Hamburger Ganztagsgymnasium im Wettbewerbsfieber : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Das Matthias-Claudius-Gymnasium in Hamburgs einwohnerstärkstem Bezirk Wandsbek ist mit seiner Angebotsvielfalt für eine heterogene Schülerschaft und einem lebendigen Namensgeber stark nachgefragt.

Rotraud Nesemeyer, von 2004 bis 2024 Schulleiterin des MCG
Rotraud Nesemeyer, von 2004 bis 2024 Schulleiterin des MCG © Claudia Pittelkow

Ob beim Fremdsprachenwettbewerb, bei Jugend trainiert für Olympia, der Mathe-Olympiade, Jugend forscht oder bei Formel 1 in der Schule – wenn es um Wettbewerbe geht, ist das Matthias-Claudius-Gymnasium (MCG) in Wandsbek fast immer mit dabei. Und meistens auch ziemlich weit vorne.

Das Ganztagsgymnasium in Hamburgs einwohnerstärkstem Bezirk ist bei Schülerinnen und Schülern weit über die Bezirksgrenzen hinaus beliebt. „Wir nehmen jedes Jahr Kinder aus über 35 Grundschulen in die 5. Klassen auf“, sagt Schulleiterin Rotraud Nesemeyer. „Manche von ihnen nehmen weite Wege in Kauf, um bei uns zur Schule zu gehen.“ Das liegt natürlich nicht nur an den Wettbewerben.

Talente entdecken

Das Matthias-Claudius-Gymnasium ist ein Gymnasium mit Tradition. Im Herbst 2022 feierte die Schule, die 1872 als „Höhere Bürgerschule mit Gymnasialklassen“ gegründet wurde, ihr 150-jähriges Bestehen. Heute wird es von über 1.000 Schülerinnen und Schüler besucht, 82 Lehrkräfte gestalten den Unterricht. Langfristig soll die Schule auf sechs Parallelklassen mit bis zu 1.300 Schülerinnen und Schüler erweitert werden.

„Wir versuchen unser schulisches Angebot so zu gestalten, dass unsere Schülerinnen und Schüler sich in den unterschiedlichsten Bereichen ausprobieren können“, so Rotraud Nesemeyer. Das Spektrum reiche von Schulsanitätsdienst und Klassenrat über naturwissenschaftliche Wettbewerbe bis hin zu Ruder- und Schachmeisterschaften. „Unsere Schülerinnen und Schüler sollen über den Tellerrand hinausgucken, sie sollen etwas Neues versuchen, sich für etwas engagieren und Verantwortung übernehmen“, so die Schulleiterin. Dabei würden sie häufig auch Talente an sich entdecken, die sie im normalen Unterricht vielleicht nicht erkannt hätten.

Rotraud Nesemeyer ist seit 1998 am Matthias-Claudius-Gymnasium, zunächst als Abteilungsleiterin der Unterstufe, von 2004 an als Schulleiterin. Jetzt geht sie in den Ruhestand, ihre Nachfolge tritt Carsten Griese an, der bereits an anderen Hamburger Gymnasien in verschiedenen Leitungsfunktionen und als Schulleiter im Ausland tätig war. Im zurückliegenden Vierteljahrhundert, das sie an der Schule verbracht hat, hat sich einiges getan.

Sprachzertifikate und naturwissenschaftliche Experimente

So wurde etwa ein bilingualer Zweig eingeführt, in dem zunächst in den „weichen“ Fächern Sport und Kunst mit Englisch begonnen wurde. Ab Klasse 7 kam dann pro Jahr ein Sachfach wie Geschichte oder Biologie hinzu. Nesemeyer: „Am Ende der 10. Klasse sind die Schülerinnen und Schüler richtig fit in Englisch und können, wenn sie wollen, ein entsprechendes Oberstufenprofil dazu wählen.“

Marcus Wendt ist seit zwölf Jahren Abteilungsleiter für die Oberstufe
Marcus Wendt ist seit zwölf Jahren Abteilungsleiter für die Oberstufe © Claudia Pittelkow

Eine weitere (sprachliche) Besonderheit: In Klasse 6 bietet die Schule Spanisch, Französisch und Latein als zweite Fremdsprache zur Wahl an. „Das ist nicht die Regel, dass ein Gymnasium das anbieten kann. Und die Kurse kommen immer zustande!“, betont Nesemeyer. Außerdem können die Schülerinnen und Schüler die weltweit anerkannten Sprachzertifikate Cambridge (Englisch), Dele (Spanisch) und Delf (Französisch) erwerben.

Marcus Wendt, der 2005 die Abteilungsleitung der Unterstufe übernahm und aktuell die Oberstufe leitet, ergänzt: „Neben den Sprachen haben wir den naturwissenschaftlichen Bereich stark ausgebaut. Alle Klassen wurden beispielsweise mit mehr Stunden in Naturwissenschaft und Technik ausgestattet, sodass genug Zeit für experimentelles Arbeiten bleibt.“ Zwischenzeitlich habe es besondere Aufnahmeverfahren gegeben, sodass Kinder mit speziellen Profilen aufgenommen werden durften.

Angebotsvielfalt für eine heterogene Schülerschaft

„Viele Schülerinnen und Schüler kommen von weit entfernten Stadtteilen zu uns, primär wegen der Naturwissenschaften, um unser spezielles Profil in der Unterstufe zu wählen“, berichtet Wendt nicht ohne Stolz. Heute sind die Bereiche Sprachen und Naturwissenschaften die beiden Schwerpunkte des Gymnasiums – und mitverantwortlich für die Magnetwirkung der Schule über die Bezirksgrenzen hinaus.

Eine weitere Säule für den Erfolg der Schule ist die Vielfalt, die einerseits an den umfangreichen schulischen Angeboten abzulesen ist, andererseits aber auch an der heterogenen Schülerschaft. Dadurch, dass das MCG Schülerinnen und Schüler aus so unterschiedlichen Stadtteilen wie Dulsberg, Marienthal, Billsteht, Horn und Rahlstedt anzieht, sind auch die Voraussetzungen, die die Schülerinnen und Schüler mitbringen, entsprechend unterschiedlich.

Für die Angebotsvielfalt – sowohl im Ganztag als auch bei den allgemeinen Angeboten – spielen die Eltern eine wichtige Rolle: Mal hat ein Vater eine Fußball-AG aufgebaut, mal eine Mutter eine Theater-AG gegründet. Wendt: „Wir konnten unser Angebot mit vielen engagierten Leuten aufbauen. Neben den Eltern sind auch ganz viele Oberstufenschüler beteiligt, die ehrenamtlich die Unterstufenschülerinnen und -schüler betreuen. Da finden dann Anfänger aus Klasse 5 ihre Ruder-Trainer der 11. Klasse, und es bilden sich richtig kleine Familien. Das wächst alles zusammen und zeigt große Verbundenheit.“

Ganztags-AGs für alle

Das MCG ist eine offene Ganztagsschule. Die Schülerinnen und Schüler können selbst entscheiden, ob sie bis 14.45 oder bis 16 Uhr bleiben möchten. Anders als in manchen anderen Schulen sind sämtliche Angebote, AGs und Aktivitäten jedoch offen für alle Schülerinnen und Schüler, auch für jene, die nicht im Ganztag angemeldet sind. Jedes Jahr gibt es eine große Liste mit allen aktuellen Angeboten. „Wenn sich ein Kind beispielsweise im Unterstufen-Chor anmeldet, trifft es dort auch Kinder, die nicht für die Ganztagsbetreuung angemeldet sind“, sagt Ganztagskoordinatorin Ute Relleke.

Ute Relleke ist die Ganztagskoordinatorin des MCG
Ute Relleke ist die Ganztagskoordinatorin des MCG © Claudia Pittelkow

Zusätzliche Kurse bieten Kooperationspartner an. „Lernzeit Hamburg“ beispielweise stellt die pädagogischen Fachkräfte für den Ganztag. Relleke: „Im Bereich Tischtennis arbeiten wir zum Beispiel mit dem Wandsbeker Turnerbund zusammen.“ Zusätzlich gibt es im Rahmen des Ganztagsangebots auch Möglichkeiten für individualisiertes Lernen in Deutsch und Mathe sowie eine freiwillige Hausaufgabenhilfe.

Und dann sind da natürlich noch die Wettbewerbe: Formel 1, Mathe-Känguru, Informatik-Biber, Physik- und Bio-Olympiaden, Jugend präsentiert, Jugend debattiert und vieles mehr. Das geht schon los in Klasse 5 mit der MINTies-AG, bei der sich Schülerinnen und Schüler erstmals in naturwissenschaftliche Fragen und Forschungen hineinfühlen können – und bei Wettbewerben mitmachen dürfen.

„Nur wenn sie wollen“, betont Robert Baumann, der die naturwissenschaftlichen Wettbewerbe koordiniert. „Wenn sie selbst eine andere tolle Idee haben, können sie auch der nachgehen, mit Experimenten, Lernvideos und Exkursionen.“ Die kleinen Forscherinnen und Forscher besuchen mit Begeisterung das Planetarium, das MINTarium-Erlebnis-Labor oder das mineralogische Museum im Museum der Natur.

„‚Matze‘ ist lebendig“

Weil der enge Standort des MCG keine baulichen Erweiterungen zulässt, erhalten alte Gebäude derzeit Ersatzbauten. Das identitätsstiftende und standortprägende Hauptgebäude aus dem 19. Jahrhundert bleibt bestehen und wird noch saniert und heutigen Anforderungen angepasst werden. Der Neubau mit einer Gesamtfläche von 5.000 Quadratmetern wird zukünftig 32 Klassenräume und Differenzierungsräume beherbergen, aber auch offene Lernbereiche und ein rund 100 Quadratmeter großes Lern- und Kompetenzzentrum. Hinzu kommen eine große Pausenhalle mit Bühne, eine Vitalküche und eine neue Cafeteria.

Der Neubau soll 2027 fertiggestellt werden. Gedacht ist auch an den Namensgeber der Schule, die sich in direkter Nachbarschaft zur Christuskirche, auf deren Friedhof der Dichter und Journalist Matthias Claudius (1740–1815) begraben liegt, befindet. Der Redakteur des berühmten „Wandsbecker Bothen“ versammelte einst Lessing, Herder, Goethe und Klopstock in der Zeitschrift. Und so werden auch für das Claudius-Archiv neue Räumlichkeiten geschaffen, denn das Motto des Gymnasiums lautet: „‚Matze‘ ist lebendig“.

Spaß am Lernen und Forschen in Wettbewerben

Auf seine Forschungsangebote macht das MCG bereits im Vorfeld aufmerksam. Mit dem Vorbereitungskurs „Probex“ geht das Gymnasium jeweils im November auf Grundschulen zu, um dort mit Viertklässlerinnen und Viertklässlern naturwissenschaftliche Phänomene zu untersuchen und ihnen zu zeigen, wie viel Spaß das Forschen am Gymnasium macht. Am Tag der offenen Tür der Schule sehen die Lehrkräfte die meisten Kinder wieder, und später – wenn es gut läuft – dann in Klasse 5 des MCG.

Robert Baumann koordiniert die naturwissenschaftlichen Wettbewerbe
Robert Baumann koordiniert die naturwissenschaftlichen Wettbewerbe © Claudia Pittelkow

„Ach, Herr Baumann, höre ich sie dann freudig rufen, Sie sind doch der Lehrer aus Probex, total toll war das!“, erzählt Wettbewerbskoordinator Baumann schmunzelnd. Dieses Feedback bekomme er seit Jahren, die Vorbereitungskurse scheinen zu wirken. Während die Teilnahme an den Wettbewerben in Klasse 5 und 6 noch freiwillig ist, werden die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer ab der Mittelstufe dazu verpflichtet.

Ab Klasse 8 können die Schülerinnen und Schüler im Unterricht das Fach ExMINT wählen, neben Informatik und einer dritten Fremdsprache. Dort werden sie systematisch auf die Teilnahme an Wettbewerben (und aufs Studium) vorbereitet. Mit Erfolg: „Die naturwissenschaftliche Forschung läuft gut, wir haben viele erste Preise gewonnen“, so Baumann. Das Verhältnis von Jungen und Mädchen ist dabei ausgeglichen, wozu eine spezielle Förderung von Schülerinnen beiträgt: „MINT pink“. Baumann: „Wir haben die Mädchen gut im Blick.“

„Jeder und jede kann etwas Besonders machen“

Die rege Teilnahme an den Wettbewerben hat am Ende Auswirkungen auf die weitere Schullaufbahn: Die naturwissenschaftlichen Profile der Oberstufe seien immer „knallvoll“, betont er. Wichtig ist dem Wettbewerbsexperten, dass sich die Angebote nicht nur an besonders begabte Schülerinnen und Schüler richten. „Wir wollen das Interesse bei allen wecken, alle haben die gleichen Chancen!“ Zumal die schulische Leistung nicht immer deckungsgleich mit den Leistungen in den Wettbewerben sei.

Paradebeispiel seien drei Jungen, die vor zehn Jahren den Konstruktionswettbewerb gewonnen hatten, obwohl ihre Noten in Mathe und Physik ziemlich schlecht waren. Baumann: „Die haben plötzlich festgestellt, dass sie Physik doch interessant finden. Man muss keine gute Note haben, um an Wettbewerben teilzunehmen.“ Sein Kollege Marcus Wendt betont an dieser Stelle, dass sich hier wieder die Vielfalt der Schule zeige: Jeder und jede könne etwas Besonderes machen, er oder sie müsse nur loslegen. „Aber natürlich kann man hier auch einfach nur ganz normal zur Schule gehen.“, bekräftigt er mit einem Augenzwinkern.  

Laut Rotraud Nesemeyer ist aus der langjährigen Wettbewerbsbeteiligung ein gewisser „Geist“ der Schule entstanden. So gibt es einmal im Jahr eine festliche Ehrung für alle Schülerinnen und Schüler, die bei Wettbewerben mitgemacht oder sich in anderer Weise besonders engagiert haben. „Man merkt, dass es ihnen sehr wichtig ist, wie ihre Leistung an der Schule gewürdigt wird“, so Nesemeyer.

Die langjährige Schulleiterin erinnert sich an ihre Anfangszeit, als das noch ganz anders gewesen sei. „Als ich hier an die Schule kam, versteckte man sich, wenn man ein gutes Zeugnis hatte und wurde als ‚Streber‘ beschimpft. Heute dagegen ist Leistung positiv besetzt, die Schülerinnen und Schüler sind stolz auf ihre Leistungen. Und sie merken, dass die Schule das wahrnimmt.“

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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