Gut geplant: Rhythmisierung in der Ganztagsgrundschule : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

In der Hunsrück-Grundschule in Berlin-Kreuzberg, einer gebundenen Ganztagsgrundschule, ermöglicht der rhythmisierte Schultag differenzierte Lernangebote und damit individuelle Förderung.

Viele kennen sicherlich das Kinderlied „Morgens früh um sechs...“ von der kleinen Hexe, die den ganzen Tag über fleißig ist, sich aber auch einmal ausruht. Mit Schwung und Spaß kann auch ein Schultag ablaufen. „Bei uns wird den ganzen Tag gelernt, gearbeitet, gespielt, gegessen, gelesen, geforscht, gelacht und vieles andere mehr“, heißt es denn auch im Selbstporträt auf der Internetseite der Hunsrück-Grundschule in Berlin-Kreuzberg.

Ein Tag in der 5a: Der Tag beginnt um acht in der Turnhalle mit einer Stunde Sport. Ein Erzieher unterstützt einzelne Schülerinnen und Schüler. Um neun gibt es eine halbe Stunde Freizeit und eine halbe Stunde Lesezeit. Um zehn ist Hofpause: Einige Schülerinnen und Schüler helfen beim Frühstücksverkauf im Schüler-Eltern-Café, andere übernehmen als Konfliktlotsen Verantwortung. Um 10.30 Uhr beginnt der Englischunterricht, in dem eine Förderlehrerin und für eine halbe Stunde auch eine Sonderpädagogin die Kinder unterstützen.

Um zwölf geht’s zur Freiarbeit, in der die Schülerinnen und Schüler Aufgaben aus der fächerübergreifenden Projektarbeit für Präsentationsmappen bearbeiten. Zwei Pädagoginnen begleiten sie dabei. Kinder aus einer Willkommensklasse kommen hinzu. Um eins gibt es Mittagessen in der Mensa. Eine Stunde später treffen sich die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Klassenerzieher zum Klassenrat, um ihre persönlichen Wochenziele zu besprechen. Es folgt eine Stunde Mathematik, in der gemeinsam und individuell gelernt wird. Um vier ist Schulschluss. Aber noch nicht alle gehen nach Hause. Manche besuchen noch die Spätbetreuung bis um sechs, andere gehen in die Turnhalle, in der ein Kooperationspartner Judo anbietet.

Rhythmisiert den ganzen Tag

Der Tag in der Hunsrück-Schule, die seit dem Schuljahr 2004/2005 eine gebundene Ganztagsgrundschule ist, zeigt, wie Rhythmisierung aussehen kann: Die über 540 an der Schule lernenden Schülerinnen und Schüler, darunter 40 Kinder in Willkommensklassen, erleben eine Mischung aus Lernen, Forschen, Spielen, Bewegung, Stille, aus Anstrengung und Entspannung. „Es lernt sich besser, wenn der Unterricht keine künstlich isolierte Zeit am Vormittag ist“, zeigt sich Heike Schnitzer, die kommissarische Schulleiterin, überzeugt.

Hunsrück-Grundschule
© Hunsrück-Grundschule

Jede Klasse hat ein Lehrerin-Erzieherin-Team, das sich über Unterricht und Erziehung der Kinder abspricht. Einmal in der Woche gibt es eine 90-minütige Teamsitzung, um den Unterricht vorzubereiten oder gemeinsam Elterngespräche zu führen. Die Erzieherinnen sind nicht die gesamte Unterrichtszeit in den Klassen, aber doch zum überwiegenden Teil. Sie gehören allen Gremien und Arbeitsgruppen der Schule an.

Zeitplan als logistische Herausforderung

Was erst auf den zweiten Blick erkennbar wird, ist der immense Organisationsaufwand hinter einem rhythmisierten Schultag: Zu bestimmten Zeiten kommen Erzieherinnen und Erzieher, Sonderpädagoginnen und -pädagogen, der Sozialpädagoge aus dem Pestalozzi-Fröbel-Haus und außerschulische Fachkräfte zusammen, um mit den Schülerinnen und Schüler zu arbeiten. Neben 46 Lehrerinnen und Lehrern sind 29 Erzieherinnen und Erzieher an der Ganztagsgrundschule fest beschäftigt. Dazu kommen drei Religionslehrkräfte und zwei Referendare. Drei Integrationserzieher arbeiten individuell in der Freizeit mit einzelnen Kindern oder Kleingruppen.

Der Zeitplan, der unter anderem die Teamsitzungen und Dienstbesprechungen beider Professionen einschließt, in denen die Kinder in den Klassen oder in Arbeitsgemeinschaften betreut werden, ist eine logistische Mammutaufgabe, die in der riesigen Stecktafel im Büro der Schulleiterin ihren Niederschlag findet und über einen klassischen Stundenplan weit hinausreicht. Die parallel zu den Teamsitzungen stattfindenden Arbeitsgemeinschaften werden von Eltern, Lehrkräften, ehemaligen Lehrerinnen und Lehrern, aber auch von Kooperationspartnern gestaltet.

Mit dem Lernen ein eigenes Tempo gehen

Allein kann und möchte Heike Schnitzer diese Arbeit nicht bewältigen. Sie hat eine große erweiterte Schulleitung gebildet, in der mit Anke Buggenhagen die Leiterin des Freizeitbereichs, Erzieherin Annegret Stawenow und die Lehrerinnen Susanne Eichner, Regina Eifert, Friederike Terhechte-Mermeroglu, Julia Harnisch und Anne Petri mitarbeiten. Der Grundsatz der Schule: „Wir arbeiten gemeinsam.“ gilt nicht nur für die Kinder sondern auch für die Pädagogen. „Man sieht sich im Alltag und kann sich jederzeit austauschen, sodass sich Probleme nicht anstauen“, meint Anke Buggenhagen.

Das Lernen in der Hunsrück-Grundschule prägen differenzierte Lernangebote bereits ab der 1. Klasse. Die Klassenteams nutzen Tages- und Wochenpläne, die für jedes Kind individuell abgestimmt sind. Beim Stationenlernen und im projektorientierten Unterricht können die Schülerinnen und Schüler ihre Kenntnisse, Fertigkeiten und Interessen weiterentwickeln. In den Klassen 5 und 6 kommen vier klassenübergreifende Projekte pro Schuljahr hinzu: „Deutsch“, „Englisch“, „Kiez“ und „Umwelt“. In einem aktuellen Projekt hat sich die Klasse 4c zusammen mit Kindern aus den Willkommensklassen gerade mit dem Thema „Fremde – wer oder was ist das überhaupt?“ beschäftigt.

Die ersten drei Jahrgänge sind im Jahrgangsübergreifenden Lernen (JÜL) organisiert, das über 300 der rund 400 Grundschulen in Berlin vor einigen Jahren eingeführt haben. In der Hunsrück-Grundschule sind alle Beteiligten von dem Konzept überzeugt. So findet Lehrerin Regina Eifert, dass „in diesen Klassen eine soziale und zufriedene Stimmung herrscht.“ Die älteren Schüler helfen den jüngeren, sich ins Schulleben einzufinden. Ebenfalls positiv ist ihrer Kollegin Susanne Eichner zufolge, dass das JÜL-System weniger starr ist: „Die Kinder bekommen dank der Vielfalt der Materialien und der offenen Unterrichtsmethoden die Chance, ihr eigenes Tempo zu gehen.“ Die Lehrerinnen verfügen über genug „Chaos-Resistenz“, um den Überblick zu behalten.

Mehr Austausch mit Eltern

Hausaufgaben hat die Hunsrück-Grundschule abgeschafft. Auch die herkömmlichen Zensuren gibt es von Klasse 1 bis 4 nicht mehr. Jedes Klassenteam entscheidet, wie es Leistungsstände erhebt, ob mit mehreren kleinen Tests oder mit Wochenplänen, die dann mit den Lehrkräften und Erzieherinnen besprochen werden. Eltern, die wissen wollen, „wo mein Kind steht“, haben verschiedene Möglichkeiten Rückmeldung zu erhalten. In allen Klassen können die Eltern während der Teamzeit zu Gesprächen kommen. In manchen Klassen gibt es einmal pro Woche auch die Möglichkeit, einen offenen Unterrichtsbeginn zu kurzen Gesprächen mit den Pädagogen zu nutzen.

„Wir haben engagierte Eltern, die in Projekten, im Schüler-Eltern-Café und bei Festen mitarbeiten. Unsere Türen stehen immer offen, und wir versuchen, alle im Blick zu haben“, so Heike Schnitzer. Im „Rucksack“-Projekt zur Förderung und Wertschätzung der Mehrsprachigkeit kommt eine Elternbegleiterin in die Schule, die mit Eltern die Unterrichtsinhalte auch auf Türkisch bespricht. „Wir wertschätzen die Mehrsprachigkeit an unserer Schule“, betont die Schulleiterin. „Da kommen auch Mütter, die sonst nicht kommen.“

Es sei ein Vorzug der Ganztagsschule, dass „man den Eltern öfter begegnet, und es viele Gelegenheiten des Austauschs gibt“, ist die einhellige Meinung der Pädagogen. Auch am Nachmittag bleiben viele Eltern mit ihren Kindern noch auf dem Schulhof. Die Kinder spielen, die Eltern tauschen sich aus.

Raumkonzept als Fundament der Individuellen Förderung

Individuelle Förderung wird durch das Raumkonzept der Schule ermöglicht. Jedes Klassenzimmer ist mit einem Freizeitraum gekoppelt. Dazu gibt es zahlreiche Fachräume: einen Musikraum, eine Töpferwerkstatt, einen Werkraum, ein Fotolabor, ein Malatelier, eine Fahrradwerkstatt, ein Atrium als Ausstellungsraum, einen Computerraum, einen Fachraum für Technik und Naturwissenschaft, eine Übungsküche, einen Mehrzweckraum mit Bühne und eine Bibliothek.

Hunsrück-Grundschule
© Hunsrück-Grundschule

„Unsere Räume sind das Fundament des ganzen Differenzierungssystems. Der Raum als dritter Pädagoge - ohne diese Ausstattung wäre unsere Arbeit so nicht möglich“, berichtet Heike Schnitzer. Und nur die Differenzierung ermögliche Chancengleichheit für die vielen unterschiedlichen Schülerinnen und Schüler. Das Engagement des Hunsrück-Teams zahlt sich entsprechend aus.

Von den weiterführenden Schulen erreichen die Hunsrück-Grundschule jedes Jahr ermutigende Rückmeldungen: „Wir hören, dass unsere Schülerinnen und Schüler selbstständiger lernen und sie im Sozialverhalten viel weiter sind. Sie passen mehr aufeinander auf“, freut sich Annegret Stawenow. „Es kommen auch ehemalige Schüler zu Besuch, was sicherlich kein schlechtes Zeichen ist“, sagt Schulleiterin Heike Schnitzer.

 

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