Kunst im Ganztag: Ein „Parlament der Farben“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die Carl-Humann-Grundschule im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg ist eine kunst- und sportbetonte Ganztagsgrundschule. Schulleiter und Kunstpädagoge Stephan Wahner sieht kulturelle Bildung als Motor der Schulentwicklung.

Schulleiter Stephan Wahner mit Künstlerin Vanessa Farfán
Schulleiter Stephan Wahner mit Künstlerin Vanessa Farfán © GEW / Rolf Schulten

„Dem neuen Schulleiter obliegt nun die Aufgabe, eine zielgerichtete Schulentwicklung zu initiieren“, lautete vor sieben Jahren ein Satz im Bericht der Berliner Schulinspektion. Besagter neuer Schulleiter heißt Stephan Wahner. Er bringt es gleich auf den Punkt: „Schulentwicklung benötigt Zeit und feste Teamzeiten.“ Und sein Blick verrät: Das ist eine echte Herausforderung im Schulalltag. Wahner weiß, wovon er spricht, denn er ist auch Sprecher der Fachgruppe Grundschule in der Vereinigung der Berliner Schulleitungen in der GEW. Er vertritt eine moderne Pädagogik in dem weit über 100 Jahre alten und denkmalgeschützten Schulgebäude.

Dass Wahner selbst Kunstlehrer ist, ja schon einmal selbst Performance-Künstler war und seit Jahren im Fachverband für Kunstpädagogik aktiv ist, ist in der Carl-Humann-Grundschule unübersehbar. 2023 gründete er mit Kolleginnen und Kollegen eine Arbeitsgemeinschaft „Kulturelle Bildung im Ganztag", um mehr Kunst und Kultur iim Schulalltag zu verankern. Kunst, Kultur und Sport prägen das Lernen und Leben an der Schule zwischen der Schönhauser Allee und der Prenzlauer Allee, die wie so viele Berliner Schulen und öffentlichen Einrichtungen 1911 von Stadtbaurat Ludwig Hoffmann (1852–1932) konzipiert wurde und die erste Schule Berlins mit einem Teich im Schulgarten war.

„Parlament der Farben“

Rund 480 Schülerinnen und Schüler besuchen die Ganztagsgrundschule in offener Form („verlässliche Halbtagsgrundschule"). Der offene Ganztag mit der „Ergänzenden Förderung und Betreuung“ kann in den sechsjährigen Berliner Grundschulen von 6 und 18 Uhr genutzt werden, seit dem Schuljahr 2012/2013 nicht nur von den Klasse 1 bis 4, sondern auch in den Klassen 5 und 6.

Stephan Wahner ist überzeugt: „Kunst ermöglicht, anders zu denken. In Kunst sind alle Fächer drin und Kunst befähigt dazu, um die Ecke zu denken.“ Er geht noch einen Schritt weiter: „Kulturelle Bildung ist ein Motor der Schulentwicklung.“ Folgerichtig bietet die Schule, die am Berliner Programm „Kulturagenten für kreative Schulen“ teilnimmt, eine Fülle von kulturellen Anlässen. Als gewiss herausragende Initiative darf das „Parlament der Farben“ erachtet werden.

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© Stiftung Brandenburger Tor

Dank einer engen Kooperation mit der Stiftung Brandenburger Tor, die das Programm „Max – Artists in Residence an Schulen“ fördert, hat die mexikanische Künstlerin Vanessa Farfán in der Schule ihr Atelier eingerichtet. Die Wirkung von Farben, speziell auch der Wechsel von schwarz und weiß („Kann man Schatten in Weiß malen?) kennzeichnet ihre Werke. Die Tür der Künstlerin, die an der Bauhaus Universität Weimar und der Kunsthochschule Berlin-Weißensee studiert hat, steht für alle Interessierten offen. Sie bietet Workshops zu spannenden Themen an – so zum Thema „Digital Unterricht“, als sie mit Schülerinnen und Schülern alte Computer „sezierte“, um die ästhetische Qualität der Strukturen von Transistoren, Kabeln, Folien, und die Komplexität der Prozesse im Inneren eines Computers zu entdecken.

Projekt der Mitgestaltung

Auf eine ihrer Lichtinstallationen geht das „Parlament der Farben“ zurück. Es wurde mit Unterstützung von Kunstlehrerin Stefanie Breda konzipiert. Zur Abstimmung stand die Frage, wie die Flure im Gebäude farblich beleuchtet werden sollen. Das Projekt unterstützte das Bewusstsein für demokratische Spielregeln. Schülerinnen und Schüler entwickelten einen präzisen Fragenkatalog und ein „unbestechliches“ Wahlverzeichnis, damit alle nur eine Stimme abgeben konnten. Herauskamen unterschiedliche Farbkonzepte für die über alle Gebäudeblöcke verteilten Jahrgangsstufen. Stück für Stück werden nun Leuchtröhren in den gewählten Farbtönen installiert, wie etwa der „Regenbogen-Flur“.

Schulleiter Stephan Wahner betont: „Das ,Parlament der Farben` ist ein Projekt über die Mitgestaltung des gemeinsamen Raums, über Toleranz und die Kraft der Kunst als Werkzeug zur Ausübung demokratischer Praktiken. Unsere Ziele sind: Stärkung der Schulgemeinschaft und Identifikation.“ Auch die Beteiligung seiner Schule an der Ideensammlung „So sieht’s aus: Unser Blick auf Ganztagsschule!“ rechnet der Schulleiter dazu. Gemeinsam mit elf weiteren Grundschulen trugen Schülerinnen und Schüler der Carl-Humann-Grundschule auf Initiative der Serviceagentur Ganztag Berlin ihre Vorschläge für die Gestaltung des Ganztags zusammen und überreichten diese 2023 am Internationalen Kindertag an Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch.

„Huminale“ und „Hut auf für Rembrandt“

„Ein gutes Team, in dem jede Meinung zählt"
„Ein gutes Team, in dem jede Meinung zählt" © Carl-Humann-Grundschule

Demokratisch geht es in der Schule, deren Atmosphäre Schulsozialarbeiterin Katrin Horns als „sehr friedlich" bezeichnet, bei der im Oktober zum 16. Mal stattfindenden „Huminale" zu. Sie stellt den Höhepunkt und Abschluss der traditionellen Trickfilm-Arbeitsgemeinschaft dar. Zu Beginn der Ausstellung mit Trickfilmen, Animationen, Bildern und Skulpturen wird in der langen Kinonacht der von allen Schülerinnen und Schülern gemeinsam gestaltete Trickfilm „Der großen Wagen“ präsentiert.

In Projekten wurde zu den unterschiedlichsten Themen gearbeitet. Schülerinnen und Schüler haben Geschichten geschrieben, Drehbücher entwickelt, Storyboards gezeichnet, Figuren gebastelt, Hintergründe gemalt, gespielt, animiert, vertont, geschnitten und Regie geführt. Schon in der Vergangenheit wurden die tollen Filme, die dabei entstanden sind, mit großen Schulpremieren gefeiert, auf Festivals gezeigt und mit Preisen ausgezeichnet. Zuletzt konnten sich 2023 Drittklässlerinnen und Drittklässler über den Deutschen Multi-Media Preis mb21 für ihren Film „Unser Suchling“ freuen.

Nicht weniger stolz war die Schulfamilie, als vor einigen Jahren in der Ausstellung „Hoed op voor Rembrandt“ (Hut auf für Rembrandt) im Amsterdamer Museum Het Rembrandthuis die von den Schülerinnen und Schülern der Humann-Schule hergestellten und fotografierten Hüte vier Monate lang gezeigt wurden. Entstanden waren sie im Austauschprojekt „EAST – OOST – OST“ der Kunst- und Kulturstiftung De Rode Loper op School , das Kunstvermittlungsprojekte aus Ost-Berlin, Ost-London und Ost-Amsterdam zusammenbringt.

Sportbetonte Grundschule

Ein zweiter Schwerpunkt der Carl-Humann-Schule ist der Sport. Ein Blick auf das Außengelände offenbart die vielfältigen Bewegungsmöglichkeiten. Auch die Arbeitsgemeinschaften des Ganztags, der Raum für freies Spielen gewährt, unterstreicht das Bestreben, die Schülerinnen und Schüler körperlich zu aktivieren. Im Judo des Sportclub Charis 02 und im Ringen des SV Preußen, der in der Schulturnhalle seit über 25 Jahren seinen Trainingsstützpunkt hat, ist die Carl-Humann-Grundschule gar eine „Kaderschmiede“.

Die Schülerinnen und Schüler körperlich aktivieren
Die Schülerinnen und Schüler körperlich aktivieren © Carl-Humann-Grundschule

Eine kleine sowie eine erst 2021 für 13 Millionen Euro erstellte neue Turnhalle mit sechs Etagen, die auch von anderen Schulen und Vereinen genutzt wird – „ein architektonisches Kleinod für unser Sportprofil“, wie Schulleiter Wahner sagt –, bieten dafür optimale Trainingsflächen. Was sich auch in Erfolgen niederschlägt: Die Handballerinnen und Handballer der Schule spielen seit Jahren bei „Jugend trainiert für Olympia“ ganz vorne mit. Die Jungen der Klassen 4 und 5 feierten 2023/2024 die Vizemeisterschaft unter den Berliner Schulen, die Mädchen erreichten Bronze. Die Jungen der Klassen 5 und 6 erlangten sogar die Meisterschaft der Hauptstadt. Die erstmals antretende Mädchenmannschaft im Volleyball erreichte auf Anhieb Silber.

Individualisierung und Förderung

Als koordinierende Erzieherin gehört die beim Land Berlin angestellte Ute Feige, in deren Händen die Gestaltung des Ganztags liegt, ebenso wie die Schulsozialarbeiterinnen vom freien Träger „Pfefferwerk Stadtkultur“ der erweiterten Schulleitung an. Die enge Zusammenarbeit mit der Schule spiegelt sich in der räumlichen Nähe ihres Büros zu dem des Schulleiters wider. Zu besprechen gibt es eine Fülle, und Schulleiter Wahner räumt ein, dass es „immer wieder eine Herausforderung“ ist, dafür die nötigen Zeitfenster zu finden.

Es ist unmöglich, die vielfältigen Aspekte des reichen Schullebens der Carl-Humann-Grundschule alle aufzuzählen. Dazu gehört etwa die jahrgangsübergreifende Schulanfangsphase (SAPH) mit ihren festen Teams aus jeweils einer Lehrkraft und einer Erzieherin oder einem Erzieher. Letztere begleiten mindestens acht Stunden pro Woche die Lerngruppe im Unterricht. Erzieherin Ava Ispahi schätzt diese Kooperation: „Gemeinsam sind wir ein gutes Team, in dem die Meinung von jeder zählt.“ Auch Erzieher Niklas Kappler begrüßt das jahrgangsübergreifende Lernen, weil die „älteren Kinder ohne Probleme Verantwortung übernehmen und den Jüngeren den Einstieg erleichtern“.

„Digital Unterricht": Computer sezieren
„Digital Unterricht": Computer sezieren © Carl-Humann-Grundschule

Erwähnt sei die intensive Projektarbeit, wie die Mathematiktage oder die Leseprojekttage der inklusiven Schule, die zur Individualisierung sowie zur Förderung von Stärken aller Schülerinnen und Schüler beiträgt, wie sie allein die Kunstprojekte nur allzu verdeutlichen. Die Räumlichkeiten mit Fachräumen, Bibliothek, Entspannungsraum und Schulgarten inklusive Bienenvolk sind dafür bestens ausgestattet. Die Carl-Humann-Schule arbeitet auf ihrer Homepage gern mit Zitaten. Eins davon stammt von Isaac Newton und darf wohl als bescheidenes Motto der Schule gelten: „In der Wissenschaft gleichen wir alle nur den Kindern, die am Rande des Wissens hie und da einen Kiesel aufheben, während sich der weite Ozean des Unbekannten vor unseren Augen erstreckt.”

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