Helene-Pagés-Schule: Ganztags mit allen Sinnen : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

In der Helene-Pagés-Schule in Boppard lernen Schülerinnen und Schüler wahrlich mit allen Sinnen, ob in der Öko-AG oder im Ensemble „Bopp-Art-Taiko“. Unterstützt von einem erfahrenen multiprofessionellen Team.

Schafe und Menschen fühlen sich wohl
Schafe und Menschen fühlen sich wohl © Helene-Pagés-Schule

Neugierig blicken die Schafe und ihre nicht mehr ganz jungen Lämmer in ihren dunkelbraunen Fellen aus ihrem Gatter. Soeben ist Carolin Henrich mit drei ihrer Schülerinnen zu Besuch gekommen. Hektik entsteht auf keiner der beiden Seiten des Zaunes. Man kennt sich. Die Schafe fühlen sich sichtlich wohl, wissen, dass ihnen die Menschen, die an der Helene-Pagés-Schule in Boppard, einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen im Rhein-Hunsrück-Kreis, arbeiten oder die diese besuchen, ihnen wohlgesonnen sind.

Die Beziehung zu Tieren, aber auch der Natur insgesamt wird hier unter anderem in einer von den Kindern und Jugendlichen geliebten Öko-Arbeitsgemeinschaft des Ganztags gepflegt. Rudolph Stumm leitet sie. Er lebt im Ort, ist selbstständig und widmet sich heute mehr denn je allen Fragen der Umwelt. Er hat seine Tiere, besonders aber auch die Schülerinnen und Schüler ins Herz geschlossen, vertraut ihnen seine Schafe und mitunter auch Ziegen an. Diese übernehmen die Verantwortung, versorgen sie liebevoll.

Lernen mit allen Sinnen

Doch die Öko-AG bietet weit mehr. Hochbeete werden angelegt und gepflegt, Nistkästen ebenso selbst in der schuleigenen Werkstatt gebaut wie die Insektenhäuser. Ein Schulteich zählt ebenfalls zu den „Naturerscheinungen“. Und selbst der „Backes“, ein massiver Backsteinofen auf dem Außengelände, dient der Erfahrung und Wertschätzung von Dingen, die selbst gepflegt und genutzt werden.

Zwei Tage benötigt der Ofen, um auf die richtige Temperatur vorgeheizt zu werden. Anschließend können die Schülerinnen und Schüler ihr eigenes Brot backen. In früheren Jahren wurde es auf dem örtlichen Weihnachtsmarkt verkauft. Der Erlös erleichterte die Finanzierung von Klassenfahrten. Claudia Wagler ist die Koordinatorin des Ganztags. Sie weiß: „So etwas fördert die Gemeinschaft und das Selbstwertgefühl. Außerdem lernen die Kinder automatisch und fast schon spielerisch viel über Getreidesorten.“

Streuobstwiese
Streuobstwiese © Helene-Pagés-Schule

Apropos Begegnung mit der Natur: Kürzlich war sogar der SWR zu Gast und filmte mit, wie Patrick Meyer seine Vogelspinne „Igittchen“ in die Schule brachte. „Gegen Angst hilft Information“, lautet das Motto des Spinnen- und Reptilienexperten, der in Kitas und Schulen diese besondere Unterrichtsstunde erteilt. „Cool“ fand das ein Mädchen. Und ein Junge: „Jetzt hab ich keine Angst mehr.“ Schulleiterin Carolin Henrich betont in dem Film: „Gerade der Zugang mit mehreren Sinnen ist wichtig – wenn wir das theoretisch im Unterricht machen, ist das was ganz anderes. Hier können sie die Tiere sehen, sie können sie anfassen, mal in die Hand nehmen.“

Herausforderung Ganztag

Ganztagskoordinatorin Claudia Wagler ist eine Frau der ersten Stunde an dieser Schule. Gut erinnert sie sich an den Start des Ganztags vor nunmehr 18 Jahren, das war 2005. Offen und ehrlich gesteht sie, dass sie sich Stück für Stück an die neue Herausforderung heranrobben mussten. „Wichtig war uns damals schon, dass die Kinder bei uns in einer stabilen Gruppe leben und lernen. Ebenso klar war dem Team, dass eine gute Arbeit im Ganztag nicht ohne Erzieherinnen und sozialpädagogische Fachkräfte funktioniert. Und so zählt Burkhard Schink ebenfalls zu den Gründungsvätern von 2005. Bis heute ist der Sozialarbeiter der Helene-Pagés-Schule treu geblieben.

Inzwischen nutzen 41 der 76 Schülerinnen und Schüler den Ganztag. Montags bis donnerstags findet nach dem gemeinsamen Mittagessen und der Mittagspause zunächst eine Hausaufgaben- und Lernzeit statt. Zwei pädagogische Fachkräfte und eine Förderschullehrerin begleiten die Lernenden in dieser Zeit. Externe AG-Anbieter dürfen ab 14.30 Uhr aktiv werden. „Doch hier bei uns im Ländlichen fällt es extrem schwer, solche zu finden“, gesteht die Schulleiterin. Ihre Ganztagskoordinatorin ergänzt: „Zumal sie durch eine solche AG nicht reich werden.“

Time-4-me-AG

Die AGs reichen von der „Kreativ-AG“ und der Bauen-/Werken-AG bis zu den Spiele-AGs in zwei Altersklassen mit Spielangeboten für drinnen und draußen. Die Fußball-AG trainiert auch schon mal im nahegelegenen Bomag-Stadion der JSG Boppard-Bad Salzig-Weiler auf dem Kunstrasen. Bei der Regionalschulmeisterschaft kam die Mannschaft, zu der auch Mädchen gehören, in diesem Jahr wieder bis ins Finale.

Schulsanitätsdienst
© Helene-Pagés-Schule

Zu den Kooperationspartnern der Helene-Pagés-Schule gehört der DRK Kreisverband Rhein-Hunsrück e.V., der als Projekt des Jugendrotkreuzes (JRK) den Schulsanitätsdienst ins Leben gerufen hat. Seit 2015 leitet Manuela Föhr die AG Schulsanitätsdienst, in der zehn Schülerinnen und Schüler eine Ersthelfer- oder Sanitätshelfer-Qualifikation absolvieren. Mit „Dienstplänen“ und realistischen Übungen sorgen sie für mehr medizinische Sicherheit in der Schule.

Beliebt ist aber ebenso die „Time-4-me-AG“, in der die Schülerinnen und Schüler für ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit sorgen. Sie lernen Entspannungstechniken, auch mit Gymnastik, Yoga oder Tanz, bereiten gesunde Speisen wie Smoothies und Gemüsesuppen zu oder gehen spazieren, um „einfach mal die Seele baumeln“ zu lassen.

„Bopp-ART-Taiko“: Gemeinschaft zählt

Zu den treuen Begleitern zählt neben Rudolph Stumm auch Walter Honecker, Inhaber einer Musikakademie BoppArt. Jährlich bietet er seit 2007 Taiko, die japanische Kunst des Schlagens der Trommel an. Zweimal pro Woche bittet er das aktuell aus 10 Schülerinnen und Schülern verschiedener Altersstufen bestehende Ensemble „Bopp-ART-Taiko“ zur Probe. Der Spaß im Training wird befeuert durch die Chance, gemeinsam auftreten zu können, wie 2022 in der Stadthalle Boppard. Nicht nur das Training macht den SchülerInnen sehr viel Spaß. Wagler: „Es ist für viele eine neue Erfahrung, denn wann hat man schon mal die Möglichkeit, vor mehr als 300 Menschen sein Können zu zeigen.“

Aus einem von einem Schüler formulierten Beitrag sei Folgendes hervorgehoben: „Zu Beginn des Trainings beginnen wir mit dem Aufbau der Trommeln in unserer Schulturnhalle. Dort lagern auch die ganzen Trommeln. Nach der Begrüßung begeben wir uns zu den Trommeln und üben gemeinsam. Manchmal machen wir spezielles Techniktraining, manchmal üben wir ein neues Stück ein. Nach dem Training bauen wir wieder gemeinsam ab und verabschieden uns.“ Die Begrüßung und die Verabschiedung finden übrigens auf Japanisch statt.

Lesewoche in der Schule
Lesewoche in der Schule © Helene-Pagés-Schule

Mit einer guten Portion Bewunderung gesteht Claudia Wagler: „Kinder und Jugendliche, die sich sonst nur sehr schwer konzentrieren können, spielen im Taiko-Team auf einmal zwanzig Minuten auswendig.“ So wie die Gemeinschaft eine Voraussetzung für den Erfolg der Trommelband darstellt, so ist sie es eigentlich an allen Ecken und Kanten der Schule. Sei es, wenn die Schulgemeinschaft zur Weihnachtsfeier zusammenkommt oder wenn gemeinsam aus Streuobst 100 Tetrapaks mit frischem Apfelsaft „erpresst“ werden.

Offen und direkt

Ein ganz besonderes Highlight auf dem Weg zur Schulfamilie ist regelmäßig die traditionelle Übernachtung der Ganztagskinder. Sie schlafen in Zelten, backen zuvor Stockbrot, erfreuen sich an den Künsten eines Zauberers und genießen den Kinoabend. Was die Gemeinschaft in besonderem Maße auszeichnet ist ihre Offenheit und Direktheit. „Die Kinder heben uns in den Himmel. Sie sagen aber auch direkt, wenn ihnen etwas nicht passt oder wenn ihnen etwas besonders gut gefällt. Wir haben kurze Wege und sind eng miteinander“, berichtet Claudia Wagler.

Die Pädagoginnen verschweigen nicht, dass es auch Reibereien und Auseinandersetzungen gibt. 2019 war so ein Jahr. „Wir wissen bis heute nicht hundertprozentig die Ursache, die zu großem Stress unter den Schülerinnen und Schülern und einem besonders hohen Krankheitsstand im Kollegium geführt hatte“, erinnert sich Carolin Henrich. Sie weiß nur: „Die Kinder waren in dieser Phase besonders herausfordernd“.

Guter Rat war teuer und dann wieder doch nicht. Man setzte sich im multiprofessionellen Team zusammen und besprach die Lage. Es wurden Maßnahmen verabredet. Dazu zählte, dass eine „Aufstellordnung“ für die Schülerinnen und Schüler eingeführt wurde. In einer sogenannten Aktivgruppe betreute die Schulsozialarbeit besonders Kinder und Jugendliche, die den Unterricht „sprengten“ und nahm sich Zeit für Sozialtraining.

Wissenschaft trifft Schule für die Klassen 8 und 9
Wissenschaft trifft Schule für die Klassen 8 und 9 © Helene-Pagés-Schule

Welche der Maßnahmen letztlich Wirkung entfaltete, weiß man nicht. War es vielleicht doch das Verstärkersystem, das zum Ziel hatte, Kinder mit durch Sterne symbolisierten Pluspunkten für gutes Verhalten zu belohnen? Wer ausreichend sammelte, dem winkte eine kleine Belohnung. Ein Jahr später war der Spuk wieder vorbei, aber das Kollegium hatte sich einen Handlungsleitfaden für ähnlich gelagerte Fälle in der Zukunft erarbeitet. Eine Erkenntnis wuchs dabei sehr schnell: „Ordnungsmaßnahmen sind kein pädagogisches Arbeiten“, wie Carolin Henrich betont.

Lebenspraktisches Lernen

Seit 2014 ist die Helene Pagés-Schule Medienkompetenzschule und seit dem Schuljahr 2018 / 2019 auch Stammschule für das Förder- und Beratungszentrum des Rhein-Hunsrück-Kreises. Zur pädagogischen Arbeit zählt „Lebenspraktisches Lernen“, wie es nicht nur am Praxistag der Jahrgänge 8.2. und 9.1. in Betrieben seinen Niederschlag findet, mit Sicherheit dazu. Gemeinsam kochen, lernen, die Wasch- und Spülmaschine auszuräumen, oder das Einrichten einer Wohnung zu planen sind weitere wichtige Fertigkeiten, die die Schülerinnen und Schüler von hier mit hinaus in ihr Leben in größtmöglicher Selbstständigkeit mitnehmen können.

Dazu zählt aber ebenso das geschichtliche Lernen, wie es im Februar die Klasse 9 per „Zeitreise“ im Haus der Geschichte in Bonn erlebte. Von der Zeit des Nationalsozialismus über die Zeit des Wirtschaftswunders und des Kalten Krieges bis zum Fall der Mauer und aktuellen Herausforderungen wie der Flüchtlingssituation an den europäischen Grenzen konnten sich die Schülerinnen und Schüler für die Herausforderungen unserer Demokratie sensibilisieren.

Natürlich wird all dies durch die Angebote des Ganztags zusätzlich verstärkt. Gerne würde das Kollegium deshalb auch weiteren Kindern die Tür zum Ganztag aufschließen. Doch aktuell scheitert das noch am Budget. Das erhöht sich erst, wenn mindestens zwölf weitere Kinder und Jugendliche von ihren Eltern angemeldet werden. Henrich und Wagler wissen: „Alles, was wir hier zusätzlich leisten können, erhöht die Chance, dass sich noch mehr Schülerinnen und Schüler nach der 9. Klasse auf der nahegelegenen Berufsbildenden Schule gut zurechtfinden können.“

Auch dafür lohnt sich der nimmermüde Einsatz dieses verschworenen multiprofessionellen Teams.

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