„Helden des Alltags“ im Ganztagsangebot : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Sie ist nach dem berühmten Karlsruher Erfinder benannt und darf sich seit 2018 „Smart School“ nennen. Die Drais-Gemeinschaftsschule findet mit individueller Förderung im gebundenen Ganztag viel Zuspruch.

Heike Willamowski
Schulleiterin Heike Willamowski © Drais-Gemeinschaftsschule

Manchmal kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an. Und im Jahr 2005 war dieser offenbar noch nicht gekommen. „Der damalige Bürgermeister Harald Denecken wollte eine Schule nach skandinavischem Vorbild – und wir auch“, erinnert sich Heike Willamowski. Die Schulleiterin der Drais-Gemeinschaftsschule ist schon seit 1998 Lehrerin an der damaligen Karlsruher Realschule und war 2005 Konrektorin. „Doch es scheiterte im Grunde an den Elternwünschen. Ganztagsschulen hatten damals noch keinen so guten Ruf.“ Es blieb bei der Realschule im Halbtagsunterricht.

Zum Bedauern von Heike Willamowski. „Ich fand das unbefriedigend. Es fehlte die Zeit für die Schülerinnen und Schüler, jeder der Kolleginnen und Kollegen schaffte für sich alleine, es gab weniger Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen. Vor allem gab es keine Materialien für Differenzierung.“ Als die Landesregierung 2012 den Schultyp Gemeinschaftsschule einführte, ging die Stadt Karlsruhe als Schulträger auch auf die Drais-Realschule zu. Dort rannte sie offene Türen ein – nicht nur bei Heike Willamowski und den meisten Kolleginnen und Kollegen, sondern nun auch bei den Eltern.

Der Wind hatte sich vollkommen gedreht. „Unser Schulträger plante mit einer dreizügigen Schule. Aber wir sind so überrannt worden, dass wir gleich vierzügig wurden. Der Ruf der Ganztagsschule hatte sich verbessert. Ganztagsschule galt jetzt nicht mehr als Makel. Die Eltern nahmen Ganztagsangebote nun als Entlastung wahr.“ Heike Willamowski wurde 2012 Schulleiterin. Im Schuljahr 2014/2015 startete die neue Drais-Gemeinschaftsschule.

Gemeinschaftsschule heißt Ganztagsschule

Gemeinschaftsschule und Ganztagsschule – das sind in Baden-Württemberg zwei Seiten einer Medaille. Gemeinschaftsschule heißt, dass sowohl der Hauptschulabschluss als auch der Realschulabschluss möglich sind. Oft gehört auch eine Grundschule dazu. An der Drais-Gemeinschaftsschule wird im Schuljahr 2021/2022 zusätzlich noch eine Oberstufe zum Abitur eingeführt werden, „was unsere Schule noch interessanter macht“, so die Schulleiterin. Erst ein Jahr vor dem Abschlussjahr entscheidet sich, welcher Schulabschluss der passende für einen Schüler oder eine Schülerin ist. Was die Schulleiterin für richtig hält: „Früher kam der Zeitpunkt, an dem die Schullaufbahn festgelegt wurde, viel zu früh. Wir sehen heute bei unseren Schülerinnen und Schülern, wie sich das während ihrer Schulzeit noch drehen kann.“

417 „Draisianer und Draisianerinnen“ lernen derzeit an der Gemeinschaftsschule im Karlsruher Westen, Tendenz steigend, wie auch die noch immer rege Bautätigkeit auf dem Gelände anzeigt. Die Stadt hat 24 Millionen Euro in den Lerncampus mit Grund- und Gemeinschaftsschule investiert. Gemeinschaftsschulen sind Ganztagsschulen mit gebundenem Ganztag an drei oder vier Tagen der Woche – an der Drais-Gemeinschaftsschule sind es vier von 7.45 bis 15.30 Uhr rhythmisierte Schultage. 48 Lehrerinnen und Lehrer arbeiten hier, Tendenz ebenfalls steigend. Seit vielen Jahren „teilt“ sich die Drais-Schule mit der Grundschule eine ausgebildete Schulsozialarbeiterin, Martina Dimpfel, die von der Sozial- und Jugendbehörde der Stadt finanziert wird. Aus dem Jugendbegleiterprogramm und von der Pädagogischen Hochschule arbeiten außerdem noch junge Erwachsene mit.

Lernatelier
„Helden des Alltags“ – in und außerhalb der Schule © Drais-Gemeinschaftsschule

Die Arbeitsweise der Lehrkräfte hat sich geändert. „Wir haben gesehen, dass wir aufeinander angewiesen sind und die Vorteile der Teamarbeit gesehen“, berichtet Heike Willamowski. Jetzt gibt es Teamräume statt ein Lehrerzimmer. Hier treffen sich die Lerngruppenleitungen – Nachfolge der „Klassenlehrer“ – und die Fachlehrerinnen und -lehrer. „Wir hatten Glück, dass das Raumprogramm vom Kultusministerium kam, das uns etliche Quadratmeter zusätzlich beschert hat. Die konnten wir auch für solche Teamräume nutzen.“

Lernen im eigenen Tempo

Nun ist Lernen im eigenen Tempo angesagt. „Die Kolleginnen und Kollegen haben viel Arbeit in die Konzeption differenzierter Lernangebote investiert. Und die Eltern sehen jetzt die Vorteile der individuellen Förderung, die unsere Schule prägt‟, so die Schulleiterin. Aufgaben gibt es auf drei verschiedenen Niveaustufen: G, M und E (grundlegendes, mittleres und erweitertes Niveau). „Am Anfang hatten wir Sorge, dass alle Schülerinnen und Schüler vielleicht nur G-Aufgaben lösen würden. Das Gegenteil ist aber der Fall – man muss die meisten eher bremsen.“

Jeder Schülerin und jedem Schüler steht eine Lehrerin oder ein Lehrer als Coach zur Verfügung. Die Coaches beraten in regelmäßigen Gesprächen in Fragen der individuellen Lernentwicklung und treffen gemeinsam Zielvereinbarungen. Pro Schuljahr sind es an der Drais-Schule derzeit sechs Gespräche, zwei davon arbeiten mit den Eltern zusammen. „Und wenn es schwierig wird, dann gibt es noch mehr Gespräche“, so die Schulleiterin. Die Zielvereinbarungen und die Protokolle der Gespräche halten die Schülerinnen und Schüler in ihren Lerntagebüchern fest, sodass sie sich daran orientieren können. Anstelle von Zeugnissen mit Ziffernnoten erhalten die Schülerinnen und Schüler detaillierte Lernentwicklungsberichte. Noten gibt es nur auf Wunsch der Eltern.

Eigenverantwortliches Lernen ist ein Grundsatz. Der Unterricht ist jetzt auch in mehreren Doppelstunden angelegt, „um ins Arbeiten zu kommen“, wie es Heike Willamowski ausdrückt. Bis zum Mittagsband um 13.05 Uhr gibt es je zwei Einzel- und zwei Doppelstundenphasen. In dieser Zeit liegen auch die Lernzeiten mit Stillarbeitsphasen in den Lernateliers und mit Gruppenarbeiten in den Lerngruppenräumen, in denen Lehrkräfte anwesend sind. Die Wahlpflichtfächer AES (Alltagskultur, Ernährung, Soziales), Technik, Sport sowie Naturwissenschaft und Technik (NWT) finden teilweise außerhalb der Schule in Kooperation mit Partnern wie Sportvereinen und außerschulischen Bildungseinrichtungen statt.

„Helden des Alltags“ im Einsatz

In den 5. und 6. Jahrgangsstufen ist jetzt das Fach „Helden des Alltags“ angelaufen. Es soll den Schülerinnen und Schüler ermöglichen, ihre neue Umgebung kennenzulernen, erste Verantwortung für sich und andere im Schulalltag zu übernehmen, beispielsweise als Lesepaten oder beim Hofdienst, und sich gegenseitig zu unterstützen. In einem „Ich-Buch“ können sie ihr Ankommen und ihre Erfahrungen reflektieren. Im Juli 2021 erhielten die Helden gerade den Nachhaltigkeitspreis „Die grüne Pyramide“ in der Kategorie „Gesundheit“.

Baustelle
Rege Bautätigkeit für den Lerncampus © Drais-Gemeinschaftsschule

In der 7. Klasse gehen die „Helden des Alltags“ dann ein Schulhalbjahr lang an zwei Nachmittagsstunden in das „Sozialpraktikum“. Das kann zum Beispiel im Senioren- oder Pflegeheim, in Kindergärten oder im Jugendhaus absolviert werden. Im „Generationenworkshop Mühlburg“, den die Stadtteilkoordinatorin Pia Tigges leitet, treffen Schülerinnen und Schüler ebenfalls mit Seniorinnen und Senioren zusammen: Hier geht es ums gegenseitige Kennenlernen und den Austausch der Generationen.

Die Schulleiterin freut sich über „unheimlich viele tolle Ideen“ der Schülerinnen und Schüler: „Vor der Pandemie gab es gemeinsames Kochen, was wir wiederbeleben wollen. Sie halfen in der Kleingartenanlage. Und besonders beliebt ist die Hilfe für Handy und Computer für Seniorinnen und Senioren. Da gründen wir gerade ein Hilfsbüro.“ In den höheren Klassen lebt der Geist der „Helden des Alltags“ weiter. Die Jugendlichen sind in der Schülerbibliothek, in der Teetheke, der Mensa, der Digitalwerkstatt oder als Paten für die Fünftklässler aktiv. Zum Tag der offenen Tür oder bei der Abschlussfeier findet man sie ebenfalls überall.

Smart School: „Die Eltern wollen das unbedingt.“

Im Mittagsband ist neben dem Mittagessen Zeit zum Ausruhen, Bewegen und Spielen mit „allem, was die Kolleginnen und Kollegen bieten können‟. Die jüngeren Schülerinnen und Schüler können auf dem Spielplatz spielen, es gibt einen Spielewagen mit Ausleihe, einen „Chill-Raum“ zum Lesen und Lümmeln, die Schulband probt. Mittwochs folgen die Erweiterten Bildungsangebote (EBA) in einer Doppelstunde mit AGs. Sie reichen vom Sport über Chor und Theater oder die Drechsel-AG bis zur Schülerzeitung „DOZ“ (Drais Online Zeitung), die regelmäßig über das Schulleben berichtet. Im FabLab (Fabrication laboratory) Karlsruhe beschäftigen sich Schülerinnen und Schüler unter Leitung von Lehrer Christian Bader mit Computerprogrammierung und Robotik und bauen eigene elektronische Maschinen. Neueste Errungenschaft des FabLab sind CO2-Ampeln, die die Luftwerte messen.

Wie die Auszeichnung als „Smart School“ 2018 signalisiert, ist die Drais-Gemeinschaftsschule digital gut aufgestellt. „Um die Schülerinnen und Schüler auf die Berufswelt vorzubereiten, arbeiten wir mit einer sinnvollen Verbindung von Analog und Digital“, erläutert die Schulleiterin. Die Kinder und Jugendlichen lernen im Rahmen der Medienerziehung unter anderem den Umgang mit den Sozialen Medien und können den „Medienführerschein“ ablegen.

Die Drais-Schule verfügt über Breitband, WLAN im gesamten Schulgebäude, Cloud-Services, interaktive Whiteboards und mobile Endgeräte. „Wir haben entschieden, dass Tablets für uns der richtige Weg sind“, erklärt Heike Willamowski. In den Tabletklassen, die seit dem Schuljahr 2019/2020 in der 5. und 9. Jahrgangsstufe laufen, steigt die Nachfrage: In diesem Schuljahr wird es jeweils zwei geben. In den 6. und 10. Klassen bleibt es bei je einer Tabletklasse. „Die Eltern wollen das unbedingt.“ Sie finanzieren die Geräte teilweise mit Unterstützung des Fördervereins, sodass alle dabei sein können.

So unbefriedigend, wie Heike Willamowski einst die Halbtags-Realschule schien, so glücklich ist sie heute: „Wir können den Schülerinnen und Schülern so gerechter werden und ihre Stärken besser berücksichtigen. Das sorgt für größere Zufriedenheit. Die Schülerinnen und Schüler merken, dass sie uns wichtig sind. Ich möchte an keiner anderen Schulart mehr arbeiten – es ist viel zu positiv, was für die Schülerinnen und Schüler rauskommt.“

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