wieder zahlreiche Bands der Förderschulen ihr künstlerisches Talent zeigen werden, ist ihnen die Anerkennung wieder sicher.

Der Musikpädagoge Fröhlich, der zusätzlich als Lehrer für Klavier an der städtischen Musikschule unterrichtet, macht deutlich, was er von seinen „Rockern“ erwartet: „Wir arbeiten mit voller Ernsthaftigkeit auf unsere verschiedenen Events hin. Es ist nicht relevant, ob und welche Beeinträchtigung ein Kind hat. Ich mache keinen Unterschied, spreche nicht anders und gehe mit ihnen nichts anders um als mit allen anderen Kindern.“

Den Mehrwert solcher Events benennt die Schulleiterin: „Die Auftritte in der Öffentlichkeit, ob in der Musik, im Sport oder bei Kunstausstellungen, steigern das Selbstbewusstsein unserer Schülerinnen und Schüler.“ Norma Kux ist sicher: „Das Zusammenspiel, das Arbeiten im Team, das Zuhören, die Fokussierung auf eine Sache sind positive Eigenschaften, die Kinder und Jugendlichen fürs Leben mitnehmen.“ Weil sie wissen und erfahren, dass etwas – auch mit harter Arbeit – gelingt, werden Grenzen verschoben. Stück für Stück. Individuell.

„Jeder kann was“

Jede/r belegt mindestens zwei AGs pro Woche
Jede/r belegt mindestens zwei AGs pro Woche © Norma Kux

Wenn möglich, werden die Inhalte des Unterrichts in Arbeitsgemeinschaften des Ganztags aufgegriffen. Etwa bei der Musik oder auch im Sport. So messen sich die schuleigenen Fußball- und Floorballteams mit Ausdauer, Team- und Kampfgeist mit befreundeten Schulen. „Mindestens zwei Arbeitsgemeinschaften pro Woche belegen die Schülerinnen und Schüler durchschnittlich“, berichtet Ganztagskoordinatorin Grit Otto. Bei der Auswahl werden sie von ihrem Klassenteam unterstützt, sollen aber zu größtmöglicher Selbstständigkeit geführt werden.

Das Ganztagsangebot trägt den Namen „Jeder kann was“, und die Palette der Angebote ist bunt. Viele werden von den Lehrkräften selbst geleitet. Für andere kommen Kooperationspartner wie das Fitnessstudio, Tanzschule und Musikschule, Kunstpädagogen oder die Tierparkschule Limbach-Oberfrohna zu den Schülerinnen und Schülern. Seit 23 Jahren stehen ihnen für einige Angebote die Räume einer gegenüberliegenden ehemaligen Firma zur Verfügung.

Im nahegelegenen Stadtpark findet eine besonders beliebte AG statt. In kleinen Gruppen dürfen die Schülerinnen und Schüler Alpakas an der Leine führen, sie streicheln und füttern. Ermöglicht wird dies durch Heike Parthum, eine Fachfrau für tiergestützte Therapie. Klassenlehrerin Norma Kux strahlt, wenn sie davon erzählt: „Es ist immer wieder ein besonderes Erlebnis und Gefühl, zu erleben, wie unsere Schülerinnen und Schüler ihre anfängliche Scheu und Ängste überwinden und gleichzeitig Verantwortung für die Tiere und sich übernehmen.“

Selbstständigkeit aufbauen

In den Klassenzimmern, die alle über eine kleine Küche verfügen, startet jeder Tag mit einem gemeinsamen Frühstück. Die Schule verfügt über ein Therapiebecken, einen Garten der Sinne, eine Turnhalle, eine Lehrküche und den beliebten Snoezelraum. Ein Computerraum ebenso wie die nahezu optimale digitale Ausstattung runden die Möglichkeiten ab.

Wenn Grit Otto die Angebote alle auflistet, dürfen die Praktika, die Thomas Heym im Rahmen der Berufsorientierung und Praktikumsbetreuung in der Region vermittelt, nicht fehlen. Die guten Beziehungen nach außen öffnen viele Türen. Während der Praktika in der Werkstufe können sich die Schülerinnen und Schüler ausprobieren, sich ihrer eigenen Stärken bewusst werden und ihre Kompetenzen ausbauen. So manch einer fand einen Arbeitsplatz – auch auf dem ersten Arbeitsmarkt.

In einer 2008 durch die Behindertenhilfe e.V. angemieteten Wohnung eines Mehrfamilienhauses können Schülerinnen und Schüler ab dem 17. Lebensjahr immer selbstständiger das Wohnen trainieren. Hier strukturieren die jungen Erwachsenen ihren Alltag selbst, lernen mit ihrem Budget auszukommen, gestalten ihre Freizeit und erscheinen morgens pünktlich zum Schulbeginn.

Strahlende Augen als Lohn

"Da schaue ich einmal vorbei!"
"Da schaue ich einmal vorbei!" © Norma Kux

Wer die Schule, die zufriedenen Schülerinnen und Schüler ebenso wie die engagierten Pädagoginnen und Pädagogen, die Atmosphäre und den Umgang miteinander einmal erlebt hat, kann bestens nachvollziehen, dass heute, mehr als drei Jahrzehnte nach Gründung der Schule, so manch einer aus anderen Einrichtungen, auch aus anderen Bundesländern, den Wunsch verspürt: Da schaue ich einmal vorbei!

Demnächst wird dann Lisa-Marie Reichelt die Schulleiterin sein. Denn Andrea Esche verabschiedet sich nach 32 Jahren erfolgreicher Arbeit in den Ruhestand. Nicht ohne allen am Gelingen der Schule Beteiligten „Danke“ zu sagen. Für sie zählt vor allem, dass sie, „mit einer gehörigen Portion Respekt und Ehrfurcht“, wie sie sagt, „das Wachsen“ der Schülerinnen und Schüler miterleben durfte. Die Erweiterung der Schule durch ein Kollegium verschiedenster Professionen hat sie mitgestaltet und begleitet. Der Weg sei nicht immer einfach gewesen. Doch der „Lohn“ bleiben für sie selbstbewusste Schülerinnen und Schülerinnen und Schüler, ja „die strahlenden Augen und die Freude unserer Kinder und Jugendlichen.“

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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