Gymnasium zu St. Katharinen: Täglich neuer Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Nach einem Studientag mit Lehrkräften, Schülerinnen, Schülern und Eltern entschied sich das Gymnasium zu St. Katharinen in Oppenheim für ein besonderes AG-Wahlmodell.

14.45 Uhr. Jetzt muss alles ganz schnell gehen im Gymnasium zu St. Katharinen. Die Schülerinnen und Schüler der Ganztagsklassen haben gerade in der ersten Lernzeit, die von 13.45 bis 14.45 Uhr dauert, ihre Karte abgegeben, mit der sie wählen, welches Angebot sie am Nachmittag wahrnehmen möchten. Wollen sie heute spazieren gehen, basteln, kochen oder weiter üben? An die Kletterwand, oder auf den Bolzplatz oder einfach im Ruheraum für sich sein?

Gymnasium St. Katharinen Oppenheim
Chorklasse © Gymnasium St. Katharinen Oppenheim

Die für diesen Tag eingesetzten fünf „Lernzeit-Lehrer“ zählen in der zehnminütigen Pause zwischen beiden Lernzeiten die Karten aus und schauen, welche der Angebote die meisten Stimmen erhalten. Für die fünf Angebote mit den meisten Stimmen sprechen sich die Lehrkräfte ab, wer welches begleitet und welche Räume dazu benötigt werden. Die AGs werden so täglich neu bestimmt – kein Tag ist wie der andere.

Dieses flexible System ist das vorläufige Ergebnis einer Schulentwicklung, in der Schulleitung und Kollegium des Gymnasiums zu St. Katharinen in Oppenheim (Rheinland-Pfalz) über die Jahre vieles ausprobiert und wieder verworfen haben. „Seit zwei Jahren gibt es nun ein Konzept, mit dem laut einer Umfrage 93 Prozent der Schülerinnen und Schüler zufrieden sind“, berichtet Lehrerin Petra Gradl. Ein Konzept, zu dem die Kinder und Jugendlichen selbst maßgeblich beigetragen haben. „Auch der Schulelternbeirat, der eine eigene Ganztagsgruppe gegründet hat, gibt ausgesprochen positive Rückmeldungen.“

Schule in der Schule lassen

„Wir haben vor zwei Jahren einen Studientag mit Lehrkräften, Schülerinnen, Schülern und Eltern veranstaltet“, erzählt Rita Kunz-Henrich, Leiterin der Orientierungsstufe und des Ganztagsbereichs. „Wir wollten wissen, was sich die Schüler wünschen, und daraus ein Konzept entwickeln.“ Drei Wünsche kristallisierten sich heraus: Die Kinder und Jugendlichen wollten „in absoluter Ruhe“ ihre Hausaufgaben erledigen können. Zweitens sollten die Hausaufgaben am Ende des Schultags dann auch definitiv erledigt sein. Und sie wollten immer spontan entscheiden können, was sie im Anschluss machen.

„Die Schülerinnen und Schüler sind viel pragmatischer, als man vermuten mag“, meint Schulleiter Dr. Hendrik Förster. „Sie wollen die Ganztagsschule nutzen, um ihre schulischen Belange zu erledigen – und wenn dann noch Freizeit übrig ist, wunderbar. Die Eltern legen ebenfalls Wert darauf, dass die Schule in der Schule gelassen wird und ihre Kinder gleichzeitig ein abwechslungsreiches und stressfreies Programm erleben.“

Förster leitet seit zwei Jahren das Gymnasium, das mit 1.600 Schülerinnen und Schülern das drittgrößte in Rheinland-Pfalz ist. 120 Lehrkräfte arbeiten hier. Die Ganztagsschule startete im Schuljahr 2007/2008. Erst bot das Gymnasium ein additives Programm an, das sich nicht bewährte. Heute besuchen rund 100 Schülerinnen und Schüler die Ganztagsklassen in den Jahrgängen 5 bis 8.

„Es ist eine große Herausforderung, innerhalb der Halbtagsschule die Ganztagsschule zu installieren“, so Rita Kunz-Henrich. „Die Ganztagsschule muss zum Rest passen, aber auch ihre eigenen Regeln haben. Kommunikation und Teamarbeit sind da extrem wichtig. Wir haben Teambesprechungen, Studientage, bei denen auch Eltern und Schüler dabei sind, und eine Schulleitung, die uns super unterstützt.“

Lerncoaches und Lehrkräfte in der Lernzeit

Die Ganztagsschule ist laut Rita Kunz-Henrich ein ständiger Prozess, Stagnation gebe es nicht. Der Blick auf die Schülerinnen und Schüler verändere sich: „Wir bekommen viel mehr als früher mit, was in den Familien passiert. Das hat uns als Kollegium auch sehr die Augen geöffnet. Umgekehrt erleben uns die Schüler auch anders.“ Als wertvolle Begleitung dieses Prozesses habe sich der Austausch mit anderen Gymnasien erwiesen. „Der Austausch mit Menschen in gleicher Situation ist unheimlich wichtig und hat uns so manches Aha-Erlebnis gebracht“, berichtet Rita Kunz-Henrich. Die Teilnahme am Ganztagsschulkongress in Berlin sei ebenfalls hilfreich gewesen.

Der Kern des Ganztags im Gymnasium zu St. Katharinen sind, wie schon angedeutet, die Lernzeiten. Nicht nur den Schülerinnen und Schülern selbst sind sie wichtig, auch „wir halten eine selbstständige Lernorganisation der Kinder und Jugendlichen für unabdingbar“, betont Schulleiter Förster. Auf dem Weg zur heutigen Lernzeit-Fassung hat die Schule verschiedene Formen ausprobiert, die die Erwartungen nicht erfüllt haben, „weil wir damit das eigenständige Lernen nicht hinbekommen haben, was uns unzufrieden machte“.

Gymnasium St. Katharinen Oppenheim
© Gymnasium St. Katharinen Oppenheim

In der ersten einstündigen Lernzeit – 45 Minuten hatten sich als nicht ausreichend erwiesen – arbeiten rund 15 Schülerinnen und Schüler in kleinen Gruppen. Die Kinder und Jugendlichen entscheiden, ob sie im „Stilleraum“ die Aufgaben selbstständig erledigen oder im „Lernzeitraum“ bleiben, um bei auftauchenden Fragen Hilfe zu bekommen.„Etwa ein Drittel wählt den Stilleraum“, berichtet Lehrerin Petra Gradl.

Im Lernzeitraum helfen bei Bedarf eine Lehrkraft oder die Lerncoaches, speziell ausgebildete Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse. Sobald die Aufgaben eines Faches fertig gestellt sind, werden sie von der Lehrerin oder dem Lehrer kontrolliert. Ein Zeichen im Aufgabenheft signalisiert den Eltern, dass die Arbeit erledigt wurde.

Partizipation: „... dann wird es ihre Ganztagsschule“

Wer mit seinen Aufgaben in der ersten Phase nicht fertig geworden ist, nutzt die zweite – einstündige und nun jahrgangsübergreifende – Lernzeit, die bis 15.55 Uhr reicht. Mindestens 15 Minuten müssen die Schülerinnen und Schüler hier noch an ihren Aufgaben sitzen. Sie sollen nicht zu hastig werden, wenn Freundinnen und Freunde sich bereits in der ungebundenen Freizeit aufhalten. Der große Sportplatz, der Tobe- oder der Stilleraum sowie die Spielothek mit vielen Materialien stehen ihnen dann ebenso zur Verfügung, wenn sie fertig sind.

Mit diesem Schuljahr hat das Gymnasium die AGs für die Halbtagsschülerinnen und -schüler geöffnet. Auch die Lerncoaches dürfen Arbeitsgemeinschaften anbieten, was Hendrik Förster zufolge bei den Schülerinnen und Schülern gut ankommt. „Als weiteres haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, die Jungen-Pädagogik aufzubauen. So wollen wir den Ruheraum vielleicht in einen Bewegungsraum umfunktionieren.“

Ebenso will die Schule die Partizipationsstrukturen verbessern. „Die Netzwerktreffen der Ganztagsschulen haben uns Anregungen für Partizipation gegeben, denn wir wollen die Zusammenarbeit mit den Schülerinnen und Schülern kontinuierlicher gestalten“, so Rita Kunz-Henrich. „Aus jeder Ganztagsgruppe treffen sich einmal im Monat zwei Vertreter mit dem Vertrauenslehrer, der wiederum unserer Konzeptgruppe berichtet. Zweimal im Jahr, vor den Herbstferien und vor den Osterferien, veranstalten wir eine Schülervollversammlung. Wenn die Schülerinnen und Schüler mitentscheiden können, wird es ihre Ganztagsschule und dann fühlen sie sich wohl.“

„Mit der Zeit gehen“

Was die Lehrerinnen und Lehrer betrifft, „haben wir von Anfang an Leute im Ganztag eingesetzt, die voll dabei sind“, erinnert sich Hendrik Förster. „Schon bei Vorstellungsgesprächen fragen wir die Einstellung der Bewerberinnen und Bewerber zum Ganztag ab. Dabei machen wir deutlich, dass wir den Einsatz an ein bis zwei Nachmittagen erwarten. Wir haben eine große Gruppe von Kolleginnen und Kollegen, die gerne mitarbeiten. Unsere Studientage bringen viele Ideen, die die Kollegen ausprobieren. Dieses Ausprobierte weiten wir dann teilweise auch auf die Halbtagsschule aus.“

Gymnasium St. Katharinen Oppenheim
© Gymnasium St. Katharinen Oppenheim

Schulleitung und Kollegium sind sich einig: „Das St. Katharinen ist menschlicher geworden.“ Die Lehrerinnen und Lehrer sehen zum Beispiel die Entwicklung von Kindern, die am Schuljahresanfang sehr schüchtern gewesen sind und dann selbstbewusst bei Schulaufführungen auf der Bühne stehen und durch das Programm führen. Anderen haben die Lerncoaches die Angst vor der Mathematik nehmen können.

„Die Zeiten haben sich geändert, und wir wollen mit der Zeit gehen“, resümiert der Schulleiter. „Wir sehen, dass wir unser Gymnasium mit der Ganztagsschule weiterbringen und einen wichtigen Beitrag für Chancengleichheit leisten.“

 

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