Kurfürst-Moritz-Schule: Lernen voller Musik : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Musik und noch einmal Musik. Die Kurfürst-Moritz-Schule in Moritzburg im Landkreis Meißen zeichnet sich durch ein nahezu einzigartiges Musikprofil aus. Unterricht und Ganztagsangebot schaffen individuelle Lernräume.

Kurfürst-Moritz-Schule im Landkreis Meißen
Kurfürst-Moritz-Schule im Landkreis Meißen © Kurfürst-Moritz-Schule

Musik klingt wohltuend durch die nahe Umgebung. Harmonisch. Rhythmisch. Balsam für die Ohren. Wir nähern uns der Kurfürst-Moritz-Schule im Ortsteil Boxdorf der Gemeinde Moritzburg, etwas außerhalb der sächsischen Landeshauptstadt Dresden im Landkreis Meißen gelegen. Diejenigen, die für diese musikalische Atmosphäre sorgen, halten sich im 140 Jahre alten Schulgebäude nebst modernem Anbau auf.

Es ist Vormittag – Unterrichtszeit. Eigentlich. In Wahrheit laufen Fachunterricht und Außerunterrichtliches in dieser Schule mit gebundenem Ganztagsangebot parallel. Beides ist kaum voneinander zu unterscheiden. Alles wirkt irgendwie „normal“, unaufgeregt, von Freude am gemeinsamen Lernen geprägt. Schulleiter Heiko Vogel erwartet uns. Susan Richter, Sekretärin und eine der guten Seelen des Hauses, bei der Schülerinnen und Schüler auch schon einmal den Kopf nur ins Arbeitszimmer stecken, um „Hallo“ zu sagen, führt uns zu ihm. Vorbei an der Schulbühne im Foyer, die erst in der vergangenen Woche Schauplatz des schulinternen Wettbewerbs „Rock im Foyer“ gewesen war.

Wohin das Auge auch schweift, es erblickt viel Grün und zahllose Fotos vom kulturellen Schwerpunkt der Schule: Hier ein Foto vom jüngsten Festival „Schule tanzt“ im Alten Schlachthof von Dresden, einem 1998 zur Konzerthalle umgebauten Industriedenkmal. Dort ein Foto von schulinternen Auftritten. Hier dreht sich vieles um Musik, Tanz, Theater. Kreativität eben.

„Individuellen Lernraum organisieren“

Heiko Vogel hat für diesen Morgen nichts für uns extra initiiert, hat darauf verzichtet, anzukündigen, dass „jemand durch die Schule laufen“ wird. Ein Stück weit sind die rund 500 Schülerinnen und Schüler das auch gewöhnt. Die Schule hat 2020 den Sächsischen Schulpreis „Digitale Schule“ erhalten. Zahllose Auszeichnungen, etwa beim Deutschen Schulpreis (2019), als Sportfreundliche Schule (2018), als „Schule mit Herz“ oder beim Europäischen Schulmusik-Preis (2015) wirken wie Magneten auf andere Schulen. Sie wollen wissen, wie diese Schule arbeitet.

Worte können darauf nur ansatzweise eine Antwort geben. Vielleicht auch deshalb mag Heiko Vogel gar nicht so viele Worte verlieren. „Kommen Sie doch einfach einmal mit“, lädt er ein. Egal, wo er uns entlangführt, wir können von außen in die hellen Räume schauen. Schülerinnen und Schüler sitzen in Gruppen. Manche arbeiten für sich, nicht nur im Klassen- oder Fachraum, auch in den zahlreichen kleinen „Lerninseln“, die den Rückzug zum Lernen im gesamten Schulgebäude ermöglichen. Wir betreten mehrere Zimmer, in denen Unterricht läuft.

Schulleiter Heiko Vogel
Schulleiter Heiko Vogel © Landesverband Musikunterricht Sachsen

Ein kurzer Blick ist uns gegönnt. Dann vertiefen sich die Kinder und Jugendlichen wieder in ihre Tätigkeit. Die Lehrkräfte beobachten, beantworten Fragen. Ein Raum weiter stellt Mathematiklehrerin Juliane Jentsch Umfang und Flächeninhalt eines Rechtecks an der digitalen Tafel dar. Fast scheint es, als spreche sie eher mit sich als mit den Lernenden. Die übertragen das Gesehene eigenständig per Hand und realem Geodreieck aufs Papier.

Heute ist es so. Manchmal nutzen sie auch ihr Handy oder Tablet für die Arbeit. Beides ist ausdrücklich erwünscht. In jedem Fall aber arbeiten sie selbstständig und individuell. Die Lehrkräfte geben Input, ansonsten fungieren sie als Lernbegleiterinnen und -begleiter. „Denn“, so sagt Vogel, „wir Lehrer müssen nicht erzählen, was die Schülerinnen und Schüler bei YouTube sehen können. Wir müssen Lernerlebnisse und das Miteinander bieten und einen individuellen Lernraum organisieren.“

Inklusiv – nicht nur auf dem Papier

Der Weg führt uns zu einem der Orte, von denen die Musik erschallte. Hier probt Beatrice Kuntzsch mit ihrer Band des sechsten Jahrgangs. Die Jahrgänge 5 bis 7 spielen als Bandklasse zusammen. Ab Jahrgang 8 gibt es weitere Bands. Insgesamt kommt so die stolze Zahl von 80 Bands zusammen. Auch hier gehen die Blicke nur kurz nach oben. Dann wird weiter an „Oh, when the Saints go marchin' in“ gefeilt.

Heiko Vogel juckt es in den Fingern. Er schnappt sich seine Gitarre und „spielt ein wenig mit“. Für die Schülerinnen und Schüler macht es keinen Unterschied, ob der Bassist, der in seiner Freizeit mit seiner 2000 gegründeten Band „Blackbirds“ auftritt, mitspielt. Man ist eine Musik-Familie.

In der Schule gibt es nicht weniger als 80 Bands.
In der Schule gibt es nicht weniger als 80 Bands. © Kurfürst-Moritz-Schule

Die Kurfürst-Moritz-Schule versteht sich nicht nur als inklusive Schule. Sie ist inklusiv. Kinder aller sonderpädagogischen Förderbedarfe sind willkommen. „Wichtig ist uns, dass unsere Inklusionskinder in unserer Region leben und so mit den Nachbarskindern gemeinsam unsere Schule besuchen. Gemeinsam mit allen anderen Kindern aufwachsen, teilhaben am normalen schulischen Leben, vom Umgang mit anderen Kindern profitieren, dies soll Inklusion bei uns leisten“, betont der Schulleiter. Eng ist die Kooperation mit umliegenden Förderschulen, insbesondere mit dem Förderschulzentrum „Peter Rosegger“ Coswig und der Anne-Frank-Schule Radebeul.

Individualisierung: „Nicht nur schauen, ob das Ergebnis stimmt“

Wer so agieren möchte, benötigt stark individualisiertes Lernen. „Wie soll das bei der Anzahl der Kinder in meiner Klasse möglich sein?“, wird das Kollegium immer wieder gefragt. Die Antwort lautet: durch einfache Dinge. Vogel erläutert: „Es genügt häufig schon eine unterschiedliche Wortwahl bei Aufgabenstellungen.“

Den Einwand „Mehraufwand“ lässt er nicht gelten: „Mit KI geht das ganz einfach.“ Individualisierung lasse sich beispielsweise durch unterschiedliches Arbeitstempo, die Wahl der Hilfsmittel oder den Umfang der Aufgabe gestalten. Ein erneutes „Aber“ folgt: „Wie sollen unterschiedliche Leistungen dann gerecht benotet werden?“ Die Antwort kommt prompt: „Man darf nicht nur schauen, ob ‚das Ergebnis stimmt’.“

An dieser Oberschule, die, nachdem sie am sächsischen Schulversuch „Gemeinschaftsschule" teilgenommen hat, zur Gemeinschaftsschule werden will, fließt in die Zeugnisnote eine sogenannte Prozessbewertung zu möglichst 50 Prozent ein. Wie arbeitet jemand an der Aufgabe? Wie wurde mit anderen zusammengearbeitet? Wie werden Ergebnisse präsentiert? Vogel bringt es im Namen seines Kollegiums auf den Punkt: „Es geht darum, Kindern Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Dann lernen sie von sich aus. Und das durchaus in unterschiedlichem Umfang. Unsere Aufgabe ist es, unsere Schülerinnen und Schüler für’s Lernen zu begeistern. Wenn ich Schule nur als Lernen von Fächern betrachte, habe ich verloren.“

Schulleiter und Bassist Heiko Vogel greift oft selbst zur Gitarre.
Schulleiter und Bassist Heiko Vogel greift oft selbst zur Gitarre. © Kurfürst-Moritz-Schule

Die Individualisierung findet ihren Niederschlag auch in der nachmittäglichen Lernzeit. Viele nutzen sie, um in der ganztags zugänglichen Bibliothek zu arbeiten. Die Jüngeren widmen sich eher ihnen empfohlenen Inhalten, die Älteren stärker selbstgewählten Schwerpunkten. Die freiberufliche Gesangslehrerin Mandy Schwarz begleitet sie dabei. Für spezielle inhaltliche Fragen stehen die Fachlehrerinnen und -lehrer tageweise wechselnd zur Verfügung.

Optimierung des Ganztags

Die musikalische Profilierung hat sich trotz weiterer Schwerpunkte durchgesetzt. Auf das einstige Profil Informationstechnik verzichtet man. Aus gutem Grund. „Es gehört doch ohnehin zum Alltag aller – in der Schule und im Privaten“, argumentiert Vogel. Schon in Jahrgangsstufe 5 wählen die Schülerinnen und Schüler nach einer Probierphase ihr Instrument, das sie bis Klasse 7 spielen möchten. In Jahrgang 8 und 9 steigen sie in die Profilkurse, „Entertainment-Technik“ und „Bühnentechnik“ ein. Oder sie bleiben den Kursen „Mediengestaltung“, „Band“ oder „Tanz und Theater“ treu. In Klasse 9 und 10 gibt es jeweils zwei große künstlerische Projekte mit Gruppen für Tanz, Theater, Band, Kulisse und Bühnentechnik.

Ganztagskoordinatorin Beatrice Kuntzsch sieht im Ganztag noch Optimierungsmöglichkeiten. Sie möchte, so es die Busfahrzeiten in der doch eher ländlichen Umgebung ermöglichen, eine Ausweitung der Angebote über 15 Uhr hinaus. Auch, was die Vielfalt anbetrifft. Qigong, Breakdance, Schauspiel und Sprachtraining für bevorstehende Prüfungen sind bereits in Erprobung. Doch die Schule möchte sich auch noch weiter in Gemeinde und Region öffnen. Auch wenn dies schon in vielfältiger Weise geschieht. Schließlich werden hier u.a. die Wanderwegweiser hergestellt, der Pfad für die „Boxdorfer Runde“ konzipiert, die örtliche Mühle und die Heimatausstellung gepflegt. Dass die Ganztagselemente nicht „einfach“ an den Unterricht angehängt werden, bedurfte einiger Überzeugungsarbeit. Die Diskussion unter den Lehrkräften drehte sich auch um den Stellenwert des jeweiligen Faches. Die positive Erfahrung mit fächerverbindender Arbeit hat inzwischen alle überzeugt.

Vorbild für andere

Die Kurfürst-Moritz-Schule  erhielt schon viele Preise
Die Kurfürst-Moritz-Schule erhielt schon viele Preise © Kurfürst-Moritz-Schule

Wie überhaupt Zeit eine bedeutsame Rolle bei der Schulentwicklung spielt, wissen Heiko Vogel und sein Team. Etwa, wenn es darum geht, alle davon zu überzeugen, dass Räume flexibel genutzt werden können – mal für den Unterricht, mal für den Ganztag. Und so trifft man Schulassistentin Daniela Bergmann auch einmal im Probenraum einer Band, wo sie von Musik begleitet Bürotätigkeiten erledigt.

Zeit lautet auch das Geheimnis des außergewöhnlichen Fundus der Schule. Unzählige Kostüme und Gestaltungsgegenstände für die Bühne füllen ihn inzwischen. „Das kannst du nicht alles in einem Jahr anschaffen“, weiß Heiko Vogel, „dessen“ Schule in unmittelbarer Nähe zu Schloss Moritzburg, das in diesem Jahr mit einer großen Ausstellung zum Filmdreh von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ lockt, liegt. Auch die Schule hat sich nicht in wenigen Jahren zu dem entwickelt hat, was sie heute ausmacht. Dazu zählt das Vertrauen in ihre Schülerinnen und Schüler, von denen Schulleiter Vogel sagt: „Den Neuen muss ich nicht viel erklären, wie es hier läuft. Sie schauen einfach, was die anderen tun.“

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