Heinrich-Hertz-Schule: Bildung für die Demokratie : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Die Hamburger Heinrich-Hertz-Schule gehört zu den besten Schulen Deutschlands. Die teilgebundene Ganztagsschule punktet als UNESCO-Projektschule mit Profilklassen, Projektunterricht und Demokratiebildung.

Am 12. Oktober wurde der Deutsche Schulpreis 2023 vergeben, einer der renommiertesten Bildungspreise Deutschlands. Ausgezeichnet wurden die besten Schulen des Landes – Schulen, die für Lernen begeistern, Kreativität freisetzen, Lust an Leistungen entstehen lassen und zu Fairness und Verantwortung erziehen. Juryteams aus Bildungswissenschaft, Schulpraxis und Bildungsverwaltung haben in den vergangenen Monaten 20 Schulen besucht, 15 haben es ins Finale geschafft.

Preiverleihung
Schon seit Frühjahr 2023 preisverdächtig © Max Lautenschläger

Eine der Schulen, die die Jury des Deutschen Schulpreises seit Frühjahr 2023 als preisverdächtig auf dem Schirm hatte, ist die Heinrich-Hertz-Schule in Hamburg, Stadtteilschule und Gymnasium in einem, teilgebundene Ganztagsschule und mit rund 1.500 Schülerinnen und Schülern eine der größten Schulen der Stadt. Unter 85 Bewerberschulen wurde sie als eine der 15 besten Schulen Deutschlands ausgewählt und nun mit einem Anerkennungspreis von 5.000 Euro ausgezeichnet.

Schulleiterin Susanne Hilbig-Rehder freut sich: „Die Nominierung für den Schulpreis und die Auszeichnung sind eine wunderbare Würdigung der Leistung unserer Schulgemeinschaft, eine große Anerkennung der Arbeit unseres engagierten Kollegiums und eine hohe Motivation für unsere weitere schulische Entwicklung und auch für die anderer Schulen – denn wir sind eigentlich eine ganz ‚normale Schule‘.“

Susanne Hilbig-Rehder ist seit 2016 die Schulleiterin der Heinrich-Hertz-Schule. Als Beweggründe, dass die Schule das Selbstbewusstsein fand, sich in das Rennen um den begehrten Preis zu begeben und sich dem aufwendigen mehrstufigen Bewerbungsverfahren zu stellen, nennt sie die Besonderheiten der Lernkultur ihrer Schule:

„Bei der Bewerbung um den Deutschen Schulpreis haben wir unsere Pilotierung des Projektunterrichts in den Mittelpunkt gestellt. Aber einer der Gründe für die Bewerbung war auch das Demokratie-Lernen, also unsere Demokratiepädagogik, die eine wesentliche Säule unseres Schulprofils ist.“ Besonders wichtig sei dabei der Gedanke der Beteiligung von Schülerinnen und Schülern. „Sie lernen bei uns, Verantwortung für ihr individuelles Handeln und auch für ihre Leistungen zu übernehmen, wir trauen unseren Schülerinnen und Schülern viel zu.“

Schule mit demokratischer Tradition

Die Heinrich-Hertz-Schule ist bereits seit 1968 Haupt- und Realschule und Gymnasium unter einem Dach. Die frühere Lichtwarkschule, eine der bedeutendsten Reformschulen der Weimarer Republik, benannt nach dem Direktor der Kunsthalle Hamburg und Kunsterzieher Alfred Lichtwark, war die erste und bis in die frühen 1990er Jahre auch die einzige kooperative Gesamtschule Hamburgs. Aktuell ist sie als einzige Stadtteilschule in Hamburg eine UNESCO-Projektschule.

Acht Parallelklassen gibt es heute in den Jahrgängen 5 und 6, sieben in Jahrgang 7 und sechs in der Oberstufe. Möglich sind alle Schulabschlüsse, erst nach der Beobachtungsstufe 5 und 6 wird unterteilt, ob die Schülerinnen und Schüler in acht Jahren zum Abitur geführt werden (Gymnasialzweig) oder ob sie ein Jahr länger Zeit zum Lernen haben und nach neun Jahren das Abitur erreichen können (Stadtteilschulzweig). In der Studienstufe werden beide Zweige wieder zusammengeführt.

„Seit rund zehn Jahren gucken wir verstärkt drauf, das Einende stark zu machen“, so Schulleiterin Hilbig-Rehder. Es gebe zwar zwei Bildungsgänge, aber: „Alles, was über die Arbeit an den Bildungsinhalten hinausgeht, ist gemeinsam gedacht. Es gibt ein Jahrgangsteam, das in beiden Schulformen unterrichtet. Alle Projekte und Organisationsstrukturen sind schulformübergreifend. Es geht darum, Heinrich-Hertz-Schule zu sein und in unterschiedlichem Tempo zu lernen.“ Das Konzept kommt bei Eltern und Schülerinnen und Schülern gleichermaßen an: Die HHS, wie die Schule kurz genannt wird, gehört seit vielen Jahren zu den beliebtesten Schulen der Stadt und ist immer deutlich „überangewählt“.

Ganztagsangebote nicht nur am Nachmittag

Während viele Lehrkräfte schon etliche Jahre an der HHS unterrichten, ist Andreas Weber erst seit diesem Schuljahr dabei. Als neuer Abteilungsleiter der Jahrgänge 5 und 6 ist er auch für den Ganztag zuständig. „Spannend an unserem Ganztagskonzept ist, dass es wirklich ein Ganztagskonzept ist“, sagt er. Und erläutert, dass er viele Ganztagsschulen kenne, in denen bis mittags der Unterricht laufe und dann das Nachmittagsprogramm anfange. Weber: „Bei uns fängt der Ganztag dagegen um 8 Uhr an und endet um 16 Uhr. An drei Tagen gibt es Fachunterricht bis 15.30 Uhr, an zwei Tagen endet der Unterricht um 13.30 Uhr. Das Ganztagsangebot ist in den Unterricht integriert.“

Abteilungsleiter der Klassen 5 und 6 Andreas Weber
Abteilungsleiter der Klassen 5 und 6 Andreas Weber © Claudia Pittelkow

Im Jahrgang 5 und 6 gehe es vor allem darum, dass die ehemaligen Grundschulkinder an die weiterführende Schule „andocken“. Dabei spiele das Ganztagsangebot eine entscheidende Rolle. Weber: „In den Pausen können die Jüngeren einfach nur spielen, es gibt aber auch ganz viele Orte, an denen sie je nach Interesse Zeit verbringen können.“ Etwa in der Bibliothek oder in den Sporthallen, wo ältere Schülerinnen und Schüler ihnen Angebote machen: Tanzen, Boxen oder eine Skateboard AG.

Die „C-Base“ in Haus C bietet den Kindern auch an den kurzen Schultagen einen Ort mit Betreuungsangebot bis 16 Uhr. „Das ist wie ein Jugendzentrum mit Räumen zum Chillen, Tischkicker und einem Schulsozialarbeiter“, so Weber. Auch hier organisieren ältere Schülerinnen und Schüler Angebote für jüngere. „Das ist wieder ein schönes Beispiel dafür, dass die Schule sehr viel Verantwortung an die Schülerinnen und Schüler abgibt. Das klappt sehr gut.“

Da die HHS auch eine Partnerschule des Nachwuchsleistungssports ist, gibt es Kooperationen mit den umliegenden Sportvereinen. Die Angebote finden nicht nur am Nachmittag statt, sondern sind in den (Sport-)Unterricht integriert. Klassische Ganztagsangebote nur am Nachmittag gibt es dagegen kaum. Schulleiterin Hilbig-Rehder erklärt, warum: „Wir geben relativ wenig Ressourcen in Kurs- und AG-Angebote nach dem Unterricht, sondern investieren stattdessen Ressourcen in Profilklassen. Unsere langjährigen Erfahrungen zeigen, dass Profilklassen die Motivation und Leistungsbereitschaft steigern.“

Die Klasse als pädagogisches Kernstück

Die Profilklassen der Beobachtungsstufe stärken den Zusammenhalt und trainieren das soziale Miteinander. Es gibt musische und sportlich ausgerichtete Klassen, die Schülerinnen und Schüler arbeiten projektorientiert, fachlich übergreifend und mit festen Kooperationspartnern zusammen. Die Ergebnisse werden der Schulöffentlichkeit präsentiert, was wiederum die Identifikation mit der Schule steigert.

Hilbig-Rehder: „Dieses Konzept haben wir seit über 20 Jahren, von Jahrgang 5 bis zu Oberstufe. Der Klassenverband ist unser pädagogisches Kernstück, darum herum organisieren und gestalten wir.“ So gelinge es auch, jedes Kind und jeden Jugendlichen immer genau im Blick zu haben, ergänzt Andreas Weber. „Der Grund dafür, dass das gelingt, ist diese Definition von Ganztag mit einem breiten Angebot über den ganzen Tag, nicht nur am Nachmittag.“

Ab Jahrgang 7 sind die Profile stärker fachlich orientiert und sollen die Schülerinnen und Schüler befähigen, eigenverantwortlich, fächerverbindend und projektorientiert zu arbeiten. Der Projektunterricht ist fest im Stundenplan der Mittelstufe verankert und wird in den Fachunterricht integriert. Neben sportlichen und künstlerischen Profilen spielen die UNESCO-Profile – UNESCO Nachhaltigkeit und Global Citizen – eine wichtige Rolle.

Bildung und Erziehung für eine Kultur des Friedens

Als UNESCO-Projektschule orientiert sich die HHS an der Agenda Bildung 2030, der Globalen Nachhaltigkeitsagenda mit ihren 17 Entwicklungszielen. Ziel 16 der Agenda lautet beispielsweise, friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit zu fördern. 2017 hat die Schule die Bildung und Erziehung für eine Kultur des Friedens zu ihrem Leitbild erhoben. Hilbig-Rehder: „Alles, was wir tun, messen wir daran, ob es unser Leitbild ins Leben bringt, das ist unsere Richtschnur für unsere Entwicklung seit 2017.“

Lehrerin Isabel Voß mit Mina Amin Fazli und Adalina Marboeuf
Lehrerin Isabel Voß mit Mina Amin Fazli und Adalina Marboeuf © Claudia Pittelkow

Isabel Voß ist zuständig für die Koordination und Entwicklung des Projektunterrichts. „Als UNESCO-Projektschule legen wir Wert darauf, dass unsere Schülerinnen und Schüler eine umfassende politische Grundbildung bekommen, um zu mündigen jungen Menschen heranzuwachsen“, betont sie. Seit 2020 lernen die Schülerinnen und Schüler mit Beginn des Jahrgangs 7 in acht Stunden Projektunterricht pro Woche anhand von lebensnahen Projekten, die sie allein oder in Gruppen überwiegend selbst gestalten.

Die Themen reichen von „Balladen verfilmen“ über „Invasive Pflanzen im Stadtpark“ bis zu den „UNESCO-Nachhaltigkeitszielen“. Voß: „Wir merken im Projektunterricht, dass die Schülerinnen und Schüler immer mehr ihre eigenen Themen einbringen, bedingt durch die Freiheit im Kopf, das Wissen, dass man seine eigene Meinung sagen darf und eigene Themen einbringen darf.“ 

Gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit

UNESCO-Projekttage begleiten Schülerinnen und Schüler in allen Jahrgängen durchs Schuljahr. Voß: „Unsere Schulkultur wird sichtbar in einem verbindenden Jahrgangsthema. Wir versuchen, dass sich die ganze Schulgemeinschaft über so ein verbindendes Jahrgangsthema inhaltlich auseinandersetzt.“ In diesem Jahr arbeitet die Schule beispielsweise an einem Projekt, bei dem es um Klimaflucht geht.

Im Vorjahr stand das Projekt „Gegen das Vergessen“ im Mittelpunkt, inhaltlich anknüpfend an das Thema Anne Frank, das während der Corona-Pandemie die Schülerinnen und Schüler aller Jahrgänge beschäftigt hat. Zu den Jahrgangsthemen wird jeweils eine große Ausstellung organisiert. Martin Meins, seit neun Jahren Lehrer an der HHS, hat mit Schülerinnen und Schülern die Anne Frank-Ausstellung organisiert.

„Die Schuljahre 2020/21 und 2021/22 haben wir als Anne-Frank-Jahr begangen und in diesem Rahmen mit verschiedenen Aktionen in allen Bereichen des Schullebens auf das Thema Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit aufmerksam gemacht“, erzählt er. Kernstück sei die Wanderausstellung des Anne Frank Zentrums in Berlin gewesen, die er im Februar 2022 an die Schule geholt habe.

Für Führungen durch die Ausstellung hat sich Martin Meins unter seinen Schülerinnen und Schülern Peer Guides gesucht und entsprechend ausgebildet. „Im darauffolgenden Jahr haben die Peer Guides der „Anne-Gruppe“ dann die Peer Guides für die nächste Ausstellung angeleitet. Das ist unser Ansatz: Schülerinnen und Schüler übernehmen Verantwortung und bringen sich gegenseitig etwas bei.“

Peer Guides: „Respekt vor der Aufgabe“

Mina Amin Fazli, Schülerin der Klasse STS 9, hat als Peer Guide bei der diesjährigen Klimaflucht-Ausstellung mitgearbeitet. Dort habe sie einen guten Einblick bekommen, was „hinter den Kulissen“ läuft und wie man eine Ausstellung vorbereitet. „Unsere ganze Klasse wurde zu Peer Guides ausgebildet“, berichtet sie, „und wir alle hatten großen Respekt vor der Aufgabe, denn wir mussten ja auch Oberstufenschüler durch die Ausstellung führen.“ Zwei Peer Guide-Klassen hätten anschließend alle 60 Klassen der Schule durch die Ausstellung geführt – eine reife Leistung, die stolz macht. „Das ist auch sehr gut für das Selbstbewusstsein“, weiß die 15-Jährige.

Lehrerin Luise Günther mit Adrian Horn und Maiteli Reddy
Lehrerin Luise Günther mit Adrian Horn und Maiteli Reddy © Claudia Pittelkow

Auch ihre Klassenkameradin Adalina Marboeuf engagiert sich, sie ist Prefectschülerin. Prefects setzen sich ehrenamtlich für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ein, als Streitschlichter, als Paten für die neuen Fünftklässler oder als Pausenaufsicht. Vorab werden sie auf einer dreitägigen Ausbildungsfahrt entsprechend vorbereitet und geschult. Die 15-Jährige kommt gerade zurück vom „Helden-Frühstück“, zu dem jedes Jahr alle Ehrenamtlichen als Zeichen der Anerkennung eingeladen werden.

„Ich war das erste Mal dabei und habe gesehen, dass es bei uns so viele Schülerinnen und Schüler gibt, die sich ehrenamtlich engagieren, innerhalb der Schule und auch außerhalb“, staunt sie. Im Unterricht haben Mina Amin Fazli und Adalina Marboeuf das UNESCO-Profil „Global Citizen“ belegt, welches die Schülerinnen und Schüler  mit offenem, aber auch kritischem Blick auf die globalisierte Welt vorbereiten soll. Inhaltlich geht es um Themen wie Demokratien, Migration, Kultur, Politik und Rassismus.

Sich für demokratische Werte einsetzen

Luise Günther ist Koordinatorin für Demokratiepädagogik an der HHS. Ihr Tätigkeitsfeld durchzieht quasi alle Bereiche, denn Demokratie lernen hat nicht nur etwas mit Wissen zu tun, sondern die Schülerinnen und Schüler müssen in ihrer Schullaufbahn all die Kompetenzen erwerben, die erforderlich sind, um als mündige und verantwortungsvolle Menschen in der modernen Welt bestehen zu können. „Politische Bildung und gesellschaftliches Engagement ist ein besonderes Anliegen unserer Schule“, betont Günther.

Vielfältige Projekte, Klassen- und Projektreisen, Exkursionen und Begegnungen würden ein Bewusstsein schaffen für den Wert einer offenen und demokratischen Gesellschaft. „Unsere Schülerinnen und Schüler lernen, sich für demokratische Werte einzusetzen, ob als Klimabeauftragte, in Antidiskriminierungs-Workshops oder als Peer-Guides, auf UNESCO-Jahrestagungen oder im Klassenrat. Hier werden überfachliche Kompetenzen erlernt, und das stärken und stützen wir ganz ausdrücklich“, so Luise Günther.

Die Heinrich-Hertz-Schule war im Frühjahr 2023 die erste Schule, die von der 41-köpfigen Jury des Deutschen Schulpreises besucht wurde. Luise Günther: „Die Rückmeldungen haben uns deutlich gemacht, dass sich alle sehr verbunden fühlen mit der Schule, nach außen absolut solidarisch und zugehörig, aber nach innen auch streitlustig und kritisch.“ Die Vielfalt der Schule – Vielfalt im Sinne von Aktivitäten und Projekten, vom Leistungssport bis zur Diversity AG – sei verbunden mit einer hohen Identifikation.

Schülerin Maiteli Reddy, die erst seit zwei Jahren in Deutschland lebt und das Oberstufenprofil Global Studies belegt, bestätigt diese Einschätzung überzeugend: „Wir sind hier sehr demokratisch“, so die 18-Jährige. Im vergangenen Jahr habe sie in der Diversity AG das jährliche Schulfest mitgeplant, gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern, Elternrat und Lehrkräften. „Das ist hier nie so von oben herab, man arbeitet zusammen und fühlt sich einfach wertgeschätzt!“

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