Im Ganztagsgymnasium steigt die Eigenverantwortung : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Das Ziel ist klar: „Wir wollen die Schülerinnen und Schüler mit dem Ganztag nicht belasten, sondern entlasten.“ Das Heinrich-Heine-Gymnasium in Köln-Brück ist seit sechs Jahren eine gebundene Ganztagsschule.

Immer mehr Gymnasien stehen vor der Überlegung: Sollen wir den Ganztag einführen? Ist er dort, wo die Schulzeit bis zum Abitur nur noch acht Jahre beträgt, nicht ohnehin schon Realität? So und ähnlich stellte sich die Situation auch am Heinrich-Heine-Gymnasium vor knapp zehn Jahren dar. Die zuständige Bezirksregierung „befeuerte“ die Debatte, wie sich Marcus von Grabczewski, der stellvertretende Schulleiter, erinnert.

Heinrich-Heine-Gymnasium Köln
© Heinrich-Heine-Gymnasium Köln

Schließlich sollten sich auch Kölner Gymnasien der Ganztagsbewegung anschließen. Das seit 1974 im Kölner Stadtteil Brück gelegene Heinrich-Heine-Gymnasium erwies sich nach einhelliger Meinung als besonders geeignet. Schließlich verfügte es über große Freiflächen für den notwendigen Bau einer Mensa, die auch die angrenzende Ganztags-Realschule nutzt. Doch so reibungslos, wie es sich die Bezirksregierung möglicherweise vorgestellt hatte, gelang der Wandel nicht.

Bedenken wurden ernst genommen

Ein erstes Meinungsbild, das sich die Schulleitung seinerzeit verschaffte, offenbarte überwiegend Vorbehalte im Kollegium. „Bürden wir uns etwas auf, was am Ende gar nicht den erhofften Ertrag bringt?“, lautete eine Sorge. Ein zweite formuliert von Grabczewski: „Wir prüften uns genau, ob wir die Rahmenbedingungen schaffen können, die Ganztag erst zum Ganztag werden lassen.“ Die Überlegungen wurden auch in der Bezirksregierung ernst genommen. „Ich glaube, es war ganz wichtig, dass wir dort mit unseren Bedenken auf offene Ohren stießen. Nur so konnten diese überwunden werden“, versichert der stellvertretende Schulleiter.

Denn am Ende des Diskussionsprozesses, in den auch die Eltern von Beginn an eingebunden waren, stand eine mit großer Mehrheit positive Abstimmung für den Ganztag. Bezeichnend für das Klima im Team: Ältere Kollegen, die der Wandlung eher skeptisch gegenüberstanden und wussten, dass sie zum Zeitpunkt der Einführung dem Eintritt in den Ruhestand nahestehen würden, enthielten sich bei der Abstimmung, legten damit die Verantwortung in die Hände jener, die sie dann auch wahrnehmen würden. Und dort herrscht heute weitgehend Einigkeit: Die Entscheidung war richtig.

Förderangebote für alle Leistungsniveaus

„Nicht zuletzt durch den 20prozentigen Stellenzuschlag haben wir ganz andere Entfaltungsmöglichkeiten“, versichert auch Schulleiter Martin Luhnen. Konkret denkt er dabei speziell an die „Lernzeiten“, die eben nicht nur additiv dem herkömmlichen Unterricht hinzugefügt wurden. Sie wurden im Stundenplan möglichst rhythmisch verteilt. Wobei Marcus von Grabczewski das Wort „möglichst“ durchaus bewusst wählt.

„Fächer, in denen Klassenarbeiten geschrieben werden, müssen bis 12 Uhr stattfinden. Da wird es schwierig, dem Idealbild der Ganztagsschule zu entsprechen, auch wenn wir versuchen, dem durch unterrichtliche Konzepte, wie etwa den AG- und Förderbändern entgegenzukommen“, sagt er. Die Förderbänder werden nicht nur zur Unterstützung Leistungsschwächerer, sondern auch besonders Begabter angeboten. Er räumt allerdings ein, dass die Rhythmisierung und damit auch der Einbau bewusster Entspannungsphasen noch verbesserungswürdig sind.

Dem stimmen zwei Schüler, die wir auf dem Gelände des Gymnasiums treffen, durchaus zu. Sie möchten nicht mit Namen genannt werden, aber ihre Meinung ist deutlich: „Lernzeiten, die in der neunten Stunde liegen, sind völlig überflüssig. Das ist zu spät, in den Räumen ist es zu laut. Da schaffen wir nichts.“ Allerdings fügen sie hinzu: „Latein oder Französisch in der achten und neunten Stunde zu haben, ist auch nicht wirklich lustig.“

Effektive Nutzung der Lernzeiten

Lernzeiten gelten als Unterrichtsstunden, in denen die Schülerinnen und Schüler im Klassenraum Aufgaben aus den einzelnen Unterrichtsfächern bearbeiten. Das HHG bietet drei verschiedene Formen von Lernzeiten: Erstens eine für alle verpflichtende im Klassenverband. Zweitens eine individuelle Lernzeit. Sie kann in Stufe 8 an Stelle einer Arbeitsgemeinschaft gewählt werden, falls mehr Zeit für das Erledigen der Lernaufgaben benötigt wird. Und drittens eine freiwillige Lernzeit in Stufe 7 und 9. Hier entscheiden die Schülerinnen und Schüler, ob sie die Lernaufgaben in der Schule oder selbstständig zu Hause erledigen.

Heinrich-Heine-Gymnasium Köln
Neue Medien wie Tablets werden gezielt eingesetzt. © Heinrich-Heine-Gymnasium Köln

Nach Ansicht der Schulleitung ist dadurch „eine individuelle Anpassung an die Bedürfnisse eines jeden Einzelnen gegeben. Jede Schülerin und jeder Schüler kann sich auf diese Weise nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen die Menge der Lernzeiten einteilen.“ Marcus von Grabczewski verschweigt nicht, dass das Thema Lernaufgaben (früher Hausaufgaben) durchaus immer wieder Anlass zu Diskussionen gibt. Mit Eltern wie mit Schülerinnen und Schülern.

Während in den beiden jüngsten Jahrgängen die Lernaufgaben so angelegt seien, dass sie abgesehen vom Vokabellernen, tatsächlich in den Lernzeiten geschafft werden könnten, gebe es auch Stimmen aus den älteren Jahrgängen, die von „zu viel zu Hause zu erledigender Arbeit“ sprächen. „Allerdings“, meint der stellvertretende Schulleiter, „aus unserer Sicht ist das häufig eher eine Frage der effektiven Nutzung der Lernzeiten.“ Um selbstkritisch zu ergänzen: „Natürlich ist es unsere Aufgabe, die Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen.“

Enge Kooperation mit den Sportvereinen

Einen besonderen Schwerpunkt setzt das Heinrich-Heine-Gymnasium beim Sport. Dafür steht nicht nur der Sport-Leistungskurs, sondern auch das „bewegte Üben“ in anderen Unterrichtsfächern sowie die intensive Kooperation mit den Sportvereinen im Rechtsrheinischen. Sie reicht vom Hineinschnuppern in neue Sportarten bis hin zur gezielten Talentsichtung. Schülerinnen und Schüler, die regelmäßig in einem der kooperierenden Vereine trainieren, bekommen dies als Ersatz für die ansonsten verpflichtende Teilnahme an einer der 20 angebotenen Arbeitsgemeinschaften anerkannt.

Aktuell strebt das Gymnasium eine noch intensivere Zusammenarbeit mit Viktoria Köln an. Es bestehen bereits Angebote im AG-Bereich, aber auch im Leistungssport des Clubs. Sinnvoll erscheint der Schule, diese Zusammenarbeit zu institutionalisieren und selbst als Partner für ein zukünftiges Leistungszentrum zur Verfügung zu stehen.

Wo der Sport nun schon einmal einen Schwerpunkt darstellt, macht man sich folgerichtig auch Gedanken, wie die Schülerinnen und Schüler täglich zu etwas Bewegung kommen können. Nicht zuletzt beschloss die Schulkonferenz deshalb, im kommenden Schuljahr das Lehrerraumprinzip einzuführen. Der Effekt, dass die Kinder und Jugendlichen wandern müssen, ist durchaus gewünscht. „Das führt nach unserer Einschätzung zu einer höheren Konzentration, als wenn die Schüler im Klassenraum auf uns warten“, erklärt Marcus von Grabczewski.

Vorteile verspricht sich die Schule darüber hinaus für die Lernzeiten, in denen die Schülerinnen und Schüler künftig genau wissen, wann und wo welcher Pädagoge erreich- und ansprechbar ist. „Und“, so meint der stellvertretende Schulleiter, „positiv ist auch, dass wir als Lehrkräfte keine Zeit fürs Pendeln zwischen den Räumen verlieren und diese stattdessen für Gespräche mit Schülern nutzen können.“

Was der Wandel brachte

Fragt man die Schulleitung nach den aus ihrer Sicht entscheidenden Veränderungen durch die Einführung des gebundenen Ganztags, hört man mehrere Antworten. Durch die stark in die Schule verlagerte Arbeitszeit sei viel mehr Raum für Kommunikation mit den Kolleginnen und Kollegen entstanden, was die pädagogische Arbeit, aber auch, was den Austausch über einzelne Schüler anbetrifft.

Zudem gebe es eine stärkere Kommunikation mit den Eltern, die jedoch zugleich den dritten und schwerwiegendsten Punkt berührt: Die Schülerinnen und Schüler würden noch stärker für ihren Lernerfolg in Verantwortung genommen, zumal der Grad der Belastung davon abhänge, wie sie sich organisierten. Kommentar einer zufällig angetroffenen Mutter: „Wir begrüßen den Ganztag genau deshalb, weil unsere Kinder noch schneller und stärker lernen müssen, selbstständig zu werden. Das wird ihnen später helfen.“

 

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