Lilli-Martius-Schule Kiel: Ganztag mit Kompass : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Viel Austausch und Kommunikation sind das Erfolgsrezept der Lilli-Martius-Grund- und Gemeinschaftsschule in Kiel. Kompassgespräche erleichtern den Schülerinnen und Schülern ihren Weg durchs Schulleben und danach.

Es hätte keiner umfassenden Studien wie jener von John Hattie bedurft, damit sich Jan Eric Becker über eines klar wurde: Ohne gute Beziehungen läuft in einer Schule wenig und das Lernen schwieriger. Davon ist der Schulleiter der Lilli-Martius-Grund- und Gemeinschaftsschule, überzeugt, seit er als Lehrer und seit nunmehr rund zwölf Jahren als Schulleiter aktiv ist. Auch jetzt, nachdem er vor zwei Jahren diese von 720 Schülerinnen und Schülern besuchte Ganztagsschule übernommen hat, erfährt er im Grunde täglich die Richtigkeit dieser These.

Er schätzt sich glücklich, dass sein Kollegium am Vormittag und das Team des Nachmittags diese Haltung teilen. Und weil das so ist, bemüht sich das gesamte Erwachsenen-Team um eine gute Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen. Für Jan Eric Becker fängt dies frühmorgens an, wenn er im Schulgebäude und auf dem Außengelände unterwegs ist, um möglichst vielen einen „guten Morgen und schönen Tag“ zu wünschen. „Wenn Sie mich fragen würden, warum Sie ihr Kind auf unsere Schule schicken sollen, würde ich antworten: Wir versuchen, jedes Kind im Blick zu haben. Wir schauen, was unsere Schülerinnen und Schüler benötigen und wie wir sie unterstützen können.“

„Wie geht es dir?“

Becker ist sich bewusst, dass diese Qualität vermutlich jede Schule für sich in Anspruch nimmt. Doch er weiß auch, dass die Lilli-Martius-Schule die eigene Erwartung mit Leben füllt. Als einen Beleg nennt er die „Masse an Gesprächen, die wir führen“. Es beginnt mit der nur scheinbar banalen, regelmäßig formulierten Frage an die Schülerinnen und Schüler: „Wie geht es dir?“ Dabei erhoffen sich er und sein Kollegium kein dahin geworfenes „gut“. Sie ermuntern, ehrlich zu sein, und sind sich bewusst, dass nicht alle das Angebot annehmen. „Wenn wir wissen, was in einem vorgeht, können wir darauf auch eingehen“, sagt der Schulleiter.

Schulhof Seilgarten
© Lilli-Martius-Schule Kiel

Auch deshalb formuliert er zugleich ein Verbesserungspotenzial, das ausgemacht wurde: „Vor- und Nachmittag wollen wir stärker verzahnen, besonders auch, was die Kommunikation über die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler angeht. Nur dann entsteht ein rundes Bild.“ Die Erzieherinnen sollen bei pädagogischen Konferenzen dabei sein. Die Arbeit beider Teams soll sich ergänzen, ihre Arbeitszeit sich überschneiden. „Daran werden wir arbeiten, denn wir wollen wissen die Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Blickwinkeln der Professionen kennenlernen“, kündigt Becker an.

Zum Team gehören auch die beiden Schulsozialpädagoginnen Nazey Toprak und Christina Potten. Sie unterstützen vertraulich die gesamte Schulgemeinschaft, auf Wunsch auch Eltern, und arbeiten eng mit den Beratungslehrkräften, dem Allgemeinen Sozialdienst (ASD) und besonders auch mit Einrichtungen im Stadtteil zusammen.

Verzahnung im Ganztag

Die Koordinatorin des Ganztags, Ulrike Lukas vom Träger der OGTS des Kinder- und Jugendhilfe-Verbunds Kiel, ist überzeugt: „Für uns ist eine Einbettung des Offenen Ganztags in den vormittäglichen Schulbetrieb von großer Bedeutung. Es ist für alle Beteiligten wichtig, dass der Offene Ganztag als etwas wahrgenommen wird, was zur Schule dazugehört. Insofern ist ein Austausch über Schülerinnen und Schüler, ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse, ihre Stärken und Schwächen von nicht zu unterschätzendem Wert. Je mehr Lehrer und Lehrerinnen, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Offenen Ganztags in den Austausch treten, desto eher wird es uns gelingen, den Anliegen der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden.“

Im aktuellen Schulhalbjahr betreuen Ulrike Lukas und ihr Team mit ihren Angeboten im Schnitt rund 190 Schülerinnen und Schüler. Neben der täglichen Hausaufgabenbetreuung, Mensa- und Freizeitaufsicht werden Arbeitsgemeinschaften wie Kochen und Freerunning/Parkours, Skaten, BMX-Rad, Schach, Ski-Langlauf, aber auch Chor, Theater und Jugendtanz angeboten. Kooperationen bestehen etwa mit der Schule für Schauspiel, der Kunsthalle zu Kiel und der Stadtteilbücherei Elmschenhagen. Zum Angebot gehören außerdem die Schulsanitäter, Schülerlotsen oder die „Polizeisprechstunde“. In der „Kiel Sailing City“ in Kooperation mit dem Schulwassersportzentrum Ostufer können die Jugendlichen mit Jollen, Kuttern und Kanus die Kieler Förde erkunden.

Die helle, moderne und freundliche Mensa von über 700 Quadratmetern, in der Schülerinnen und Schüler ebenso wie Lehrerinnen und Lehrer beisammensitzen und ausspannen können, bietet nicht nur eine ganzheitliche und gesunde Ernährung des Caterers nach DGE-Qualitätsstandard, sondern auch 160 Sitzplätze für Bildung und Kultur, darunter eine kleine Bühne für Theatervorstellungen.

Das Kompassziel erreichen

Kennenlernen müssen diejenigen, die neu an diese Schule wechseln, die Regeln. Schulleiter Becker ist überzeugt, dass Schülerinnen und Schüler klare Instruktionen und Ziele brauchen. „Wenn sie die nicht haben, eiern sie herum.“ Das heißt, sie sind verunsichert. Regeln und Ziele sind nach Auffassung des Kollegiums auch wichtiger Bestandteil der Kommunikation. Nicht immer zur Freude der Schülerinnen und Schüler. Verstößt jemand erheblich gegen Regeln, beleidigt oder beschimpft andere, löst eine zu heftige Rauferei aus, gibt es kein Pardon: „Dann sehen wir die Schülerin oder den Schüler am folgenden Morgen vor Unterrichtsbeginn mit mindestens einem Elternteil hier wieder und reden.“ Becker ergänzt: „Nur mit einer konsequenten Haltung und Linie verstehen die Schülerinnen und Schüler, was geht und was nicht, wie das Miteinander hier funktioniert.“

Bänke
© Lilli-Martius-Schule Kiel

Deutlich lieber spricht der Schulleiter über einen von vornherein positiv angehauchten Austausch zwischen Lehrkräften, Schülerin/Schüler und Eltern. Dieser findet zweimal im Schuljahr statt. Dann nämlich trifft man sich zu den sogenannten Kompassgesprächen, die die Schule im Rahmen der Fortbildung der Initiative „Lernen im Ganztag“ (LiGa) kennengelernt hat. Eine Arbeitsgruppe der Gemeinschaftsschule entwickelte daraufhin ein schuleigenes Kompassheft. Darin ziehen die Lernenden die Bilanz ihrer jeweiligen Woche.

Sie schätzen ein, wie ihr Verhalten war („Ich melde mich“/ „Ich arbeite konzentriert“ bis zu „Ich gehe mit meinen Mitschülerinnen und Mitschülern respektvoll um“). Dafür steht ihnen eine Bewertungsskala von „großartig“ bis „kaum“ zur Verfügung. Darüber hinaus formulieren sie ihr Kompassziel, wägen ab, ob sie es für die Woche erreicht haben und planen: „Das muss ich tun, um mein Kompassziel zu erreichen.“ Erziehungsberechtigte und Lehrkräfte unterzeichnen die Selbsteinschätzung.

Der Individualität gerecht werden

Der Kompass ist zugleich eine gewollte Brücke zu den Eltern. „Uns gelingt es so, die allermeisten Eltern in die Schule zu holen, mit ihnen die Gegenwart zu gestalten und die Zukunft ihrer Kinder gemeinsam zu planen“, berichtet der Schulleiter. Je älter die Schülerinnen und Schüler werden, desto stärker rückt die Entscheidung, wie es nach der Schulzeit weitergehen soll, in den Blickpunkt. Viel wird für die Berufsorientierung – „Berufsorientierung mit Pfiff!“, wie es heißt – angeboten. Kooperationen mit Firmen ermöglichen Einblicke in die Berufswelt.

Nach Einschätzung Beckers folgen zu viele junge Menschen dem Trend und der Einschätzung, dass nur Abitur und Studium zählen. Er wünscht sich: „Wir alle sollten viel stärker auf die Kompetenzen und Talente eines jeden schauen.“ Er glaubt, dass die duale Ausbildung nicht selten der bessere Weg wäre. Er streicht die Individualität heraus, auch mit Blick auf die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Es brauche spezielle Angebote, wie etwa den Schulgarten dieser modernisierten und in Teilen hochmodernen Schule mit bestens ausgestatteten Fachräumen und fantasievollem, zum Spielen animierendem Außengelände.

Erforderlich sei aber auch entsprechendes Personal. „Eigentlich müsste inzwischen in jeder Klasse mindestens noch eine zweite Kraft, im Idealfall mit sonderpädagogischer Qualifikation und Erfahrung anwesend sein“, sagt Becker. Er meint, dass Differenzierung innerhalb einer Klasse ihre Grenzen habe. Aus dieser Perspektive sei das differenzierende Kurssystem mit Basis- und Erweiterungskursen ab Jahrgang 8 richtig. In den Erweiterungskursen gehe in einigen Fächern „die Post ab“. Auf der anderen Seite führe das Kurssystem zum Verlust der Bindung zur Klassenlehrerin oder zum Klassenlehrer.

Klare Instruktionen und Ziele

Der Schulleiter ist zwiegespalten, wenn es um ein möglichst komplett selbstgesteuertes Lernen geht. Lehrerinnen und Lehrer müssten sich da stets selbst auf den Prüfstand stellen, schauen, welche Methode welchen Effekt bewirke. Er ist „skeptisch, ob es sinnvoll ist, wenn wir Lehrkräfte uns nur noch als Moderatorinnen und Moderatoren oder Begleitung des Lernenden verstehen“ und erläutert für sein Kollegium: „Wir vertreten das Prinzip der klaren Rückmeldung.“ Bis zur 7. Jahrgangsstufe findet diese neben den regelmäßigen Gesprächen im Unterricht ohne Noten statt, anhand von Berichtszeugnissen zu den angestrebten Kompetenzen.

Der Schulweg will geschützt und gelernt sein
Der Schulweg will geschützt und gelernt sein © Britta Hüning

Keine zwei Seelen wohnen in der Beurteilung anderer Konzepte in seiner Brust. Die Einführung von 60-Minuten-Unterrichtsstunden unter dem schönen Motto „Lilli lernt länger“ entschleunige den Vormittag, die Schülerinnen und Schüler hätten weniger Lehrerwechsel zu „verkraften“. Das käme auch den Lehrkräften entgegen. Ebenso unstrittig sei, dass in der Schule deutsch – in der AG auch gern plattdeutsch – gesprochen werde, ohne Kindern mit Migrationshintergrund ihre Muttersprache abtrainieren zu wollen. „Schule ohne Rassismus steht bei uns nicht nur auf Plakaten, sondern wird gelebt“, versichert Becker und verweist auf eine aktuelle Umfrage der Schülervertretung, die auch das Thema Diskriminierung einschließt. Verantwortung übernehmen

Bereits Grundschülerinnen und Grundschüler der Lilli-Martius-Schule sorgen für sichere Schulwege: Sie arbeiten am sogenannten Fußwegeachsen- und Kinderwegekonzept der Stadt Kiel mit, indem sie ein Routentagebuch führen und die Ergebnisse der Stadt übermitteln. Die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wird großgeschrieben. Seit 2010 ist die Lilli-Martius-Schule Jahr für Jahr als „Zukunftsschule“ in Schleswig-Holstein ausgezeichnet geworden. Ob eine nicht flugfähige Zwergfledermaus, die sich ins Gebäude verirrt hat, oder der Grasfrosch, der ein Refugium im Schulgarten fand – die Schülerinnen und Schüler der Schule zeigen Verantwortung und gerade in den unteren Jahrgängen viel Motivation, Tieren und Pflanzen an der Schule ein Zuhause zu bieten. Der Wahlpflichtkurs Ökologie und Garten fand bei der Neugestaltung des Schulteiches ihren Kooperationspartner: Ein ehemaliger Schüler der Schule hat eine Firma für Gartengestaltung gegründet. Und bei allem hilft die Kommunikation.

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