L.E.B.E.N. im gebundenen Ganztag: Ernst-Reuter-Schule : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Seit 1987 arbeitet die Ernst-Reuter-Schule in Karlsruhe ganztägig. Überregional für ihre Medienbildung bekannt, hat die Gemeinschaftsschule jetzt das Projektfach L.E.B.E.N. eingeführt.

Micha Pallesche ist seit zehn Jahren an der Ernst-Reuter-Schule in Karlsruhe tätig, derzeit als kommissarischer Schulleiter, und kennt die Anfänge der Ganztagsschule nur vom Hörensagen. Seit 1987 arbeitet die bisherige Grund- und Werkrealschule und frühere Hauptschule als gebundene Ganztagsschule. Sie ist damit die „dienstälteste“ der Stadt und auch eine der ältesten in Baden-Württemberg. „Damals war hauptsächlich die Betreuung von Kindern Alleinerziehender das Motiv für die Einführung“, weiß der Schulleiter.

Ernst-Reuter-Schule
Das Schulgebäude entstand 1961 © Ernst-Reuter-Schule

Knapp 30 Jahre später ist die Ernst-Reuter-Schule, die montags bis donnerstags von 7.45 bis 16 Uhr und freitags bis 13 Uhr im gebundenen Ganztag arbeitet, eine profilierte und mehrfach ausgezeichnete Schule. Sie vertrat das Land bei Bildungskongressen und im bundesweiten Schulnetzwerk „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“. Sie erhielt im April 2015 im Wettbewerb „Starke Schule“ von Bundespräsident Joachim Gauck eine Auszeichnung für das Ganztagsschulkonzept und einen Sonderpreis für Vielfalt. Auf der diesjährigen Didacta bekam die Schule den E-Learning-Preis "delina" - Deutscher E-Learning Innovations- und Nachwuchs-Award der Bitkom für das beste deutsche E-Learning Konzept.

Dass die Ernst-Reuter-Schule insgesamt gut dasteht, lasse sich auch an den stabilen Schülerzahlen und den „traumhaften Übergangszahlen“ ablesen, meint Micha Pallesche. Die verdankten sich unter anderem einer Schulkultur, in der Schulleitung und Kollegium konstant die eigene Arbeit hinterfragen und evaluieren und zugleich für Neuerungen offen sind. Die aktuellste Neuerung: In diesem Schuljahr wandelt sich die Grund- und Werkrealschule – mit dem 5. Jahrgang hochwachsend – zur Gemeinschaftsschule. Die Grundschule läuft aus, und die benachbarte Eichendorffschule wird dann den Grundschulbedarf in der Karlsruher Waldstadt abdecken.

„Lernen geht über Beziehungsebene“

Der Schritt zur Gemeinschaftsschule war im Kollegium nicht unumstritten. „Wir sind eine erfolgreiche Grund- und Werkrealschule. Warum sollten wir das aufgeben?“, hieß es. Pädagogisch spricht für Micha Pallesche jedoch sehr viel für die Gemeinschaftsschule. „Unser Ganztagsschulkonzept mit dem Unterricht in größeren Einheiten und Unterrichtsblöcken, das selbstverantwortliche Lernen, die freien Lernformen, Medienbildung und Berufsvorbereitung lassen sich hervorragend auf die Gemeinschaftsschule übertragen. Wir wollen ganzheitlich mit einer gemischten Schülerschaft arbeiten. Und wenn wir ehrlich sind, konnten wir nicht zufrieden sein mit den hohen Vergessenskurven mancher Schülerinnen und Schüler.“ Die Schulgemeinschaft sprach sich dann mit großer Mehrheit für die Einführung der Gemeinschaftsschule aus.

Zum Konzept der ganzheitlichen Bildung gehört der Einsatz von Lehrerinnen und Lehrern über den gesamten Tag. „Das ist ein unglaubliches Pfund: Die Lehrer erleben die Schüler auch mal ganz anders, umgekehrt können die Schüler auch ihre Lehrerinnen und Lehrer ganz anders sehen.“ Lernen geht über die Beziehungsebene, findet der Schulleiter.

„Sechs mal 45 Minuten plus Gejammer über die Hausaufgaben – das kann nicht Schule sein. Wenn ich wissen will, wo es beim Lernen klemmt, muss ich den ganzen Tag über dran sein, um die Defizite und Talente zu entdecken.“ Das ermöglichen insbesondere die Erweiterten Bildungsangebote, kurz: EBA, die von den Lehrkräften, außerschulischen Partnern aus Sport und Kultur, aber auch von Schülermedienmentoren aus dem Jugendbegleiterprogramm geleitet werden.

Die Angebote wollen vor allem die Freude am aktiven Tun wecken, die Eigenverantwortlichkeit stärken und Schülerinteressen berücksichtigen. Sie reichen von Fußball, Streetdance und Bogenschießen bis zu Schülerzeitung, Schulradio, Fotografie und Modedesign. 35 sind es insgesamt. Mittwochs finden sie gebündelt am Nachmittag statt; an den anderen Tagen liegen sie im Mittagsband. Jede Schülerin und jeder Schüler nimmt verpflichtend an zwei Bildungsangeboten pro Woche teil. Am Schuljahresbeginn können die Jugendlichen die Angebote in Schnupperwochen kennenlernen.

Zukunftsweisend: „Ernschtle“ und Erklärvideos

Seit über 20 Jahren gibt es die Schülerzeitung „Ernschtle“. Sie war mehrfach Landessieger im Schülerzeitungswettbewerb von Baden-Württemberg und 2016 auch Bundessieger. „Ernschtle“ begleitet den Schulalltag, stellt Lehrerinnen und Lehrer in Interviews vor, berichtet über Ereignisse in und außerhalb der Schule. Für die nächsten Ausgaben sind Interviews mit Profi-Fußballer Boubacar Barry vom KSC, Skatboard-Legende Titus Dittmann, Sänger Clueso und Schauspieler Matthias Schweighöfer geplant.

Ernst-Reuter-Schule
Medienbildung ist ein Schwerpunkt im Schulkonzept © Ernst-Reuter-Schule

Die Ernst-Reuter-Schule hat sich in der Medienbildung profiliert. Dafür werden örtliche Unterstützungssysteme und Kooperationspartner eingebunden, um die zu große Abhängigkeit von einzelnen Lehrkräften zu mindern. Partner sind das Stadtmedienzentrum Karlsruhe, das Landesmedienzentrum Baden-Württemberg, das Karlsruher Institut der Technologie, das Zentrum für Kunst und Medientechnologie und die Pädagogische Hochschule. Neu sind die vom Landesmedienzentrum ausgebildeten Schülermedienmentoren. Sie leiten das Schulradio, die Foto-AG und Ernschtle TV, können aber auch „gebucht“ werden, wenn in irgendeinem Bereich Probleme auftreten.

Ein besonderes und besonders erfolgreiches Medienprojekt – dafür gab es den erwähnten E-Learning-Preis – sind die Erklärvideos. Für sie hat die Schülerfirma „Noch Fragen?!“ auf Vimeo sogar einen eigenen Kanal geschaltet. Unterstützt durch Lehrer und Schulleitungsmitglied Dominik König-Kurowski drehen Schülerinnen und Schüler in einem zum kleinen Fernsehstudio arrangierten Raum Videos zu wichtigen Unterrichtsthemen.

„Die Videos haben gleich mehrere Vorteile“, erklärt Micha Pallesche. „Durch das Selbsterklären für Andere verstehen die Schülerinnen und Schüler die Lerninhalte selbst noch einmal besser. Außerdem werden sie an den Fragen und den Bedürfnissen der Jugendlichen ausgerichtet.“ Nicht nur, weil sich die Schülerinnen und Schüler gerne des Internets bedienen, hält der Schulleiter diese Art der Wissensvermittlung und -aneignung für eine zukunftsweisende Unterrichtsmethode, die perfekt das selbstorganisierte Lernen unterstützt.

Schule in Bewegung

Für die Gemeinschaftsschule entwickeln die Fachschaften nun zusammen die Lehreinheiten und entwickeln die Kompetenzraster mit unterschiedlichen Niveaustufen. Was zunächst einmal mehr Arbeit mit sich bringt, aber, wie Micha Pallesche sicher ist, auch mehr Zufriedenheit. Die ersten Erfahrungen mit der Gemeinschaftsschule sind insgesamt positiv: „Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern ist zum Beispiel intensiver. In unseren Lernentwicklungsgesprächen stellen die Schülerinnen und Schüler einmal im Halbjahr ihren Lehrern und Eltern ihren Lernstand vor.“ Das ganze Jahr über werden die Schülerinnen und Schüler durch Lerncoaches begleitet, mit denen sie alle zwei Wochen den Lernstand gemeinsam reflektieren.

Eine weitere Neuerung ist das Projektfach L.E.B.E.N. in der 5. Klasse, mit dem die Schule die soziale und emotionale Intelligenz stärken will. L.E.B.E.N. steht für Leidenschaft, Energie, Begeisterung, Engagement und Nachhaltigkeit. „Die Jugendlichen sollen hier Lebenskompetenzen lernen und Verantwortung übernehmen“, berichtet Micha Pallesche. In wöchentlich zwei verpflichtenden Schulstunden befassen sich die Schülerinnen und Schüler mit Themen wie Talentbörse, Esskultur, Gemeindedetektive und Verantwortungsjobs. Zu den Aufgaben gehört zum Beispiel, sich in der Stadt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu orientieren, ohne das Smartphone zu benutzen. Ein Thema lautet auch „Ich bin wichtig“.

Die Ernst-Reuter-Schule ist in Bewegung. Micha Pallesche will demnächst dazu beitragen, dass sie das buchstäblich bleibt: Für das große, parkähnliche Schulaußengelände möchte er gerne einen Niedrigseilgarten aufstellen lassen.

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