Hamburg-Steilshoop: Optimisten im Ganztagskurs : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Die Schülerinnen und Schüler der Ganztagsgrundschule Appelhoff können unter einer Vielzahl von Kursen wählen. In den Sommermonaten steht auch Segeln auf dem Programm.

Schülerinnen in einem Segelboot
Der Segelkurs steht bei Jungen und Mädchen hoch im Kurs. © Claudia Pittelkow

Segeln gilt als elitäre Sportart, die sich kaum jemand leisten kann. Viele Yachtklubs scheinen dieses Klischee zu bestätigen: Segelsportler fahren im Ferrari vor, den Hemdkragen hochgestellt, am Handgelenk eine teure Uhr. Doch in Hamburg gibt es auch zahlreiche Segelvereine mit ganz „normalen“ Leuten. Und nicht nur das: In der Grundschule Appelhoff, einer gebundenen Ganztagsschule im einkommensschwachen Stadtteil Steilshoop, wird der sogenannte Elitesport sogar als Nachmittagskurs im Ganztag angeboten. Die Schule liegt zwar weder an der Alster noch an der Elbe, dafür aber direkt an einem kleinen See, dem Appelhoffweiher.

„Dieser idyllische See ist eigentlich ein Regenrückhaltebecken“, erzählt Dirk Tiedemann. Direkt am Ufer liegt das Bootshaus vom Haus der Jugend Steilshoop, in dem Tiedemann als Erzieher arbeitet, daneben die Grundschule Appelhoff. Etwas weiter hinten ragen Hochhaussiedlungen aus den 1970er Jahren in den Himmel. Die großen, alten Bäume auf der Insel im Appelhoffweiher lassen erahnen, wie es hier früher einmal ausgesehen hat, auf dem ehemaligen „Apfelhof“ der Familie Beisser, die dem später angestauten Weiher seinen Namen gab.

Segeln stärkt das Selbstvertrauen

An diesem Tag ist auf dem See Hochbetrieb: Knapp zehn Optimisten, das sind kleine Segelboote, bewegen sich bei schwachem Wind um die Insel. An Bord Dritt- und Viertklässler der Schule Appelhoff und mittendrin Segellehrer Dirk Tiedemann. Der Erzieher bringt den Grundschülern das Segeln bei, sein Nachmittagskurs findet im Rahmen des schulischen Ganztags statt. „Wir haben 15 Optimisten im Bootshaus, aber ich nehme aus Sicherheitsgründen maximal zehn Kinder im Kurs auf“, berichtet er.

Die Kooperation zwischen der Schule und dem benachbarten Haus der Jugend (HdJ) besteht bereits seit 2008, das Segelangebot mit ihm als Lehrer gibt es seit etwa vier Jahren. Tiedemann, der selbst vor über 40 Jahren als Jugendlicher im HdJ das Segeln erlernte, weiß, worauf es ankommt: „Wir machen hier hauptsächlich Praxis und nur wenig Theorie.“ In erster Linie gehe es um Abenteuer und Freizeit und um die Stärkung des Selbstvertrauens. Tiedemann: „Das ist für die Kinder am wichtigsten.“

Schülerinnen und Schüler in Schwimmwesten am Ufer
Auf zum Segeln auf dem Appelhoffweiher in Hamburg © Claudia Pittelkow

An Selbstbewusstsein scheint es Viertklässler Oğuz nicht zu mangeln. Der Neunjährige ist immer auf dem Wasser, egal bei welchem Wetter. Stolz lässt er sich an seinem Boot fotografieren, die Hand zum Gruß an die imaginäre Kapitänsmütze erhoben. „Angst habe ich nie, auch nicht bei viel Wind“, betont er. Und die Theorie beherrsche er auch: „Backbord ist rechts“, behauptet Oğuz im Brustton der Überzeugung. Dirk Tiedemann lacht. Die achtjährige Abienne weiß es besser: „Backbord ist links.“ Die Schülerin erzählt, dass sie auch gerne an Land bleibt, wenn das Wetter schlecht ist. „Dann spielen wir.“ In diesem Jahr sei das schon ein paar Mal vorgekommen: An einem Tag war es zu heiß, an einem anderen hat es gestürmt und gehagelt.

Der Segelkurs wird in der Schule nur in den Sommermonaten angeboten, in der übrigen Zeit wählen die Schüler ein anderes Kursangebot. Im Haus der Jugend ist Segeln auch als Ferienkurs im Angebot, im Rahmen einer Segelfreizeit auf einem Seitenarm der Elbe. Die Ganztagskurse sind in jedem Schuljahr gleich aufgebaut: Die Kinder werden langsam an das Segeln herangeführt. In der ersten Stunde geht es erstmal ohne Segel aufs Wasser, damit die Schüler ein Gefühl für das Boot bekommen. Danach geht es dann mit Segel weiter, die Kinder lernen den Umgang mit der Schot, die wie ein Flaschenzug funktioniert, und den Seitenwechsel, der im schlimmsten Fall das Boot zum Kentern bringen kann. Tiedemanns Devise: Learning by doing. „Die Schülerinnen und Schüler müssen ausprobieren, was passiert, wenn sie dies oder jenes machen. So lernen sie am besten Segeln“, weiß der Erzieher.

Vom Baui-Kurs bis zum Schachkurs

Philine Mötsch, Lehrerin für Musik, Deutsch und Religion, ist an der Grundschule für die Koordinierung des Ganztags zuständig. „Der Segelkurs ist einer der beliebtesten Kurse der Schule“, erzählt sie. Angeboten werde er bewusst nur für die dritten und vierten Klassen, da die älteren Kinder schon Schulschwimmunterricht haben. Damit mehr Kinder schwimmen lernen, wurden in Hamburg vor drei Jahren die Schwimmzeiten in der Grundschule verdoppelt. Nun haben alle Grundschulkinder nicht nur ein halbes, sondern ein ganzes Jahr Schwimmunterricht.

Philine Mötsch vor dem Schultor
Ganztagskoordinatorin Philine Mötsch ist für die Kursauswahl zuständig. © Claudia Pittelkow

Die Maßnahme zeigt Erfolg: Heute lernen deutlich mehr Grundschüler schwimmen als noch vor fünf Jahren. Im letzten Schuljahr erreichten rund 87 Prozent aller Viertklässler am Ende ihrer Grundschulzeit das Schwimmabzeichen Seepferdchen. „Voraussetzung für die Teilnahme am Segelkurs ist, dass die Kinder schwimmen können und mindestens das Seepferdchen besitzen“, betont Mötsch. Das Kursangebot der Schule Appelhoff ist jahrgangsübergreifend für die Klassen 1 und 2 sowie für die Klassen 3 und 4, die Kurstage sind dienstags und donnerstags. Die Kinder wählen ihre Kurse jeweils für ein halbes Jahr.

Neben dem Segelkurs stehen zwei weitere Angebote auf der Beliebtheitsskala ganz oben. Philine Mötsch: „Sehr gefragt ist auch der Baui-Kurs, bei dem sich die Kinder auf dem benachbarten DRK-Bauspielplatz Villa Kunterbunt austoben können, und auch der Kochkurs ist sehr beliebt, ebenfalls eine Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz.“ Beim Kochkurs treffen die Schülerinnen und Schüler auf eine Behinderten-Wohngruppe der evangelischen Stiftung Alsterdorf, wo eine große Küche zur Verfügung steht. „Ich denke, der besondere Reiz dieser Kurse besteht auch darin, dass die Kinder dafür das Schulgelände verlassen dürfen. Das ist eine tolle Herausforderung“, so die Lehrerin.

Stefan Kauder, Leiter der Grundschule mit rund 300 Schülerinnen und Schülern und etwa 40 Lehrkräften, Erziehern und Sozialpädagogen, ist selber Teil des umfangreichen Kursangebots. An diesem Tag trifft man den Schulleiter in einem Klassenraum an, in dem gerade der Schachkurs stattfindet – zum letzten Mal vor den Sommerferien. Bevor es an die Figuren und Schachbretter geht, bekommt jedes Kind eine Urkunde. Die Schule Appelhoff sei ursprünglich als offene Ganztagsschule gestartet, berichtet Kauder, doch bald habe es so viele Anmeldungen gegeben, dass das Kollegium 2011 beschlossen habe, in eine gebundene Ganztagsschule zu wechseln.

Am Ende haben alle Fortschritte gemacht

Stefan Kauder im Klassenraum
Stefan Kauder leitet die Grundschule mit rund 300 Kindern. © Claudia Pittelkow

Kauder erläutert: „Die gebundene Ganztagsschule wird in alleiniger Verantwortung der Schule organisiert.“ Das heißt: Alle Kinder nehmen montags bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr verbindlich am Unterricht und an Kursen teil, freitags bis 13 Uhr. „Der gebundene Ganztag war der richtige Weg für uns, alle Eltern haben mitgezogen“, erinnert sich Philine Mötsch. Nach dem Wechsel der Ganztagsform habe es nur eine einzige Abmeldung gegeben. Heute stehen am Donnerstag rund 35 Kursangebote zur Auswahl, am Dienstag 25 Kurse.

Das Kollegium steht voll und ganz hinter dem Modell einer gebundenen Ganztagsschule. So werden die Kursangebote komplett durch eigenes Personal bestritten, mithilfe einiger Honorarkräfte. Mötsch: „Außer Tischtennis, das macht der FC Hellbrook.“ Auch für die Früh- und Spätbetreuung von 6 bis 8 Uhr sowie von 16 bis 18 Uhr werden keine Kooperationspartner eingesetzt. Mötsch: „Das machen bei uns alles unsere Erzieherinnen und Erzieher.“ Erzieherinnen und Erzieher wirken außerdem unterstützend im Unterricht, fördern in Kleingruppen oder machen Projektunterricht.

Dirk Tiedemann vom Haus der Jugend Steilshoop gehört zu den Honorarkräften, die das Kollegium im Ganztag unterstützen. Der Erzieher freut sich ständig über seine kleinen Segelschüler, vor allem, wenn er die Fortschritte sieht, die seine Sprösslinge machen – nicht nur beim Segeln. „Manche Kinder sind anfangs recht unbeweglich. Und am Ende des Kurses haben alle wahnsinnige Fortschritte gemacht, auch was die motorischen Fähigkeiten angeht“, erzählt er. Als hätten es die beiden Drittklässlerinnen Sophia und Janna gehört, klettern sie behände ins Boot, hissen das Segel und fahren los zu einer Runde um die Insel auf dem Appelhoffweiher.

 

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