Gustav-Falke-Grundschule Berlin: Ein guter Gastgeber : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Nichts Geringeres als der Mauerfall brachte die Berliner Gustav-Falke-Grundschule in Existenznöte. Die Schule in Berlin-Mitte orientierte sich neu – als gebundene Ganztagsschule.

Solch ein Lob wird sicherlich jede Schulleitung mit Stolz erfüllen: „Diese Schule bemüht sich um die Kinder und Eltern wie ein gutes Restaurant um seine Gäste“, zitiert Schulleiterin Karin Müller einen Vater. Dieses Lob für die Gustav-Falke-Grundschule kann den Außenstehenden aber auch verwundern, wenn er ans Jahr 2008 und die zu jenem Zeitpunkt vorherrschende Stimmung zurückdenkt. „Auf so eine Problemschule schicke ich mein Kind nicht“, ließ sich damals ein Vater vernehmen. Eltern gründeten gar eine Bürgerinitiative, um zu verhindern, dass ihre Kinder auf die „Ausländerschule“ gehen mussten.

Schülerin im Unterricht mit Blumen
In der NaWi-Klasse geht es bunt zu © Gustav-Falke-Grundschule

„Ich habe keine Problemschule“, hielt Rektorin Müller, die seit 1987 die Gustav-Falke-Grundschule leitete, dem Vater selbstbewusst entgegen – aber gegen den Ruf ihrer Schule im Kiez konnte sie wenig ausrichten. Mütter und Väter – mit und ohne Migrationshintergrund – wollten ihre Kinder nicht dort lernen lassen, denn „bei Ihnen wird zu wenig Deutsch gesprochen“. Die Schülerzahlen sanken von 620 in der Spitze auf 360. Anders gesagt: Jedes Jahr verlor die Schule eine Klasse und war in ihrer Existenz bedroht.

Die Malaise begann der Schulleiterin zufolge viel früher – und mit nichts Geringerem als dem Mauerfall. Die Gustav-Falke-Grundschule, die im Westberliner Bezirk Wedding direkt an der Grenze nahe der Bernauer Straße lag, führte dort ein behütetes Dasein. „Uns wurden die Schülerinnen und Schüler zugewiesen. Wir mussten uns darüber keine großen Gedanken machen“, erinnert sich die Pädagogin. Da im Kiez viele Menschen mit Migrationshintergrund wohnten, lag der Anteil der Kinder nichtdeutscher Herkunft teilweise bei über 90 Prozent.

Eltern wünschten sich Naturwissenschaften, Englisch und Sprachförderung

Nach der Maueröffnung fand sich die Schule auf einmal im Wettbewerb mit vielen anderen Grundschulen, auch des angrenzenden Ostberliner Bezirks Mitte. Eltern aus dem Ostteil wollten ihre Kinder nicht an eine Schule schicken, von der sie annahmen, hier könnten ihre Sprösslinge nicht adäquat gefördert werden. Der Bezirk Mitte, dem nach der Berliner Verwaltungsreform 2001 die ehemaligen Bezirke Wedding und Tiergarten zugeschlagen wurden, nahm einen sozialen Aufschwung. In der „Neuen Mitte“, sogar in der ehemals proletarischen Ackerstraße, gründeten sich jetzt Privatschulen. Die Mauer war verschwunden, dafür zog eine unsichtbare soziale durch den Stadtteil, mit dem Nachsehen für die Gustav-Falke-Schule.

Die Bürgerinitiative 2009 war inzwischen eigentlich schon gegenstandslos geworden – Politik und Verwaltung hatten die Pläne zur Änderung des Einzugsbereichs wieder zurückgenommen. Da tat Karin Müller den entscheidenden Schritt: „Ich traf die Mütter und Väter und fragte: Wie soll denn die Schule aussehen, auf die sie Ihr Kind schicken würden? Zunächst herrschte Sprachlosigkeit, aber dann haben sich die Mütter tatsächlich hingesetzt und eine Liste aufgeschrieben.“

Schülerinnen an der Kletterwand der Gustav-Falke-Grundschule in Berlin
Kletterwand der Gustav-Falke-Grundschule in Berlin Mitte © Gustav-Falke-Grundschule

Die wichtigsten Wünsche lauteten: Verstärkt Naturwissenschaften ab der 1. Klasse, Englisch bereits ab der 1. Klasse und Förderung der deutschen Sprache. „Wir haben uns gesagt: Das versuchen wir“, berichtet Karin Müller. Die Schulleitung lud Mütter in die Schule ein, um von den Plänen zu berichten. „Wir konnten viele Mütter überzeugen – die uns dann aber berichteten, ihre Männer seien immer noch dagegen, ihre Kinder zu uns zu schicken. Also boten wir noch mal einen Termin für die Männer an.“ Und es gelang der Schulleiterin und ihren Kolleginnen tatsächlich, viele von dem Angebot zu überzeugen.

Sprachtest „Bärenstark“

Der Kern des neuen Angebots war die so genannte NaWi-Klasse, die 2010/2011 startete und für die mit dem Satz „Biologie, Physik und Chemie von Anfang an“ geworben wurde. Neben biologischen Beobachtungen werden physikalische und chemische Phänomene kindgerecht aufbereitet, es wird viel experimentiert. „Die Kolleginnen haben sich fortgebildet, und wir haben ein eigenes Curriculum für diese Klasse entwickelt“, erklärt die Schulleiterin. Die Eingangsvoraussetzung für diese Klasse sind altersgemäße gute Deutschkenntnisse. Jungen und Mädchen, die in die NaWi-Klasse möchten, müssen den Sprachtest „Bärenstark“ bestehen.

Die Presse stürzte sich teilweise auf diesen Aspekt, das Wort der „Deutschtümelei“ machte die Runde. Karin Müller sieht dies von der Realität widerlegt: „Gute Deutschkenntnisse haben nichts damit zu tun, ob es sich um Kinder mit oder ohne Migrationshintergrund handelt. Unsere NaWi-Klassen sind sehr gemischt – Integrationskinder sind darunter, mit dem Förderschwerpunkt Lernen oder dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung.“ Und während die NaWi-Klasse eine zusätzliche Stunde in der Woche für die Experimente erhält, werden die Schülerinnen und Schüler der Parallelklassen zusätzlich in Deutsch gefördert. Das ganze Projekt wird von der Freien Universität Berlin evaluiert.

Der zweite Wunsch der Eltern nach Englischunterricht ab Klasse1 ist ebenfalls erfüllt worden, eine Muttersprachlerin bietet den Unterricht mit einer AG-Wochenstunde an. Die Sprachförderung – der dritte Wunsch der Eltern – wird von allen Lehrkräften und auch im außerschulischen Bereich beachtet. Die Schulbibliothek ist den ganzen Tag geöffnet, und eine gemütliche Leseecke lädt zum Schmökern und zu Abenteuerreisen ein.

Schülerinnen und Schüler auf einer Couc h in der Schulbibliothek
Leselust wird durch Lesen geweckt. Die schuleigene Bibliothek gibt die Gelegenheit dazu © Gustav-Falke-Grundschule

In der „lesenden Grundschule“ gibt es eine zusätzliche Lesestunde in der Woche, und in den 5. und 6. Jahrgangsstufen wird Lesen als Wahlpflichtfach angeboten. Es gibt das Projekt Leserucksack, eine regelmäßige Zusammenarbeit mit den Stadtteilbibliotheken und Lesepaten, einen jährlichen Vorlesewettbewerb von Klasse 1 bis 6 sowie die „Lesefalken“, das „Bilderbuchkino“ und die „Lesenacht“. Karin Müller hat beobachtet, die „Vorlesewettbewerbe zeigen, dass eine Entwicklung stattgefunden hat. Die Schülerinnen und Schüler, die Jahr für Jahr daran teilgenommen haben, zeigen stetig bessere Leistungen“.

Rhythmisierung kostete viele Nerven

Das Lesen ist aber nur ein Aspekt, an dem sich Herausforderungen im sozialen Bereich festmachen lassen. „Manche Kinder sind in ihrem Leben noch nie aus dem Stadtteil herausgekommen“, berichtet die Rektorin. Den Horizont der Schülerinnen und Schüler zu weiten, ihnen neue Erfahrungen und Anregungen zu bieten, soziales Lernen mit ihnen zu praktizieren, sieht die Gustav-Falke-Grundschule als ihre Aufgabe an – und könnte das nicht ohne den Ganztag. Schulleiterin Müller: „Ohne Ganztagsschule hätten wir überhaupt keine Möglichkeit, unsere vielen Angebote im Sport, in der Kunst oder der Musik anzubieten.“

2003 entschied die Schule, Ganztagsschule zu werden. An fünf Wochentagen gibt es ein kostenloses Angebot von 7.30 bis 16.00 Uhr. „Wir wollten den Schultag rhythmisieren und haben uns daher für die gebundene Form entschieden“, so die Schulleiterin. So haben die 1. und 2. Klassen einmal in der Woche auch am Nachmittag Unterricht, ab Klasse 3 sogar zweimal. Außerdem gelang es, mit der Ganztagsschule das 40-Minuten-Modell zu verwirklichen, „über das wir zuvor schon lange diskutiert hatten und das immer wieder abgeschmettert worden war“.

Durch die Verkürzung der Schulstunden gewinnen die Klassen Zeit für Schülerarbeitsstunden und für eine Klassenleiterstunde. „Die Schülerarbeitsstunden werden zur Förderung genutzt und nicht als Vertretungsstunden missbraucht“, betont Karin Müller. Die Rhythmisierung habe „viele Nerven gekostet“. Doch der laut Karin Müller „lange Weg“ hat sich gelohnt: Inzwischen bietet die Schule im Ganztagsschulnetzwerk der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Berlin selbst Fortbildungen zu diesem Thema an.

Schülerinnen und Schüler bei einer Aufführung
Ob in Englisch oder auf Deutsch - das Theaterspielen ist ein wichtiger Bestandteil des Ganztagsschulprogramms © Gustav-Falke-Grundschule

Neben jedem Klassenzimmer befindet sich direkt ein Freizeitraum, sodass es auch einmal möglich ist, eine Klasse unkompliziert aufzuteilen. Eine komplette Etage wurde für den Freizeitbereich eingerichtet. Mit IZBB-Mitteln konnten die Aula neu ausgestattet und eine Mensa errichtet werden, in der bis zu sechs Klassen gleichzeitig essen können.

„Dann soll mein Kind an diese Schule!“

„Ich bin besonders stolz auf unser schönes Außengelände mit den vielen verschiedenen Spielplätzen, dem Schulgarten und dem Grünen Klassenzimmer. Vor 25 Jahren gab es hier nur Asphalt, und es ist uns gelungen, nach und nach das Gelände zu erweitern und zu entwickeln“, freut sich Karin Müller. Auch die Kooperationen mit Künstlerinnen und Künstlern, die zahlreich im Wedding leben, oder mit dem Martin-Gropius-Bau zeichnen die Schule aus.

Als vor zwei Jahren eine Podiumsdiskussion in der Schule stattfand, in der sich Eltern und die Schulverwaltung gegenübersaßen, weil unklar war, wie der aktuelle Kinderboom gerade auch in der „Neuen Mitte“ auf die Schulen verteilt werden sollte, forderten einige Eltern: „Dann soll mein Kind an diese Schule!“ und schrieben auch entsprechende Briefe. So haben Karin Müller und ihre 52 Lehrkräfte und Erzieherinnen in den vergangenen Jahren also vieles richtig gemacht. Die Schülerzahl ist inzwischen wieder auf 410 geklettert, Geschwisterkinder werden angemeldet. „Aber uns ist ganz klar, dass wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen können“, meint die Schulleiterin. „Das Erreichte ist wie ein zartes Pflänzchen, das gehegt werden muss.“

 

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